Insurrection (4): Erkennen, was ich weiß

Freitag und Samstag habe ich mich auf dem Netzwerktreffen „Ecclesia Attractiva“ der AMD im Wuppertal aufgehalten und eine ganze Reihe sehr interessanter Menschen und Initiativen kennengelernt. Frost und Hirsch würden sich, wenn sie nicht noch am Leben wären, bei dem Titel zwar im Grab umdrehen, aber es war keineswegs alles „attractional“, was dort zur Sprache kam.

Schauen wir nun aber dem talentierten Mr. Rollins weiter über die Schulter bei seiner Apotheose des Zweifels. Mir ist übrigens wieder eingefallen, wo mir der Gedanke schon begegnet ist, dass unser wahres Begehren das Begehren des Anderen ist – er stammt von Jacques Lacan.

Im vierten Kapitel nun ist endlich etwas klarer, worauf er hinaus will. Die letzte Form, die existenzielle Begegnung mit dem Abgrund des Zweifels zu umschiffen, ist der stellvertretende Glaube eines geistlichen Leiters, besonders der des Pfarrers. So lange der hält, kann sich jedes Gemeindeglied Zweifel leisten, ohne in Angst zu geraten, Es ist ja immer jemand da, der die Verbindung offen hält. Strauchelt er aber, dann bricht Panik aus, weil der psychologische Schutz fehlt. Diese Erwartung führt auf Seiten der Leiter dazu, dass sie die eigenen Zweifel verheimlichen, sagt Rollins. Man erfährt davon bestenfalls im persönlichen Gespräch.

Wir weichen der existenziellen Begegnung mit unseren Zweifel auch deshalb so gern aus, weil wir im Grunde schon wissen, was uns da erwartet. Aus demselben Grund also, aus dem wir aufrüttelnde Filmdokus wie An Inconvenient Truth meiden, sagt Rollins. Dann nämlich können wir nicht mehr so tun, als wüssten wir nichts. Wir müssten überlegen, was wir konkret ändern, oder uns dämliche Ausreden suchen und alles beim Alten lassen, oder zugeben, dass uns die Sache (der Klimawandel, die Ungerechtigkeit, Gott, der Nächste) schlicht egal ist.

So weit, so zutreffend. Bissige Fußnote: Es gibt ja durchaus auch Prediger, bei denen man sich wünscht, sie würden mal über irgendetwas anderes reden als nur über ihre nicht so schrecklich interessanten und verdienstvollen Zweifel und Halbherzigkeiten, die ihnen zu allen Knopflöchern herauskommen. Gemeinden, in denen die religiöse Grundstimmung nicht allzu menschlicher Triumphalismus, sondern ebenso menschliche milde Depression und bequeme Verliebtheit ins Scheitern ist. Hat Rollins von denen noch keinen getroffen?

Als ich mich schon langsam fragte, ob wir bei Rollins statt von „wiedergeborenen Christen“ von „wiedergestorbenen“ reden sollten, da bekam er gegen Ende des Kapitels doch noch die Kurve. Erst mit einem Zitat von Kierkegaard, der zwischen Dichtern und Kritikern unterscheidet: Während der eine etwas existenzielle erleidet und daraus seine Kunst gebiert, sieht der andere das unter formalen und ästhetischen Gesichtspunkten, bleibt aber teilnahmslos. A/Theismus – den Begriff benutzte Rollins schon in How Not To Speak of God – heißt dann nicht, den Glauben inhaltlich zu entleeren oder zu bestreiten, sondern ihm die Funktion als Schutzmechanismus gegen das Leiden an und mit Gott in dieser Welt zu nehmen.

Am Ende nimmt Rollins Bezug auf Mutter Theresa und ihren jahrzehntelangen Kampf mit der Abwesenheit Gottes. Er zitiert aus einem ihrer Briefe und erwähnt dann, dass sie diese Zweifel zwar existenziell erlitten hat, aber nie öffentlich thematisierte. Einerseits war ich erleichtert, dass Mutter Theresa Rollins Test auf wahren Glauben (Rechtgläubigkeit wäre ein zu böses Wort) bestanden hatte, andererseits fragte ich mich unwillkürlich, ob sie nicht genau das gemacht hatte, was Rollins zu Beginn des Kapitels so kritisiert hatte, nämlich nach außen hin an den orthodoxen Formulierungen festhielt, während in ihr für niemand außer ihren Beichtvater erkennbar der Sturm des Chaos tobte. Oder habe ich jetzt schon wieder etwas nicht kapiert?

Share

Insurrection (3): Postmoderner Ikonoklamus?

Das dritte Kapitel von Insurrection hat mich etwas ratlos gemacht. Peter Rollins stellt verschiedene Arten vor, wie Glaube (an den religiösen deus-ex-machina) und Zweifel koexistieren können, ohne dass es ersterem an den Kragen geht:

  • Man kann theologische Lippenbekenntnisse zum Wert des Zweifels und Erfahrungen von Verlust abgeben und parallel an einem Gemeindeleben teilnehmen, das diese Gedanken und Erfahrungen (etwa im Liedgut und der Liturgie) verschweigt und konterkariert,
  • man kann sich von organisierter Religiosität zeitweilig verabschieden, nur um in de nächsten Krise wieder auf sie zurückzugreifen (um den drohenden Sturz in die Angst abzuwenden), subkutan hat man sie jedoch immer behalten,
  • man kann eine indirekte Teilhabe an der heilen Welt des religiösen Glaubens über Ehepartner und Kinder pflegen, während man sich selbst als „nicht religiös“ bezeichnet und gebärdet. Rollins spricht süffisant davon, dass man letzten Endes eine „dunkle Nacht der Seele erleben und dabei alle Lichter an lassen kann.“
  • Einen anderen Umgang mit Zweifeln pflegt man im Fundamentalismus: Hier herrscht das unausgesprochene Gesetz, dass der Zweifel überhaupt nicht thematisiert werden darf. Vorhanden ist er selbstverständlich und führt zu skurrilen Vermeidungsstrategien.

So oder so, meint Rollins, wird die eigentlich nötige existenzielle Verlusterfahrung umgangen, man flirtet (wenn überhaupt) lediglich mit der Vorstellung, ohne ernst zu machen. Quer durch alle kirchlichen Traditionen. Für Rollins bedeutet das: Man drückt sich um das Kreuz, man hat noch gar nicht begonnen, im christlichen Sinn zu glauben.

Die eine Frage wäre, ob dieses sehr allgemeine und gewagte Urteil über eine große Vielfalt von Individuen, Gemeinschaften und Konfessionen gerechtfertigt ist. Noch spannender finde ich die Frage, ob man sich um eine solch existenzielle Erfahrung überhaupt drücken kann. Wenn ich mich mit Menschen unterhalte, die ähnlich Dinge erlabt haben, dann scheint mir, dass sie sich das nicht aussuchen und dass auch alle Versuche, es zu verhindern, aussichtslos waren.

Ist Rollins‘ selbsternannte Pyro-Theologie also eine postmoderne Form von Ikonoklasmus, mit dem er jede Vorstellung anfällt, von der er befürchtet, sie könne irgendeine Form von Gewissheit und Trost vermitteln? Und ist sie darin nicht, wie die Verachtung des Volksglaubens durch die radikalen Reformatoren (die Bilder und Kunstwerke in den Kirchen pauschal als „Götzenkult“ diffamierten) am Ende vielleicht auch eine Form von elitärer Bevormundung anderer, für die man sich mancher Dinge ganz erstaunlich gewiss sein muss? (Jason Clarks engagierter Widerspruch wäre dann das postmoderne Pendant zu Luthers Invokavitpredigten)

Warten wir mal ab, was das vierte Kapitel bringt.

Share

Insurrection (2): Gott verlieren?

Wir hatten zum ersten Kapitel schon eine muntere Diskussion und inzwischen ist Jason Clarks Kritik zu Insurrection erschienen. Ich habe sie nur kurz überflogen, wer sie lesen möchte, findet sie hier.

Nach dem Einstieg mit einer etwas eigenwilligen Bonhoeffer-Interpretation wendet sich das zweite Kapitel der Frage zu, welche Rolle das Kreuz für den christlichen Glauben spielt. Rollins bietet hier einen Remix aus dem bekannten Diktum von Chesterton, am Kreuz sei Gott für einen Augenblick Atheist geworden, und gewissen Reminiszenzen an Luthers Theologia Crucis, auch wenn dessen Name nirgends erscheint.

Rollins wehrt sich gegen ein „mythologisches“ Verständnis des Kreuzes. Mythen definiert er als sinnstiftende Erzählungen und eine (Re-)mythisierung des Kreuzes heißt für ihn, den Tod Jesu zur bloßen Durchgangsstation zu machen in einer Geschichte, die durch und durch und ohne jeden Bruch sinnvoll ist. Jesu aramäisch geäußerte Klage der Gottverlassenheit ist , weil nicht Hebräisch formuliert (das ist ein recht wackliges Argument) auch nicht als Zitat aus Psalm 22 zu verstehen, so als würde Jesus noch in der Klage über sein Leid an Gott festhalten. Sie geht auch über die in Gethsemane geäußerte Leidensbereitschaft bis zum Märtyrertod hinaus: Für Rollins (und es ist sicher kein Zufall, dass er sich zwischendurch auf Nietzsche bezieht) ist es der Verlust Gottes und des Glaubens selbst, der hier stattfindet.

Rollins bedient sich hier eines berühmten Zitats von Elie Wiesel, der davon sprach, dass Gott im KZ am Galgen gehangen hatte. Es ist allerdings nur der Verlust des Deus Ex Machina, der hier stattfindet, so dass der Platz für den wahren Gott frei wird. Das erinnert an Meister Eckarts „Ich bitte Gott, dass er mich Gottes quitt mache“. Aber ist es so gemeint, im Sinne der mystischen Purgatio? Was mir an dieser Stelle fehlt, ist eine trinitätstheologische Reflexion über diesen Aspekt des Kreuzesgeschehens. Ich habe mich beim Lesen gefragt:

  • Hatte Jesus bis dahin etwa auch eine allgemein-religiöse Vorstellung von Gott, die sterben musste?
  • Wenn ja: Was bedeutet das für das Verständnis seiner vorösterlichen Verkündigung?
  • Hätten wir mit diesem Gedanken dem Kreuz nicht schon wieder einen – wenn auch anderen – „Sinn“ untergejubelt?

Das Kreuz muss für Christen mehr sein als ein Glaubensinhalt. Es geht darum, diesen Verlust Gottes existenziell zu erfahren. Rollins wird an dieser Stelle ausnahmsweise biografisch, wenn auch nicht zur konkreten Erfahrung des Gott-Verlierens. Er spricht von der Notwendigkeit, sich von seinen familiären und damit auch religiösen Prägungen zu befreien. Am Kreuz, sagt er mit Zizek, kann man erkennen, was „Vater [und Mutter] hassen“ in Jesu Sinne bedeutet: Den Verlust der eigenen, ererbten Identität zugunsten einer radikalen Offenheit und Unbestimmtheit. Letztlich sind auch nicht die anderen Menschen, sondern wir selbst unser Kerkermeister: „Wir sind gespaltene Subjekte, die im sich Krieg mit dem befinden, was wir erschaffen haben und was uns erschafft“ (S. 35). Der Deus Ex Machina ist für Rollins ein Teil dieser alten Identität der Entfremdung.

Weitere Fragen bleiben für mich am Ende dieses Kapitels:

  1. Fehlt dem Aufruf zum radikalen Bruch bei Rollins das konkrete Ziel – steht bei Jesus das Verlassen des Alten nicht im Schatten der Ankunft des Neuen? Und ist es nicht der Ruf Christi statt der eigene Entschluss, der diesen Aufbruch erst möglich macht?
  2. Ist die radikale Offenheit nicht eine idealistische Fiktion und ähnelt sie nicht mehr dem Weg des verlorenen Sohnes, der alle Bindungen kappt und seine Identität negativ (Rollins spricht von „Subtraktion“, Miroslav Volf spräche in diesem Zusammenhang vielleicht auch von „Exklusion“) definiert?
  3. Ist der Verlust Gottes für Rollins keine Erfahrung eines schon Glaubenden auf seinem Lebensweg, wie bei Mutter Theresa, Johannes vom Kreuz und anderen (Tomas Halik hat etwas Ähnliches im Leben der Therese von Lisieux beschrieben), sondern der Anfang des eigentlichen Glaubens und die Abkehr vom religiösen Aberglauben und frommen „Heidentum“ eines geordneten, sinnvollen Universums, von dem Rollins sich abgrenzt?

Schauen wir einmal, was die folgenden Kapitel dazu austragen.

Share

Gott – dein größter Fan?

Ich bin auf diesen Gedanken vor einiger Zeit auch schon gestoßen, leider kann ich nicht nicht mehr genau erinnern, wo – bei William Cavanaugh? Nun habe ich es im ersten Kapitel von Pete Rollins‘ Insurrection wiedergefunden. Rollins geht der Frage Bonhoeffers nach einem religionslosen Christentum nach und setzt ein mit der Natur menschlichen Sehnens und Begehrens:

Unsere Beziehungen zu geliebten Menschen sind deswegen so fundamental anders als die zu Gegenständen, weil wir uns nicht nur nach ihnen sehnen, sondern vor allem, weil wir von ihnen (wenn man das mal nicht primär mit sexuellen Konnotationen versieht) begehrt werden wollen. Daher leiden viele auch so schwer unter dem Verlust eines geliebten Menschen, daher leiden aber auch viele unter dem Verlust der Sehnsucht und Anziehung in bestehenden Beziehungen. Damit leben zu lernen, ist wesentlicher Bestandteil des Erwachsenwerdens – schon Kinder merken an ihren Eltern, dass sie nicht (oder nicht immer) der Nabel der Welt sind.

Rollins folgert dann weiter: Aufgrund der Brüchigkeit menschlicher Liebe und der Schwankungen im menschlichen Sehnen und Begehren liegt es nahe, sich Gott als den einen ständig präsenten Zuschauer und himmlischen Fan unseres Lebens vorzustellen, der uns immer im Blick hat und auf dessen Gesicht sich das Schauspiel unseres Lebens ununterbrochen spiegelt. Damit aber läuft man Gefahr, Gott zum Maskottchen zu machen oder zum Lückenbüßer, zur psychologischen Krücke bzw. dem Deus-ex-Machina, der immer dann ins Spiel gebracht wird, wenn wir etwas nicht erklären oder ertragen können. Bei Bonhoeffer hieß es, er taucht immer nur an den Grenzen menschlicher Existenz auf, aber nicht in der Mitte.

Glauben an diesen Gott zu wecken, sagt Rollins, ist gar nicht so schwer, weil die meisten Menschen an so einen Gott glauben wollen. Dennoch bleibt dieser Glaube eben die berühmte psychologische Krücke, die sich nicht von einer nützlichen Illusion unterscheiden lässt, mit der man sich gegen das Verzweifeln an der Sinnlosigkeit des Lebens schützen will. Rollins setzt diesen hohlen Gott mit Pascals „Gott der Philosophen“ gleich, aber der hatte das m.E. anders verstanden und gerade nicht das persönliche Gegenüber, sondern den apathischen Deistengott gemeint.

Richard Rohr würde hier vielleicht sagen, dass wahrer Glaube durchaus mit dem fragwürdigen Gottesbild und einer Portion Egozentrik und Narzissmus beginnen kann, wie das Rollins hier beschreibt, so lange er dabei nicht stehen bleibt. Aber so sind Menschen eben, und da fängt Gott notgedrungen an. Man muss diese Bilder vielleicht ja auch gar nicht widerlegen, sie zerbrechen irgendwann von selbst. Mal sehen, wie Rollins das mit dem wirklichen Gott und dem (echten?) Glauben weiter denkt. Der Untertitel (To Believe is Human, To Doubt Divine) lässt jedenfalls vermuten, dass Rollins mit „believe“ etwas anderes meint als das Neue Testament mit “Glauben“…

Wer gleich weiterlesen möchte, findet bei Daniel Ehniss schon mehr zu Insurrection.

Share

Die Tücken von Bibelübersetzungen

Vor allem ältere Bibelübersetzungen haben zahlreiche Mängel und verzerren den Sinn der Texte hin und wieder. Das erklärt Joel Hoffman in diesem Video und streut noch einige interessante Beobachtungen ein. Ausschlaggebend für richtiges Übersetzen ist eigentlich immer der Kontext. Das beliebte Spiel mit etymologischen Herleitungen führt dagegen oft in die Irre.

Share

„Der Arbeiter ist seines Lohnes wert“

Über diesen Satz in Lukas 10 bin ich neulich gestolpert. Bisher hatte ich das immer so gelesen, dass die „Arbeit“ der ausgesandten Jünger in diesem Kapitel darin besteht, in den Dörfern und Städten Galiläas das Evangelium vom Reich Gottes zu verbreiten, dafür bekommen sie dann auch etwas zu essen. Ihre „Mission“ ist strikt auf Verkündigung beschränkt.

Was aber, wenn der einleitende Satz mit der „großen Ernte“ nicht nur metaphorisch gemeint war und tatsächlich Erntezeit war? Wenn dann jemand als Gast in ein Haus kommt und da einige Tage bleibt, sitzt er vermutlich nicht den ganzen Tage däumchendrehend in der Ecke, während seine Gastgeber auf dem Feld oder im Weinberg rackern. Er geht mit und packt an. Und abends essen dann alle zusammen und erzählen Geschichten.

Der Gast wird zum freiwilligen Erntehelfer und damit nicht zu einer weiteren Belastung ausgerechnet in stressigen Zeiten. So gesehen müssten wir intensiv darüber nachdenken, was das heute bedeuten würde. da sind Familienleben und Arbeit völlig anders organisiert. Aber damit das Evangelium bei manchen Leuten „ankommt“, müssen wir vielleicht wirklich zusammen arbeiten. Nicht unbedingt nur im Sinne von Büro- oder Fabrikalltag, vielleicht auch gemeinnützige „Arbeit“, Bürgerinitiativen, politisches Engagement und ähnliche Dinge. Das findet ja auch oft schon statt. Nur haben wir es bisher nicht immer in Beziehung zu diesem Auftrag Jesu gesetzt…

Share

Kurz und (zu?) knapp…

Erzbischof Zollitsch musste kurz und simpel antworten, als ihn die Kinderreporter des Spiegel befragten. Er tat das durchaus sympathisch und angenehm persönlich, und manchmal kann die Kürze ja auch zu einer gewissen Prägnanz führen. Insofern ist es dann auch interessant, wie direkt seine Antwort auf die Frage, warum Frauen nicht zum Priesteramt zugelassen sind, ausfällt:

Das ist eine Tradition, die es seit Beginn der Kirche gibt. Die kann man nicht einfach so ändern, obwohl manche das gern möchten. Jesus hat damals nur Männer zu seinen Aposteln erwählt. Und die Priester sind ihre Nachfolger.

Das Argument der unumstößlichen Tradition steht auf tönernen Füßen. Immerhin hat man eine andere Tradition, dass Apostel und Priester lange verheiratet waren, vor etlichen Jahrhunderten auch zugunsten des Zölibats geändert, der nun seinerseits als unumstößliche Tradition erscheint. Und die Kritiker dieser Position wollen das ja auch nicht „einfach so“ ändern, sondern auch gutem Grund.

Der begründende Nachsatz zeigt dann schön die ganze Problematik: Erstens ist da der (Fehl?)Schluss vom Sein („Jesus hat…“) zum Sollen („daher können wir nicht“). Verboten hat Jesus ja nicht, das auch anders zu halten. Dass der Jüngerkreis Jesu bunter war, dass die Funktion der Zwölf eine symbolische und nicht primär eine priesterlich-hierarchische war, dass, wie man auch sagen könnte, der Ur-Apostolat – die Botschaft von der Auferweckung – nach einhelligem Zeugnis der Evangelien zuerst gerade Frauen anvertraut wurde, das muss den Kindern dann doch jemand anders erklären.

Share

Fair Kürzen

Vorgestern schrieb mir der Redakteur einer evangelikalen Zeitschrift und fragte, ob ich auf folgende Frage in einem Text von 1.500 Zeichen antworten könnte:

Reicht es, ein guter Mensch zu sein, um in den Himmel zu kommen?

Dazu lautete die Anweisung: „Die Fragen sollten kurz und knapp beantwortet sein, die Feinheit der Frage sowie auch das große Ganze dahinter im Blick behalten.“ Genau die Feinheit der Frage hat mich dazu gebracht, dankend abzulehnen. Aber betrachten wir kurz eben diese Feinheiten. In der vorliegende Form setzt die Frage mehrere Annahmen voraus:

  • Erstens ist das Ziel aller Menschen (oder es sollte es zumindest sein), in „den Himmel“ zu kommen.
  • Das Leben im Hier und Jetzt dient der Qualifikation für die Ewigkeit. Im Gegensatz zur Reinkarnationslehre hat man aber nur einen Versuch.
  • Um im Jenseits auf der richtigen Seite zu landen, muss ein Mensch bestimmte Bedingungen erfüllen („reicht es?“).
  • Glaube und Religion sind dazu da, um Menschen über die korrekten Kriterien zu informieren und die Qualifikation zu ermöglichen.

Bejaht man alle diese Annahmen, dann wird die Antwort wahrscheinlich lauten müssen: Nein, selbst wenn man ein „guter Mensch“ ist, muss man noch das Richtige glauben (Jesus, Bibel, altkirchliche oder reformatorische Bekenntnisse etc.) bzw. der richtigen Religion angehören (und wenn das der Fall ist, darf man sogar kein so ganz guter Mensch sein!), oder wenn man es ein bisschen pietistischer und weniger kognitiv haben will, sagt man dann, dass man Jesus liebhaben muss (und so ggf. von selbst von einem nicht so guten zu einem guten Menschen wird), und dann gibt es noch die sakramentale Variante mit der (man ahnt es schon) richtigen Taufe (unbedingt groß und entschieden oder unbedingt möglichst früh im Leben, um die Gnade nicht durch Zustimmung und Mitwirkung zu kompromittieren) und dem richtigen Abendmahl (unbedingt mit einem Priester, der in der apostolischen Sukzession steht oder unbedingt ohne Alkohol).

Ja, und natürlich wäre eine mögliche Antwort auf unsere Frage auch die: „Wenn man von Ewigkeit her erwählt ist, ja. Wenn nicht, nein.“ Kurz, calvinistisch und trocken. Dafür wären dann 1.500 Zeichen zu viel.

Ich habe den Umfang des erwünschten Artikelchens hier schon überschritten, indem ich nur die in der Frage enthaltenen Verkürzungen des Evangeliums problematisiert habe. Ich stimme den Denkvoraussetzungen schon nicht zu – fair kürzen würde bedeuten, hier deutlich weiter auszuholen. Jetzt könnte ich zwar den alten Trick von Helmut anwenden und sagen: „Die Frage ist doch nicht …, die Frage ist …“ und dann schreiben, was ich schon immer sagen wollte, aber damit wäre ja nichts gewonnen.

Share

Ungleiche Geschwister

In mancher Hinsicht stehen sich Marienfrömmigkeit und Bibel-Fundamentalismus sehr nahe, auch wenn Vertreter der letzteren Richtung mit der Muttergottes eher auf Kriegsfuß stehen. Es gibt aber trotz aller Gegensätze auch eine Reihe interessanter Parallelen:

Beide Male wird nicht nur eine Nebensache (hier Maria, da die Bibel) ins Zentrum des Glaubens gerückt, zum unverzichtbaren Glaubensgegenstand gemacht und mit quasi-göttlichen Qualitäten ausgestattet: Maria durch die Lehre von der „unbefleckten Empfängnis“, die besagt, dass sie absolut rein und von der Erbsünde ausgenommen war, die Bibel durch die Lehre von der „Irrtumslosigkeit“, durch die sie zum hundertprozentig reinen Gotteswort stilisiert wird, aus dem alles problematisch-menschliche (etwa kulturell bedingte und zeitgebundene Vorstellungen) dann abgeblendet werden.

Beide Male werden diese Behauptungen der jeweiligen Dogmen durch umfangreiche Theoriebildungen abgesichert (freilich nicht begründet), die sich in Zirkelschlüssen bewegen. Man setzt das zu Beweisende als gegeben voraus und versucht dann die ganze historische Wirklichkeit so zu deuten, dass sie ins Bild passt.

Beide Male scheint das ursprüngliche Ziel gewesen zu sein, die Göttlichkeit Jesu zu betonen, und man hat dazu entweder seine biologische Abstammung oder die literarische Urkunde so verklärt, dass man meinen könnte, sie sei selbst Teil der Dreieinigkeit geworden: Vater, Sohn und Heilige Schrift oder eben Gott Vater, Maria und Jesus. Man hat die Verteidigungslinie von Jesus weg auf eine Art Zwischengröße verlegt.

Beide Male geht der Kult auf Kosten der Pneumatologie: Wo Maria oder die Bibel Mittlerrollen übernehmen, da wird der Geist zur Nebensache und dient eher der Legitimation der Zusatzmythen als eine eigenständige Rolle zu spielen. Und auch die Christologie bekommt eine Schlagseite, weil im Blick auf Jesus dadurch in der Regel die Göttlichkeit die Menschlichkeit dominiert und aufsaugt. Der Mittler zwischen Gott und den Menschen, anders gesagt: der eigentliche Zugang, ist nun für die einen Maria und für die anderen die Bibel.

Maria hat dabei emotional und ästhetisch bessere Karten als die eher spröde Bibel. Und sie hat den Papst auf ihrer Seite, dem wie der Bibel ein Anspruch auf Unfehlbarkeit angehängt wurde. Abgesehen davon überwiegen aber die Ähnlichkeiten für mich.

Share

Abenteuerliche Argumente?

Seit einer Weile lese ich Michael Frosts und Alan Hirschs neues Opus Faith of Leap. Es ist mit dicken Vorschusslorbeeren von Scot McKnight ausgestattet, und weil ich die letzte Begegnung mit dem stets anregenden Michael Frost in Kapstadt noch im Hinterkopf hatte, habe ich mich in dieses Manifest christlichen Abenteurertums vertieft. Wer die beiden kennt, wird auch da, wo sie sich nicht explizit zitieren, ihre Themen sofort wieder erkennen: Erstens die Mission als der Gedanke, um den sich alles dreht, zweitens die von dem Ethnologen Victor Turner formulierten Themen Liminality und Communitas, also die Notwendigkeit von Grenzerfahrungen für a) das Wachstum im Glauben und b) die Bildung einer verschworenen Gemeinschaft. In dem neuen Buch stellen sie das alles nun unter das Leitmotiv des Abenteuers und des Heldentums.

Beim Lesen der ersten 100 Seiten habe ich drei unterschiedliche Reaktionen bei mir beobachtet: Erstens Zustimmung zu den wesentlichen Inhalten, zweitens leichte Ermüdung durch den Stil – es wirkt, anders als bei The Shaping of Things to Come, weniger aus einem Guss, man meint fast, die beiden live zu hören, ohne die Stimmen unterscheiden zu können: Einer sagt was, der andere kommentiert, ergänzt, wirft noch einen anderen Aspekt ein, dann antwortet wieder der erste und es geht im assoziativen Zickzack weiter. Da wird man – ich wenigstens – als Leser schon mal etwas ungeduldig, zumal auch noch zahlreiche Zitate den Textfluss hemmen. Drittens fand ich es seltsamerweise einfach emotional anstrengend. Wie gesagt, im Ziel stimme ich ja zu, aber irgendwie scheint mir da bisher zu sehr Appell und Belehrung und zu wenig Inspiration und Verführung drin zu sein. Und manche Beispiele (zum Beispiel von Cortez, der die Schiffe verbrennen lässt) fand ich einfach unglücklich gewählt.

Nun war ich im (zentralen?) Kapitel, The Hero’s Journey. Die beiden wählen wieder einen interessanten Anmarsch. Ausgangspunkt ist das Buch „Hero with a thousand Faces“ von Joseph Campbell. Campbell hat die traditionelle Mythologie verschiedener Kulturen untersucht und dabei ein Grundschema oder eine Art archetypischen Mythos (auch Monomyth genannt) (re?)konstruiert. Ob Campbell sich in der Literaturwissenschaft damit durchgesetzt hat, wird nicht erläutert, wäre aber eine interessante Frage. Die Versuche, die verschiedenen religiösen Traditionen auf ein gemeinsames Schema oder einen gemeinsamen wesentlichen Inhalt zu reduzieren bzw. in eine Meta-Religion (ob Hegel oder Baha’i) aufzuheben, sind ja auch alle recht problematisch gewesen.

Dann beschreiben die beiden ausführlich, wie Disney Campbells Schema rezipiert und seit über 20 Jahren ungemein erfolgreich vermarktet hat. Schließlich verweisen sie auf C.S. Lewis Äußerungen zum Thema „Mythos“, für den in Christus der vollkommene Mythos ganz zur historischen Tatsache geworden ist. Stark verkürzt lautet die These des Kapitels also: Im Grund verweisen alle Mythen auf das Evangelium und im Grunde sehnen sich alle Menschen, Christus als dem archetypischen Helden nachzueifern und ähnlich zu werden. Das ist, wenn ich es richtig sehe, ein primär anthropologisches Argument, gar nicht so verschieden vom größten Romantiker unter den Theologen, Friedrich Schleiermacher, der Jesus zwar nicht als den Prototypen des Abenteurers, sondern des mit Gott unmittelbar verbundenen Menschen ansah.

Etwas verunglückt fand ich die kurzen Ausführungen zu geistlichen Übungen. Da haben die beiden etwas nicht verstanden, fürchte ich, wenn sie kritisieren, dass es keine „Übungen“ zum Thema Risiko gebe, und dass in der Literatur kein Zusammenhang zwischen geistlichen Übungen und konkreter, einsatz- und risikofreudiger Nachfolge hergestellt werde. Geistliche Übungen sind dazu da, sich in Zeiten relativer Stabilität fit zu halten, um plötzlich auftretenden Herausforderungen gewachsen zu sein. Ganz ähnlich wie man im Sport dosiert und maßvoll auf einen Wettkampf hin trainiert, aber eben in dem vollen Bewusstsein, dass der Wettkampf, in dem man dann alles gibt, nicht die Alltagssituation sein kann. Man könnte aber umgekehrt gerade das Gebet als Abenteuer entdecken, so wie Henri Nouwen das getan hat, und damit den unnötigen Gegensatz aufheben:

… das Gebet zieht uns weg von der Beschäftigung mit uns selbst, ermutigt uns, vertrautes Gelände zu verlassen, und fordert uns heraus, eine neue Welt zu betreten, die unser Herz und Verstand mit seinen engen Grenzen nicht fassen kann. Gebet ist daher das große Abenteuer, weil der Gott, mit dem wir eine neue Beziehung eingehen, größer ist als wir und alle unsere Berechnungen und Vorsichtsmaßnahmen missachtet.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht in den nächsten Kapiteln. Meine Fragen im Augenblick sind:

  1. Abenteuer und Heldentum sind ja nun keine zentralen biblischen Kategorien. Mut schon eher. Setzt sich hier die neoromantische Tendenz aus „der Wilde Messias“ fort, wo solche Begriffe dazu dienen, wieder Interesse und Leidenschaft zu wecken und Abstumpfung und Gewohnheitstrott zu durchbrechen?
  2. Sollte man das Evangelium als den wahren Ur-Mythos etikettieren, der die Sehnsüchte aller Menschen bewusst oder unbewusst lenkt und allen anderen Mythen zugrunde liegt? Oder muss man das Evangelium eher als Anti-Mythos lesen und Jesus oder Paulus als Anti-Helden, die zwar dem Risiko nicht aus dem Weg gehen, wohl aber anders kämpfen und Erfolg anders verstehen als Odysseus oder König Artus?
  3. Sind moderne, areligiöse Kunstmythen wie Tolkiens Herr der Ringe oder die zahllosen pseudo-archaischen Retortensagen und Destillate, die Hollywood verfilmt hat, nicht in vieler Hinsicht noch ein ganz anderer Fall, den man gesondert betrachten müsste?
  4. Wie verhalten sich Held und Gemeinschaft zueinander? Ist es das Ziel antiker Heldensagen, jeden einzelnen Menschen zur Nachahmung anzuleiten oder gar anzutreiben oder drückt sich da eher das Bewusstsein aus, dass eine Gemeinschaft zwar immer wieder Helden braucht, die über sich hinauswachsen und sie retten, dass aber der Held gewissermaßen immer eine stellvertretende Aufgabe an seiner Gemeinschaft hat, so wie die großen Richter des Alten Testaments?
  5. Kann man Heldentum planen und machen, oder ist es eher so, dass man sich die wahren Abenteuer gerade nicht aussucht, sondern oft gegen seinen Willen berufen und ins kalte Wasser geworfen wird? Müsste man von da aus nicht eher fragen, wo wir schon längst im kalten Wasser schwimmen oder einen Ruf gehört haben, als darüber, wie man Grenzerfahrungen der Liminalität „künstlich“ herbeiführt?
  6. Widerspricht das Ideal der ständigen oder wiederholten Schwellenzustände nicht der Weisheit, die sich in vielen archaischen Übergangsriten ausdrückt, dass nämlich das Ziel die erneute Eingliederung in den sozialen Kontext ist, aber in einer neuen, veränderten Rolle, nämlich als Erwachsener? Anders gefragt: Läuft der gedankliche Ansatz dieses Buches auf eine Art permanente Adoleszenz hinaus und entspricht damit einer eher problematischen Tendenz unserer Zeit, die das Erwachsen- (und damit letztlich auch das Altwerden) so weit wie möglich hinausschieben möchte?
Share

Beten, Bäume, bittere Worte

Seit ein paar Monaten treffe ich mich mit einer Gruppe, in der wir das Markusevangelium kapitelweise lesen. Je länger das geht, desto mehr begeistert mich das Ganze. So ein Kapitel ist zwar lang, aber man entdeckt Zusammenhänge, die einem beim Lesen der kleinen Abschnitte nie auffallen würden.

Diese Woche haben wir Markus 11 gelesen. Ein Kapitel voller merkwürdiger Ereignisse und Aussagen. Konkret sind wir an zwei Punkten hängen geblieben: Warum verflucht Jesus einen unschuldigen, harmlosen Feigenbaum und wie kann das bloß gemeint sein, dass alle Gebete erhört werden, wenn wir Gott vertrauen? Erinnert Letzteres nicht sehr an Janis Joplins bissige Kritik?

Die Lösung fanden wir beim Propheten Habakuk, der eine apokalyptische Vision beschreibt, vor deren Hintergrund vieles deutlicher wird:

Voll Zorn schreitest du über die Erde, in deinem Groll zerstampfst du die Völker. Du ziehst aus, um dein Volk zu retten, um deinem Gesalbten zu helfen. Vom Haus des Ruchlosen schlägst du das Dach weg und legst das Fundament frei bis hinab auf den Felsen. Mit deinen Pfeilen durchbohrst du den Kopf seiner Krieger, die heranstürmen, um uns zu verjagen. Sie freuen sich schon voll Übermut, in ihrem Versteck den Armen zu fressen. Du bahnst mit deinen Rossen den Weg durch das Meer, durch das gewaltig schäumende Wasser.

Ich zitterte am ganzen Leib, als ich es hörte, ich vernahm den Lärm und ich schrie. Fäulnis befällt meine Glieder und es wanken meine Schritte. Doch in Ruhe erwarte ich den Tag der Not, der dem Volk bevorsteht, das über uns herfällt. Zwar blüht der Feigenbaum nicht, an den Reben ist nichts zu ernten, der Ölbaum bringt keinen Ertrag, die Kornfelder tragen keine Frucht; im Pferch sind keine Schafe, im Stall steht kein Rind mehr. Dennoch will ich jubeln über den Herrn und mich freuen über Gott, meinen Retter. (Hab 3,12-18)

In diesem Text geht es um das Kommen Gottes zum Gericht. Es geht um das „Haus des Ruchlosen“, das bis auf den Felsen darunter zerstört wird. Zünd siehe da: zwischen den beiden Malen, wo Jesus an dem Feigenbaum vorbeikommt, liegt die „Tempelreinigung“! Doch anders als bei Habakuk verläuft die Linie Freund/Feind aus Gottes Sicht nun nicht mehr zwischen Juden und Heiden, sondern mitten durch das Judentum hindurch. Er lässt keinen Zweifel daran: die (reichen!) Sadduzäer und Hohenpriester stehen auf der falschen Seite.
Zugleich sieht Jesus vor sich den „Tag der Not“, der zuerst einmal seine eigene Not bedeutet. Auch dafür ist der Feigenbaum ein Zeichen. Nicht nur ein Zeichen des Gerichts, sondern auch der Hoffnung, denn am Ende lobt der Gerechte seinen Gott, der ihn aus der Not gerettet hat (vgl. das Hosianna!). In Psalm 22 finden wir einen ganz ähnlichen Duktus. Das Verdorren des Feigenbaums ist also kein göttlicher Vandalismus, sondern ein prophetisches Zeichen dafür, dass hier (das heißt: beginnend in der Passion des Messias) die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Gott und der im Aufruhr begriffenen Welt stattfindet.
Bleibt schließlich noch die Frage nach dem Gebet. In diesem Kontext geht es nicht um einen neuen Mercedes, ein größeres Haus oder die Heilung irgendeines Wehwehchens, es geht um das nackte Überleben im finstersten Moment der Krise. Man kann diese Verheißung nicht aus ihrem Kontext lösen und denken, sie sei dann auch noch zeitlos wahr. Wahr war sie aber in ihrer Zeit. Die Urgemeinde floh im jüdischen Krieg 68 n.Chr. aus Jerusalem nach Pella östlich des Jordans und überlebte dort, während die Römer Jerusalem dem Erdboden gleich machten.

Share

Sammlerstück

Der Pietismusforscher Johannes Wallmann hat Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf zu dessen 300. Geburtstag im Jahr 2000 ein kleines literarisches Denkmal gesetzt. Es erschien seinerzeit in der FAZ, ist nun auf wallmann.de wieder zugänglich und, wie ich finde und wie viele es von Wallmann auch kennen und schätzen, flüssig und lebendig geschrieben.

Ein paar überraschende Details sind dabei, etwa dass Zinzendorf (und später auch Bonhoeffer) sich dezidiert auf Luther beruft, wenn es darum geht, dass Christen die Juden lieben sollen. Oder dieses Zitat von Goethe aus Dichtung und Wahrheit über die Faszination, die von den Herrnhutern ausging:  

Jede positive Religion hat ihren groessten Reiz, wenn sie im Werden begriffen ist; deswegen ist es so angenehm, sich in die Zeiten der Apostel zu denken, wo sich alles noch frisch und unmittelbar geistig darstellt, und die Brüdergemeine hatte hierin etwas Magisches, daß sie jenen ersten Zustand fortzusetzen, ja, zu verewigen schien.

Share

Jesus in der Hölle?

Ein interessantes Interview mit Prof. Peter Schäfer über das antike Judentum, den babylonischen Talmud, dessen Jesusbild bzw. -kritk und parallele Entwicklungen jüdischer und christlicher Gotteslehre (da taucht auch der Engel Metatron auf, den mancher noch aus dem Film „Dogma“ kennt).

Einzig die laute Werbung zwischendurch nervt leider etwas.

Share

Allah (7): Hybride Religiosität

Ich habe ein paar Wochen mit anderen Dingen zugebracht und nun wieder Miroslav Volfs Allah. A Christian Response aus dem Regal gezogen.

Nachdem Volf sich viel Zeit genommen hat für die Frage, ob Christen und Muslime zu einem Gott beten, wenn auch in unterschiedlicher Form und mit nur teilweise übereinstimmenden Vorstellungen von diesem Gott, fragt er nun in Kapitel 10, ob damit auch gesagt sei, dass es sich um dieselbe Religion handele.

Das Thema ist ja seit Lessing kontrovers diskutiert worden: Progressive neigen dazu, die Frage zu bejahen und alles vielleicht etwas diffus als Einheit zu betrachten, während Konservative auf allen Seiten den Identitätsverlust fürchten und stark die Abgrenzungen betonen. Aber die eher abstrakte Diskussion hilft nur bedingt weiter. Schon Lessing interessierte sich weniger für die Wahrheitsfrage, sondern die nach dem konkreten Zusammenleben.

Spannungen im konkreten Zusammenleben haben viel mehr mit den konkreten, tatsächlich gelebten Ansichten und Praktiken zu tun als mit dogmatischen Vergleichen. Und praktisch stellt sich durchaus für manche Menschen die Frage, inwiefern man in beiden Welten – der christlichen und muslimischen – zugleich leben kann.

Volf verwirft diesen Gedanken nicht und versucht eine nähere Bestimmung, zunächst mit einer Eingrenzung der Fragestellung. Es ist nicht die Frage, ob Menschen Elemente verschiedener Glaubenstraditionen verknüpfen dürfen (es steht ihnen frei), ob Glaube kulturell verschiedene Formen haben darf (darf er), ob man von anderen religiösen Gemeinschaften Dinge lernen und übernehmen kann (auch das ist legitim und manchmal sogar wünschenswert) oder schließlich eine religiöse Identität gegen eine andere tauschen darf (das ist ohnehin immer fluider geworden).

Es geht immer um Zugehörigkeit, Praktiken und Glaubensansichten zugleich, nicht nur um eines davon. Fragt man von da aus, ob und inwiefern sich Christusnachfolge und eine Identifikation als Muslim (das erforscht Volfs Kollege in Yale, Joseph Cumming) kombinieren lassen, so ist von christlicher Seite aus zu fragen:

  • ob jemand im Namen des dreieinigen Gottes getauft ist
  • ob er sich zu Jesus Christus als Herrn bekennt, in dem Gott menschliches Fleisch angenommen hat
  • ob er Gottes Geschenk des neuen Lebens durch Christus angenommen hat

Damit wäre Christsein auch dann konstituiert, wenn es sich um ein unreifes, uninformiertes oder gelegentlich auch unethisches Christsein handelt. Wenn jemand diese Bedingungen erfüllt, dann kann er fünfmal am Tag beten oder den Ramadan Einhelten und Mohammed als einen (!) Propheten betrachten und trotzdem Christ sein. Offen bliebe lediglich die Frage, ob er aus islamischer Sicht als genuiner Muslim gelten kann.

Die Schwierigkeiten, die solche eine hybride Religiosität mit sich bringt (Volf bestreitet das gar nicht) sind angenehmer als die, die durch Verachtung, Feindseligkeit und Gewalttätigkeit entstehen – und die gelegentlich auch die Missionspraxis geprägt haben (darum geht es im folgenden Kapitel).

(Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6  dieser Reihe. Wer unten kommentieren möchte, kann sich dort über den bisherigen Verlauf der Diskussion und ihre Grenzen orientieren)

Share

Barth missional (17): Prophetische Gemeinde

Ein schöner Aspekt reformierter Tradition ist die Wertschätzung der prophetischen Dimension. Barth sieht sie nicht nur bei Christus, sondern auch im Handeln der Gemeinde:

Prophetie beruht auf einem besonderen Vernehmen und besteht in einer besonderen Kundgebung des von Gott je und je in seinem Werk, nämlich in der von ihm regierten Geschichte seines Volkes und der Welt gesprochenen Wortes: des Wortes, in welchem er, was er in Begründung des Bundes ein für allemal gesprochen, nicht etwa durch etwas Anderes ersetzt, ergänzt oder überbietet, wohl aber zu bestimmter Zeit neues Gehör und neuen Gehorsam fordernd, in neuer Klarheit wiederholt und bestätigt. Im prophetischen Element und Charakter ihres Dienstes blickt, greift, schreitet die Gemeinde in der jeweiligen Gegenwart und aus ihr hinaus hinüber in die Zukunft: nicht willkürlich, nicht auf Grund eigener Analysen, Prognosen und Projekte, wohl aber lauschend auf die Stimme ihres Herrn, der auch der Herr der Welt ist, welcher eben das, was er sprach, indem er sie berief, begründete und beauftragte, wieder und neu spricht in dem, was in ihr und in der Welt jetzt und hier als in seinem Machtbereich geschieht, der sie eben damit in die Zukunft weist und führt, ihr eben damit das ihr anvertraute Zeugnis, ohne daß es ein anderes würde, in neuer Gestalt auf die Lippen legt.

Im prophetischen Zeugnis sagt Gott nichts anderes, aber er sagt es anders. So neu und überraschend, dass es – Barth sagt das schön – neues Gehör findet und neuen Gehorsam bewirkt. Um dieses Wort so sagen zu können, muss die Gemeinde „lauschen“ – die Ohren spitzen und geduldig hinhören. Dann wird aus dem „alten“, überlieferten ein neues und vor allem zukunftsweisendes Wort. Wenn sich die Gemeinde dieses „Vorwärts!“ zu eigen macht, schreibt Barth, wird sie von ihrer Umwelt auch eher als Störung empfunden:

Der Konflikt zwischen dem christlichen Zeugnis und der Welt wird dann – wahrscheinlich wirklich erst dann, wenn es sich unmißverständlich in jenem Vorwärts! konzentriert, dann aber sicher – unvermeidlich und manifest werden. […] Die Folgen werden, wenn die Gemeinde – und wäre es auch nur eine einigermaßen gewichtige Fraktion innerhalb der Gemeinde – es wagt, ihren Zeugendienst auch in dessen prophetischem Charakter aufzunehmen, unübersehbar sein.

Eben weil das so ist, darf die Gemeinde – und das ist im Blick auf Pfingsten vielleicht der wichtigste Gedanke – diesen Auftrag nicht ein paar Außenseitern überlassen:

Dieses Zeugnis kann in der Gemeinde unmöglich bloß beiläufig, willkürlich und zufällig laut werden, unmöglich Sache einer bestenfalls mit Kopfschütteln zu duldenden Narrenfreiheit einiger Weniger sein. Es geht auch hier um den Dienst der ganzen Gemeinde, um eine Gabe und Möglichkeit, von der Gebrauch zu machen grundsätzlich alle Christen eingeladen und aufgerufen sind. […] Es könnte … weder natürlich noch in Ordnung sein, wenn nicht mindestens mit einer die ganze Gemeinde beherrschenden Aufgeschlossenheit, Bereitschaft und Willigkeit für das prophetische Vorwärts! zu rechnen wäre.

w

Share