Wohnst du noch, oder…?

Bei Thomas von Aquin heißt es, die Engel seien nicht wie körperhafte Wesen im Raum, sondern sie erzeugten aus sich den Raum, den sie mit ihrem Wesen ausleuchten und beleben. In unserem Jahrhundert schrieb Merleau-Ponty den Satz nieder, von dem alle Reden über das sinnliche In-der-Welt-Sein der Menschen auszugehen haben: „ Der (menschliche) Körper ist nicht im Raum, er wohnt ihm ein“ ( Le corps n’est pas dans l’espace, il l’habite). Die großen Künstler sind es, die heute wie früher die Wahrheit dieser Sätze offenhalten. Als Tiefenbewohner der Welt erinnern sie an die Frage, wie das Welthaus überhaupt zu bewohnen sei. Wenn wir in der Welt sind, sind wir dann wie in den eigenen vier Wänden bei uns eingerichtet? Ist uns dann alles, was der Fall ist, in hausartiger Weise gegeben? – beziehbar wie ein schlüsselfertiges Sein, in dem wir uns nur niederzulassen brauchen und unsere Raten zahlen? Wer Künstler ist, wird solche Fragen immer verneinen. Ihm ist die Verlegenheit, in einem Nicht-Haus zu wohnen, seit jeher gegenwärtig. Künstler sind die Ökologen des Unheimlichen, die Hauszweifler, die Anderswohnenden. Ihr Wohnen unter den Dingen bedeutet Mitarbeit mit den aufscheinenden Formen – mögen diese aus der Natur, der Kultur oder aus dem Kosmos der wissenschaftlichen Zeichen und Modelle stammen.

Peter Sloterdijk

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