Leitung einer missionalen Gemeinde (3): Drei Zonen

Im dritten Kapitel von The Missional Leader: Equipping Your Church to Reach a Changing World stellen die Autoren ein dreistufiges Phasenmodell vor, das ihre Erfahrungen mit missionalen Veränderungsprozessen veranschaulicht. Es gibt eine grüne, kreative Zone, eine blaue, stetige Zone und eine rote, krisenhafte. Sie alle können, ja müssen in verschiedenen Richtungen durchlaufen werden, wenn tatsächlich etwas anders werden soll.

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In der „emergenten“ Zone ist die Kultur einer Gemeinde von Innovation und Kreativität im Verhältnis zu ihrem Umfeld geprägt. Man lässt sich auf neue Dinge ein und wagt Experimente. Was einzelnen nicht gelingen kann, schaffen Grüppchen: Sie entdecken eine missionale Praxis und sind Gottes Zeugen in einer sich verändernden Umgebung. Aus diesem Zusammenwirken vieler in einem adaptiven System entsteht Emergenz. Sie ist nicht die Voraussetzung, sondern die Folge dieser Interaktionen, wie die Autoren von Surfing the Edge of Chaos erläutern. Immer wieder ist es die Begegnung mit der Schrift auf der einen und dem Kontext auf der anderen Seite, die die Entwicklung prägt und vorantreibt.

In der performativen Zone hat sich eine funktionierende Kultur entwickelt, die nun reproduziert werden kann. Es gibt klare Verfahrensweisen, umfassende Planung wird möglich und nötig, Spezialisierung setzt ein, Techniken und Methoden werden verfeinert, es entstehen Hierarchien und formalisierte Komitees, man legt Wert auf Effizienz. Das alles geht so lange gut, wie sich die Verhältnisse stabil entwickeln. Ist das nicht mehr der Fall, geht die Reise in den roten Bereich.

In der Reaktiven Zone wird die Organisation zunehmend von Verunsicherung, Verwirrung, Konflikten und Ängsten ergriffen. Die Verantwortlichen werden von der Entwicklung überrascht und reagieren, indem sie trotz schwindender Resourcen härter arbeiten, die Regeln energischer einklagen. Man versucht durch die Besinnung auf bisherige Erfolgsrezepte Stabilität zu schaffen. Irgendwann kommt der Punkt, wo diese Hoffnung sich zerschlägt.

Gemeindeglieder machen den Verantwortlichen Vorwürfe. Mitarbeiter ziehen sich zurück auf ihre Interessen oder Teilbereiche und ringen um deren Budget und Anerkennung. Es entstehen Parteiungen um zweitrangige Fragestellungen. Man versucht, die Kontrolle durch Regelwerke zurückzuerlangen. Unter dem Druck der Umstände legen Leiter ihre Verantwortung nieder. In der unteren Hälfte der reaktiven Zone begegnen wir der konfusen Gemeinde – seit den 90er Jahren ist das immer häufiger der Fall.

Eine große Versuchung für Leiter ist es, sich in BHAG zu flüchten: Big, hairy, audacious goals (große, haarige, gewagte Ziele). Man gibt neue, große Visionen aus, die die (auseinander?) driftende Gemeinde zusammenschweißen sollen. So hofft man auf eine Wiederholung der ansteigenden Kurve aus der oberen Hälfte der blauen Zone.

Stattdessen geht es zurück in die untere Hälfte der performativen Zone. Zu Beginn stehen Forderungen nach radikaler Aktion und mutiger Innovation und das Bemühen, etwas von der Tradition zu bewahren, die die Gemeinde bis dahin geprägt hat, gegenüber. Diese Polarität darf nicht durch einen Bruch zwischen Siegern und Verlierern „gelöst“ werden, sondern man muss lernen, sie auszuhalten. Das geht nur, indem man beharrlich das Gespräch sucht und lernt, einander zuzuhören. Es ist eine Phase der Verwundbarkeit, aber Symbole wie Wort, Sakrament und Gottesdienst können die fehlende Stabilität ersetzen. Es ist wichtig, dass das gelingt, damit eine Bewegung in die Experimentierfreudigkeit der emergenten Zone wieder möglich wird.

Nicht die äußere Veränderung, sondern die Unfähigkeit zur Bewältigung des Übergangs (d.h. sich auf die veränderten äußeren Verhältnisse einzustellen) stellt in der Diskontinuität des abrupten Wandels die eigentliche Herausforderung dar. Missionale Leitung bedeutet, sich in allen Phasen dieses Modells zurechtzufinden. Aktuell am gefragtesten sind Orientierung in den Prozessen der emergenten Zone. Denn früher oder später steht jede Organisation vor dieser Herausforderung.

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Weiblich, bissig, (relativ) jung sucht…

Anfang September ist Nadja Bolz-Weber in Deutschland unterwegs. Die Kombination von Kollar und Tatoos, derbem Humor und bewusst lutherischer Theologie macht die Pastorin der ELCA zu einer spannenden Gesprächspartnerin – längst nicht nur für Landeskirchler.

200907281245.jpgSie hat in Denver, Colorado, wo sie mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt, die Gemeinde House for all Sinners and Saints gegründet, wo es unter anderem ein B.Y.O.B. (Bring Your Own Brain) Bible Study gibt.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte Nadia Bolz-Weber ihr Buch Salvation on the Small Screen? 24 Hours of Christian Television, ein theologischer und soziologischer Kommentar der amerikanischen Medienlandschaft, basierend auf einem Selbstversuch, sich 24 Stunden dem TV-Programm des Bibelsenders Trinity Broadcasting auszusetzen. Die Auswertung des Buches geschieht auf hinreißende Art und Weise mit einem kritischen Blick und wachem Verstand aber auch mit einer gehörigen Portion Humor und komödiantischem Können.

Nadja bloggt als Sarcastic Lutheran und schreibt Beiträge für Jim Wallis‘ Blog God’s Politics.

Wer sie im Zeitraum vom 1. bis 5. September gerne für eine Lesung aus ihrem Buch, eine Predigt oder einen Vortrag (etwa über Gemeindegründungen in der lutherischen Kirche) einladen möchte, kann sich bei Sandra Bils melden (Mail und Telefonnummer auf Anfrage gern von mir),  die Nadja begleitet und auch übersetzt.

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Auf die Fragen kommt es an

Ich bin eben rein dienstlich auf die Seite Bibelkommentare.de gestoßen. Man kann dort Fragen eingeben und die werden dann beantwortet. Diskutiert wird nicht. Bezeichnend ist dabei der Blick auf die Themen, auf die sich das Interesse konzentriert – ich habe mal nachgerechnet:

Bibelstudium (11) Begriffsdefinitionen (41) Scheinbare Widersprüche in der Bibel (42) Summe: 94

Der Heilige Geist (22) Ehe und Familie (6) Evangelium (27) Gesetz und Judentum (20) Glaubensleben (29)

Jesus Christus (33)

Prophetien auf den Herrn (5) Personen in der Bibel (17) Schöpfung (9)

Versammlung / Gemeinde (50) Verschiedenes (16)

Zukunft / Prophetie (38) Bis zur Entrückung (16) Das 1000jährige Reich (18) Der ewige Zustand (10) Entrückung bis Aufrichtung des Reiches (54)

Das Jenseits und die Engelwelt (21) Summe: 157

Die Bibel ist dreimal so interessant wie Jesus und die Endzeit fast fünfmal – das spricht Bände! Bleibt die Frage, was in dieser Liste gar nicht auftaucht, weil es keinen der Nutzer/Betreiber interessiert?

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Leitung einer missionalen Gemeinde (2): Den Kopf frei kriegen

Ich komme zum 2. Kapitel aus Alan Roxburghs The Missional Leader: Equipping Your Church to Reach a Changing World und es geht darum, unsere Vorstellungskraft zu kultivieren.

Viele Gemeinden haben die Hoffnung verloren, dass Gottes Geist in ihnen und durch sie wirkt. Die Bibel dagegen ist voll von Geschichten, wo Gott genau die Menschen und Orte erwählt, die von allen anderen abgeschrieben werden. Wenn wir die Inkarnation ernst nehmen, müssen wir uns genau darauf einstellen. Die Autoren schreiben treffend:

In diesen Geschichten steht nichts davon, dass erst mal alle, die da nicht hingehören, aus dem Bus aussteigen und die richtigen einsteigen müssten, um Großes zu erreichen und die beste Organisation der Welt zu werden. Dieser Gott, der uns auf den Fersen ist, ruft immer die falschen Leute in einen Bus, von dem niemand damit rechnet, dass er ankommt.

Gottes Zukunft beginnt mitten unter seinem Volk, für das Ezechiel das Bild der vertrockneten Gebeine gebraucht hatte. Sie beginnt unspektakulär im Gewöhnlichen – zumindest für alle, die es nicht gewohnt sind, die Geschichte mit solchen Augen zu betrachten. Denn das Gewöhnliche ist das Geistliche, wenn und weil Gott dort wirkt.

Die Kultur einer Gemeinde muss ernst machen mit dieser Einsicht. Die Gemeinde muss aber auch verstehen, dass die Welt sich geändert hat. Menschen empfinden der Kirche gegenüber kaum noch eine Art von Bindung oder Verpflichtung und sie machen sich nicht die Mühe, kirchliche Binnensprache zu lernen. Christen fühlen sich umgekehrt immer fremder in einer Umgebung, die ihre Anschauungen und Werte nicht mehr teilt.

Also müssen Gemeinden angeleitet werden, danach zu fragen, wo und wie Gott heute wirkt und wirken möchte. Mitten in dem radikalen Wandel gilt es, vorgefasste Meinungen zurück zu lassen, keine Standardantworten auf Fragen zu geben, die keiner mehr stellt, und wieder genau hinzuhören. Kleingruppen etwa müssen aufhören, sich um die Bedürfnisse ihrer Mitglieder zu drehen, und damit anfangen, Gott und sein Reich in den Mittelpunkt zu stellen.

Gerade in Krisenzeiten wird der Ruf nach einem starken Leiter, einem Unternehmertypen, immer lauter. Er entspricht dem Mythos der heldenhaften Persönlichkeit, des großen Menschen. es geht aber nicht darum, anderen die Erleuchtung zu bringen, sondern einen Raum zu schaffen, der es den Gemeindegliedern ermöglicht, ihre Beobachtungen und Erfahrungen zu machen, mitzuteilen und zu erspüren, wohin Gottes Geist sie führt. Ein dreifaches Bewusstsein ist gefragt:

  1. Davon, was Gott im Leben der Gemeinde und ihrer Glieder wirkt
  2. Wie Gottes Wirken von dieser Gemeinde ausgehen und Kreise ziehen kann
  3. Was Gott im Umfeld der Gemeinde schon längst zu tun begonnen hat

Wenn man diesen Fragen Raum gibt, entsteht auch der Raum für Experimente. Teams bilden sich und nehmen verschiedene Aktionen in Angriff. Die Schrift wird plötzlich zur lebendigen, aufregenden Rahmengeschichte des Gemeindelebens und hört zugleich auf, ein trockenes dogmatisches Lehrbuch oder ein Katalog für persönliche Problemlösungen zu sein. Es bilden sich neue Praktiken und Gewohnheiten heraus – meditative Formen der Schriftlesung und des Betens, einfachen Lebens und der Gastfreundschaft – ohne die keine missionale Gemeinde existieren kann.

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Leitung einer missionalen Gemeinde (1)

In den nächsten Tagen werde ich hier einige Punkte aus Alan Roxburghs The Missional Leader: Equipping Your Church to Reach a Changing World zusammenfassen und wenn möglich auch kurz kommentieren. Roxburgh und Co-Autor Fred Romanuk gehen der Frage nach, wie sich bestehende Gemeinden verändern können oder auch müssen, um den Anforderungen einer neuen Zeit gerecht zu werden, und kommen im ersten Kapitel auf in sechs Hauptpunkte:

  1. Dass sich die Gesellschaft grundlegend gewandelt hat, ist vielen bewusst. Aber die Frage, was für konkrete Folgerungen daraus für das Gemeindeleben erwachsen und welche Rolle LeiterInnen dabei spielen können, ist damit noch längst nicht beantwortet.
  2. Die meisten Führungskonzepte antworten darauf, indem sie herkömmliche Modelle neu verpacken: Der Leiter als Therapeut, als Lehrer oder als Manager und Stratege, das sind nur die häufigsten. Aber eine Gemeinde ist eben keine Tagesklinik, keine Schule und keine Firma.
  3. Übersehen wird dabei, dass der Wandel in der Regel nicht kontinuierlich, sondern in vielfältigen Brüchen verläuft. Es reicht also nicht aus, die bisher vorhandenen Fertigkeiten zu optimieren, sondern es sind plötzlich ganz andere Dinge notwendig geworden, die in den konventionellen Ausbildungskonzepten in der Regel nicht vermittelt wurden.
  4. Trotz aller offensichtlicher Auflösungserscheinungen kommt es nach wie vor auf die Gemeinden an. Und nach wie vor wirkt Gottes Geist unter seinem Volk, also in den real existierenden Gemeinden.
  5. Leiter kommen sich dabei so vor, als hätten sie sich auf ein Baseballspiel vorbereitet und müssen nun Basketball spielen. Die Paradigmen und Vorstellungen davon, wie Leitung in einer Gemeinde auszusehen hat, gehen auseinander.
  6. Eine Gemeinde ist eine einzigartige Organisation, und anstatt sich die Führungskonzepte anderer Organisationen zu borgen, müssen wir unsere Vorstellungskraft mobilisieren und wie die Urchristen eigene Ansätze finden, wie Gemeinde heute „funktioniert“.

So weit für heute. Das Kapitel enthält auch eine mögliche (nicht aber die einzig mögliche) Gegenüberstellung des pastoralen und des missionalen Leitungsparadigma, die aber sehr von den amerikanischen Verhältnissen her gedacht ist. Bevor ich zum zweiten Kapitel gehe – hier ist sie.

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Zurück aus den Bergen

Die Wanderexerzitien liegen hinter mir und ich bin dabei, meine Eindrücke zu sortieren. Die knapp fünf Tage des Betens, Schweigens und Wanderns haben mir sehr gut getan. Zu Beginn lief das innere Schwungrad meiner Gedanken und Gefühle auf Hochtouren, was mir im normalen Rhythmus von Arbeit und Leben nicht so richtig bewusst war, nach einer Weile aber stellte sich auch innen nicht nur Ruhe, sondern allmählich auch ein Frieden ein.

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Das „Wandern“ in der Gruppe (aber eben still) war ein sportlich wenig anspruchsvoller, ausgedehnter Spaziergang. Dass ich dennoch Muskelkater in den Waden bekam, lag daran, dass ich das Tempo bergab mächtig drosseln musste. Das Wetter war ideal: die 34 Grad Hitze im Tal konnte man 1.000 m höher ganz gut ertragen. Aus der Distanz konnten wir Unwetter über der Steiermark als phänomenales Wetterleuchten sehen, im Lavanttal dagegen blieb es trocken, bis zur Abreise am Samstag früh.

Als einziger Evangelischer (knapp die Hälfte der TeilnehmerInnen waren Priester und Ordensleute) durfte ich jeden Abend die Messe mitfeiern und habe mich wieder an die katholische Liturgie gewöhnt – auch wenn ich gelegentlich ganz froh war, ein paar Passagen nicht auswendig mitsprechen zu können. Aber ich hatte noch die Woche zuvor von George Lindbeck gelernt, dass man Unterschiede in Lehre und Bekenntnis nicht zwingend als Widersprüche verstehen muss, sondern dass hier eine andere „Grammatik des Glaubens“ gilt und ich auch deswegen nicht immer ganz mitkomme.

Zudem sprach Pater Josef Kazda, der Exerzitienleiter, in seinen abendlichen, stets völlig frei gehaltenen Predigten und den Anleitungen zur Meditation am Morgen und Nachmittag durchaus „meine“ Sprache. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand die Aufforderung, seine eigenen inneren Monologe und Zustände gütig zu betrachten und dann auch gleich wieder loszulassen, besser verkörpern könnte als dieser freundliche, weise und sanfte Jesuit. Es durfte wirklich jeder sein, wie er eben war.

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Hätte kein Schweigegebot gegolten, wären in der 16-köpfigen Gruppe sicher auch viele spannende Gespräche entstanden. Beim ersten Teil der Rückfahrt habe ich mich wenigstens zum Teil noch mit zwei anderen sehr angeregt unterhalten können. Aber man lernt Leute auch kennen, wenn sie still sind: wie sie sich bewegen, wie (und ob) sie einander ansehen und andere Signale der Körpersprache. Und es gibt eine andere, interessante Dynamik in der Gruppe, denn im Schweigen bilden sich keine Untergrüppchen, aus denen sich einzelne womöglich ausgeschlossen fühlen.

Die Übungen selbst empfand ich zu Beginn fast wie eine Art spirituelles Stretching lange vernachlässigter Partien der Seele und Erproben ungewohnter Bewegungsabläufe, aber mit der Zeit wurde der Kraftaufwand geringer und die positiven Wirkungen spürbarer. Ich habe mir fest vorgenommen, diese Schätze in der Form zu hüten, dass ich sie fest in meinen geistlichen Tages- und Wochenrhythmus integriere. Dass man das Jesusgebet auch in Bewegung beten kann, hilft mir dabei ungemein.

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Das wandernde Herz

Hier ein täglich wiederholter Rat aus der zurückliegenden Exerzitienwoche, vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber in dieser Einseitigkeit als Ermutigung gedacht:

Wenn dein Herz wandert oder leidet,

bring es behutsam an seinen Platz zurück

und versetze es sanft in die Gegenwart deines Herrn.

Und selbst, wenn du in deinem Leben nichts getan hast

außer dein Herz zurückzubringen und wieder

in die Gegenwart unseres Gottes zu versetzen,

obwohl es jedesmal wieder fortlief,

nachdem du es zurückgeholt hattest,

dann hast du dein Leben wohl erfüllt.

Franz von Sales – der Patron der Schriftsteller und Journalisten

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Zweirad-Lektionen

Keine Sorge, hier geht es nicht um die Tour der France, Doping oder Ähnliches: Neulich war ich mit meinem Sohn Radfahren. Wir flogen nur so dahin und ich war begeistert über das ansehnliche Tempo. Was mir gar nicht richtig auffiel, war der leichte Rückenwind, der uns auf dem ebenen Gelände anschob. Dann bogen wir ab und es ging erstens bergauf, zweitens bremste uns nun der Wind. Und schon war unser Tempo (und mit ihm unsere Selbsteinschätzung) ganz anders.

Ich habe den Verdacht, dass es im Leben manchmal ähnlich läuft: Die Strecke ist leicht abschüssig, der Wind kommt von hinten (soll heißen: die Umstände sind günstig und tragen einen großen Teil zu Erfolg bei) und ich erliege der Illusion, ich könne Bäume ausreißen oder ewig so weitermachen. Dann dreht sich der Wind, die äußeren Bedingungen werden härter. Und ich sehe plötzlich, wie es um meine Kondition tatsächlich bestellt ist.

Darin liegt der Sinn geistlicher Übungen – dass wir in den angenehmen Lebensphasen für die Zeiten trainieren, wo es plötzlich mal hart auf hart geht. So lange alles flutscht, scheine ich das gar nicht zu brauchen. Wenn es aber mal anders kommt (und das ist nur eine Frage der Zeit), dann zahlt sich das vielfach aus.

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Kleine Gemeinde – große Herausforderung

Stellen wir uns einen Moment lang Folgendes vor: In einer Stadt in einem zu 90% katholischen Gebiet soll eine Moschee entstehen. Deutlich sichtbar und an einer belebten Straße. Die Initiatoren sind den Stadtvätern bekannt, leben seit einem guten Jahrzehnt im Land und sind nie durch zwielichtige Umtriebe aufgefallen. Ein paar Einheimische sind zum Islam konvertiert und die Gruppe möchte einen repräsentativen Ort für ihr Gebet haben. Es ist die einzige Moschee um Umkreis von 50 km. Da ist für Diskussionsstoff gesorgt – manche wählen dafür wahrscheinlich die Leserbriefecke der Heimatzeitung, man muss aber auch damit rechnen, dass ein paar Unverbesserliche Hauswände  beschmieren oder gelegentlich ein Fenster einwerfen. Für alle – Kritiker wie Befürworter – ist das aber eine neue Situation, mit der umzugehen man lernen muss.

Etwas Vergleichbares, nur umgekehrt, geschieht gerade in der Türkei: Eine kleine christliche Gemeinde kauft ein Gemeindehaus der der Stadt Yalova, südlich von Istanbul. Ungewöhnlich für türkische Verhältnisse ist dabei die Tatsache, dass alles so öffentlich geschieht. Das Verhältnis zu den Stadtoberen ist gut, ab und zu aber versuchen Extremisten, sich auf Kosten der Christen zu profilieren und Stimmung zu machen. Aber bisher verläuft alles recht friedlich, die Gemeinde wächst kontinuierlich weiter und immer wieder kommen Besucher aus der Stadt, um am Gottesdienst teilzunehmen.

Natürlich fragen nun manche, ob so ein Schritt nicht unnötig Spannungen provoziert. Umgekehrt, denke ich, kann man darin aber auch eine Beitrag zu einem normalen Miteinander von Christen und Muslimen in der Türkei sehen – ein weiterer kleiner Schritt auf einem langen Weg. Vielleicht lernen aber auch wir daheim davon – zum Beispiel, dass auch wir die Situation hiesiger Minderheiten besser verstehen lernen und ihnen helfen.

Die Religionsgesetze der Türkei erlauben die Gründung christlicher Gemeinden (das wäre undenkbar in so manchem anderen mehrheitlich islamischen Land), aber sie fordern für Gottesdienste und Versammlungen eigens ausgewiesene Räume. Um legal existieren zu können, ist ein Kauf oder Neubau nötig. Und ein türkischer Freund riet den Verantwortlichen, unbedingt darauf zu achten, dass das Gebäude auch repräsentativ sei. Was bei uns als Bescheidenheit positiv bewertet wird, wird dort eher so verstanden, dass man nicht an die eigene Sache glaubt. Aber billig ist das Ganze auch für unsere Maßstäbe nicht…

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Mit den Kosten für das neue Haus (Bild oben) ist die Gemeinde mit rund 50 Gottesdienstbesuchern schwer herausgefordert. Einzelne Gemeindeglieder (alles keine Großverdiener) sind dabei an ihre persönlichen Grenzen gegangen. Wir als Gemeinde haben uns entschlossen, das Projekt zu unterstützen und waren überwältigt von der Spendenfreudigkeit „unserer“ Leute.

Die Zeit drängt, bis Ende Oktober fehlt immer noch ein sechsstelliger Betrag. Wer sich also noch beteiligen möchte, kann das tun mit einer Spende oder einem Darlehen – die Kontodaten stehen hier und natürlich gibt es auch eine Spendenquittung für die Steuer.

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Funkstille

Ich habe mich schon eine ganze Weile darauf gefreut, diese Woche auf Wanderexerzitien zu gehen – bei den Jesuiten in St. Andrä im Lavanttal. Das ist ein ganz schönes Stück mit der Bahn und ich hoffe, dass das Wetter dort unten auch so ist, dass Wandern ein Genuss wird. Mindestens ebenso freue ich mich auf die Stille und die geistliche Begleitung.

Wie es war, werde ich dann berichten, aber in den nächsten Tagen ist auch dieser Blog etwas stiller. Aber nicht völlig stumm, denn im Laufe der Woche gehen noch ein paar Beiträge „ans Netz“, die ich vor der Abreise geschrieben habe.

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„Werte wählen“ – nur wie?

Die evangelische Allianz hat unter „werte-waehlen.de“ eine Internetseite erstellt mit Fragen, die Christen den Kandidaten für die Bundestagswahl stellen können. Das ist vom Ansatz her schon mal gut gedacht und wird hoffentlich auch geschehen. Und trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass der Wertekatalog dort weniger penetranten Stallgeruch und Binnenperspektive gehabt hätte. Denn genau dies verraten die fünf Felder:

Es beginnt mit „Staat-Bürger-Medien“ – was man getrost als Reflex darauf verstehen kann, dass Evangelikale in der Öffentlichkeit – nach eigenem Dafürhalten zu Unrecht – einiges einstecken mussten und in die Fundi-Ecke gestellt wurden. Oder umgekehrt als Frage an die Politiker nach dem gesellschaftlichen Status und Schutz der eigenen (!) Bewegung.

Dann geht es weiter mit den Themen Glaube-Politik-Menschenrechte, wobei darunter hauptsächlich (insofern eine Fortsetzung von Punkt 1) Religionsfreiheit verhandelt wird. Frauenrechte etwa werden gar nicht explizit thematisiert. Weiter geht es zu den konservativen Standardthemen (3) Ehe und Familie und (4) Lebensschutz und als Punkt 5 taucht dann schließlich doch noch (als ein Punkt!) Armut und Reichtum (bei uns! – wo bleibt der Rest der Welt?) und Bewahrung der Schöpfung.

Wie soll ich es sagen… mein Verdacht ist, dass wenn Evangelikale in der ganzen Breite nur mal den Punkt 5 (Ökologie und globale wie lokale Gerechtigkeit) in seinen vielen, vielen Aspekten angehen würden, sich Fragen zu Punkt 1 und zum Teil auch 2 binnen kurzer Zeit erübrigen würden.

Vielleicht sollte mal jemand eine Website aufmachen, in der Politiker Fragen und Wünsche an Evangelikale aussprechen könnten?

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… und er lebt doch ?!?

Die Süddeutsche kommentiert die – zu erwartenden – Gerüchte, dass Michael Jackson lebt. Als Beweis werden verpixelte Handyfotos angeführt und irgendwelche Leute wollen ihn hier oder da gesehen haben. An sich nichts Neues, Elvis lebt ja auch angeblich.

Was unterscheidet nun diese Behauptungen von der Auferstehung Jesu, kann man fragen. Oder eher anders herum: Was für Gründe gibt es, in der neutestamentlichen Botschaft von Jesu Auferweckung nicht eine bloße Analogie zu einem Fankult zu sehen, der den Tod des King of Pop nicht wahr haben möchte?

Natürlich gibt es keine verschwommenen Pixel mit Jesus drauf (welches digitale Bild beweist neute noch irgend etwas anderes als die Existenz von Photoshop?), wir müssen also die Berichte selbst ansehen. Ein paar Unterschiede fallen dabei auf:

  • Michael Jackson wollen fast ausschließlich einzelne gesehen haben, während im NT in der Regel nicht nur eine Person dem Auferstandenen begegnet.
  • Während zweitens Jackson nach Ansicht der meisten, die ihn gesehen haben wollen, nie tot war (ganz analog ist ja nach islamischer Überlieferung auch nur eine Art Doppelgänger oder Attrappe Jesu hingerichtet worden), war sein Tod für alle Zeugen der Auferstehung nie in Zweifel gestanden.
  • Drittens wird von den „Zeugen“ der Grund für Michael Jacksons Fortleben im Motiv der Flucht gesucht: Vor den Fans, vor den Schulden etc. Er verfolgt eher selbstbezogene Ziele. Die Auferweckung Jesu trägt – wie sein Leben und sein Sterben – für Christen immer den Charakter des „für uns“. Der Auferstandene kommt von sich aus auf seine Jünger zu!
  • Viertens ist das „für uns“ im NT so umfassend verstanden wir kaum etwas: Während niemand annimmt, Michael Jacksons Weiterleben eröffnet ihm selbst – geschweige denn der ganzen Welt – neue Lebensperspektiven und die Hoffnung auf eine grundlegende Verwandlung der Verhältnisse in Politik, Ökosystemen, menschlichen Beziehungen und der inneren Harmonie jedes einzelnen, wird von Jesus genau das gesagt: Er ist der Erstgeborene der neuen Schöpfung – und wir ahnen erst, was das alles noch bedeuten wird.

Wäre (im Blick auf Jesus) das auch nur an einem einzigen Punkt anders gewesen damals, dann würden wir heute ebenso wenig darüber reden wie man in 200 (geschweige denn 2000) Jahren noch von Jacko sprechen wird. So aber lohnt es sich bis heute, der Frage nachzugehen, ob und wozu Jesus auferstanden ist.

Ach übrigens: der Mann mit dem Regenschirm ist natürlich Pan Tau – mit Perücke statt Melone.

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WiderSpruch des Tages

Es gibt diese seltsame Sehnsucht nach jemand, der führt – aber keine unangenehmen Entscheidungen treffen soll. Das blitzt immer mal wieder auf. Es gibt ein frei flottierendes Bedürfnis (…) nach autoritären, aber unverbindlichen Gesten. Ich finde das merkwürdig gerade bei Leuten, die von sich behaupten, nicht autoritär strukturiert zu sein.

Die scheidende Chefredakteurin Bascha Mika von der taz

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