Der Wunsch, andere zu bestrafen

Ich komme ins Gespräch mit einem älteren Herrn. Er erzählt von seiner Kindheit im Krieg und vom Wirtschaftswunder. Die Nazis kamen nicht gut weg in seiner Erzählung, daher überrascht es mich, als er plötzlich sagt, Hitler habe ja auch manches richtig gemacht. Und dann geht es los: Früher habe es keine Arbeitslosen gegeben, die seien ja alle faul und gehörten in den Arbeitsdienst. Und dann würden sie auch noch kriminell. Überhaupt: Für Vergewaltiger und Terroristen müsse es die Todesstrafe geben. Aber unser Staat lasse diese Verbrecher ja nach ein paar Monaten alle wieder laufen. Ich werfe ein paar Argumente gegen die Todesstrafe und für unser Justizsystem ein und erkläre, dass ich Arbeitslose weder mehrheitlich noch grundsätzlich für faul halte. Keine Reaktion. Sachlich ist hier kein Land zu gewinnen.

Ich versuche, ihn zu verstehen. Ist es die Angst vor Alter, Gebrechlichkeit und Tod, die die Vergangenheit in einem rosigen Licht erscheinen lässt und den Blick auf die Gegenwart nun zunehmend düster einfärbt? Mag sein, dass das eine Rolle spielt. Vor allem aber frage ich mich: Woher stammt eigentlich dieses übermächtige Bedürfnis, andere zu bestrafen – Gruppen und Klassen von Menschen zu finden, die man als Abschaum abstempeln und an denen man seine Rachephantasien auslassen und den angestauten, aber nie richtig eingestandenen Frust abreagieren kann?

Rührt die schleichende Weltuntergangsstimmung, die ich wahrnehme, daher, dass seine Welt – die alte Bundesrepublik mit ihrer Stabilität, Berechen- und Überschaubarkeit, der intakte Sozialstaat – tatsächlich schon untergegangen ist? Aber es regiert eben nicht die Trauer, sondern der Zorn. Vielleicht hat er dies eine sogar gemein mit den Terroristen, die alle „erschossen gehören“: Er fühlt sich in unserer Welt fremd und bedroht. Er kann sich nur gewaltsame Lösungen vorstellen. Und nachdem er nicht mehr viel Hoffnung für sich persönlich hat, ist es ihm eigentlich auch egal, wenn die Rückkehr zur alten Ordnung ein paar mehr Menschenleben kostet. Wenn man in diesen apokalyptischen Kategorien von Verfall und Überflutung denkt, dann ist man wohl nicht mehr so zimperlich. Wenn man selber gefühlt untergeht, warum sollten es andere dann besser haben?

Ja, und nun gibt es eine Partei, die seinen Zorn (und den vieler anderer) in Politik umsetzen möchte. Die nicht interessiert ist an komplexer und sauberer Ursachenforschung, sondern am schnellen Zuschlagen. Weil sich im Ausleben des Zorns wenigstens die Illusion von Macht erzeugen lässt. Für das unvermeidliche Scheitern und den daraus resultierenden Zusammenbruch wird man schon rechtzeitig einen neuen Sündenbock auftreiben.

Kyrie Eleison.

Share

3 Antworten auf „Der Wunsch, andere zu bestrafen“

  1. Das erinnert mich an das, was Walter Wink unter dem Begriff „erlösende Gewalt“ beschreibt: ‚der Glaube, dass Gewalt ( in diesem Fall Strafe) rettet, dass Krieg Frieden bringt, dass Macht Recht schafft.‘
    Dass Unrecht nicht durch Macht und Gewalt in Recht verwandelt werden kann, sondern nur durch Versöhnung von Tätern und Opfern untereinander und mit Gott, ist nur schwer auszuhalten und erfordert völlig neue Ansätze. Da kann man (ich) nur beten.

  2. Ich denke es spielt auch eine Rolle, dass Schuld und Ungerechtigkeit heute an so vielen Stellen „institutionalisiert“ ist, also nicht mehr einzelnen Personen oder Handlungen zugeordnet werden kann. Man findet kaum noch „Schuldige“ sondern trifft auf eine riesige Wand hochkomplexer Zusammenhänge und Systeme. Das schürt Wut, weil man sich nicht mehr im konkreten auseinandersetzen kann, sondern mit seinem Unrechtsempfinden weitestgehend sich selbst überlassen bleibt.
    Wenn man dann mal irgendwo tatsächlich auf etwas trifft, was man eindeutig als „schlecht“ identifiziert hat, dann steigt der Bedarf wenigstens hier mal „etwas tun“ zu können. Merke ich leider auch bei mir selbst.

Kommentare sind geschlossen.