Frauwillige Selbstkontrolle, oder: mit St. Patrick dem Zwang zur Perfektion trotzen

Ich kam letzte Woche nicht mehr dazu, auf dieses Interview des SZ-Magazins mit der britischen (schottischen!) Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie hinzuweisen. Sie spricht davon, dass Frauen in der neoliberalen Gesellschaft anders unter Druck stehen als in traditionellen Umgebungen, und dass diese neuen Anforderungen und Erwartungen ebenso verinnerlicht werden wie frühere Klischees und Rollenbilder, und wie das alles unter einer Schicht Ironie halbherzig relativiert wird, im Grunde aber doch ungebrochen gilt. Den folgenden Satz fand ich sehr erhellend (und so schrecklich weit sind Männer von diesen Dingen auch nicht entfernt, wie mir scheint), weil sie zeigt, wie verdeckt und zugleich  hier Macht und Ansprüche wirken

Im Gegensatz zu Männern müssen Frauen darüber hinaus noch sich selbst und allen anderen ständig beweisen, wie perfekt sie sind. Sie haben es verinnerlicht, sich den ganzen Tag zu fragen: Bin ich schön genug, dünn genug? Ihre Selbstkontrolle ist strenger als jede Kontrolle von außen. Damit sind sie die perfekten Mitglieder einer neoliberalen Gesellschaft.

[…] Einer der Wege, wie Macht heutzutage wirkt, wie sie die Menschen durchdringt und kontrolliert, ist die Selbstbeurteilung: Frauen beobachten und beurteilen sich ständig selbst – aber auch die Frauen um sie herum. Sie stehen in Konkurrenz. Diese Kontrolle stärkt gleichzeitig das Stereotyp, dass Frauen eben nicht solidarisch untereinander sind, sondern boshaft und zickig. Ich glaube, nur durch eine gemeinsame Politik, durch ein gemeinsames Wir-Gefühl, kann diese Selbstbeurteilungskultur durchbrochen werden.

Und so funktioniert diese freiwillige Selbstkontrolle unter den Leistungsbereiten und Aufstiegswilligen, während all jene mit Missbilligung und Argwohn betrachtet werden, die sie verweigern – die „gefallenen Frauen“ von heute sind die, die nichts (oder nicht genug) aus sich machen:

Die neoliberale Gesellschaft bestraft Frauen, denen das Management ihres Lebens nicht gelingt: die alleinerziehende Mutter; die Frau, die Kinder von verschiedenen Männern hat; die Frau, die nicht arbeitet und auf Kosten anderer lebt. Und natürlich die Frau, die nicht auf sich achtet oder nicht das Beste aus sich macht.

Bei Männern würde man von Losertypen reden, allerdings müssen die sich schon viele Unvollkommenheiten leisten, um in dieser Schublade zu landen. Sieben Wochen ohne Runtermachen, so heißt die aktuelle Fastenaktion passenderweise, sind bestimmt ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auch da liegt erst einmal die Verantwortung bei jeder und jedem einzelnen. Das „Wir-Gefühl“ und die „gemeinsame Politik“ zur Überwindung der Selbstbeurteilungskultur kommt nicht von selbst. Manchmal habe ich den Eindruck, Christen versuchen sich durch noch rigorosere Selbstbeurteilungen abzuheben anstatt das zu tun, was die Lehre von der Rechtfertigung uns eigentlich anbietet: dankbar und fröhlich auf alle Perfektion zu pfeifen.

Weil heute St. Patrick’s Day ist, schließe ich mit einem Zitat aus seinem Bekenntnis. Der Mann war sich seiner offensichtlichen Defizite schmerzhaft bewusst, aber er ließ sich von ihnen nicht abhalten, Großes zu vollbringen. Seine irisch-rustikale Art hat tausendfach Nachahmer gefunden. Wer ein grünes Getränk zur Hand hat, darf dem Heiligen heute dankbar zuprosten.

Ich war noch jung, ja fast noch ein unmündiges Kind, als ich in Gefangenschaft geriet, und noch wusste ich nicht, was ich suchen und was ich meiden sollte. Dafür schäme ich mich bis heute und ich habe größte Hemmungen, meinen Mangel an Bildung offenzulegen, denn ich vermag mich nicht sprachgewandt in der geforderten Kürze auszudrücken, so wie ich es vom Verstand und vom Herzen her gerne würde, und so, dass der Sinn meiner Worte dem entspräche, was ich sagen möchte.

Aber selbst wenn mir gegeben wäre, wie es anderen gegeben ist, ich könnte nicht schweigen, weil ich Dank sagen will. Mag ich manchen auch angesichts meiner Unwissenheit und lahmen Zunge überheblich erscheinen, so steht es doch geschrieben, dass die Zungen der Stammelnden schnell lernen werden, von Frieden zu sprechen. Um so mehr müssen wir es versuchen, als dass wir, wie es heißt, ein Brief von Christus sind, um das Heil bis an die Enden der Welt zu tragen. Und wenn dieser Brief auch nicht wohlfeil verfasst worden ist, so ist er doch aufrichtig und mit fester Überzeugung in eure Herzen eingeschrieben, nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes. Und der Geist selbst bezeugt es ja auch, dass die Schlichtheit des Ackers vom Allerhöchsten geschaffen worden ist.

Share