Ich hatte mich neulich beklagt, auf welch dürftigem Niveau die Debatte um religiöse Symbole und die Rolle von Glaube und Religion im öffentlichen Leben in weiten Teilen der Medienlandschaft geführt wird. Da darf ich es nun nicht versäumen auf eine rühmliche Ausnahme aufmerksam zu machen. Auf Zeit Online schreibt Jan Ross über neue Koalitionen: Ein jüdischer Jurist aus den USA vertritt das katholische Italien, das seine Kruzifixe behalten möchte, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Klage einer Migrantin, die nicht etwa aus einem islamischen Land stammt, sondern aus dem modernistisch-areligiösen Finnland.
Ross findet erfrischend klare Worte zur aktuellen Islamdebatte zwischen verkapptem westlichem Rassismus und radikalem Islam, um dabei festzustellen:
… für den Umgang mit einer religiösen Herausforderung sind die Europäer des Jahres 2010 nicht gut gerüstet. Dies ist die glaubensfernste Region der Welt, eine kühle Zone der Säkularisierung auf einem Globus, der sonst vor frommen Leidenschaften nur so dampft. Das Christentum, die historische Religion Europas, wird weiter millionenfach gelebt, ist aber in der herrschenden Kultur in eine Außenseiterposition geraten. Es wird keineswegs mehr selbstverständlich als die »eigene« Religion Europas akzeptiert oder gar privilegiert.
Der Islam macht doppelt Angst, weil er erstens fremd ist und zweitens eine Religion. Weil in Europa die Mehrheit kein persönliches Verhältnis zu einer Religion hat, gedeiht der Generalverdacht, dass Glaube generell eine Brutstätte von Vorurteilen, Unterdrückung und Gewalt sei. Da ist es verlockend, sich am französischen Laizismus zu orientieren und Religion jedweder Art ins Private zu verbannen:
Religion wird für ein verunsichertes, verständnisloses Publikum gleichbedeutend mit Fanatismus, der Irrsin scheint jetzt auch unseren Kontinent zu überschwemmen, man will sich dagegen verteidigen und wehren.
Demgegenüber plädiert Ross für einen fairen Pluralismus der Religionen im öffentlichen Raum, und wie er diesen begründet, finde ich überzeugend:
Kluge Politik ist sich bewusst, dass ihr die Herausforderung durch den Glauben und die Gläubigen guttut, als Widerlager gegen Bequemlichkeit und Hybris – das ist das entscheidende Argument für die Präsenz der Religion im öffentlichen Raum. Dass die bestehenden Verhältnisse nicht die einzig vorstellbare Realität sind und der Mensch mit Brot allein nicht satt zu machen ist, daran erinnert jedes Kreuz auf einem Kirchturm in einer europäischen Stadt. Es kann auch ein Halbmond auf einer Moschee sein.
Der erste Kommentar bringt es schon auf den Punkt:
„Konfessionslose werden ausgeblendet“
Zur Lage in Deutschland: Allein rund 34% der Deutschen Bundesbürger sind konfessionslos. Die Katholiken und Evangelischen weisen jeweils nur rund 30% der Mitglieder auf. Bei den Muslimen ist es noch schwieriger, da in der Statistik rund alle Menschen aus Einwanderergruppen, in deren Ursprungsländern der Islam die Mehrheitsreligion stellt, als Muslime geführt werden. Menschen, die mit dem Islam aufgewachsen sind aber nicht religiös sind bzw. sich als Atheisten etc. verstehen, werden hierbei garnicht berücksichtigt. … .
Sehr bedenklich ist der überkonfessionelle Schulterschluss, „Gotteslästerung“ als internationalen Straftatbestand zu etablieren:
„Der Organisation der Islamischen Konferenz kommt das irische Blasphemiegesetz gerade recht. Basierend auf dem Gesetzestext versuchte die Organisation, der 57 muslimische Länder angehören, Druck auf die Vereinten Nationen auszuüben. Sie wollen die Bestrafung von Gotteslästerung als internationales Recht etablieren. „Es ist beschämend, dass Irland für Staaten wie Pakistan in dieser Hinsicht als Vorbild gilt“, sagt Michael Nugent.“
Der Islam ist insofern gefährlicher, weil immer eine religiöse Zweitgesetzgebung (die Scharia) eingeführt werden soll. Insbesondere ex-Muslime warnen davor:
http://www.onelawforall.org.uk/about/prominent-signatories/
Gruss Frank
@Frank: Verstehe ich nicht – man könnte genauso gut sagen, Konfessionslose wie diese Finnin oder Du möchten ihre anderen per Gesetz de facto ihre Konfessionslosigkeit aufzwingen.
Es geht hier ja gar nicht um das Blasphemiegesetz, das es so in den meisten Ländern eh nicht gibt, in dem Artikel werden klare Maßstäbe von Toleranz formuliert (siehe Türkei) sondern um die Frage, ob der Staat Religionsgemeinschaften nur mit prinzipiellem Misstrauen begegnet oder sie am öffentlichen Diskurs konstruktiv beteiligt.
Hallo Peter,
die Klage der Finnin richtet sich gegen die Darstellung religiöser Symbole in staatlich/öffentlichen Immobilien. Niemand hat etwas gegen Kreuze/Halbmonde auf oder in Kirchen/Moscheen, oder dass sich Religionsgemeinschaften an gesellschaftlichen Diskursen beteiligen.
Einzig allein die Frage ist, ob der öffentlich/staatliche Raum frei bleiben soll und muss von jedweder weltanschaulicher Symbolik, um die weltanschauliche Neutralität des Staates zu gewährleisten.
Herr Ross übersieht, wenn er von „Pluralismus der Religionen im öffentlichen Raum“ spricht, dass es ohnehin schon eine indiskutable „Wettbewerbsverzerrung“ zuungunsten nichtreligiöser Weltanschauungen ist, wenn jährlich über 500 Mio € Steuergelder an die Religionsgemeinschaften für deren Personal ausgereicht werden. Siehe z.B. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33033/1.html
Gruss Frank
Dieses Mal ein sehr guter Blogeintrag, den ich gerne unterschreibe.
@ Frank: Auch Du übersiehst etwas: Staatliche Zuschüsse an die Kirchen sind keine Subventionen im herkömmlichen Sinn, sondern basieren auf alten Staatsverträgen, auf Entschädigungen auf Grund der Säkularisation geistlichen Eigentums im Zuge der napoleonischen Flurbereinigung. Ähnlich wie der Spiegel ist heise.de in solchen Fragen sicher nicht unvoreingenommen, sondern äußerst befangen. Das ist ein in jedem Fall demokratisches Recht, trotzdem muss auf diesen Sachverhalt hingewiesen werden.
@Frank: Tertullian hat Recht, das sind historische Verträge und die Beziehung von Staat und Kirchen hat eben eine lange Geschichte. Freilich werden vom Staat auch andere Organisationen gefördert. Nur sind Konfessionslose sind per Definitionem natürlich nicht organisiert, insofern kann es da keine „Gleichstellung“ geben.
Ich finde Kruzifixe in Schulen auch nicht notwendig. Aber wenn British Airways eine Mitarbeiterin feuert, weil sie ein Kreuz um den Hals trägt, dann zeigt das eben auch, wohin sich dieser Streit inzwischen entwickelt hat und weiter entwickeln wird.
@Tertullian
„Entschädigung“ für die Säkularisation ist schon juristisch korrekt bezeichnet. Dem historisch Kundigen stellt sich aber auch die Frage, woher das „entschädigte Vermögen“ eigentlich stammt. Und dann kommt man auf die Beschlagnahmungen der Kirchen von Ketzer/Hexen/Hexereigentum, Urkundenfälschungen am Fließband, Kriegsgewinne, erpresste Schenkungen etc. etc.
@ Peter
Selbstverständlich sind Konfessionslose organisiert. Es gibt z.B.:
Deutschsprachige Gruppierungen, Stiftungen und Dachverbände: Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW) · Deutscher Freidenker-Verband (DFV) · Giordano Bruno Stiftung · Humanistische Akademie Deutschland (HAD) · Humanistische Union (HU) · Humanistischer Verband Deutschlands (HVD) · Jugendweihe Deutschland (JwD) · Koordinierungsrat säkularer Organisationen · Stiftung Geistesfreiheit und Zentralrat der Ex-Muslime.
Im Ausland tätige Gruppierungen, Stiftungen und Dachverbände: American Atheists · British Humanist Association (BHA) · Council for Secular Humanism (CSH) · Freedom From Religion Foundation (FFRF) · Council for Secular Humanism (CSH) · National Secular Society (NSS) · Rationalist International · Richard Dawkins Foundation for Reason and Science (RDFRS oder RDF) und Unione degli Atei e degli Agnostici Razionalisti (UAAR).
Internationale Bewegungen, Dachverbände und Komitees: Atheist Alliance International (AAI) · Atheist Bus Campaign · Brights · Committee for Skeptical Inquiry (CSI) · Internationale Humanistische und Ethische Union (IHEU) und Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA).
Diese Organisationen sind (im Gegensatz zu den kirchlichen Organisationen in Deutschland) ganz und gar auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen.
Die BA ist keine öffentliche Einrichtung, sondern ein gewinnorientiertes Unternehmen und tut dasselbe, wie wenn ein kirchlicher Träger einen Mitarbeiter fristlos entlässt, weil er/sie sich nach einer Scheidung wieder verheiratet. Oder aus der Kirche austritt. Siehe z.B.: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,704140,00.html
Ich habe letztes Jahr mich z.B. beschwert, weil beim Pförtner des Finanzamtes ein Aufkleber hing mit „Bene, Bene, Benedikt“ und dem aktuellen Pontifex drauf. Das gehört da nicht hin, weil die weltanschauliche Meinung eines oder mehrerer Finanzbeamter
nichts in einem staatlichem Gebäude zu suchen hat. Stellt euch nur mal vor, was für ein Aufstand losbräche, wenn jemand ein solches Bild aufhängen würde:
http://media.photobucket.com/image/marx%20engels%20lenin%20mao/JaronGilinsky/IMGA0397.jpg
😉
Gruss Frank
@Frank: Die wenigsten Konfessionslosen gehören irgendeiner dieser Organisationen an, dass es sie gibt, weiß ich natürlich, aber sie können eben nicht für „die Konfessionslosen“ sprechen, sondern nur für ihre Mitglieder. Freikirchen (ich schätze mal, deren Mitgliederzahlen kämen in die Nähe) werden vom Staat übrigens ebensowenig gefördert. Wie gesagt, um Geld ging es nicht, sondern um die Frage, ob von staatlich-öffentlicher Seite Religion prinzipiell negativ gesehen werden muss.
Dass du die Entscheidung der BA für ganz problemlos hältst, statt sie ebenso zu kritisieren wie manche Entscheidungen kirchlicher Arbeitgeber (wobei die Problemlage da doch etwas komplexer ist), enttäuscht mich schon, ebenso wie die Tatsache, dass du wieder ausschließlich negative Gründe findest für den Umfang des Kirchenvermögens vor der Säkularisation. Daneben gab es nämlich auch viele positive. Oft sind es ja Schenkungen gewesen, die mit kirchlicher Fürsorge (vor allem der Klöster) für Kranke und Alte zu tun hatten, wie auch damit, dass die Orden durch harte Arbeit, Genügsamkeit und gutes Wirtschaften über die Jahrhunderte einen gewissen Wohlstand erworben hatten und den auch wieder investierten, zum Beispiel in Bildung.
Hallo Peter,
die Entscheidung der BA halte ich für problemlos, weil es unabhängig alle abhängig Beschäftigten trifft.
Weil die BA wahrscheinlich (ich weiss es nicht) keine muslimischen Kunden verärgern will, hat sie eine solche Anweisung gegeben. Ich darf auch keine attac-Buttons auf Arbeit tragen, ebenso wie es dir wahrscheinlich übelgenommen würde, wenn du mit FDP oder SPD-Fahnen in deinem Büro auftrumpfen würdest 😉
Vielen Dank für den Hinweis mit den Freikirchen, es ist tasächlich so, dass Atheisten
i.d.R. ausgeprägte Individualisten sind, die sich nur sehr ungern organisieren. Leider zum Nachteil der Schlagkraft.
Und Freikirchen treten, nach dem was ich gelesen habe, auch für
eher progressive Ideen ein (Trennung von Kirche und Staat, Erwachsenentaufe, freiwillige Mitgliedschaft, freiwillige Finanzierungen der Gemeinden etc.)
Finde ich sehr positiv und Unterstützungswürdig.
Gruss Frank
@Frank: Da bin ich ja frph, dass wir den Punkt geklärt haben. Meine Gemeinde finanziert sich ja auch komplett selbst und Kirchensteuern sind wie Staatshilfen in der Weltchristenheit der krasse Ausnahmefall, auch für Katholiken übrigens. Die Entscheidung nach der Wende, das Westsystem bei den Kirchen in Ostdeutschland einzuführen, wird heute von vielen als Fehler betrachtet.
Der Punkt, den Du m.E. trotzdem nicht verstehst: Ein Kreuz ist für Christen etwas anderes als ein Parteiabzeichen oder ein Attac-Button. Ebenso wie der Turban für den Sikh, um nochmal die Zeit zu zitieren. Da geht es um andere Formen von Zugehörigkeit und Loyalität als gegenüber sozialen oder politischen Organisationen. Es geht eigentlich gar nicht um eine Organisation.
@ Peter
eigentlich ging es mir auch nicht um die Organisation, sondern um die dahinterstehende Weltanschauung. Die SPD steht ja (angeblich *g*) für eine sozial gerechte, friedlich/freiheitliche Welt, attac möchte eine (Rück)Umverteilung der Vermögen, fairen Handel, öffentliche Daseinsfürsore für alle etc.
Mit einem entsprechendem Button oder einer Fahne will man weniger die Organisation als die dahinterstehende Idee bewerben. Ebenso wie das Kruzifix nicht für eine bestimmte Kirche steht, sondern für das Christentum generell.
Und damit stehen wir wieder am Anfang der Debatte. Darf/soll eine staatliche Institution für irgendeine Weltanschauung werben (dürfen)? Ich bin für nein, weil mir die Neutralität der der Institution wichtig ist.
Die Konsequenz einer anderen Auffassung müsste dann die Gleichberechtigung ALLER Weltanschauungen zur Darstellung ihrer jeweiligen Symboliken sein. Dann kann ich mir aber schon die Beschwerden von Religiösen vorstellen, die sich an anderen religiösen Symbolen stören und sich beeinträchtigt fühlen, z.B. als Muslim im Gerichtssaal oder der Schule einen Davidsstern zu sehen…. .
Warum sind wir so schlecht darin, andere stehen zu lassen, Spannungen auszuhalten und offen Leben & Glauben zu teilen? Abgesehen davon glaube ich nicht, dass es „neutrale Räume/ Institutionen/… gibt“ – jeder Raum besteht aus Begegnung und jede Institution aus Menschen, und die sind niemals neutral.
@Frank: Auf Letzteres läuft der Vorschlag von Jan Ross ja hinaus. Und da wird das Blasphemiethema dann tatsächlich noch einmal virulent, weil das nur geht, wenn jemand seinen Glauben in einer positiven Weise ausdrückt, die den der anderen respektiert und stehen lässt. Was da in der islamischen Presse Richtung Israel an „Karikaturen“ kursiert, ist zum Beispiel völlig indiskutabel. Alle müssen lernen, sich dran zu halten – Christen, Muslime und Atheisten.
Außerdem ist es m.E. auch noch ein Unterschied, ob jemand ein Kreuz um den Hals hängen hat, oder ob er mehr oder weniger geglückte Papst-Slogans irgendwo im Haus anbringt. Letzteres muss wirklich nicht sein.
Aber schon jetzt wirbt ja der Staat für keine Weltanschauung, er duldet nur bestimmte friedliche Formen des Bekenntnisses zu einer Weltanschauung in der Öffentlichkeit.
Hallo Peter,
du bist, was Toleranz bei Religionen angeht, sehr optimistisch. 😉
Ich eher nicht. Das erklärt sicher den Unterschied in unserer jeweiligen Auffassung. Wenn ich mir nur den letzten Streit um das Titanic-Titelblatt anschaue oder auch die heftigen Auseinandersetzungen um die Mohammedkarikaturen… . Und die tätlichen Angriffe auf die Karikaturisten.
Die gläubigen Muslime (und auch einige Christen) haben gewaltige Probleme damit, zu akzeptieren, dass Gebote und Verbote (z.B. das Darstellungsverbot) des „Propheten“ lediglich für Muslime/Christen gelten. „Ungläubige“ sind in keiner Weise daran gebunden. Ebensowenig akzeptiert wird, dass „religiöse Gefühle“ wie alle anderen Gefühle auch, keineswegs irgendwie geschützt sind. In unserer Demokratie darf sich jeder über Buddha, Darwin, Jesus, Shiva, oder Mohammed und ihre jeweiligen VertreterInnen lustig machen
Ob das erstrebenswert oder ethisch gut oder sinnvoll ist, sei dahingestellt, das ist eine andere Debatte.
Übel droht Weibischoff Laun auch aktuell:
„Seid vorsichtig“, so schloss der Weihbischoff sein Traktat, „euer Spott könnte auch die Muslime treffen“. Die glauben zwar anders, aber auch an einen strafenden Gott, so Laun – und könnten „auf Euren Angriff vielleicht anders reagieren als ich es tue!“
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/panorama/loveparade-katastrophe-salzburger-weihbischof-verhoehnt-loveparade-opfer-1.985708
Gruss Frank
Geschenkt: In allen Lagern gibt es Deppen.
Aber an einer Kultur des Respekts muss in einer multireligiösen Gesellschaft gearbeitet werden, und dazu gehört auch, dass Atheisten die Existenz religiöser Gefühle akzeptieren. es geht auch nicht an, dass einer mit Verweis auf Entgleisungen des anderen da weiter Porzellan zerschlägt.
Ob und wie weit man das mit Gesetzen regeln kann, ist die eine Frage. Dass wir aber schweren Zeiten entgegengehen, wenn wir es nicht lernen, scheint mir ziemlich wahrscheinlich.
Hallo Peter,
wie stark religiöse Symbolik im öffentlichen Raum instrumentalisiert und politisiert wird, sieht man gerade in Polen: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33117/1.html
Gruss Frank