Rodney räumt auf: Kreuzzüge

In der aktuellen Debatte zum Frieden zwischen Kulturen und Religionen tauchen immer wieder die Kreuzzüge auf – selten unbedarft positiv wie bei George W. Bush, meist dagegen als monumentales Unrecht, und das nicht nur bei Bushs Kritikern. Seit Voltaire und Diderot hat sich hierzulande die Ansicht durchgesetzt, dass ein barbarisches christliches Europa damals aus Gier nach Macht und Reichtum zum blutrünstigen Vernichtungsschlag gegen eine blühende islamische Hochkultur ausholte, der es das intellektuelle Wasser eigentlich nie reichen konnte.

Inzwischen haben Historiker viele Mythen über das angeblich so finstere Mittelalter relativiert und der Soziologe Rodney Stark wirft in God’s Bataillons. The Case for the Crusaders einen Blick auf alte Thesen. Jenseits von konservativer Kulturkampf-Rhetorik oder naiver Verklärung im Kielwasser von Lessings idealisiertem Saladin erscheint in den ersten paar Kapitel zumindest ein differenzierteres und glaubwürdigeres Bild von der Ausgangslage der Kreuzzüge Ende des 11. Jahrhunderts.

Am bemerkenswertesten fand ich beim Hineinlesen die Feststellung, dass die Kreuzzüge keineswegs über Jahrhunderte das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen vergifteten, sondern dass sie erst im Zuge der Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts gegen die Kolonialmächte England und Frankreich wieder thematisiert wurden. Nun bin ich gespannt darauf, ob Stark überzeugend darlegen kann, dass der kolonial-imperialistische Sündenfall der westlichen Welt nicht im 12. und 13. Jahrhundert stattfand. Wenn es die Diskussion versachlicht und egal welchen Dschihadisten den Vorwand offener Rechnungen nimmt, dann wäre doch viel gewonnen.

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