Der Altmeister

Bob Dylan, den der Independent respektlos schon zum 50. Geburtstag als “Rob Zimmerframe” bezeichnete, wird 65. Als heute morgen alle Hausbewohner in die Schule verschwunden waren, habe ich mir zum Gedenken eine Runde seiner Klassiker aus “Live at Budokan” gegönnt, richtig laut. Irgendwie fühle ich mich mit ihm verbunden, weil wir beide im gleichen Jahr (1979) zum Glauben fanden – freilich aus recht unterschiedlichen Richtungen.

Christsein ist laut Wikipedia immer noch ein wichtiges Thema, auch wenn Dylan nicht mehr mit der Tür ins Haus fällt wie in der Anfangszeit. Der australische Theologe Ben Myers hat als Hommage auf seinem Blog unter anderem ein paar kryptische Dylan-Zitate zusammengetragen.

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Zweifelhafte Typen

Der christliche Hype um Persönlichkeitstests ebbt schon seit einer Weile ab. Zu Recht, wenn man dem neuen Buch der Autorin Barbara Ehrenreich glaubt, dem die SZ einen Artikel widmet. Eine Art Realsatire über eine Session mit Coach Kimberley macht die Lektüre recht kurzweilig.

Das Enneagramm sei “eigentlich nichts weiter als ein Mischmasch windiger New-Age-Sehnsüchte nach mystischer Einheit, die dem Chaos menschlicher Erfahrung zugrunde liegen soll” und der in Unternehmen besonders beliebte Test nach Myers-Briggs besitze in seinen Typenkategorien auch nicht mehr Gültigkeit als die zwölf Tierkreiszeichen (und die sind ebensfalls sehr beliebt, wenn auch nicht unbedingt im gleichen Zusammenhang).

Zudem kommen bei wiederholten Tests nicht selten deutlich andere Ergebnisse heraus. Vielleicht sollten wir doch lieber auf das nicht immer leicht verdauliche Feedback echter Menschen hören, unsere Selbstwahrnehmung schärfen und Einzigartigkeit nicht mit der Zugehörigkeit zu einer Typenklasse verwechseln?

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Uns fällt die Decke auf den Kopf…

Die Angst der Gallier vor dem Himmel, der ihnen auf den Kopf fallen könnte, wurde heute mitten im Gottesdienst ganz plastisch nachvollziehbar. Etwaige Predigtschläfer wurden unsanft unterbrochen, denn rund zwei Quadratmeter Stuck lösten sich von der Decke und fielen zum Glück so herab, dass nach meinem augenblicklichen Wissensstand mehrere Erwachsene (danke, Gernot, für die Info!) blaue Flecken oder Prellungen und ein Baby einen Kratzer am Kopf davontrugen. Eine Person hatte eine Platzwunde am Kopf. Alles in allem trotzdem Grund, Gott dankbar zu sein für die Bewahrung. Da hätte sehr viel mehr und Schlimmeres passieren können. Ein bis zwei Kilo Gips und Mörtel aus 8m Höhe hätte auch tödlich sein können, gerade bei den Kleinen.

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Familiengeschichte in nuce

Nach gut 17 Jahren haben wir kürzlich unser altes Bett ausrangiert. Über 6000 Nächte (und Tage) hat es hinter sich und war gegen Ende etwas wacklig geworden. Es war das dienstälteste Möbelstück im Haus. Beim Zerlegen zogen Erinnerungen vorbei – an romantische Abende mit Kerzenschein und Weinglas, schlaflose Nächte wegen Sorgen oder quakender kleiner Quälgeister, diverse Krankheiten; an manche schwierige und viele gute Gespräche, an glückliches und ratloses Schweigen, Tränen und Gekicher, an Gähnen und müde Augen am Abend, verschlafenes Blinzeln am Morgen; an vier Kinder, die gestillt wurden, zum Kuscheln kamen, auf der Matratze hopsten oder getröstet werden mussten nach Kummer und Albträumen – und die unaufhaltsam größer wurden.

Keine Ahnung mehr, wie viele Bücher ich in diesem Bett gelesen habe, wie viele Ideen und Gedanken mir vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen gekommen sind und noch viel weniger, was ich in diesem Bett wohl so alles geträumt habe. Jetzt steht ein neues da – mit “Himmel”. Wenn das keine Verheißung ist…

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Nochmal Mafia: Spammer und Internet-Erpresser

Heute wurde mein Blog urplötzlich mit hunderten von Spam-Kommentaren bzw. Trackbacks regelrecht überfallen. Es hat mich ein Weilchen gekostet, die Sachen zu löschen und die Blacklist anzupassen. Aber ich war wohl nicht der einzige, den es erwischt hat (vgl. Daniels Kommentar unten).

Dazu passte recht gut die Meldung über den Untergang von Blue Security und den Hintergrund von Erpressung durch die russische Mafia. 75 bis 90 Prozent des weltweiten Mailverkehrs ist angeblich inzwischen Spam, und dahinter steht ein Milliardengeschäft. Mal sehen, ob sich jemand da heran wagt. Die CIA vielleicht oder der BND – das wäre mal ein sinnvoller Job für unsere Lauscherchen…

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Außenseiter

Heute hatte ich ein nettes Gespräch am Telefon mit einem evangelischen Pfarrer, der ein Jahr als “Pioniermissionar” (seine Worte) auf einer griechischen Insel tätig war und dort als Ausländer und Lutheraner mindestens so exotisch wie hier ein amerikanischer Pfingstler (auch der Vergleich stammt von ihm).

Als protestantischer Nord- bzw. Westeuropäer wurde er misstrauisch und kritisch beäugt und fand seinerseits eine etwas fremde, orientalische Art des Christseins, die in manchem schon an den Islam erinnerte (Ritualismus, Rolle der Frau etc.). Die Minderheitensituation, theologisch würden wir sagen: das Exil, hat einiges an neuen Gedanken angestoßen und alte vielleicht vertieft. Kein Wunder: Diese Erfahrung war ja auch schon zu Jeremias und Hesekiels Zeiten theologisch höchst fruchtbar.

Hinterher dachte ich mir: Vielleicht sollte so etwas Teil der Ausbildung des Pfarrernachwuchses sein, Leute mal eine Weile in eine solche Situation zu schicken? Solche Lernerfahrungen könnten doch ein Gewinn für alle sein.

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Verschwörungen

Eine nette Auflistung der Top Ten unter den Verschwörungstheorien gibt es anlässlich des Kinostarts von “Sakrileg” in der SZ (Wenn man den ersten Kritiken glauben kann, wird der Film hinter der Werbekampagne zurückbleiben. Zumindest in Cannes hat er offenbar nicht gerade eingeschlagen).

Meine Lieblingsverschwörung ist : Bielefeld gibt es gar nicht 😉 Oder war jemand schon mal da? Und wenn ja – war das wirklich Bielefeld?

Eine andere Quelle von Verschörungstheorien ist derzeit der Fußball. Wenn ein Spieler nicht mir zur WM darf, wird von irgendwem behauptet, den Ausschlag hätten gar keine sportlichen Gründe gegeben. Das wird aber doch inzwischen langweilig. Jemand sollte mal ein paar neue Ideen ins Spiel bringen – fragen wir mal in Hollywood 🙂

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Immer in Beziehung

Lesslie Newbigins “The Gospel in a Pluralist Society” ist anspruchsvolle und vor allem ansprechende Lektüre. Nach ein paar Seiten muss ich das Buch immer wieder weglegen und eine Weile drüber brüten. Hier zum Beispiel stellt er den abstrakten Konstruktionen des neuzeitlichen Individualismus die geschichtlich-sozialen Konkretionen des hebräischen Denkens entgegen. Es geht also um mehr als um “Gott und die Seele”:

Im Unterschied zu sowohl der indischen als auch der westlichen Ansicht gibt es hier keinen Versuch, die menschliche Person als autonomes Individuum zu sehen, und die menschliche Beziehung zu Gott als Beziehung eines einzelnen zu einem einzelnen. Von Anfang an sieht die Bibel das menschliche Leben unter dem Gesichtspunkt von Beziehungen. Es gibt keinen Versuch, die Zufälligkeiten der Geschichte abzustreifen, um so die Essenz des Menschseins zu finden. Menschliches Leben wird im Sinne wechselseitiger Beziehungen gesehen: Erstens, die grundlegendste Beziehung zwischen Mann und Frau, dann zwischen Eltern und Kindern, dann zwischen Familien, Sippen und Völkern. Die Bibel spricht nicht über die “Menschheit”, sondern über “alle Familien der Erde” oder “alle Völker der Erde”. Daraus folgt, dass die wechselseitige Beziehung, diese Abhängigkeit des einen vom anderen, nicht nur ein Teil des Weges zum Ziel der Erlösung, sondern im Ziel selbst begründet ist.

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“Mach doch, was du willst”?

Hin und wieder stolpere ich über eigenartige Formulierungen beim Beten und frage mich, was da an unausgesprochenen Gedanken dahinter steht. Ich hatte in Berlin (nett: Bundespressestrand) ein interessantes Gespräch mit Bernd Oettinghaus zu dem Thema. Ein Beispiel sind die super-allgemeinen Pauschal-Gebete: Segne alle Kranken, tröste alle die traurig sind, lass überall Frieden kommen, löse alle Probleme, mach alles gut. Einerseits will man niemanden ausschließen, andererseits macht man sich nicht mehr die Mühe, noch irgendwo konkret zu werden. Es erinnert eher an das obligatorische “Ich bin für den Weltfrieden” aus Miss Undercover. Politisch korrektes Beten halt. Aber es rechnet ja auch niemand damit, dass diese Art von Gebet tatsächlich erhört wird.

Das andere, was mich immer wieder wundert, ist die Annahme, dass Gottes Wille von allein geschieht. Oder umgekehrt: Das alles, was geschieht, Gottes Wille ist, nur weil es eben “passiert” (das ist ein besserer Begriff: Gott lässt es durchgehen, aber will er es wirklich…?).
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mafiöses Christentum?

Am Sonntag habe ich mich mit der Geschichte Jesu über die Winzer-Mafia beschäftigt. Die sizilianische Mafia ist ein brutales System von Ausbeutung und Schattenwirtschaft, ein von Seilschaften beherrschter Staat im Staate, der nicht vom Volk, sondern vom autoritären Paten kontrolliert wird, die ihre eigenen Gesetze machen. Und in Markus 12 steht der Missbrauch von Vertrauen und Privilegien in Zentrum. Die Jerusalemer Priester- und Schriftgelehrtenmafia reagiert auf die Kampfansage sofort und mit drastischen Mitteln.

Natürlich ist der Bezug in Jesu unmittelbare Situation vorherrschend. Und doch geht es um mehr als um einen historischen Rückblick. Paulus schreibt ja in 1.Korinther 10 davon, dass Israels Irrwege uns als Beispiel dienen sollten, aus dem wir lernen. Vielleicht kann man es daher so sagen: Mafiöses “Christentum”…
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Das Ende der Kontrolle

Ich bin in Berlin, zum “Runden Tisch Evangelisation”. Eric Célérier hat gestern das Internet-Projekt Connaitre Dieu vorgestellt, sehr erfrischend und beeindruckend. Zwischendrin konnten wir über Google Earth in Echtzeit verfolgen, wo überall auf der Welt Leute das Angebot wahrnehmen und ein einfaches Gebet als ersten Glaubensschritt beten. E-Coaches helfen dann weiter und ermöglichen auch den Kontakt zu einer Ortsgemeinde, wenn der Betreffende es wünscht.

Natürlich gab es viele interessierte bis kritische Rückfragen: Wie ernst kann man solche Klicks nehmen, bleibt das alles vielleicht im Virtuellen stecken, und so weiter. Dabei ist mir aufgefallen, wie schwer sich viele von uns damit tun, dass man im Internet nur etwas anbieten kann, ohne kontrollieren zu können, was Leute damit machen.
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und noch ein ketzerischer Spruch…

Als Christus in einem bedeutungsvollen Augenblick seine große Gemeinschaft stiftete, erwählte er zum Grundstein nicht den brillanten Paulus und nicht den tiefsinnigen Johannes, sondern einen Drückeberger, einen Snob, einen Feigling – kurz, einen Menschen. Und auf diesen Fels baute er seine Kirche, gegen die der Hölle Macht nichts hat ausrichten können. Alle Weltreiche und Königreiche sind an dieser eigentümlichen, wiederkehrenden Schwäche gescheitert, dass sie von starken Männern und auf den Schultern starker Männer errichtet wurden. Einzig und allein diese epochale Einrichtung, die katholische Kirche, fand ihr Fundament in einem schwachen Mann, und deshalb ist sie unzerstörbar.

Ketzer, S. 60 – der Gedanke macht doch richtig Mut 😉

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Anspruchsdenken

Wer gesagt hat “Gesegnet der Mensch, der keine Ansprüche stellt, denn er kann nicht enttäuscht werden”, hat einen ganz unangemessenen und geradezu falschen Lobpreis ausgesprochen. In Wahrheit muss es heißen: “Gesegnet der Mensch, der keine Ansprüche stellt, denn er wird wunderbar überrascht werden.” Wer anspruchslos ist, sieht rötere Rosen, als der gewöhnliche Mensch zu sehen vermag, und grüneres Gras und eine hellere Sonne. Selig sind die Anspruchslosen, denn ihrer sein die Städte und Berge; selig sind die Bescheidenen, denn sie werden das Erdreich besitzen.

Chesterton, Ketzer, 58.

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Effizienz und Weltbild

Wenn ein Volk dabei ist, in allen Dingen schwach und untüchtig zu werden, dann fängt es an, von Effizienz zu reden. So fängt auch ein Mensch zum ersten Mal an, sich mit seiner Gesundheit zu beschäftigen, wenn sein Körper kaputt ist. Lebenskräftige Organismen reden nicht über ihren Stoffwechsel, sondern über das, was sie vorhaben. Es gibt keinen besseren Beweis dafür, dass ein Mensch im Vollbesitz seiner Kräfte ist, als wenn er frohen Mutes von einer Reise ans andere Ende der Welt spricht. Und der beste Beweis für die praktische Tatkraft eines Volkes ist es, wenn dieses Volk immerzu von einer Reise ans Ende der Welt, von einer Reise zum Tag des Gerichts und zum Himmlischen Jerusalem spricht.

(G.K. Chesterton, Ketzer, S. 20f. – das wäre den Peregrinati aus dem Herzen gesprochen)

Unserer Meinung nach ist die Frage nicht, ob das Weltbild Einfluss auf den Gang der Ereignisse hat, sondern ob auf lange Sicht außer dem Weltbild irgend etwas sonst den Weltlauf beeinflusst.

(ebd., S. 15)

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Zweidrittelmond

Am Sonntag Abend bin ich noch ganz spät eine Runde am Wasserturm von Marloffstein spazieren gegangen. Der Mond war schon etwa zwei Drittel voll und hat den Weg über die Wiesen silbern ausgeleuchtet; nach beiden Seiten des Buckels konnte man weit ins Tal hinabsehen. Eine Fledermaus kam vorbei, in der Ferne bellte ab und zu ein Hund, aber es war ganz still und friedlich.

Diese Art von in die Ferne sehen ist viel besser als Fernsehen. Die Woche konnte ausklingen, die schönen und schwierigen Eindrücke zogen noch einmal vorbei und dann legte sich die Stille über alles. Und der Wald stand schwarz und schwieg – auch ohne den weißen Neger Wumbaba…

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