Imperiales “Christentum”

Das Kapitel Polititischer Millennarismus: Das “Heilige Reich” in Moltmanns “Das Kommen Gottes” liest sich sehr aktuell und spannend. Also stelle ich hier einfach einmal ein paar Zitate zusammen, die entweder für sich sprechen oder zum Selberlesen animieren, daher auch kein Kommentar dazu:

Unter immer neuen Namen wurde dieser christliche Imperialismus bis in die Gegenwart fortgesetzt, ob es sich um »das Christentum«, die »christliche Zivilisation« oder »das christliche Zeitalter« handelt oder ob säkulare Namen dafür gefunden werden wie »die moderne Welt«, »die Neuzeit« oder »die wissenschaftlich-technische Zivilisation«: Es ist überall der alte Gedanke einer politischen Erfüllung messianischer Hoffnung auf das tausendjährige Friedensreich Christi und das »goldene Zeitalter« der Menschheit und den endzeitlichen Sabbat der Natur. (S. 183)

Zur Umdeutung der Offenbarung des Johannes seit Konstantin:

Aus der apokalyptischen Stadt der Gottlosen wurde die Stadt des ewigen Heils. Damit begann die theopolitische Lehre von der »ewigen Stadt«: 1. Rom, 2. Byzanz, 3. Moskau. Die Monarchie des Einen römischen Kaisers wurde zur Grundlage für die Reichseinheit und musste religiös legitimiert werden. Das geschah durch den christlichen Monotheismus, nach welchem der einen göttlichen Monarchie im Himmel die eine irdische Monarchie des Caesar korrespondiert.

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Die Kunst des Zuhörens

Mit ein paar Leuten kam ich auf das bekannte Phänomen zu sprechen, dass 100 Besucher desselben Gottesdienstes – hinterher befragt – anscheinend 150 verschiedene Predigten gehört haben. So weit, so gut. Dann aber kamen wir auf die Frage, wie wir (ob Predigt oder nicht) überhaupt zuhören. Jesus kennt das Phänomen auch, wenn er in Markus 4,12 davon redet, dass man hören kann, aber trotzdem nichts versteht.

Ich kenne eine Reihe wirklich guter Zuhörer, aber auch das Gegenteil, wo Leute völlig in ihrer eigenen Gedankenwelt bleiben und selektiv nur das aufnehmen, was da unmittelbar eine Resonanz hervorruft. Der Rest fällt unter den Tisch und der Beitrag des anderen war nur der Anstoß, um mit den eigenen Gedanken fortzufahren. Das Interesse ist dabei weniger darauf gerichtet, was der andere sagen, sondern was man selbst hören möchte (“was mir gut tut”).

Manchmal tut es mir aber gut, aus meinen eigenen Gedanken herausgerissen zu werden, selbst wenn das anstrengend ist. Ich meine das jetzt nicht als Vorwurf, aber gutes Zuhören ist eine Kunst. Meine Tagesform wird schwanken, aber ich kann besser darin werden. Es wird eine bewusste Anstrengung sein, aber dafür auch mehr abwerfen als das oberflächliche und passiv “konsumierende” Hören.

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Bloß nicht zu weit werden…?

Meine Moltmann-Lektüre hat mich wieder dran erinnert: Vor ein paar Jahren schrieb ich für eine christliche Zeitschrift einen Bericht, wie Alpha Kurse die verschiedenen Konfessionen verbinden und Gräben überwinden helfen. Mein Titelvorschlag “Alpha-Söhnung” wurde allerdings abgelehnt und fiel der freiwilligen Selbstzensur zum Opfer. Bis heute weiß ich nicht, ob die Redakteure nur Angsthasen waren oder die Leserschaft tatsächlich so intolerant, dass man bei einem harmlosen Wortspiel mit Kündigungen der Abonnenten rechnen musste.

Egal. Jedenfalls ist in manchen Kreisen die Vorstellung, dass Gott am Ende ein paar mehr Leute in den Himmel lassen könnte, als die eigene Dogmatik das vorsieht, ein rotes Tuch. Warum eigentlich? Sollte der Gedanke – ob wir ihn nun für plausibel und begründbar halten oder nicht – wenigstens enorm sympathisch und wünschenswert sein? Sollten wir nicht lieber unsere unvermeidlichen Irrtümer auf der großzügigen statt der kleinkarierten Seite begehen wollen?
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Zwei(n)samkeit

Er liebt die kultivierte Oberfläche
was drunter lauert, fragt er lieber nicht,
ahnt bestenfalls die Träume, Kummer, Schwäche,
weil er nie tief genug in ihre Augen blickt.

Er freut sich, wenn sie glänzt und fröhlich blendet
und alles wunderbar problemlos scheint,
und schweigt apathisch, wenn das Blatt sich wendet,
zieht sich zurück, wirkt hilflos, wenn sie weint.

Er hat sich längst sein Bild von ihr erschaffen,
die Risse weigert er sich strikt zu sehen.
Selbst scharfe Worte sind da stumpfe Waffen;
nun schweigt sie resigniert und lässt ihn stehen.

Was gibt es, das sie an ihm wohl begeistert?
Sie redet von ihm tapfer und gefasst.
Er wird ertragen, als Problem gemeistert
nicht groß geliebt, dafür auch nicht gehasst.

Visionen? Weg? Sie sind auf keiner Reise;
der Kurs ist eingefahren, routiniert, steril.
Auch dolce vita dreht sich irgendwann im Kreise,
aller Genuss wird schal – es fehlt das Ziel.

Wie lange wird man wohl zusammen lachen
wenn man nicht mit einander weinen kann?
Die Frage ist nicht: Wird sie ihn verlassen?
Sie lautet: Kam sie jemals bei ihm an?

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Jenseits von Mars und Venus

Die Welt interviewt den amerikanischen Sexualtherapeuten Dr. David Schnarch. Trotz der unübersehbaren Ironie – nomen non est omen in diesem Fall: Schnarchs Antworten sind wesentlich intelligenter als die Fragen seiner Gegenüber.

Er spricht über die Sehnsucht nach Nähe und Intimität und die gleichzeitige Angst, erkannt zu werden. Er lässt die Luft aus Versprechungen der Pharmaindustrie und kosmetischer Chirurgie, aber auch den gängigen Stereotypen mancher Kollegen und hütet sich auch sonst vor schwarz-weißem Denken und unverantwortlichen Vereinfachungen, zum Beispiel mit dieser Antwort:

WELT ONLINE: Haben Sie jemals einem Paar zur Trennung geraten?

Schnarch: Das würde ich niemals, ich bin nicht Gott. Zudem würde es einen Prozeß der Selbstentwicklung unterbrechen, während man von allen Seiten hinterfragt, ob man das Richtige oder Falsche tut. Die Konfrontation mit sich selbst ist wichtig.

Eine Leseprobe aus seinem jüngst auf Deutsch erschienenen Buch gibt es hier. Kleiner Tipp: Auf Englisch kostet es nicht einmal die Hälfte…

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Die finale Verstimmung

Die Diskussion um Zidane und Materazzi ist noch lange nicht beendet. Frage an alle Interessierten: War das Zidanes wahrer Charakter, der da zum Vorschein kam, oder hat Zidane unter extremer Anspannung gegen sein eigentliches Wesen gehandelt – out of character, wie die Engländer sagen, ein “Ausrutscher”?

Werden in Zukunft die Spieler mit einem Funkmikro versehen, damit man wie bei der Formel 1 den “Streckenfunk” abhören kann und Entgleisungen mit einer “Durchfahrt durch die Boxengasse” ahnden kann? An manchen Stellen wird sogar gemunkelt, Italien könne am Ende der Titel aberkannt werden. Unvorstellbar – auf so viele Dummheiten muss man doch nicht noch eine draufsatteln. Wer sollte davon etwas haben?

Bei aller Tragik, dass Italien völlig unnötigerweise gerade gegen “uns” das beste Spiel während dieser WM abgeliefert hat: Wieviel schöner war das “kleine” Finale. Keine Platzverweise, viele Tore, Abwechslung und tausend versöhnliche Gesten. Luis Figo, Olli Kahn und, wie wir seit heute wissen, auch Jürgen Klinsmann nehmen würdevoll Abschied. Ehrlich: Lieber so positiv und fröhlich Dritter als Finalist oder Champion mit einem fadem Beigeschmack.

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Muskelspiele

Was sich momentan in Polen abspielt, unterstreicht wieder einmal, dass man Freiheit betätigen muss. Da haben bei sensationell niedriger Wahlbeteiligung die autoritären Kaczynskis den Sprung an die Macht geschafft und sorgen nun – etwa im selbst inszenierten Karikaturenstreit mit der taz und ihrer Koalition mit noch schrägeren Gestalten – für allerlei Misstöne, die letztlich dem ganzen Land nur schaden können. Freiheit ist wie ein Muskel: Wer ihn nicht beansprucht, schwächt ihn.

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Hilferuf

Der iranische Christ Reza Mamipour Abri soll trotz Lebensgefahr für “Abtrünnige” in den Iran abgeschoben werden. Das Verwaltungsgericht Ansbach entscheidet am 26. Juli. Wer sich informieren und/oder eine online-Petition unterschreiben will, sollte sich gleich hier weiterklicken – und danach das Beten nicht vergessen.

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“Der Fisch stinkt immer vom Kopf her”…

… sagte diese Woche ein ob des holprigen Verfahrens beim Gesundheits-Kompromiss erzürnter zorniger SPD-Funktionär und meinte die Kanzlerin, nicht aber den Vizekanzler – der ist ja aus den eigenen Reihen.

Weil es ein Sprichwort ist, widerspricht niemand. Dafür hat man Sprichwörter ja, sie nehmen uns das Selberdenken ab. Ohne es für den konkreten Fall verifizieren oder widerlegen zu können, frage ich mich, ob es denn immer so simpel ist. Bequemer ist es allemal, “die da oben” für alles verantwortlich zu machen, was einem nicht passt, ohne selbst in die Schusslinie zu geraten?

Hat jemand das mal überprüft – an Fischen? Vielleicht stimmt es ja nicht mal da. Dann können wir die Phrase getrost entsorgen. Wir haben noch genügend komplizierte Probleme zu lösen, wo wir es nicht allen Recht machen können. Da wird es noch vieles geben, was dem einen oder anderen stinkt.

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Sternstunden des Sportjournalismus II: “Was ist das für ein Gefühl?”

Kompliment an Monica Lierhaus: In unzähligen, fast schon kreativen Variationen stellte sie heute auf der Fanmeile den Akteuren die Frage, was sie empfinden. Martina kommentierte dazu nur süffisant: „Das sind doch alles Männer. Denkt sie wirklich, dass sie eine Antwort bekommt auf diese Frage?“

Sie bekam eigentlich auch keine. Seit Generationen antworten Sportler bei solchen Ereignissen mit dem ausweichenden Hinsweis, dass sie bestimmt erst in etlichen Tagen gänzlich begreifen werden, was sich am Tag des Erfolgs ereignet hat. Diesen semantischen Haken können auch unsere Nationalspieler schlagen. Nur unsere Moderatoren versuchen es immer aufs Neue. Vielleicht sind auch die Berufsschwätzer urlaubsreif?

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Sternstunden des Sportjournalismus I: Macht Klinsmann weiter?

Ein superpeinliches Kapitel des WM-Jouralismus spielt sich seit dem kleinen Finale gestern abend ab: Jeder meint, er müsse der erste sein, der Jürgen Klinsmann das Versprechen entlockt, dass er weitermacht. Wenn das so weitergeht, sagt er nur deswegen ab, um diesen Nervensägen nicht wieder über den Weg laufen zu müssen.

Angela Merkel hat gestern gesagt, der größte Gefallen, den man Klinsi tun kann, ist ihm Zeit zu geben für seine Entscheidung. Als ich darüber nachdachte, habe ich begriffen, dass die beiden tatsächlich Freunde sind und es kein Zufall war, dass der Bundestrainer die Kanzlerin im Daimler-Stadion umarmt hat wie das zuvor kaum jemand in der deutschen Öffentlichkeit mit ihr gemacht hat.

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Nektarinen

Wer ist eigentlich für diese Züchtung verantwortlich? Sie sind wirklich nett anzusehen. Immer wieder einmal unternehme ich daher einen neuen Versuch und will eine Nektarine essen. Entweder ist sie noch steinhart und sauer. Oder sie ist saftig und süß, aber weder im einen noch im anderen Fall löst sich das Fruchtfleisch vom Kern (wie bei Pfirsichen und Aprikosen) und es gibt ein Getropfe und Geklebe ohne Ende.

Aber bestimmt geht’s nur mir so.

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Erwachsen Beten

Ich arbeite an einer Predigt zum Thema Gebet, die ich gern “erwachsenes Beten” nennen möchte. Wer will, kann hier mit einem Kommentar zu diesem Post also noch das Schlimmste abwenden 😉

Der Grundgedanke ist, dass sich unsere Beziehung zu Gott im Laufe der Zeit verändert, uns manchmal aber nicht klar ist, wie und warum. Und plötzlich “funktionieren” Dinge nicht mehr so wie früher. Die Unmittelbarkeit und Naivität der Anfangszeit wird durch Fragen und Zweifel erschüttert, weil Gott sich scheinbar zurückzieht.

Das Glaubensleben wird auf einmal komplizierter. Die einen verdrängen das und singen noch etwas lauter, beten etwas angestrengter und formulieren ihre brüchigen Parolen etwas dogmatischer und trotziger, andere resignieren still und hören auf oder halten treu, aber ohne große Erwartung an einer guten Gewohnheit fest.

And I can’t quite remember how to pray anymore
I can’t quite remember what to say anymore
If it turns out that I can’t have my way anymore
How will I know which way to turn, when I walk out the door?
There’s a molecule of faith in this room
What they used to call the mustard seed
There’s a molecule of faith in this room
And a book that says that’s all I’ll ever need
I don’t know where it is, but I hope I find it soon
Cause nothing else will ever set me free
There’s a molecule of faith in this room
And even though it’s much too small to see,
If I have the courage to believe
I’ll find the one who left it here for me

Stubborn (Psalm 151) by Lee Ann Womack

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Gemeinde minimal gedacht

Es gibt ja die verschiedensten Definitionen von Gemeinde bzw. Kirche. Momentan interessiert mich die Frage, wie man das möglichst kurz und prägnant fassen kann. Vulgärekklesiologisch wird ja in der Regel institutionell gedacht und auf Gebäude (“wir fahren in die Gemeinde”, “gehen in die Kirche” – hä???), Pfarrer/Hauptamtliche und Gottesdienst abgehoben.

Manche theologische Tradition scheint mir dazu (heute zumindest) unbrauchbar, etwa das Augsburger Bekenntnis, wo Wort und Sakrament (aber -damals wichtig – nicht Liturgie und Ritus) als konstitutiv bezeichnet, wobei andere Aspekte bestenfalls angedeutet werden – etwa der von Gemeinschaft und Beziehung. Man kann ja Gottesdienste so als sonntägliche “Versammlung” (statt alltäglicher Gemeinschaft) aufziehen, dass zwar Wort und Sakrament ihren Platz haben, aber so gut wie keine Interaktion zwischen den Gemeindegliedern stattfindet. Letztere konsumieren nur allzu oft selbstgenügsam das Angebot. Und durch die Hintertür wird der Ritus von den Insidern und/oder Funktionären dann wieder festgeschrieben oder vereinheitlicht.

Also lautet meine Definition: Gemeinde ist eine Gemeinschaft von Menschen, die Jesus nachfolgen und einen Auftrag wahrnehmen, der über sie selbst hinausgeht. Mit dem letzten Teil stellt sich natürlich die Frage, ob bestimmte Gruppierungen denn überhaupt noch “Gemeinde” sind, wenn sie nicht konkret für andere da sind – außer vielleicht auf dem Papier. Das ist ein Thema, das uns dauerhaft beunruhigen muss!

Klar lässt das auch Dinge offen, aber es verschiebt die Akzente weg vom Konsumieren ohne persönliches Engagement. Einen Hinweis auf die Notwendigkeit von Leitung habe ich mir auch geschenkt, weil in einer Gruppe immer jemand leitet (und zwar längst nicht immer der, der offiziell den Hut aufhat). Leitung ist also selbstverständlich – ob es dann gute Leitung ist, ist eine andere Frage. Ebenso, wie die Frage nach der “rechten” Verkündigung und Verwaltung der Sakramente ganz offenbar Anlass zu endlosen Diskussionen gegeben und in zahllose kirchenpolitische Sackgassen geführt hat.

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