Zu schnell beleidigt?

Gestern hatte ich es mit den Franken, heute geht es um die Deutschen insgesamt: Die Welt interviewt Margarete Mitscherlich zu ihrem 90. Geburtstag. Die hat schon immer gern gestichelt und provoziert und findet, die Deutschen nehmen sich zu ernst und haben keinen Sinn für Ironie wie ihn Engländer oder Skandinavier kennen. Vielleicht, so spekuliert sie, hätte Hitler dann gar nicht landen können bei den Deutschen. Wäre das auch in Tipp zum Umgang mit Neonazis, Menschen zu zeigen, dass sie doch mehr zu lachen haben, als sie vielleicht meinen (und wie albern die Rechten sich gebärden)?

Dass die alte Dame wohl ins Schwarze getroffen hat mit ihrer Kritik, beweist schon das weitgehend humorfreie Hickhack in den Leserkommentaren zu dem Interview. Hier der entscheidende Passus aus dem Interview:

Ich weiß nur, dass die Deutschen seit Jahrhunderten schnell beleidigt sind. Wären sie ironiefähiger, hätte es den Nationalsozialismus nie gegeben, weil niemand Hitler ernst genommen hätte. Der Nationalsozialismus wollte nicht sehen, dass der Mensch nie total gut oder böse ist. Die Deutschen gehen nicht selbstverständlich mit Ambivalenzen um, sie wissen kaum, dass Würde auch etwas Komisches hat. In Deutschland gab es immer oben und unten, selten ein Dazwischen, politisch gesprochen eine Demokratie. Und es nimmt sich noch immer zu ernst.

Was meint Ihr: Hat sie Recht – und stimmt das heute auch noch?

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Spruch zum Sonntag: Die Fragen leben

Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke an Franz Kappus, 16. Juli 1903


 Wikipedia Commons 0 03 Rainer Maria Rilke

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Wahrheitsfanatiker

Bonhoeffer (Ethik, S. 388) kannte unsere Medienlandschaft noch nicht, aber sie hätte ihm wohl kaum überrascht:

Es ist der Zyniker, der unter dem Anspruch, überall und jederzeit und jedem Menschen in gleicher Weise “die Wahrheit zu sagen”, nur ein totes Götzenbild der Wahrheit zur Schau stellt. Indem er sich den Nimbus des Wahrheitsfanatikers gibt, der auf menschliche Schwachheiten keine Rücksicht nehmen kann, zerstört er die lebendige Wahrheit zwischen den Menschen. Er verletzt die Scham, entheiligt das Geheimnis, bricht das Vertrauen, verrät die Gemeinschaft, in der er lebt, und lächelt hochmütig über das Trümmerfeld, das er angerichtet hat, über menschliche Schwäche, die “die Wahrheit nicht ertragen kann”. Er sagt, die Wahrheit sei zerstörerisch und fordere ihre Opfer, und er fühlt sich wie ein Gott über den schwachen Kreaturen, und weiß nicht, dass er dem Satan dient.

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Die drei “R” in “Terror”

Die Politikwissenschaftlerin Louise Richardson, als Katholikin in Nordirland aufgewachsen und nun Harvard-Dozentin und Leiterin des Radcliffe Institute for Advanced Study, ist in Interviews und Planspielen der Logik von Terroristen verschiedenster Couleur auf den Grund gegangen, berichtet die FAZ. Sie unterscheiden sich praktisch kaum von normalen Menschen in Denken und Erscheinung: Sie sind weder verrückt noch amoralisch. Daher ist es auch nicht immer klug, das Gespräch mit ihnen kategorisch abzulehnen.

Im Gegensatz zu friedlichen Revolutionären äußern ihre Führer aber nur schwammige, unpräzise Zukunftsvisionen. So sind es schließlich drei Faktoren, die Terroristen kennzeichnen: Rache für ein vermeintliches oder tatsächlich erlittenes Unrecht zu nehmen, durch den unbeugsamen Kampf schließlich Ruhm zu erlangen, notfalls auch erst postum, und den Gegner zu einer Reaktion zu zwingen – irgendeiner Reaktion, möglichst drastisch natürlich. Wenn die USA oder “der Westen” ihnen wie im Fall von Al Qaida militärisch den Krieg erklärt, dann bekommen sie, was sie wollten.

Richardson hält weitere Anschläge vor allem in Europa für extrem wahrscheinlich. Aber sie ist auch überzeugt davon, dass wir die Kraft haben, den Terror zu überwinden. Christen können sicher einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Angst zu überwinden, gewaltfrei zu leben, und für Versöhnung zwischen Opfern und Tätern zu arbeiten. Und vor allem: Bessere Zukunftsvisionen zu entwickeln und zu verbreiten.

Ein Interview mit Richardson gibt es – auf Englisch – hier als mp3.

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Tödlicher Machtrausch

Die Zeit beleuchtet den Hintergrund des Doppelmords im mecklenburgischen Tessin und zeichnet ein behutsames, aber gerade deshalb um so erschreckenderes Portrait des Haupttäters Felix D., für dessen Eltern im Januar 2007 eine Welt zusammenbricht:

Felix. Der intelligente Junge, der erfolgreiche Gymnasiast, der wohlerzogene Sohn, der jedermann höflich grüßte. Er war keiner von jenen Tunichtguten, die ihren Eltern schlaflose Nächte bereiten. (…) Nie hatte die Polizei Felix irgendwo aufgreifen und nachts nach Hause bringen müssen, nie war er laut oder hinter Mädchen her gewesen, nie hatte er gepöbelt oder sich geprügelt. Er trank nicht, er klaute nicht, ging selten auf Partys. Rauschgift, Motorradgangs oder andere jugendliche Verirrungen, mit denen viele Eltern über Jahre zu kämpfen haben, blieben den D.s erspart. Ihr Felix war anders: verlässlich, vernünftig, verantwortungsvoll. Ein guter Bursche, ein zuversichtlicher Ausblick in die Zukunft. Jedenfalls bis zum 13. Januar 2007 – da nämlich lagen gegen 22 Uhr zwei blutüberströmte Leichen im Backsteinhaus Dorfstraße 22. Niedergemetzelt mit Küchenmessern. Von Felix, dem Musterknaben.

Wer den langen Artikel zu Ende lesen will (was ich sehr empfehle!), klickt hier.

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Unglückliche Signale

Ich bekam vor einer Weile den Rundbrief einer christlichen Familie, die seit einigen Jahren in einem missionarischen Projekt arbeitet. Keine ganz einfache Situation, aber sich schlagen sich tapfer. Inzwischen sind die Kinder in der Schule und eines davon sollte im Unterricht Harry Potter lesen. Worauf hin die Eltern aus religiösen Gründen ihr Veto bei der Lehrerin einlegten. Die Schule gab nach, aber es gab doch erhebliches öffentliches Aufsehen. Sie standen als Fundamentalisten in der Kritik.

Dieser Vorwurf trifft sie nun nicht ganz zu Unrecht – man muss Harry Potter wirklich nicht so verstehen, das Genre Fantasy nicht für bare Münze nehmen. Damit will ich nicht alles schön reden, die Bücher haben auch ihre Schwächen, und obwohl sie dicker werden, wird die Story (leider) kaum noch besser. Doch das liegt für mein Empfinden an anderen Dingen als der “Magie”. Wir hatten dieselbe Sache in Grün mit der “kleinen Hexe” vor ein paar Jahren in unserer Gegend. Aber das ist eben ein typisches Merkmal fundamentalistischer Denkstrukturen, dass sie nur “wahr” und “falsch” denken können, und dass für Lyrik, Metaphern und Phantasie kein Raum ist.

Was nun nicht heißen soll, dass diese Christen auf einer Linie mit religiösen Gotteskriegern liegen und eine fromme Diktatur planen. Das sind sie ganz sicher nicht. Und gerade deswegen ist aber alles, was nach Zensur riecht, so ein unglückliches Signal.

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Ganz Shane direkt…

Ich lese immer noch Shane Claiborne, und die innere Unruhe nimmt zu. Vielleicht liegt hier eine Antwort auf die Frage von neulich nach den sozialen Wundern. Und auf Simons Post zum Umgang mit Bettlern.

Es passiert schnell, dass christliche Organisationen zum Abklatsch säkularer Organisationen werden, die die (…) säuberliche Trennung von Arm und Reich beibehalten, die nur noch den Austausch von Waren und Diensten organisieren und professionalisieren, um sicherzustellen, dass die Reichen nicht direkt mit den Armen konfrontiert werden und die Machtverhältnisse ins Rutschen kommen.

(…) Fast jedes Mal, wenn wir mit wohlhabenden Leuten darüber sprechen, dass Gottes Wille auch darin besteht, Armut abzuschaffen, sagt irgendwer: “Aber hat Jesus nicht gesagt: »Arme wird es immer bei euch geben«? Viele von denen, die diesen Satz zücken, haben überhaupt keine Berührungspunkte zu irgendwelchen Armen und meinen sich daher verteidigen zu müssen. Ich frage sie in der Regel dann ganz vorsichtig: ”Wo sind die Armen? Sind die Armen »bei uns«?“

Shane Claiborne, Ich muss verrückt sein, so zu leben

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Herausfordernde Ferienlektüre

Ein Tipp von Dirk hat mich auf Shane Claibornes Buch Ich muss verrückt sein, so zu leben. Kompromisslose Experimente in Sachen Nächstenliebe gebracht und Tony Campolo hat mich darin bestärkt, er kennt Shane noch von dessen Zeit an der Eastern University und hält ihn für eine neuzeitliche Ausgabe des Franz von Assisi – nach allem, was ich sehe, mit gutem Grund: er betont die Verantwortung für die Armen und propagiert ein “neues Mönchtum”. Tony erzählte, dass Shane sich sein fünfstelliges Honorar als Konferenzredner schon mal in 5-Dollar-Noten auszahlen lässt, die am Ende im Publikum verteilt mit der Auflage, nochmal 10 drauf zu legen und damit einem Armen zu helfen.

Das Buch liest sich sehr flott und ich hatte schon nach einer guten Stunde 100 Seiten hinter mir, die es in sich hatten. Irgendwie stoße ich zurzeit ständig auf die Frage nach den Armen. Shanes Geschichte macht Hoffnung auf Veränderung. Hier ein kleiner Appetizer:

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„Herausfordernde Ferienlektüre“ weiterlesen

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Sonntags-Weisheit

Gottes Führung ist kein Gimmick, das wir zum eigenen Vorteil aufdrehen können. Sie ist nicht dazu da, damit wir unsere Konkurrenten besiegen. Wir können sie nicht herbeirufen, um Wetten auf Fußballspiele oder Pferderennen zu gewinnen oder zu beweisen, dass etwas theologisch unrichtig ist. Obwohl sie jedem Menschen offen steht, der mit Gott auf dem Weg ist, ist sie für uns nicht beliebig verfügbar wenn wir dabei die Ziele von Gottes Herrschaft nicht mehr im Blick haben. Und das sollte sie auch nicht, denn das wäre sehr gefährlich.

Dallas Willard, Hearing God, S. 70

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Spruch der Woche

Es gibt nur ein Ziel – das Reich Gottes. Es gibt nur einen zentralen Bezugspunkt – Jesus, den König. Und es gibt nur einen geschichtlichen Brennpunkt – die Armen und Machtlosen.

Emilio Castro

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Foto © Igor Sperotto

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Zum Schmökern am Wochenende

Scot McKnight über pauschale Kritik an diesen wie jenen Gemeindeformen, vor allem aber ganz begeistert von der neuen “Vision” von Bill Hybels für Willow Creek.

Ein preisgekrönter Artikel im SZ-Magazin über das schwere Leben unter (im doppelten Wortsinn) den Reichen am Starnberger See.

Pater Anselm Grün ist Stalking-Opfer – eine 60jährige Lehrerin stellt ihm nach. Sachen gibts…

Nur im Druck: Die aktuelle Ausgabe von Aufatmen enthält einen Artikel von Jens Stangenberg mit dem Titel “Spirituell, aber nicht religiös” und Heinrich C. Rust fragt mit einem weiteren Beitrag nach der Gestalt des Christentums in der Postmoderne. Auf der Rückseite dann kommt Mutter Teresa zu Wort – kurz und knackig genug, um es abzutippen, und vor allem tief genug, um ein paar Tage drüber zu meditieren:

Zuerst denken wir über Jesus nach – und dann gehen wir hinaus, um herauszufinden, wie er sich verkleidet hat.

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Merton für Blogger

Wenn ein Tagebuch für die Veröffentlichung geschrieben wird, dann kann man Seiten herausreißen, verbessern, richtig stellen, kunstvoll schreiben. Wenn es eine persönliche Urkunde ist, türmt sich jede Veränderung zu einer Gewissenskrise und zu einem Geständnis, nicht zu einer künstlerischen Verbesserung. Wenn das Schreiben eine Angelegenheit des Gewissens und nicht der Kunst ist, ist das Ergebnis eine unverzeihliche Verwirrung.


“Thomas Merton, Der Mönch der sieben Stufen” (Thomas Merton, Patrick Hart, Jonathan Montaldo)

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Traurige Nachrichten

Die Türkei bleibt ein schwieriges Pflaster für Christen: Nach dem Mord an einem Priester als Reaktion auf den Karikaturenstreit und einem gescheiterten Bombenanschlag gegen den Kirchenratsvorsitzenden von Midyat im März sind nun drei Mitarbeiter eines Bibelverlags grausam ermordet und ein vierter schwer verletzt worden. Einer der Toten ist Deutscher. Und obendrein berichtete idea gestern von einem weiteren brutalen Mord an einem Christen in Kaschmir, der vermutlich auf das Konto von Islamisten geht.

Im aktuellen Fall gab es wohl Drohungen von Rechtsnationalisten, die Missionaren vorwerfen, die nationale Einheit der Türkei zu gefährden. Angesichts der geringen Zahl von Christen dort ein absurder Vorwurf, aber wie immer kann man Einheit auch dadurch beschwören, dass man gegen einen vermeintlichen Feind Front macht.

Was ist jetzt die angemessene Reaktion von Christen hier bei uns:

  • Beten für die Mitchristen in der Türkei? Bestimmt.
  • Proteste bei der Regierung in Ankara bzw. der Botschaft in Berlin? Man darf schon fragen, was trotz guter Stimmung beim Papstbesuch von offizieller Seite unternommen wurde, um Ressentiments gegen Christen abzubauen.
  • Neue Diskussionen über das (ambivalente?) Verhältnis des Islam zur Gewalt? Vielleicht, wenn wir Christen nicht geschichtsvergessen da hinein gehen. Zu oft gab es die unseligsten Legitimierungen von Repression oder gar “gerechtem” Krieg gegen Andersdenkende, als dass wir hier allzu oberlehrerhaft daher kommen könnten.

Aber nur verschämt (oder ängstlich? gleichgültig?) stillhalten, das kann es ja wohl nicht sein. Was fällt Euch ein?

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Bloggermythen

Blogger sind ungepflegte, übergewichtige Nerds, die an einer obskuren Gegenöffentlichkeit basteln und dabei ziemlich irrelevantes Zeug von sich geben. Das sind kurz gefasst die Mythen, die zu widerlegen der Bamberger Kommunikationswissenschaftler Jan Schmidt gestern beim Bloggerkongress re:publica 07 in Berlin antrat.

Bin ich erleichtert, dass wir nun von diesem Verdacht befreit sind! Warum die Klischees nicht stimmen und was A-List (nicht die von Mike…)und Long Tail ausmacht, das könnt Ihr hier lesen.

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