Authentisch antworten

Die Unterscheidung der verschiedenen Beziehungsräume bei Joseph Myers hat mich die letzten Tage begleitet. Eine ganz praktische Anwendung war, für jeden Raum eine Antwort auf die Frage zu formulieren, wie es mir geht.

Neulich rief der Verkäufer einer Autofirma an und fragte: „Wie geht es Ihnen?“ In Deutschland ist das ungewöhnlich, in den USA ganz normal. Wir kannten uns bis dahin gar nicht und es wird auch nicht Gegenstand unseres Gespräches sein. Ich habe maximal fünf Worte für eine Antwort. Ich bin gesund, wir haben keinen Trauerfall in der Familie, keine Naturkatastrophe in der Stadt, also sage ich „Danke, gut.“ Für den öffentlichen Raum ist das ganz authentisch.

Wenn ich dem Missverständnis erlegen wäre, ich müsse jetzt persönlich antworten (als wäre er mein Freund), dann hätte das für uns beide eine peinliche Situation ergeben. Amerikaner sind nicht oberflächlich, weil sie in einer solchen Situation nur allgemein und in der Regel positiv antworten, sondern ihre Antwort entspricht der Ebene, auf der sich die Beziehung für ihr Empfinden bewegt.

Am Freitag fragte mich dasselbe jemand, den ich mit Namen kannte. Wir treffen uns auf irgendwelchen Sitzungen ein oder zweimal im Jahr – sozialer Raum also. Ich sagte zwei allgemeine Sätze über meine Arbeit, mit der ich im Wesentlichen zufrieden bin. Da liegen unsere Berührungspunkte, insofern war auch das eine ganz authentische Antwort.

Gestern fragte mich ein Freund, wie es mir geht. Wir tranken etwas zusammen und es war Zeit, um länger zu antworten. Also konnte ich ein paar Dinge sagen, über die ich mich freue, und ein paar, die mir Sorgen machen. Einzelheiten dieses Gesprächs haben auf diesem Blog nichts zu suchen, der ist öffentlich zugänglich. Das steht im übrigen auch nicht auf Facebook (trotz der Formulierung „Freunde“) oder Twitter.

Wenn ganz enge Freunde oder meine Frau fragen, wie es mir geht, und wenn der äußere Rahmen dafür stimmt, wir also ungestört sind, nicht in einem Café sitzen, wo man uns am Nebentisch hört, wenn ausreichend Zeit ist, dann kann ich auch mal die ganz tiefen Dinge auspacken, die mir meistens erst dann richtig bewusst werden, wenn ich anfange, sie jemandem zu erzählen. Und da – aber nur da! – gehören sie dann auch hin.

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Langsam kommt man weiter

Die Kosten von Mobilität stehen mir aktuell wieder deutlich vor Augen, da liest man Berichte wie diesen auf Zeit Online nochmal ganz anders: Dort ist vom Ende des Ölzeitalters die Rede und davon, dass die Welt es kaum überleben würde, wenn in China statt bisher 25 Autos auf 1000 Einwohner 560 PKW kämen wie bei uns.

Die Regierung verschläft die Verkehrswende, die immer teurer werdendes Öl unweigerlich nach sich ziehen wird, jedoch weitgehend. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, Wohnen und Arbeiten so zu ordnen, dass wir wieder mehr zu Fuß und mit dem Rad erledigen können – Langsamverkehr, sagen die Schweizer dazu.

Tanja Rieckmann schildert passend dazu auf Spiegel Online, wie sogar die Autobauer auf den Trend zur Demobilisierung und wachsender Entfremdung ganzer Käferschichten vom Auto als unverzichtbarem Statussymbol reagieren:

75 Prozent der 20-29-jährigen Befragten besitzen einen Führerschein, aber 45 Prozent fahren nur selten, und 80 Prozent erklären gar, dass man in der Stadt wegen des öffentlichen Verkehrs überhaupt kein Auto brauche. In Japan hat die Einstellung schon einen Namen: „kuruma banare“, übersetzt etwa Demotorisierung. Dort definieren sich junge Leute längst über ihr Smartphone oder Netbook – und nicht mehr übers Auto.

Konzerne wie Peugeot entwickeln daher Car-Sharing-Konzepte mit einem ausbaufähigen Anteil an Elektromobilität. Das geht zwar noch nicht weit genug, aber zur Entthronung des Autos trägt es dennoch bei.

Daran, wie sinnvoll Laufen und Radfahren ist, hat jüngst eine Studie erinnert, die darauf hindeutet, dass ein schwaches Herz auch das dazugehörige Hirn schneller altern lassen könnte. Das Auto so oft wie möglich stehen zu lassen und der drohenden Demenz zu ent-gehen (!!) könnte also buchstäblich smart sein.

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Kein Kruzifix und fertig?

Ich hatte mich neulich beklagt, auf welch dürftigem Niveau die Debatte um religiöse Symbole und die Rolle von Glaube und Religion im öffentlichen Leben in weiten Teilen der Medienlandschaft geführt wird. Da darf ich es nun nicht versäumen auf eine rühmliche Ausnahme aufmerksam zu machen. Auf Zeit Online schreibt Jan Ross über neue Koalitionen: Ein jüdischer Jurist aus den USA vertritt das katholische Italien, das seine Kruzifixe behalten möchte, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Klage einer Migrantin, die nicht etwa aus einem islamischen Land stammt, sondern aus dem modernistisch-areligiösen Finnland.

Ross findet erfrischend klare Worte zur aktuellen Islamdebatte zwischen verkapptem westlichem Rassismus und radikalem Islam, um dabei festzustellen:

… für den Umgang mit einer religiösen Herausforderung sind die Europäer des Jahres 2010 nicht gut gerüstet. Dies ist die glaubensfernste Region der Welt, eine kühle Zone der Säkularisierung auf einem Globus, der sonst vor frommen Leidenschaften nur so dampft. Das Christentum, die historische Religion Europas, wird weiter millionenfach gelebt, ist aber in der herrschenden Kultur in eine Außenseiterposition geraten. Es wird keineswegs mehr selbstverständlich als die »eigene« Religion Europas akzeptiert oder gar privilegiert.

Der Islam macht doppelt Angst, weil er erstens fremd ist und zweitens eine Religion. Weil in Europa die Mehrheit kein persönliches Verhältnis zu einer Religion hat, gedeiht der Generalverdacht, dass Glaube generell eine Brutstätte von Vorurteilen, Unterdrückung und Gewalt sei. Da ist es verlockend, sich am französischen Laizismus zu orientieren und Religion jedweder Art ins Private zu verbannen:

Religion wird für ein verunsichertes, verständnisloses Publikum gleichbedeutend mit Fanatismus, der Irrsin scheint jetzt auch unseren Kontinent zu überschwemmen, man will sich dagegen verteidigen und wehren.

Demgegenüber plädiert Ross für einen fairen Pluralismus der Religionen im öffentlichen Raum, und wie er diesen begründet, finde ich überzeugend:

Kluge Politik ist sich bewusst, dass ihr die Herausforderung durch den Glauben und die Gläubigen guttut, als Widerlager gegen Bequemlichkeit und Hybris – das ist das entscheidende Argument für die Präsenz der Religion im öffentlichen Raum. Dass die bestehenden Verhältnisse nicht die einzig vorstellbare Realität sind und der Mensch mit Brot allein nicht satt zu machen ist, daran erinnert jedes Kreuz auf einem Kirchturm in einer europäischen Stadt. Es kann auch ein Halbmond auf einer Moschee sein.

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Stresstest für „fromme“ Organisationen!

In der christlichen Szene ist es nicht anders als im Bankenwesen: Viele Organisationen sind da irgendwie miteinander vernetzt, die in der Öffentlichkeit zunehmend undifferenzierter betrachtet werden (vor allem, wenn das Reizwort „evangelikal“ im Spiel ist), oft aber reicht schon der Begriff „Religion“, „Kirche“ oder „Gemeinde“, um stereotype Assoziationsketten über Hardliner, Eiferer, Piusbrüder und Fundamentalisten auszulösen.

Schon längst sitzen alle in einem Boot. Wenn nämlich nur eine Gruppe Mist baut, weil sie Geld veruntreut, Missbrauch duldet oder vertuscht, soziale Vorurteile schürt oder sich dem rechten Rand des politischen Spektrums nähert, dann befinden sich auch die Aktien der anderen an der Börse des gesellschaftlichen Ansehens im freien Fall.

Tatenlos zuzusehen ist da die falsche Taktik. Eigentlich müssten auch hier Stresstests her: Positionen zu gesellschaftlichen Fragen müssten geklärt werden, vor allem da, wo es um eine ambivalente Haltung zu Gewalt und ein autoritäres Verständnis von Macht geht. Aus machen verhängnisvollen Allianzen sollte man sich schleunigst verabschieden, Verlagssortimente müssten kritisch überprüft werden und manche ReferentInnen sollte man lieber nicht mehr einladen.

Und das alles natürlich am liebsten aus aufrichtiger Überzeugung. Aber für alle Besonnenen, die unter den Eskapaden unbelehrbarer Sturköpfe, Schwärmer und Stänkerer zu leiden haben und hatten, wäre selbst zähneknirschende Kooperation schon ein echter Segen – so wie am Finanzmarkt auch.

Wenn nun jemand fragt: „Aber wer soll das entscheiden und nach welchen Kriterien?“ – dann herzlichen Glückwunsch, das ist genau die Diskussion, die wir jetzt brauchen!

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„Guter“ Kapitalismus

Einige US-Milliardäre spenden die Hälfte ihres Vermögens. So weit, so gut. Es ist ein riesiges Almosen, das sie geben, aber ein Almosen. Die problematischen Seiten dieser Großzügigkeit hat die Zeit treffend kommentiert. Bevor deutsche Politiker an Appelle in diese Richtung denken, sollten sie das vielleicht lesen.

Noch radikaler ist die Kritik von Slavoj Zizek, die wunderbar untermalt in diesem Video (danke an depone für den Hinweis) nicht nur die Superreichen (das nennt er „alten Kapitalismus“), sondern auch alle, die einen „kulturellen Kapitalismus“ pflegen und hoffen, dass sich so die Probleme der Welt lösen lassen. Den Kaffee bei Starbucks zu trinken macht die Welt nicht automatisch besser.

Er bietet keine Patentrezepte an, aber er rüttelt auf. Wir brauchen mehr als die Wohltätigkeit der Reichen und der fairen Konsumenten, es muss politische Lösungen und ein gründlicheres Umdenken geben, das tatsächlich auch zu besseren Lebensbedingungen für alle führt.

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Zutaten gesunder Gemeinschaft (2): Kompetenzen

Um ausgewogene Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sich ein gesundes Gemeinschaftsgefühl entwickeln kann, sind ganz unterschiedliche Kompetenzen gefragt. Myers zählt einige auf, ich fasse das kurz zusammen:

  • Im öffentlichen Raum ist die Fähigkeit, auf Fremde zuzugehen und sie einzubeziehen, gefragt. Es geht um gemeinsame Erlebnisse, die Menschen locker verbinden. Das Ganze bleibt einmalig oder episodisch, und den Eventcharakter muss man akzeptieren können wie auch die Spielregeln, nach denen solche Veranstaltungen ablaufen. Humor ist eine wichtige Tugend, der ermöglicht eine angemessene Distanz und signalisiert, dass man keine Bedrohung darstellt. Blickkontakte sind im öffentlichen Raum kurz, Berührungen bleiben in der Regel aus.
  • Im sozialen Raum geht es darum, kleine und möglichst authentische „Schnappschüsse“ von sich selbst mitzuteilen und die Schnappschüsse oder „Blitzlichter“ anderer realistisch einschätzen zu können. Spontane und kurze Interaktion ist gefragt, der klassische Small Talk, und Taktgefühl wird großgeschrieben, ein Gespür für das richtige Maß von Nähe und Distanz. Der Blickkontakt darf etwas länger ausfallen, Berührungen sind bestenfalls kurz und ohne größere Bedeutung. Sich an spielerischen Aktivitäten in der Gruppe zu beteiligen, ist wichtig. Sowohl defensive als auch offensive Verhaltensweisen sind gefragt. Es geht darum, dem anderen ein guter Nachbar bzw. Nächster zu sein.
  • Im persönlichen Raum sollte man Vertraulichkeit wahren können. Hier bekommt man auch Privates erzählt und sollte sich für den anderen auch persönlich interessieren und um die Beziehung kümmern. Oft sind es Gespräche unter vier Augen mit intensiverem Blickkontakt, der jedoch nicht ins Intime wechselt.
  • Im intimen Raum geht es noch mehr darum, wer ich eigentlich bin und nicht mehr so sehr darum, was ich tue. Rollen treten in den Hintergrund, aber ein gutes Gefühl für die eigene Identität mit unseren Eigenarten, Stärken, Schwächen und Grenzen ist wichtig. Blick- und Körperkontakt fallen entsprechend inniger aus als in anderen Beziehungen.

Gruppen in Gemeinden, sagt Myers, sind für die meisten Leute deswegen interessant, weil sie dort Nachbarn und Bekannte suchen. Geht das Gespräch oder der Austausch ins Persönliche, dann wünschen sich manche schon wieder die Knabbersachen und den Plauderton der Ankomm-Phase wieder zurück. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einer beliebig zusammengewürfelten Gruppe von acht bis zwölf Leuten jeder die nötigen Kompetenzen mitbringt, die persönliche Beziehungen erfordern, ist nicht sehr hoch. Wenn sich eine Gruppe jedoch in einem größeren Kontext gefunden hat, klappt es eher. Bei sehr intimen Selbstmitteilungen fühlen sich allerdings viele ganz plötzlich sehr unwohl. Statt also Intimität zu betonen, sollte man den Schwerpunkt auf soziale und persönliche Kontakt setzen und darauf vertrauen, dass sich intime Freundschaften dann von selbst entwickeln. Vieles hängt von zwanglosen, im positiven Sinne „unverbindlichen“ Möglichkeiten zum „Andocken“ ab. Zu schematisch und mit einem zu hohen Anspruch an Verbindlichkeit heranzugehen ist eher hinderlich.

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Zutaten gesunder Gemeinschaft (1): Die Mischung macht’s

Joseph Myers nennt in The Search To Belong vier Felder, in denen sich gesundes Gemeinschaftsleben entwickelt. Ich habe sie hier kurz angerissen, die Definitionen haben mit Raum und Distanz unterschiedlichen Ausmaßes zu tun. Es gibt nicht die eine Gestalt von Beziehungen, die immer richtig ist.

Es stimmt auch nicht, dass die unterschiedlichen Formen nur Durchgangsstadien auf dem Weg ins Allerheiligste der Intimität sind. Selbst unsere Beziehung zu Gott kennt diese unterschiedlichen Dimensionen. Wir fühlen uns ihm nicht immer gleich nah und vertraut.

Wichtig ist nun, dass unsere Beziehungen in den vier Feldern im richtigen Verhältnis stehen. Myers nennt das die „Gruppenchemie“ und meint damit nicht primär, das, was wir oft im Sinne von Sympathie verstehen. Wir brauchen sehr viele öffentliche Kontakte, viele soziale (einen größeren Bekanntenkreis), einige persönliche (echte Freundschaften) und wenige intime Beziehungen. Aber selbst mit Freunden und Partnern bewegen wir uns immer wieder im öffentlichen Raum und passen unser Verhalten an die (unausgesprochenen) Spielregeln größerer Gruppen an. Von innen nach außen gedacht verdoppelt sich der Personenkreis also mindestens.

Oft pflegen Gemeinden jedoch nur eine oder zwei bestimmte Tonlagen. Neulich erzählte eine engagierte Katholikin, dass sie seit ihrem Umzug in einer neuen Pfarrgemeinde Anschluss gesucht hat und wie irritiert sie war, als sie Stimmen aus der Kerngemeinde hörte, die etwas abschätzig von „Laufkundschaft“ sprachen. Die Anwesenheit „Fremder“ (und jeder Neue ist natürlich erst einmal fremd) wurde als Störung oder Beeinträchtigung einer Gemeinschaft empfunden, die darauf beruhte, dass jeder jeden kannte – die klassische Definition des Social Space.

Myers nennt auch verschiedene Beispiele, in denen Wortwahl und Sprache für eine subtile Ausgrenzung sorgten, weil der Zugang zur Gemeinde, den jemand gerade gewählt hat, dort als minderwertig abqualifiziert wird. In der Regel betrifft das „Besucher“, „Gäste“ und damit alle, die den Weg noch nicht in eine Kleingruppe oder verbindliche Form von Mitarbeit und Mitgliedschaft gefunden haben. Ohne die Bedeutung dieser Dinge zu relativieren – wir müssen trotzdem lernen, dass auch die sporadischen und distanzierten Formen echte Zugehörigkeit ausdrücken können, nicht nur passives Konsumententum (das gibt es leider auch, und ich bin noch etwas ratlos, wie man mit dieser Spannung fertig wird).

Es hat mich auch an ein anderes Erlebnis erinnert: Leute kamen neu zur Gemeinde dazu und suchten nach dem „inneren Kreis“. Oft kannten sie das von früher und unterstellten, dass es da einen informellen Klüngel gibt, der privilegierte Informationen austauscht und die wichtigen Entscheidungen regelt. Folglich musste man möglichst viele enge Kontakte zu den Leuten in den vermeintlichen oder tatsächlichen Schlüsselpositionen knüpfen. Für mich persönlich bedeutete das, dass immer wieder jemand mit der unausgesprochenen Erwartung auf mich zukam, dass wir Freunde werden. Aber erstens ist meine Kapazität begrenzt und zweitens hat die Erwartung mich so unter Druck gebracht, dass ich mich instinktiv zurückzog, weil ich spürte, dass die Enttäuschung programmiert war. Freundschaften brauchen einen weiteren Raum, um sich zu entwickeln: den zwanglosen Bekanntenkreis. Leute, deren Namen ich kenne, aber die ich nicht zu meinem Geburtstag einlade.

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Messerscharf geschlossen

Gestern erzählte mir eine Mutter von einem Gespräch mit ihrer bald dreijährigen Tochter. Die Familie war zuvor bei einer Taufe eingeladen gewesen. Als die Kleine gefragt wurde, ob sie auch getauft werden möchte, lehnte sie entschieden ab.

Die Begründung war bestechend logisch: Taufe sei doch etwas für Babys.

Das Missverständnis wurde inzwischen erfolgreich ausgeräumt. 🙂

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Bessere Zeiten

Wer eine Beschreibung des „Himmels“ möchte, die ohne Gold, Flügelchen und anderen Kitsch auskommt, kann sich vertrauensvoll an Van Morrison wenden. Der hat in Days Like This wirklich motivierende Bilder einer heilen Welt gefunden, in der es neben dem Ende von Frust und Schmerz auch keine pappsüßen Peinlichkeiten mehr gibt:

When it’s not always raining there’ll be days like this

When there’s no one complaining there’ll be days like this

When everything falls into place like the flick of a switch

Well my mama told me there’ll be days like this

When no one steps on my dreams there’ll be days like this

When people understand what I mean there’ll be days like this

When you ring out the changes of how everything is

Well my mama told me there’ll be days like this

Und wenn Van Morrison – wovon ich fest überzeugt bin – im Himmel ab und zu ein Konzert gibt, dann will ich unbedingt dabeisein…

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Fundstücke zum Wochenende

Ein paar bemerkenswerte Sachen habe ich in den letzten Tagen gelesen, vielleicht findet der eine oder die andere sie auch spannend:

Die Zeit erläutert, warum viele Spitzenkräfte an ihrer neuen Stelle nicht mehr annähernd so gut sind wie bisher. Das Umfeld ist oft mindestens so wichtig für den Erfolg wie die eigene Leistung.

John Hulsman beschreibt in einem Gastbeitrag für die SZ, warum Sarah Palin eine Gefahr für die USA und die Welt ist, obwohl (oder gerade weil) sie bestimmt nie zur Präsidentin gewählt wird.

Die Stiftung Warentest hat die Anbieter fairer Kleidung unter die Lupe genommen und einen ernüchterndes Fazit gezogen.

Christine Herbert hat sich Gedanken gemacht zum Tag der Freundschaft – und warum sich Männer mit dem Thema schwerer tun als Frauen.

Immerhin: CSU-General Dobrindt entschuldigt sich für sein Gepöbel gegen Hannelore Kraft, die in Duisburg mit einer Rede die Herzen erreichte und den richtigen Ton traf – was man sich das bei ihrem Vorgänger nie hätte vorstellen können.

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Ehe ohne Trauschein?

Ich schreibe gerade an einem Artikel über das Abendmahl und habe dabei neben der Frage der Symbole unter anderem auch die Position der Heilsarmee studiert. Wegen der konfessionellen Grabenkriege verzichtet die Heilsarmee ganz auf Sakramente. Auf der Website heißt es dazu:

Nach Auffassung der Heilsarmee haben rituelle Handlungen nur dann einen Sinn, wenn auch ihr geistlicher Sinn erfasst und verwirklicht wird. Daher verzichtet sie auf die Sakramente als symbolische und äußerliche Handlung. Die geistliche Bedeutung jedoch, die hinter dem symbolischen Akt (Wassertaufe und Abendmahl) steht, wird von der Heilsarmee ausdrücklich vertreten.

Die Argumentation – wir wollen den Inhalt, aber verzichten auf die Form – hat mich an die Debatte um die Ehe erinnert. Da wird völlig analog beklagt, dass in der Ehe und um die Ehe gestritten wird, dass es Pro-Forma-Ehen gibt, die den Namen nicht verdienen, und dass ein Trauschein keine Liebe erzwingt. Folglich lässt sich die „geistliche“ (oder eigentliche) Sache vielleicht ohne solche Äußerlichkeiten besser und einfacher haben. Sie liegt ja sowieso „hinter dem symbolischen Akt“ – auf einer ganz anderen Ebene.

Damit bürdet man natürlich dem einzelnen noch viel größere Lasten auf, weil man die Erwartung an Authentizität erhöht. Nun muss man sich zumindest theoretisch in jedem Augenblick neu entscheiden und ständig kritisch beäugen. Ein Tief oder eine Durststrecke werden schnell zum existenziellen Fragezeichen, wenn jede äußere Klammer fehlt.

Man kann diese Logik pflegen und diese Position vertreten. Wenn man das aber beim Abendmahl tut, müsste man das bei der Ehe dann nicht auch machen? Oder es umgekehrt bleiben lassen? Dass diese Symbolkritik von der einzigen protestantischen Kirche stammt, die Uniform trägt und „Blut und Feuer“ im Wappen führt, entbehrt jedenfalls nicht einer gewissen Ironie…

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Nur ein Symbol?

Immer wieder begegne ich Menschen, die sagen, dieses oder jenes (darunter auch das Brot und der Wein beim Abendmahl) sei nur ein Symbol. Als wäre das eine minderwertige Wirklichkeit, ein bloßes Hinweisschild, ein austauschbarer Begriff, eine leblose Abstraktion. Wenn aber in Teheran oder Gaza Israelfahnen verbrannt werden, wenn Neonazis aufmarschieren und den Arm zu Hitlergruß erheben, wenn um Kruzifixe in Schulen oder auf dem Cover von Titanic gestritten wird, oder wenn wir – um mal vom Politischen ins Private zu wechseln – beim Schwimmen im Meer den Ehering verlieren, dann wird ganz schnell deutlich, dass Symbole einen Wirklichkeit nicht nur abbilden, sondern auch schaffen und prägen. Deswegen kommt man für den Hitlergruß richtigerweise in den Knast. Deswegen lieben wir Brautkleider und Taufkerzen.

Symbole ordnen unsere Wirklichkeit. Unsichtbares – eben die Beziehungen zwischen Personen und/oder Gegenständen – wird sichtbar. Betrachte dich einen Augenblick im Spiegel: Wie viele Schriftzüge oder Zeichen von Marken sind auf Kleidung, Schuhen, Uhr oder Brille zu erkennen? Die allgegenwärtigen Firmenlogos tragen zur „Corporate Identity“ bei. Sie zeigen, dass wir zu bestimmten Gruppen dazugehören oder eben nicht. Sie verraten, wer wir sein wollen, wofür wir sind und wogegen wir protestieren. Und schließlich: Münzen und Geldscheine haben in der Regel keinen hohen Materialwert, aber das nehmen wir kaum noch mehr wahr. Der grüne Schein ist 100 Euro wert, und wehe, wenn ich ihn verliere. Also – wirklich nur ein Symbol, Tinte auf Papier, bloß eine Konvention?

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Appetithappen

Für alle, die schon neugierig waren, hier aus der Satzdatei des Verlags das ausführliche Inhaltsverzeichnis von Kaum zu fassen. Wie gesagt, Anfang September ist es dann da. Aber vielleicht reicht es schon mal für einen ersten Eindruck 🙂

Inhalt

Eben sehe ich: die Überschrift von Kapitel 11 („Bewegte Bilder“) ist leider nicht hervorgehoben, das wird natürlich noch ausgebessert. Dafür hier noch Umschlaggrafik und Klappentext:

Umschlag.jpg

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So dumm und Gomorrha

Die ganz Bibeltreuen müssten es ja eigentlich wissen, dass man auf Eva nicht hören sollte. Spätestens seitdem sie sich diese Woche mit – wie ausgerechnet die konservative Welt vermerkte – kalkulierter Bosheit zum Tod von 20 Menschen bei der Love Parade äußerte, sollte auch der letzte verstanden haben, wes Geistes Kind sie ist und warum man sich tunlichst nicht mit ihr einlassen sollte. Ihr Fazit lautet nämlich:

Eventuell haben hier ja auch ganz andere Mächte mit eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen. Was das angeht, kann man nur erleichtert aufatmen!

Den Toten und Verletzten eine Mitschuld dafür zu geben, dass sie niedergetreten und erdrückt wurden, die Frage nach den wahren Verantwortlichen gar nicht zu stellen, sondern am Ende über ein Gottesurteil á la Sodom und Gomorrha zu spekulieren, das das orgiastische Treiben jäh beendet, das kann nur als gnadenlose Verhöhnung der Opfer verstanden werden.

Zugleich reiht sich das Gottesbild, das Herman auf ihrem Blog propagiert, nahtlos ein in die Reihe unsäglicher Pharisäerpolemik, die schon AIDS mit kaum verhohlener Genugtuung als „Strafe Gottes“ hingestellt hatte. Kürzlich nahm sie dort Walter Mixa (dem auch Verhöhnung der Opfer vorgeworfen wurde), als verfolgtes Unschuldslamm gegen die blutrünstige Medienmeute in Schutz – auch das spricht Bände.

Apropos Bände: So richtig gruselig wird schließlich der Blick auf das Sortiment des Kopp-Verlags, in dem Hermans Bücher neben wirren UFO-Spekulationen, abstrusen „Prophezeiungen“ und so Knüllern wie „Sexualmagie“ erscheinen, deren einzig erkennbarer gemeinsamer Nenner es ist, mit der Einfalt der Leser Geld zu verdienen. Da trifft es sich natürlich gut, dass der Server nach Hermans Skandalpost fast zusammenbrach vor lauter Anfragen.

Dass idea sich für Herman nach wie vor begeistert, ist leider keine Überraschung. Allen anderen Stimmen der evangelikalen Welt stünde jedoch eine deutliche Distanzierung gut zu Gesicht. Also los, andere schaffen das doch auch!

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Darwins Vorurteile

Ausgerechnet die erste Pastorin der Vereinigten Staaten hat sich konstruktiv-kritisch mit Darwins Thesen auseinandergesetzt, wie Michael Blume auf Chronologs schreibt. Antoinette Brown Blackwell (1825-1921). Die engagierte Kämpferin für die Rechte von Sklaven und Frauen war vom Gedanken der Evolution angetan, aber entsetzt von Darwins (Blume gibt eine ausführliche Kostprobe) „wissenschaftlicher“ Begründung männlicher Dominanz und Überlegenheit.

In ihrer Kritik an der Einseitigkeit von Darwins Theorie, zum Beispiel der Rolle von Kampf und Wettbewerb, war sie ihrer Zeit weit voraus. Um so ärgerlicher, dass ihr wissenschaftlicher Beitrag bis heute weitgehend totgeschwiegen wurde. Ich finde, Michael Blumes Anstoß zur Wiederentdeckung einer großen Denkerin hat viele Leser verdient!

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