Deutsch zum Abgewöhnen: „Zeitnah“

Wie konnten wir uns eigentlich alle verständlich machen, als es das Kompositum „zeitnah“ noch nicht gab? Wie kamen wir nur klar mit solch kurzen, schlichten und eleganten Wörter wie „bald“, „schnell“, „eilig“ (oder sogar „unverzüglich“, „sofort“), die der Zeit ihr eigenes Reich lassen?

Die Zeit ist ja das gerade nicht, was „nah“ gewöhnlich ausdrückt, nämlich eine weitere Funktion des Raumes, ein Abschnitt auf einem Maßband, einem Lineal, einer Landkarte; lieber Immanuel Kant, wir brauchen nur heute noch eine transzendentale Kategorie.

„Zeitnah“ ist die Sprache der Projektplaner und Businessgrafiker, die ihre Wirklichkeit in Charts einsperren und mit ominösen Deadlines drohen. Es ist die Sprache der an Zeit chronisch Armen, der Ungeduldigen, der Beschleuniger, der Hektiker.

Wenn wir also das nächste Mal „Seht die gute Zeit ist nah“ singen, freue ich mich darüber, dass es noch nicht heißt, „das Gute kommt zeitnah“. Denn da geht es nicht um Termindruck, sondern um Verheißung und Erwartung. Keine Deadline, kein terminus, sondern ein neuer Anfang.

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5 Antworten auf „Deutsch zum Abgewöhnen: „Zeitnah““

  1. Ich mag „zeitnah“ auch nicht, würde das aber entspannt sehen. Denn vielleicht sind nicht nur die „Businesskasper“ (wie trupdeo_glastic sie liebevoll nennt) daran schuld, sondern auch ein bisschen wir Naturwissenschaftler. Denn wir waren doch diejenigen, die angefangen haben, Raum und Zeit in der „Raumzeit“ zu vereinheitlichen (z.B. im Minkowski-Raum, https://de.wikipedia.org/wiki/Minkowski-Raum).

    Und auch sprachlich liegen Raum und Zeit schon immer „eng beieinander“ (haha). Die Etablierung des Wortes „zeitnah“ mag zwar noch nicht so lange zurück liegen (schon wieder…), aber neu ist das alles nicht. Etwas liegt „vor“ oder „nach“, es gibt den „Vorsprung“, sowohl Zeit als auch Raum kann sich „ausdehnen“, und das Wörtchen „wo“ kann in Relativsätzen durchaus temporal verwendet werden. „Seht die gute Zeit ist nah“ hast du selbst zitiert.

  2. * dem von mir aus gesehen jetzigen Zeitpunkt nah *
    Wie wär’s mit dem gut gemeinten Versuch, das böse egozentrische Wort zu verstehen?

      1. Mehrwert? Die Sprache der Projektplaner und Businessgrafiker… 😉

        Hast aber völlig recht mit deinem Kommentar, oft bringen Wörter ja wenigstens ein leichte Bedeutungsverschiebung oder -erweiterung zu vorhandenen Begriffen. „Zeitnah“ ist völlig redundant.

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