Imperiales “Christentum”

Das Kapitel Polititischer Millennarismus: Das “Heilige Reich” in Moltmanns “Das Kommen Gottes” liest sich sehr aktuell und spannend. Also stelle ich hier einfach einmal ein paar Zitate zusammen, die entweder für sich sprechen oder zum Selberlesen animieren, daher auch kein Kommentar dazu:

Unter immer neuen Namen wurde dieser christliche Imperialismus bis in die Gegenwart fortgesetzt, ob es sich um »das Christentum«, die »christliche Zivilisation« oder »das christliche Zeitalter« handelt oder ob säkulare Namen dafür gefunden werden wie »die moderne Welt«, »die Neuzeit« oder »die wissenschaftlich-technische Zivilisation«: Es ist überall der alte Gedanke einer politischen Erfüllung messianischer Hoffnung auf das tausendjährige Friedensreich Christi und das »goldene Zeitalter« der Menschheit und den endzeitlichen Sabbat der Natur. (S. 183)

Zur Umdeutung der Offenbarung des Johannes seit Konstantin:

Aus der apokalyptischen Stadt der Gottlosen wurde die Stadt des ewigen Heils. Damit begann die theopolitische Lehre von der »ewigen Stadt«: 1. Rom, 2. Byzanz, 3. Moskau. Die Monarchie des Einen römischen Kaisers wurde zur Grundlage für die Reichseinheit und musste religiös legitimiert werden. Das geschah durch den christlichen Monotheismus, nach welchem der einen göttlichen Monarchie im Himmel die eine irdische Monarchie des Caesar korrespondiert.


Zum Dilemma christlicher Weltmächte:

Man hat vermutet, dass dieser messianische, imperiale Anspruch Byzanz in seinen politischen und militärischen Möglichkeiten auf die Dauer überforderte und als religiöser Faktor den Zerfall dieses ersten christlichen Reiches bewirkte. Der christliche Triumphalismus zerstörte sich selbst, weil die christlichen Kaiser dem von ihnen erwarteten Weltkaisertum schon menschlich nicht gewachsen waren. Die Politische Theologie in Byzanz verband in der Tat die Idee der orientalischen Weltherrscher, für die Herrschaft im Grunde eine und unteilbar ist, mit dem messianischen Anspruch des Christentums, die Welt zu erlösen. (S. 187)

Zur resultierenden Kirchenstruktur und Gottesdienstgestaltung:

In heidnischer Umwelt hatte sich die Christenheit in Gemeinden organisiert. Im »christlichen Reich« wurde die Kirche in Parochien und Diözesen, Provinzen und Nationen organisiert (…). Die Ämter der Priester und Bischöfe gewannen staatskirchlichen Charakter. Damit wurde die Trennung von Klerus und Laien und also der Kirche vom Volk endgültig. An die Stelle der Gemeinschaftssakramente Taufe und Abendmahl traten die »Amtshandlungen« der Priester. An die Stelle der Gemeinschaft in der Gemeinde trat die Gemeinschaft mit der Kirche. Die Kirche wurde mehr und mehr klerikal als Hierarchie, chiliastisch als »heilige Herrschaft« verstanden und gewann im »christlichen Reich« einen ungewöhnlichen öffentlichen Einfluss. (…) Es verfiel die christliche Diakonie und löste sich in staatliche Wohlfahrtspflege auf. Es verfiel die Mission des Glaubens und wurde vom staatlichen Zwang abgelöst.
Im byzantinischen Reich gab die Christenheit die Lebensform der Gemeinde auf und verstand ihre Feier der göttlichen Liturgie als die wahre, öffentliche Gottesverehrung des Reiches und der Religion. (S. 189)

Zur Frage nach alternativen Modellen:

Es ist bemerkenswert, dass mit der Umwandlung der christlichen Kirche in eine Reichsreligion die Blüte des Mönchtums begann. Je mehr eine säkulare Weltchristenheit (…) entstand, desto stärker blühten die freiwilligen christlichen Ordensgemeinschaften. Hier wurde gelebt, was die Großkirchen nicht mehr geben konnten: ein gemeinsames Leben in der Nachfolge Jesu, Freiheit von Eigentum und Ansehen, Leben in Kontemplation und Nächstenliebe.
(…) Man kann nicht sagen: Die Weltchristenheit war diesseitsorientiert und weltzugewandt, während die Ordenschristenheit jenseitsorientiert und weltabgewandt gelebt habe. Der Unterschied liegt vielmehr dort: Wo die Weltchristenheit das messianische Reich Christi im christlichen Imperium zu verwirklichen trachtete, das bewahrte die Ordenschristenheit den apokalyptischen Vorbehalt gegen die Mächte dieser Welt. Wie die Kirchengeschichte zeigt, wirkte sie damit nicht weniger politisch als die Weltchristenheit, aber eben ganz anders. (S. 190)

Zum Thema Mission:

Die Eroberung und Missionierung Lateinamerikas durch Spanien und Portugal waren keine Evangelisation, um Glauben zu erwecken, sondern Ausbreitungen des Reiches Christi, in dem Unterwerfung Heil bringt und Widerstand zum Tod führt.
(…) Auch die evangelischen Missionen im 18. und 19. Jahrhundert waren durchweg keine reinen Evangeliumsmissionen, sondern Reich-Christi-Missionen und breiteten darum mit der Bibel »christliche Werte«, d.h. europäische, amerikanische und moderne Kultur aus. (S. 191f.)

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