Der Preis der Angst

Zehn Jahre nach dem 11. September attestierte diese Woche der Politikwissenschaftler Dominique Moisi den Amerikanern im Interview mit der Süddeutschen eine „Kultur der Angst“, eine Erkrankung des öffentlichen Klimas und politischen Lebens:

Amerika ist kränker als gedacht, die Gesellschaft gespaltener als befürchtet. Und Barack Obama wohl auch nicht so außergewöhnlich, wie viele gehofft haben.

Politisches Kapital aus der Angst wollen vor allem die Republikaner schlagen. Wer die Paranoia nicht mitmacht, gilt schnell als Verräter. Den Preis zahlen die Bürger, wie die Financial Times konstatiert: Rache ist nämlich teuer. Und die zockenden Investmentbanker sind insgesamt gesehen gefährlicher als Terroristen.

Gleichzeitig berichtete das ZDF, dass die berüchtigte und viel strapazierte „German Angst“ auf dem Rückzug sei, auch wenn es weiterhin Besorgnis erregende Entwicklungen in der Welt gibt. Unsere Landsleute sind so optimistisch wie seit 10 Jahren nicht mehr, trotz Fukushima, Schwarzgelber Tristesse und Schuldenkrise. Die Vereinigten Staaten der Angst liegen jedenfalls nicht zwischen Rhein und Oder.

Und um allen Kulturpessimisten noch etwas mehr Wind aus den Segeln zu nehmen, haben neueste Untersuchungen ergeben, dass bei uns auch die Geburtenrate gestiegen ist – auf 1,6 Kinder pro Frau. Deutschland schafft sich nicht ab. Aber vielleicht eben seine (notorische?) Angst. Wenn wenigstens hier niemand mehr politisches Kapital daraus schlagen kann, ist das für alle gut.

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3 Antworten auf „Der Preis der Angst“

  1. Also von Sarrazin halte ich nix, aber wenn ein Anstieg der Geburtenrate auf 1,6 mit „Deutschland schafft sich nicht ab“ kommentiert wird, ist das Unsinn. Geburtentechnisch „schafft“ sich Deutschland „ab“, solange die Rate unter 2 liegt. genau genommen muss sie sogar noch etwas höher sein, um Kindersterblichkeit zu kompensieren.

    Ein Anstieg auf über 2 ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, also „schaffen“ wir uns weiter ab.

  2. Quasi Obamas Replik auf Moisi: «Diese vergangenen zehn Jahre haben bewiesen, dass Amerika sich nicht der Angst ergibt. Wir leben immer noch in Wolkenkratzern, unsere Stadien sind weiterhin mit Fans gefüllt und unsere Parks sind voll mit spielenden Kinder.»

    Das mit der deutschen Angst: dein Wort in Gottes Ohr! 😉 Mir macht sie immer noch Angst, die deutsche Angst. 😉 Deutsche Vernunft wäre mir z.B. im Umgang mit den AKWs lieber gewesen. Dann hätte es vor zwei Jahren nicht den Ausstieg aus dem Ausstieg gegeben und nun nicht den fast nicht zu finanzierenden Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg. Vernünftige Gründe nicht auf AKWs zu setzen gab es es auch vor Fukushima, wurden aber belächelt.

  3. @Helmut: Wir schrumpfen vielleicht, „Abschaffen“ ist definitiv das falsche Wort.

    @Markus: Ja, das war etwas enttäuschend von Obama, oder vielleicht auch entlarvend, dass er denkt, sein Land verträgt die Wahrheit über sich selbst (noch?) nicht. Und der Grund, warum ich so froh bin, wenn nicht mehr ständig von „German Angst“ gefaselt wird, ist genau das, was Du beschreibst: Bei manchen unverantwortlichen Projekten darf man Kritiker nicht so abbügeln, wie es die derzeitige Regierung letztes Jahr noch getan hat.

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