Insurrection (3): Postmoderner Ikonoklamus?

Das dritte Kapitel von Insurrection hat mich etwas ratlos gemacht. Peter Rollins stellt verschiedene Arten vor, wie Glaube (an den religiösen deus-ex-machina) und Zweifel koexistieren können, ohne dass es ersterem an den Kragen geht:

  • Man kann theologische Lippenbekenntnisse zum Wert des Zweifels und Erfahrungen von Verlust abgeben und parallel an einem Gemeindeleben teilnehmen, das diese Gedanken und Erfahrungen (etwa im Liedgut und der Liturgie) verschweigt und konterkariert,
  • man kann sich von organisierter Religiosität zeitweilig verabschieden, nur um in de nächsten Krise wieder auf sie zurückzugreifen (um den drohenden Sturz in die Angst abzuwenden), subkutan hat man sie jedoch immer behalten,
  • man kann eine indirekte Teilhabe an der heilen Welt des religiösen Glaubens über Ehepartner und Kinder pflegen, während man sich selbst als „nicht religiös“ bezeichnet und gebärdet. Rollins spricht süffisant davon, dass man letzten Endes eine „dunkle Nacht der Seele erleben und dabei alle Lichter an lassen kann.“
  • Einen anderen Umgang mit Zweifeln pflegt man im Fundamentalismus: Hier herrscht das unausgesprochene Gesetz, dass der Zweifel überhaupt nicht thematisiert werden darf. Vorhanden ist er selbstverständlich und führt zu skurrilen Vermeidungsstrategien.

So oder so, meint Rollins, wird die eigentlich nötige existenzielle Verlusterfahrung umgangen, man flirtet (wenn überhaupt) lediglich mit der Vorstellung, ohne ernst zu machen. Quer durch alle kirchlichen Traditionen. Für Rollins bedeutet das: Man drückt sich um das Kreuz, man hat noch gar nicht begonnen, im christlichen Sinn zu glauben.

Die eine Frage wäre, ob dieses sehr allgemeine und gewagte Urteil über eine große Vielfalt von Individuen, Gemeinschaften und Konfessionen gerechtfertigt ist. Noch spannender finde ich die Frage, ob man sich um eine solch existenzielle Erfahrung überhaupt drücken kann. Wenn ich mich mit Menschen unterhalte, die ähnlich Dinge erlabt haben, dann scheint mir, dass sie sich das nicht aussuchen und dass auch alle Versuche, es zu verhindern, aussichtslos waren.

Ist Rollins‘ selbsternannte Pyro-Theologie also eine postmoderne Form von Ikonoklasmus, mit dem er jede Vorstellung anfällt, von der er befürchtet, sie könne irgendeine Form von Gewissheit und Trost vermitteln? Und ist sie darin nicht, wie die Verachtung des Volksglaubens durch die radikalen Reformatoren (die Bilder und Kunstwerke in den Kirchen pauschal als „Götzenkult“ diffamierten) am Ende vielleicht auch eine Form von elitärer Bevormundung anderer, für die man sich mancher Dinge ganz erstaunlich gewiss sein muss? (Jason Clarks engagierter Widerspruch wäre dann das postmoderne Pendant zu Luthers Invokavitpredigten)

Warten wir mal ab, was das vierte Kapitel bringt.

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2 Antworten auf „Insurrection (3): Postmoderner Ikonoklamus?“

  1. Ich fürchte, ich werde das Buch nie lesen. Es kann nämlich unmöglich so spannend sein wie deine Posts darüber. Einfach gut…

  2. Vielen Dank für deine anregenden Reflektionen. Ich muss zugeben, dass ich sehr unkritisch durchgehuscht bin und mich deine Fragen nun zu einer neuen Auseinandersetzung bringen.

    Da du auf die Reformatoren anspielst…
    Die Vorstellung einer so neuen Denkweise – die alles bisher dagewesene ins rechte licht rückt – gab es da ja auch schon. Nicht nur die Radikalen unter den Reformatoren waren beeindruckend polemisch gegen die altgläubigen.
    Die studierten Vorreiter der Reformation wurden auch zur Visitation in die Gemeinden gesandt und haben feststellen müssen, dass die Ortspfarrer wenig bis gar nichts von dem neuen Gedankengut beeindruckte. Das Volk und die „einfachen“ Pfarrer waren den Theologen suspekt.

    Pete’s PyroTheologie hat auch diesen „neue Erkenntnis – begreifts endlich“ Charakter. Ich glaube nicht, dass er Gewissheit wünschenswert findet. Trost findet sich doch möglicherweise in der Entsprechung des Zweifelnden mit Christus am Kreuz von der Rollins oft spricht.

    Die reformatorische Erkenntnis war ebensowenig neu wie nun die Dekonstruktion. Der gnädige Gott wird auch von Juden und Muslimen vor Luther angebetet. Den deus-ex-machina haben auch andere entlarvt.

    Vielleicht stehen hier Post-Modernen gegen die modern Glaubenden wie dort Reformatoren gegen die Altgäubigen.

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