Fair Kürzen

Vorgestern schrieb mir der Redakteur einer evangelikalen Zeitschrift und fragte, ob ich auf folgende Frage in einem Text von 1.500 Zeichen antworten könnte:

Reicht es, ein guter Mensch zu sein, um in den Himmel zu kommen?

Dazu lautete die Anweisung: „Die Fragen sollten kurz und knapp beantwortet sein, die Feinheit der Frage sowie auch das große Ganze dahinter im Blick behalten.“ Genau die Feinheit der Frage hat mich dazu gebracht, dankend abzulehnen. Aber betrachten wir kurz eben diese Feinheiten. In der vorliegende Form setzt die Frage mehrere Annahmen voraus:

  • Erstens ist das Ziel aller Menschen (oder es sollte es zumindest sein), in „den Himmel“ zu kommen.
  • Das Leben im Hier und Jetzt dient der Qualifikation für die Ewigkeit. Im Gegensatz zur Reinkarnationslehre hat man aber nur einen Versuch.
  • Um im Jenseits auf der richtigen Seite zu landen, muss ein Mensch bestimmte Bedingungen erfüllen („reicht es?“).
  • Glaube und Religion sind dazu da, um Menschen über die korrekten Kriterien zu informieren und die Qualifikation zu ermöglichen.

Bejaht man alle diese Annahmen, dann wird die Antwort wahrscheinlich lauten müssen: Nein, selbst wenn man ein „guter Mensch“ ist, muss man noch das Richtige glauben (Jesus, Bibel, altkirchliche oder reformatorische Bekenntnisse etc.) bzw. der richtigen Religion angehören (und wenn das der Fall ist, darf man sogar kein so ganz guter Mensch sein!), oder wenn man es ein bisschen pietistischer und weniger kognitiv haben will, sagt man dann, dass man Jesus liebhaben muss (und so ggf. von selbst von einem nicht so guten zu einem guten Menschen wird), und dann gibt es noch die sakramentale Variante mit der (man ahnt es schon) richtigen Taufe (unbedingt groß und entschieden oder unbedingt möglichst früh im Leben, um die Gnade nicht durch Zustimmung und Mitwirkung zu kompromittieren) und dem richtigen Abendmahl (unbedingt mit einem Priester, der in der apostolischen Sukzession steht oder unbedingt ohne Alkohol).

Ja, und natürlich wäre eine mögliche Antwort auf unsere Frage auch die: „Wenn man von Ewigkeit her erwählt ist, ja. Wenn nicht, nein.“ Kurz, calvinistisch und trocken. Dafür wären dann 1.500 Zeichen zu viel.

Ich habe den Umfang des erwünschten Artikelchens hier schon überschritten, indem ich nur die in der Frage enthaltenen Verkürzungen des Evangeliums problematisiert habe. Ich stimme den Denkvoraussetzungen schon nicht zu – fair kürzen würde bedeuten, hier deutlich weiter auszuholen. Jetzt könnte ich zwar den alten Trick von Helmut anwenden und sagen: „Die Frage ist doch nicht …, die Frage ist …“ und dann schreiben, was ich schon immer sagen wollte, aber damit wäre ja nichts gewonnen.

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26 Antworten auf „Fair Kürzen“

  1. Die grundlegend zu klärende Frage wäre ja: Was bedeutet eigentlich „gut“ im tieferen Sinn?

    Darüber in 1500 Zeichen Auskunft zu geben, ist unmöglich. Du hättest nur (aus deiner Sicht) mit Ja oder Nein antworten können. Jedes „aber“ hätte zu einer Habilitationsschrift geführt.

  2. … wobei der „Helmut-Trick“ vielleicht weitergeführt hätte! Kommt aber auch drauf an, welche „evangelikale Zeitschrift“ das war – und ob sich die Mühe gelohnt hätte.

  3. Ich hätte die Frage mit einem klaren „Ja“ beantwortet, im Hinblick auf Mt. 25,31ff.
    Aber ich kennen keinen „guten“ Menschen, mich selbst eingeschlossen, so dass die Frage rein hypothetisch ist.
    Und dann würde ich die restlichen Zeichen nutzen um zu erklären welche Chance uns Jesus gibt, wie er uns nicht-guten Menschen auch den Himmel öffnen kann.

  4. die antwort ist doch ganz einfach: nein.
    für die restlichen zeichen könnte man ja dann smilies nehmen oder sich sonstwo die zeit / den raum vertreiben….
    😉

  5. @Jürgen: Das scheint mir weiterzuführen. Ich hätte die Frage wahrscheinlich auch mit „Ja“ und einem Verweis auf Mk 10,18 („Niemand ist gut als Gott allein“) beantwortet. Und dann so weiter wie Du.
    Ist aber im Grunde der Helmut-Trick.

  6. @Andreas: ich kenne den Helmut-Trick leider nicht (Insider-Witz? Klär mich mal auf!), ausser dem was Peter oben darüber schreibt.

    Die Frage ist eigentlich klar mit „Ja“ zu beantworten, aber die „Feinheit“ besteht eben darin, dass wir Menschen für gut halten, die es nicht wirklich sind, und das Wort „gut“ umgangssprachlich anders verwendet wird. („Besser als der Durchschnitt ist schon gut.“) Insofern ist Claudias klares „nein“ auch richtig.

    Also, ich denke man kann aus so einer schönen Frage schon etwas Schönes machen. Man könnte auch schreiben: Ja, es reicht ein guter Mensch zu sein. Aber es gab nur _einen_ Menschen, der wirklich durch und durch gut war: Jesus. Und sich an den zu halten, den liebzuhaben (@Peter: allemal besser als „glauben“, denn das versteht heute eh‘ fast jeder falsch!) und an seiner Hand gehen ist der Weg in den Himmel für uns, die wir nicht gut sind.

    1. Find ich ja nett, dass so viele die Frage als unproblematisch ansehen und mit einem Wort und einem Bibelverschen antworten können. Wollt Ihr Euch mal bei der Redaktion melden?
      🙂

  7. Wir wollen Dir ja nur ein bisschen Mut machen! 🙂 🙂
    Die „Bibelverschen“ musst Du ja nicht zitieren.
    Aber was die Länge angeht: Wenn so ein Satz – Reicht es [nicht], ein guter Mensch zu sein, um in den Himmel zu kommen? – in einem ganz normalen Gespräch fällt, dann hat man als Durchschnittschrist ja auch kaum die Gelegenheit eine halbe Dissertation zu dem Thema abzulassen.
    Also, sieh es doch als Herausforderung! Kurz und knapp …
    Praxisrelevant ist das allemal.

  8. Der Helmut Trick wäre gewesen: Jesu Frage war nicht, wie Menschen „in den Himmel“ kommen, sondern wie „der Himmel“ – das Reich Gottes – zu den Menschen kommt. Dazu kann man dann locker 150.000 Zeichen schreiben, oder einfach mal N.T.Wright lesen.

  9. @ Peter: Diese Umkehrung wäre doch schon mal was! Und mit 1.500 Zeichen könnte man N.T. Wright halbwegs andeuten. Ob das allerdings im beschriebenen Fall Sinn macht, wenn drei andere Autor(inn)en auf dieselbe Frage in derselben Zeitschrift fröhlich mit „Ja“, „Nein“ oder „Vielleicht“ antworten? War wohl schon besser so. Und die Diskussion hier finde ich auch ergiebig.

  10. Habe gerade über Jürgens Beitrag nachgedacht mit den normalen Gesprächen und den Dissertationen und der Praxisrelevanz.
    Beim Lesen hab ich gedacht: „Recht hast Du! Wir müssen unseren Glauben ja auch mal zuspitzen und auf den Punkt bringen können. Und dabei auch mal das Risiko eingehen, dass schlaue Menschen möglicherweise was finden, was sie uns theologisch ankreiden können.“

    So. Und dann hab ich direkt nach dem Lesen die Küche aufgeräumt (stumpfe Arbeit = gut für die Gedanken) und da sind mir ein paar Fragen gekommen:

    Zum einen:

    Begegnet mir als Durchschnittschristin diese Frage tatsächlich in einem „normalen“ – oder meinetwegen auch in irgendeinem anderen – Gespräch? Oder ist das nicht schon eine sehr konstruierte Frage? Ich glaube, ich habe sie zwar schon x-mal in (evangelistischen) Predigten als rhetorische Hörerfrage gehört … aber bin ich schon mal Menschen ohne fromme Prägung begegnet, die da wirklich selbst drauf gekommen wären? Im Moment fällt mir keine Situation ein.
    Dahinter tut sich das Fragefeld auf, ob das Thema der Heilsgewissheit (im Blick auf den zukünftigen Himmel) tatsächlich den Stellenwert in evangelistischer Verkündigung haben sollte, den es (nach meiner Beobachtung oft) hat.
    Und die Frage, ob wir Christen-Leute das Thema vielleicht deshalb so stark machen, weil wir uns lieber noch einmal selbst vergewissern wollen, dass wir ja alle Bedingungen erfüllen, um in den Himmel zu kommen. Dann wäre Angst ein starkes Motiv. Und ich entdecke immer mehr, auch bei mir, dass an vielen Stellen Angst tatsächlich ein starkes Motiv ist. Das kann doch nicht richtig sein …?!

    Zum anderen:

    Nehmen wir mal an, da hat tatsächlich eine diese Frage. Aus sich selbst heraus oder meinetwegen auch, weil sie ihr durch meine eindrückliche Predigt wichtig geworden ist. 😉
    Und wir reden miteinander und sie vertraut mir diese Frage an. Was will sie wohl hören? Vermutlich keine halbe Dissertation, das kann sein. Aber sicher auch keine korrekte 1500-Zeichen-Antwort.

    Worauf ich hinaus will: Ich glaube, es ist gar nicht so praxisrelevant, auf alle Fragen die (und zwar die einzige) richtige, kurze, knackige Antwort zu haben. Und das meine ich nicht so böse, wie es vielleicht klingt. Ich hab früher nämlich geglaubt, dass ich auf alle Fragen DIE Antwort haben muss, damit ich nicht dumm dastehe (und damit auch Gott nicht dumm da steht!), wenn zum Beispiel meine Schulkollegen meinen Glauben hinterfragen. (Und dabei habe ich aber schon gespürt, dass die Dinge gar nicht alle so eindeutig weiß oder vor allem schwarz sind, wie ich gelernt habe …)

    Also doch besser erstmal gemeinsam versuchen, den Fragen hinter der Frage auf die Spur zu kommen. Oder?

  11. Wow! Treffer, würde ich sagen. Und wenn die Bibel ein Lebens-Buch ist, dann kann sie gar keine (im beschriebenen, negativen Sinne) knackigen prägnanten Antworten präsentieren wollen …

  12. Lieber Peter, die Frage mag problematisch sein, das wird aus der Verbindung „unserer“ kurzen Antworten und der dazu gewählten Bibelverschen hoffentlich deutlich. Diese Verbindung eröffnet nämlich eine gewisse Spannung, innerhalb derer für den Leser zwar nicht die Antwort, aber die Dimension der Frage deutlicher werden kann. Insofern sind sie ein anderes Stilmittel, die Frage zu problematisieren.
    Das leicht despektierliche, das ich in dem Diminutivum „Bibelverschen“ lese, deute ich mal als meinen Verständnisfehler.

    Sicher gibt es nicht immer einfache Antworten. Aber wenn diese Feststellung selbst nicht mehr ist als eine einfache Antwort, dann ist nichts gewonnen.

    Der Hinweis auf Jesu Frage „Wie kommt der Himmel zu den Menschen?“ gefällt mir sehr gut.

    Und meist wählen Redaktionen auch mit Absicht plakative problematische Fragen als Überschrift, die dann in der Beantwortung gerade problematisieren soll. Halt „wie ein Politiker“

  13. @Andreas: Sorry – Dich hatte ich mit dem Kommentar gar nicht gemeint… Aber dieses „Prooftexting“ einiger Kommentatoren (insofern war der Diminutiv natürlich volle Absicht) greift mir insofern oft zu kurz, als da meist nur dann etwas Aussagekräftiges herauskommt, wenn der Adressat die unausgesprochenen Prämissen teilt, die ich beleuchtet habe.

  14. Finde ich gut wenn man keine simplen Antworten, auf komplexe Lebensfragen geben will. Aber zu sagen die Bibel oder das Christentum wolle keine Antworten geben ist halt einfach nicht zutreffend. Die Angst vor einer konkreten Aussage, oder Stellung zu beziehen könnte auch eine Angst sein.

  15. @Peter: Das das Himmelreich nicht nur einen eschatologischen Aspekt hat, ist klar. Aber dass es durch Jesus, und hoffentlich durch uns, zu den Menschen kommt, ist eine Sache. Wie der einzelne _hinein_ kommt, ist trotzdem eine berechtigte Frage, auf die es auch Antworten gibt. Die entsprechenden Bibelverse (bewusst kein Diminuativ) sollen wir ja den Menschen nicht um die Ohren hauen, sondern die Antworten, die sie geben, in die Sprache der Menschen heute übersetzten. – Und ja, Kürze ist schwierig, und auch selten theologisch vollständig (Danke Astrid!), aber wegen unserer kurzen Aufmersamkeitsspanne einfach nötig.
    Lange Texte sind leichter zu schreiben und mühsamer zu lesen.
    Kurze Texte sind schwer zu formulieren, und leicht zu lesen. Wenn sie gut sind, helfen sie den Lesern weiter zu denken und weiter zu fragen.

  16. @ Peter: Schon klar. Allerdings habe ich bewusst „unsere“ geschrieben und also auch andere gemeint. Und der einzige andere Bibelvers, der hier genannt wird, ist von Jürgen. Auf „einige“ komme ich da selbst bei großzügiger Zählung nicht.

    Außerdem scheint mir, bewusst zu kurz gehaltene Antworten – wenn sie denn ein Stilmittel sind – können eine problematische Fragestellung genauso ad absurdum führen wie eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Prämissen.

    Ich schlage als Antwort auf die Frage vor: 42

    1. Nein, ich habe nur geschrieben, dass ich es in der erwünschten Form nicht kann. Wollte ihn nicht schulmeistern. Aber vielleicht liest er ja den Post…

      1. Übrigens hat Erzbischof Zollitsch die Frage im Spiegel gerade knackig kurz für Kinder beantwortet:

        Dein SPIEGEL: Kann man in den Himmel kommen, wenn man nicht an Gott glaubt?

        Robert Zollitsch: Ich denke schon. Es gibt ja auch viele Menschen, die Gott nie kennengelernt haben, nicht in ihrer Kindheit und später auch nicht. Wenn diese Menschen ehrlich handeln und Gutes tun, dann können auch die in den Himmel kommen.

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