Schweigen im Walde

Zurück aus Berlin habe ich mir heute verdutzt das TFT-Display gerieben. Keine Blogposts zum Emergent Forum! Wo doch in früheren Jahren tagesaktuelle und seitenlange Linksammlungen erstellt wurden. da fragt man sich unwillkürlich: Was ist denn da los?

Antwort: Erstens ist bei vielen das Bloggen schon seit einer ganzen Weile in den Hintergrund getreten.

Zweitens scheint das persönliche Gespräch wichtiger gewesen zu sein, für mich war das jedenfalls so. Vielleicht postet der eine oder andere dazu auch ein Bild auf Facebook. Dass wieder 100 Leute da waren und etliche Neue darunter, ist auch schön. Die Neuen sind aber offenbar viel weniger Blogger als manche Gründungsmitglieder es waren und z.T. auch noch sind. Vielleicht ist nach dem Bloggen ja jetzt die Umsetzung das, was alle Zeit und Energie verschlingt

Drittens ist inhaltlich auch kein gravierend neuer Akzent dazu gekommen. Das Thema bewegte sich erkennbar entlang der Linien früherer Jahre. Es waren wohl gute Gedanken und Formulierungen dazu zu hören, aber kein „Aufreger“. Muss ja auch nicht sein.

Wenn also bisher keiner was gesagt hat, dann sag ich halt noch ein bisschen mehr: Das Thema war recht weit gespannt, so dass vieles Platz hatte. Die Organisation und Moderation war gut, das Programm war abwechslungsreich und nicht so überladen, dass der Raum gefehlt hätte um viele „alte“ Bekannte zu treffen und sich auszutauschen – und auch wieder ein paar neue Leute kennenzulernen. Statt Dinge in die Welt hinaus zu bloggen lieber vertraute und vertrauliche Konversation kann ja auch bedeuten, dass die Beziehungen tiefer geworden sind.

Die Podcasts werden in näher Zukunft hier erscheinen, bis dahin stehen dort auch noch viele andere spannende Beiträge.

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Irisch und ironisch

Also ich mag ja den Rollins – den irischen Akzent, den verschmitzten Humor, das Um-noch-eine-Ecke-mehr-Denken. Auch wenn ich nicht immer einverstanden bin mit dem, was er schreibt. Die Pose des Rebellen und Underdogs wird einem (Nord)Iren ja als zweite Natur in die Wiege gelegt, zugleich wird sie konterkariert durch die Autorenbeschreibung auf dem Buchdeckel, die so auch für etablierte Größen der evangelikalen Szene gelten könnte:

Peter Rollins is a widely sought-after writer, lecturer, storyteller and public speaker nationally and internationally. Es folgen die akademischen Lorbeeren: BA, MA, PhD und dass er momentan in Greenwich, Connecticut lebt.

Weil wir ja aber alle wissen, dass Rollins ein Leitungsverweigerer ist, kann der Verweis auf seine Kompetenz als Meinungsführer ja eigentlich auch nur Ironie sein. Oder?

Zu Beginn von Kapitel 7 von Insurrection erzählt Rollins wieder eine seiner subversiven Parabeln: Gott beschließt nach einem Blick auf die Erde, dass er nun endlich die Spreu vom Weizen trennen sollte. Er ruft vom Himmel all jene, die der Welt entsagt und sich dem Himmel zugewandt haben. Sie werden entrückt, und kaum sind sie oben angekommen, verlässt Gott mit seinen Engeln den Platz auf den Wolken und schlägt sein Zelt auf Erden auf: Bei denen, die um der Welt willen Gott aufgegeben hatten, und freut sich, dass nun endlich die Schafe von den Böcken, die Treuen von den Abtrünnigen geschieden sind.

Ok, die Geschichte ist natürlich schwer konstruiert. Aber was sagt sie eigentlich aus? Bevor wir Rollins seine eigene Interpretation geben lassen, lohnt sich ein Blick auf das, was er hier macht. Manchmal verraten Gleichnisse ja mehr, als der Autor im Sinn hatte:

Die ganze Story hat eine solide dualistische Grundlage: die Gegensatzpaare Himmel/Erde und Gerechte/Ungerechte (oder deren Äquivalent). Rollins stellt den Dualismus hier nicht in Frage, sondern einfach nur auf den Kopf. Statt einen überraschenden dritten Weg zu eröffnen, erklärt er – wenig überraschend, wenn man bis hier durchgehalten hat – den ersten Weg und seine Vertreter für verfehlt. Er scheint aber ganz zufrieden damit, dass die Hölle nun im Himmel ist und der Himmel auf der Erde.

Nun zu den Leerstellen des Gleichnisses. Was überhaupt nicht in den Blick kommen darf, ist ja die Möglichkeit, sich für Gott und die Welt zugleich zu entscheiden. Also muss Gott am Ende die Entscheidung für die Welt und gegen ihn umdeuten in eine Entscheidung für ihn. Dass man sich aus ebenso banalen Gründen für ein Aufgehen in der Welt unter Vermeidung möglichst aller Schmerzen entscheiden kann wie für die fromme Weltflucht, kommt auch nicht in Betracht.

Für sich genommen, bestätigt das Gleichnis also das Dilemma dieses Buches bis hierher: Rollins kritisiert und hat in manchem Recht. Aber irgendwie scheint ihm die Distanz zu fehlen, aus der Negation und der Antithese zu einer konstruktiven Perspektive vorzudringen. Und offensichtlich fällt es ihm auch schwer, so richtig Anschluss an eine nichtdualistische Denktradition zu finden.

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Muttis Welt

Jan Ross hat in einem großartigen Essay auf Zeit Online die Krise Europas in einen passenderen Deutungsrahmen gestellt, als das sonst oft geschieht. Man muss die Besonderheit dieses Experiments zu würdigen wissen, erklärt er. Hier ist eine ganz andere Nachbarschaft unter Völkern entstanden als etwa zwischen Indien und Pakistan:

Die Schicksale von Staaten in Europa sind einmalig eng verknüpft, aber genau andersherum als in der klassischen Macht- und Geopolitik: Man profitiert von der Stärke des anderen und leidet unter seiner Schwäche. Das stellt Jahrhunderte historischer Erfahrung auf den Kopf. Für neunzig Prozent der Menschheit sind solche politischen Lebensbedingungen unvorstellbar.

Aus den Nationen Europas ist dagegen eine Familie geworden. Da hilft man einander auch dann aus, wenn einer unverantwortlich gehandelt hat, aber man sagt sich die Wahrheit auch undiplomatischer ins Gesicht. Diese „relative Formlosigkeit“ im Umgang ist auch ein Zeichen für eine „neuen Intimität“. Aber es ist noch nicht ausgemacht, ob sich die Familie in der gegenwärtigen Krise bewährt. Mit inneren oder äußeren Zwangsläufigkeiten zu argumentieren, sagt Ross, hilft nicht weiter. Man muss für diese „hochgradig avantgardistische Lebensform“ und ihre „postheroische, hormonell abgerüstete Politik“ anders argumentieren, und das tut er dann auch:

Das ist Europa: eine große, unfertige, kostbare, lebendige Angelegenheit. Es ist keineswegs aussichtslos, für »mehr Europa« Werbung zu machen, auch wenn das Opfer bedeutet – mühsame Reformanstrengungen der Schuldnerländer, unpopuläre Transfers der reichen Nordeuropäer und Deutschen. Doch muss man über diese Familie auch entsprechend reden: mit Sinn für ihre großen Traditionen und kleinen schmutzigen Geheimnisse, mit etwas Liebe und Humor.

Das klingt doch sympathisch – reden wir also besser in der Sprache der Dichter als der Buchhalter und Struktur-Mechaniker! Und zu Angela Merkels Spitznamen passt es sowieso prima.

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Auf den „Bauch“ gehört

Neulich las ich einen Artikel, der die Rolle des Bauchgefühls oder der Intuition bei Entscheidungen beschrieb. Manchmal, hieß es dort, weiß unser Unterbewusstsein mehr als unser Verstand. Und wir tun dann auch gut daran, das zu beachten.

Vor längerer Zeit traf ich eine Person, die (und das passiert mir nicht so oft) unwillkürlich einen inneren Alarmzustand bei mir auslöste, ohne dass es irgendeinen äußeren Anlass dafür gegeben hätte. Es waren nur punktuelle Begegnungen in einer größeren Gruppe, aber ich war trotzdem ganz froh, dass wir keinen näheren Kontakt hatten. Ich hätte nicht sagen können, was genau das Gefühl auslöste, aber es war ziemlich ausgeprägt: Vorsicht, Machtmensch!

Inzwischen sind mir mehrere Leute begegnet, die von unschönen Auseinandersetzungen mit der/dem Betreffenden berichtet haben (NB: Ich bin sehr sicher, dass er/sie nicht zu den Lesern dieses Blogs gehört, also muss sich bitte, bitte auch niemand, der das liest, fragen, ob er selbst gemeint ist!!). Nun verstehe ich besser, was ich da empfunden hatte. Irgendeine Antenne hatte kleine, unterschwellige Signale aufgefangen – vielleicht Mimik, Ton oder Körpersprache – und mein Gefühl hatte darauf reagiert.

Freilich kann Intuition auch unscharf sein und ein emotionales Unwohlsein mehr über meine eigenen Ängste und Vorurteile aussagen als über den anderen. So oder so: Das mulmige Gefühl im Bauch lohnt einen zweiten, aufmerksamen Blick.

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Insurrection (6): die Liebe und der Augenblick

Ich hatte bei der Besprechung des aufmüpfigen Buches von Peter Rollins eine Pause eingelegt. Im sechsten Kapitel setzt er sich mit Transzendenz und Immanenz Gottes auseinander. Die Auferstehung, so setzt er an, ermöglicht eine neue Art zu leben, die das Leid und die Dunkelheit oder Sinnlosigkeit in unserem Leben nicht aufhebt, ihnen aber den Stachel raubt: Wir müssen nicht mehr verzweifeln.

Verzweiflung droht für Rollins da, wo man das irdische Leben als Wartezimmer der Rechtgläubigen für die Ewigkeit versteht (da ist Gott ganz transzendent gedacht) oder Gottes Gegenwart in einem enthusiastischen Geist/Welt-Dualismus auf das Außergewöhnliche begrenzt (wodurch alles andere um so profaner erscheint), oder aber ewig auf der Jagd nach Gott bleibt, ohne seiner je ansichtig zu werden (denn dann wäre die Jagd vorbei und möglicherweise die Enttäuschung groß).

Rollins plädiert dagegen für einen indirekten Zugang zu Gott und er erläutert das so:

Wir betrachten Gott nicht mehr als einen Gegenstand, den wir lieben. Tatsächlich wird die Vorstellung, Gott direkt zu lieben, problematisch. Stattdessen lernen wir, dass Gott in der liebenden Tat selbst gegenwärtig ist. Wir finden das Glück nicht darin, der Welt zu entsagen und unser Sehnen auf das Göttliche zu richten, sondern jetzt begegnet uns das Göttliche in jedem Akt der Liebe der Welt gegenüber. Gott liebt man durch das Werk der Liebe an sich. In der Liebe finden wir neuen Sinn, Freude und Erfüllung.

So, erklärt Rollins, behalten wir Gott gegenüber eine Distanz und finden ihn zugleich. Das erinnert von fern an Luthers Kreuzestheologie, wo dieser davon spricht, dass man Gott wie Mose auf dem Berg Sinai nicht direkt, sondern nur „von hinten“ erkennen kann. Aber dann dreht Rollins das Ganze noch einmal um. Wenn man einen Menschen liebt, dann wird dieser Mensch durch unsere Liebe zu einer ganz besonderen, einzigartigen Person – aber nicht deshalb, weil sie oder er das „objektiv“ wäre, sondern weil unsere Liebe ihn zu diesem Mysterium macht:

Wenn wir Gott als den Gegenstand betrachten, den wir lieben, dann erleben wir immer eine Distanz zwischen uns und der letztgültigen Quelle unseres Glückes und Sinns. Wenn wir Gott in der Liebe selbst finden, bringt uns der Akt der Liebe in eine unmittelbare [!] Beziehung zur tiefsten Wahrheit überhaupt.

Man ist geneigt zurückzufragen, wie das nun gemeint sein soll:

  • Zu Gott gibt es nur eine mittelbare Beziehung, exklusiv vermittelt durch die gelebte Liebe, zur Liebe dagegen gibt es eine unmittelbare Beziehung?
  • Weil sie meine Tat ist?
  • Weil ich als Liebender an ihr teilhabe – aber gälte das nicht genauso mittelbar oder unmittelbar auch für Gott?
  • Was qualifiziert meine Tat eigentlich als Liebe: Meine gute Absicht, ihre („objektiv“) gute Wirkung, wie sie bei anderen (subjektiv) „ankommt“?
  • Wie passt dazu die Aussage aus 1.Johannes 4, dass Gott die Liebe ist?
  • Will Rollins hier alle metaphysischen, auf den deus-ex-machina hinauslaufenden Aussagen über Gott umgehen – und macht er damit unter der Hand nicht doch wieder „die Liebe“ zu einer quasi-metaphysischen Größe?

Und nun schwenkt Robins wieder zurück. Die Liebe selbst erscheint ja gar nicht, sondern sie lässt nur den geliebten Menschen für uns größer, wundersamer und besonderer erscheinen. Sie stellt andere nicht in ihren Schatten, sondern rückt sie ins Licht (hier würde sich ja ein Schwenk zur johanneischen Pneumatologie anbieten, aber Rollins lässt die Gelegenheit aus).

Rollins fährt fort: Sie, die Liebe, ist die höchste Wahrheit überhaupt. Nur die Liebe erkennt in dem Gekreuzigten den Sohn Gottes. Dass wir lieben, verändert alles Erleben. Und da wahre Liebe den anderen immer um seiner selbst willen liebt, lieben wir genau genommen nicht den anderen um Gottes Willen, sondern wir lieben Gott in unserer Zuwendung zum anderen mit.

(Spätestens hier müsste man nun unbedingt vom Heiligen Geist als der Kraft reden, die es uns ermöglicht, uns der Welt in Liebe zuzuwenden, statt uns in der Liebe zu Gott von ihr abzuwenden, der es möglich macht, dass meine menschliche Liebe diese göttliche Qualität bekommt, ohne dabei aufzuhören, meine Liebe und wahrhaft menschliche Liebe zu bleiben).

Rollins dagegen zitiert wieder Bonhoeffer: Am Kreuz hat sich Gott aus der Welt hinausdrängen lassen, darum geht es für Christen darum, zu leben etsi deus non daretur („als gäbe es keinen Gott“). Erwachsener Glaube kann diese Abwesenheit Gottes und unsere Gottesferne annehmen, weil darin das Paradox schlummert, dass wir „vor Gott und mit Gott ohne Gott“ leben.

Glaube und Liebe sind von daher nicht zwei verschiedene Dinge: Man glaubt nur insofern, als man liebt! Weil das aber so ist, kann ein Christ die Frage nach der Existenz Gottes nicht mit einem herzhaften, ungebrochenen „Ja“ beantworten, sondern er muss sagen: „Darum geht es mir“ oder noch besser „Frag meine Feinde“. Gottes Existenz ist nur darin erkennbar, dass wir Gutes tun, ohne nach einem Lohn dafür (den „Himmel“, Gottes Wohlwollen, Beifall anderer) zu schielen. Genau dazu befreit der Glaube an die Auferstehung: Das Leben uneingeschränkt und furchtlos zu bejahen, selbstlos zu lieben ohne zu berechnen, was es denn „bringt“, uns von der Idee eines vorbestimmten Schicksals zu verabschieden. Und dann hört man gegen Ende des Kapitels nach dem Existenzialisten Kierkegaard beinahe noch Rudolf Bultmann reden, wenn Rollins schreibt, die Frage nach einem Schicksal sei nur so zu beantworten:

Alles, was mich zu genau diesem Augenblick geführt hat, dem Augenblick, in dem ich resolut über den nächsten Schritt entscheiden muss, ohne irgendeinen kosmischen Beistand (S. 135).

Ist das, was Rollins schreibt, nichts als sattsam bekannter Existenzialismus, oder doch etwas mehr? Das werden wohl erst die nächsten Kapitel aufklären. Unklar bleibt manches deshalb, weil Rollins sich durchaus auf Inkarnation und Kreuz beziehen kann, ja seine Thesen darauf begründet, zugleich sich aber dagegen wehrt, Glaube mit irgendeinem sachlich-dogmatischen Gehalt oder Aussagen über irgendetwas „da draußen“ zu verknüpfen. Kann das denn gut gehen? Und legt er mir mit den Aussagen dieses Kapitels nicht die schwer zu schulternde Last auf, mein eigener Gottesbeweis zu werden? Hat er den Gedanken an einen in der Geschichte handelnden Gott aufgegeben oder für irrelevant erklärt, wenn er derart steil auf das menschliche Subjekt abzielt?

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Im Segen der irischen Mönche

Ich habe bisher auch nur den Trailer gesehen, aber nach Meine Reise zum Leben haben Rainer Wälde und seine Crew von Lebensreise.info eine neue DVD über die iroschottische Mission in Kontinentaleuropa produziert, die nicht nur historische Information, sondern eben auch Inspiration für das geistliche Leben als einzelner und in Gemeinschaft bieten, von schönen, mit Orchestermusik unterlegten Bildern ganz zu schweigen.

Konkret geht es um Columbanus, Gallus, Pirmin (Gründungsabt der Klosterinsel Reichenau) und Magnus von Füssen.

Wer noch Weihnachtsgeschenke sucht, sollte mal einen Blick drauf werfen. Bei der Suche nach Vorbildern, Ritualen und Heiligen Orten findet man gute Anregungen. Und den Trailer zu „Im Segen der irischen Mönche“ kann man hier sehen.

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Kaiser Augustus, das Kindergeld und der Single-Malus

Weihnachten rückt in Sichtweite, der Kaiser Augustus hat wieder seinen liturgischen Auftritt und passend dazu habe ich heute eine interessante Sache entdeckt. Rodney Stark berichtet in The Rise of Christianity davon, dass dem Kaiser die niedrige Geburtenrate zu schaffen machte, Wegen der hohen Kindersterblichkeit und der relativ geringen Lebenserwartung (im Schnitt 30 Jahre, wenigstens bei Stadtbewohnern) schrumpfte die Schar seiner Untertanen stetig. Ehe und Familie standen bei den männlichen Römern nicht hoch im Kurs (nichts Neues also…), viele Kinder, vor allem Mädchen und sichtbar behinderte Buben, wurden zudem als Säuglinge ausgesetzt. Stark schreibt:

Im Jahr 59 v. Chr. erließ Cäsar ein Gesetz, das Väter von drei oder mehr Kindern mit Land belohnte, obwohl er Ciceros Rat nicht folgte, Ehelosigkeit unter Strafe zu stellen. Dreißig Jahre später, und erneut im Jahr 9, veröffentlichte der Kaiser Augustus ein Gesetz, das Männern, die drei oder mehr Kinder hatten, den politischen Vorzug gab und politische und finanzielle Sanktionen gegen kinderlose Paare, unverheiratete Frauen über 20 und unverheiratete Männer über 25.

Nur dass ich nicht missverstanden werde: Ich schlage nicht vor, dass wir es mit staatlichen Zwängen und Anreizen ähnlich halten. Mir geht es nur darum, dass unsere heutigen demographischen Probleme offenbar nicht neu sind und die staatlichen Maßnahmen offenbar auch nicht. Spätere Kaiser griffen zu ähnlichen Mitteln, Trajan subventionierte Kinder schließlich direkt. Ohne Erfolg – der Schwund gegen Ende der Republik und bis weit ins zweite Jahrhundert ließ sich nicht aufhalten.

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Sport wird grüner

Neuich habe ich den Pastor der FeG Herzogenaurach stolz mit einer Adidas-Tasche auftreten sehen und mich gefragt, ob wohl keines seiner Gemeindeglieder bei Puma arbeitet. Vom kleinen Bruder der Streifenmarke sind dieser Tage nämlich gute Nachrichten zu vernehmen: Man hat eine offizielle Ökobilanz erstellt und wird auf deren Grundlage weitere Maßnahmen ergreifen.

In der Sportartikelindustrie scheint nun doch einiges in Bewegung zu sein. Neulich schon interviewte die Zeit Hannah Jones von Nike, die einige Fortschritte erläutert, die der Weltmarktführer in Sachen Nachhaltigkeit gemacht hat. Ohne internationale Proteste wäre das sicher nicht geschehen.

Derweil stand vor allem Adidas dieses Jahr wieder in der Kritik, was Lohn und Arbeitsbedingungen der Zulieferer angeht. Das ist neben der Ökobilanz das andere heiße Eisen.

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USA: Evangelikaler Linksruck?

Dass es unter US-Evangelikalen ein großes Umdenken und zum Teil auch eine radikale Abkehr von der irrsinnigen politischen Agenda der Republikaner gibt, habe ich hier schon mehrfach erwähnt. Inzwischen ist auch die Zeit darauf aufmerksam geworden, bei uns erschien der Begriff „evangelikal“ im öffentlichen Sprachgebrauch bisher ja eher als Synonym zu „fundamentalistisch“ und „reaktionär“.

In Deutschland ist die Bewegung weniger extrem nach allen politischen Richtungen, den frommen Eva-Herman-Fanclub mal ausgenommen. Auf einschlägigen Großverstanstaltungen treten aber immer noch mehr CDU-Abgeordnete auf.

In jeder Hinsicht bemerkenswert fand ich übrigens dieses Statement der National Association of Evangelicals, das die Zeit zitiert. Schade, dass es nicht schon auf dem Kongress in Kapstadt diskutiert wurde:

Die NAE stellt fest, dass es unter ihren 45.000 Kirchen keinen Konsens in der Frage gebe, ob die biblische Genesis als wissenschaftlicher Fakt gelehrt werden soll. Und eine Mehrheit der Evangelikalen unter 35 ist für die Schwulenehe, während die Mehrheit der Älteren eingetragene Lebenspartnerschaften für Homosexuelle befürwortet.

Ich vermute, dass es sich bei uns kaum anders verhält als in den USA. Nur dass nicht öffentlich darüber geredet wird. Die offiziellen Statements der Evangelischen Allianz geben durchweg nur die traditionell-konservative Linie wieder. Ein offenes Gespräch über die unterschiedlichen Positionen wäre für mein Empfinden längst überfällig. Freilich hätte es auch eine gewisse Brisanz, ein paar Hardliner würden bestimmt auf die Barrikaden gehen und Idea würde weniger Abos verkaufen.

Also beten wir doch für mehr Mut zur Ehrlichkeit. Das wäre doch ein schönes Zeichen, wenn unter dem Stichwort Evangelikal unterschiedliche Ansätze möglich sind, so wie in anderen, theologisch viel wichtigeren Fragen ja auch. Marcia Pally, die Verfasserin des Artikels in der Zeit, hat ihr Buch über die Neuen Evangelikalen auch auf Deutsch veröffentlicht:

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Die Geschichte einer ungewöhnlichen Idee

Gestern wurde Pastor Johannes Klement von der FeG in seine neues eingeführt. Als ich mir ein Grußwort überlegte, dachte ch, früher oder später wird es sich auch einmal fragen, was sich Gott eigentlich gedacht haben mag, als er die Franken erschuf.

Hier ist die Antwort – viel Spaß beim Gucken. Die Musik musste ich auf lizenfrei umstellen, gestern haben wir dazu „Pomp and Circumstance“ laufen lassen und es hat wunderbar gepasst.

Das Beste zuletzt… from Peter Aschoff on Vimeo.

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Mia san ia?

Das ist mal wieder typisch: Antenne Bayern hat einen Song fabriziert, in dem die Regionen und Highlights des Freistaats besungen werden. Franken und Schwaben werden dabei durchaus erwähnt, aber obwohl verschiedene Sänger auftreten singen sie doch alle in einem moderaten Bayerisch – „dahoam“ und so weiter.

Klingt alles ganz sympathisch und verrät, wie Harmonie in Bayern funktioniert: München gibt den Ton an, und wenn man bei den anderen Stämmen ein paar schöne Federn findet, schmückt man sich mit gern damit.

Kleiner Trost: Bayerns bester Fußballverein spielt in den fränkischen Landesfarben.

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Der Karneval der Seelen

Ein lustiger Zufall, dass ich diesen Post am 11.11. schreibe: Peter Rollins fragt Im fünften Kapitel von Insurrection nach den Ängsten, die uns zu allerlei Versteckspielen treiben. Mit Tillich (hier nennt er erfreulicherweise seine Quellen) identifiziert er die Angst vor dem Tod und der Sinnlosigkeit, die es jeweils in milder und akuter Form gibt. Der „religiöse Gott“ dient als Schutz gegen beides, wir weichen ihnen aber auch aus durch Flucht in Zerstreuung und Konsum oder in die Arbeit – alles was verhindert, dass wir zu sehr ins Nachdenken kommen und uns den Ängsten stellen müssen.

Freud wies darauf hin, dass uns das Verdrängte im Traum einholt, mit Lacan und Zizek deutet Rollins an, dass man aber auch vor der existenziellen Wahrheit eines Traumes wieder in den Wachzustand „flüchten“ kann. Die Geschichten, die wir über uns erzählen und die unsere Identität beschreiben, können ähnlich irreführend sein wie die selektiven und geschönten Selbstdarstellungen, zu denen uns soziale Netzwerke verleiten. Die Wahrheit über uns erfahren wir, wenn wir auf das schauen, was wir konkret tun.

Aber wir haben gelernt, mit der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu leben – wir ironisieren unser Selbstbild einfach. so gelingt es uns, auch vor uns selbst zu verschleiern, was uns wirklich antreibt. Wir müssen nicht hinter bzw. unter der Oberfläche suchen, sondern es liegt alles offen zu Tage, und gerade so ist es am raffiniertesten versteckt, indem es gerade nicht versteckt wird. Das „Herz“ eines Menschen, sagt Rollins mit Bonhoeffer, ist nicht das unsichtbare Innenleben, sondern es liegt offen zu tage, aber wir können es oft genug nicht entschlüsseln – so wie in einem Krimi oft alle Indizien auf dem Tisch liegen und man trotzdem nicht auf Anhieb sagen kann, was die Lösung des Rätsels nun ist. Wir aber bleiben uns selbst oft genug ein Rätsel.

Die Differenz zwischen dem, was wir glauben und wie wir handeln, ist ein beliebter Topos für Moralpredigten. In Wirklichkeit, sagt Rollins, stimmt das so nicht. Wir leben so, weil wir in Wirklichkeit glauben, dass das richtig oder besser ist, oder dass die Welt nun mal so funktioniert. Er bezieht sich hier auf Paulus, der schreibt, dass das Gesetz nicht nur vor der Sünde warnt, sondern zugleich den Anreiz zur Übertretung darstellt. Und als solches hält es uns in einem Dauerkonflikt gefangen, aus dem nur die Gnade befreit.

Das Thema Gnade illustriert Rollins dann mit eine fiktiven Geschichte von einem Sohn, der gegen seinen Vater, einen asketischen Gutmenschen, rebelliert, bis dieser jegliche Erwartung, sein Sohn könne sich ändern aufgibt. In just diesem Moment ist der Weg für den Sohn frei, sich zu verändern. Das ist eine schöne Geschichte, aber eben auch wieder erstaunlich konventionell in der Konkretion (so wie im vierten Kapitel der Verweis auf Mutter Theresa ja auch kein theologisches Sondergut darstellte. Predigten, die seinen Lösungsvorschlag aufnehmen, habe ich oft und an vielen unterschiedlichen Orten gehört). Insofern ist es dann wieder irritierend, wenn Rollins diese vermeintlich bahnbrechende Erkenntnis mit dem Hinweis versieht, die Kirche in ihrer heutigen Gestalt sei eine Veranstaltung, deren Struktur und Gottesbild darauf angelegt sind, Angst zu vermeiden und den Status quo zu garantieren statt für Veränderung zu sorgen und Verunsicherung zuzulassen.

Rollins beschreibt intelligent und aufmerksam Strategien der (Selbst-) Täuschung. Seine Lösung ist dann weniger originell als seine Analyse, und mit der pauschalisierenden Kritik und Abwertung anderer wirft er zwischen den Zeilen die Frage auf, ob er nicht immer wieder denselben Täuschungsmechanismen erliegt, die er so scharfsinnig seziert. Wahrscheinlich würde er das gar nicht bestreiten…?

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Weisheit der Woche: Anders sehen

Brian McLaren in seinem wunderbaren Naked Spirituality über das meditative, nichtdualistische Denken, das uns hier schon ab und zu beschäftigt hat:

Nicht, dass alles gut wäre. Weit gefehlt. Niemand […] würde das sagen. Es gib aber in allem etwas Gutes, oder das Potenzial, aus allem etwas Gutes zu machen.

Nicht, dass alles gleich wäre. Weit gefehlt. Aber alles unterscheidet sich und gehört zugleich auch auch zusammen, alles kann erlöst, alles kann vergeben werden.

Nicht, dass alles relativ wäre, ohne feste und festgelegte Identität, aber alles ist verwandt, also ist seine Identität irgendwie verwoben mit der Identität von allem anderen.

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Insurrection (5): Neuer Erfahrungsfundamentalismus?

Zu Beginn des Zweiten Teils von Insurrection fasst Peter Rollins sein Verständnis der Kreuzeserfahrung (und damit des Beginns des eigentlichen Glaubens) noch einmal zusammen:

Am Kreuz stirbt Gott als psychologische Krücke und eine tief empfundene dunkle Nacht der Seele bricht über uns herein. (S. 82)

Rollins beschreibt hier beim Umschalten von Dekonstruktion auf Rekonstruktion (s)eine menschliche – und damit psychische (!) – Erfahrung, vor allem macht er dabei aber auch zwei Annahmen:

  1. Alle Menschen beginnen mit einer falschen Gottesvorstellung und missbrauchen Gott als „Krücke“, wodurch er zum Deus-ex-Machina wird, der garantiert, dass alles bleibt, wie es ist.
  2. Wer die existenzielle Verlusterfahrung der dunklen Nacht nicht gemacht hat, hat das Kreuz und damit Gott und den Glauben nicht verstanden

Bei aller berechtigten Kritik am Fundamentalismus, die Rollins immer wieder übt, erinnert das auch nicht unerheblich an das Motiv des „Bußkampfes“ im Hallischen Pietismus (der war ein existenzielles Verzweifeln an der eigenen Sündhaftigkeit), nur dass statt Bußkampf hier eben nun eine andere Erfahrung zum Schlüsselerlebnis des Glaubens erklärt wird, nämlich ein existenziell empfundener Verlust der Nähe Gottes.

Zinzendorf hatte sich an diesem Punkt (des Bußkampfes) von Francke abgewandt, damit hat er den Pietismus aus der Fixierung auf ein bestimmtes Erleben befreit. Ich bin mir daher nicht sicher, ob ich Rollins bei seiner Auffassung folgen möchte. Es könnte der Weg in einen Erfahrungsfundamentalismus werden, nur eben in einer etwas anderen Färbung. Aber vielleicht relativiert Rollins das noch im weiteren Verlauf und umschifft die tückischen Klippen.

Und so schrecklich weit weg von Descartes typisch modernen Rekurs auf den radikalen Zweifel als den Ursprung neuer Gewissheiten liegt er damit auch nicht entfernt – es bleibt also spannend.

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Formuliert wie geschmiert

Die NN berichten in der Druckausgabe von heute über einem Fettfilm auf den U-Bahn-Schienen, der den Nehverkehr behindert hat – verlängerte Bremswege und höhere Fahrzeiten waren die Folge. Bis zum Betriebsschluss am Vortag, so der Artikel weiter, sei der Verkehr noch „reibungslos“ gelaufen.

Der Bericht in der Online-Ausgabe verzichtet auf die rutschige Metapher 🙂

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