Das kosmische Ei

Richard Rohr spricht in Ins Herz geschrieben vom „kosmischen Ei“, und das Bild ist bei mir hängengeblieben. Menschen leben und denken in verschiedenen Sphären.

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Die innerste Sphäre ist das eigene Selbst, und in einer zum Narzissmus neigenden Zeit, die zudem ein immenses Vokabular und Sensorium für psychische Vorgänge erfunden hat, kann man sich in der Innenwelt völlig verlieren und sie zum Ersatz für echte Transzendenz machen.

Die zweite, größere Sphäre ist die eigene Gruppe, wobei es keine Rolle spielt, ob damit nun die Sippe, ein bestimmtes Milieu, die Nation oder die jeweilige Kultur gemeint ist. Während im ersten Fall der Gegensatz die Außenwelt ist, sind es hier „die anderen“. In vormodernen Kulturen wachsen die meisten Menschen in einer ausgeprägten Gruppen-Identität heran.

Die dritte Sphäre, die alles überwölbt, ist die des Ganzen: Hier wird nichts mehr ausgeblendet oder ausgeschlossen, im Mittelpunkt steht aber auch nicht mehr das individuelle Ego oder das der Gruppe. Hier kommt das universale Denken ins Spiel. Wenn es richtig läuft, geschieht das nicht so, dass es das individuelle und gemeinschaftliche Denken verdrängt. Die Zugehörigkeit zu der großen Geschichte Gottes mit der ganzen Schöpfung macht es aber möglich, die Begrenzungen der Gruppenidentität zu überwinden und sich von den Verletzungen aus der persönlichen Lebensgeschichte nicht bestimmen zu lassen.

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Weisheit der Woche: Wahrheit als Beziehung

Ich fürchte, wir werden immer Widerstand entwickeln gegen Wahrheit als Beziehung und als Praxis und es vorziehen, Wahrheit mit abstrakten Ideen zu verbinden. Abstrakte Aussagen bieten dem Ego eine Menge Vorteile: Wir können scheinbar alles im Griff behalten; wir können vom Kopf her leben; wir können es vermeiden, ganz grundsätzlich oder wenigstens einen bestimmten Menschen zu lieben; wir können jeglichem Humor, jedem Paradox und aller Freiheit aus dem Weg gehen. Dann gestehen wir nicht einmal mehr Gott die Freiheit zu, über die Stränge unserer abstrakten theologischen Schlussfolgerungen zu schlagen.

Richard Rohr, Ins Herz geschrieben, S. 103

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Durchgeknallt

Pete Greig hat das heute auf Facebook erwähnt (und war sprachlos) – total bizarr, aber natürlich muss man die Bibel etwas bearbeiten, damit das hier herauskommt:

Mit Goldschnitt, natürlich…

Ähnlich grotesk: die Personal Promise Bible, wo der eigene Name 7000 mal erscheint: In dieser Bibel geht es dann nur noch um mich, mich, mich und Gott.

Und vor allem natürlich um das Geschäft derer, die diese unsäglichen Produkte auf den Markt werfen.

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Reise zum Leben

Ich hatte schon kurz darauf hingewiesen, dass Rainer Wälde einen sehenswerten Film über die keltischen Christen gedreht hat: Meine Reise zum Leben. Alan Roxburgh ist am vergangenen Wochenende auch immer wieder auf dieses spannende Kapitel der Kirchengeschichte zu sprechen gekommen, und die geistliche Leitung durch den Abt, die Praxis der Gastfreundschaft und der Tageszeitengebete dabei betont.

Ich habe das Projekt in seiner Entstehung verfolgt – bis hin zu einem kurzen Auftritt im Film selbst. Wer einen leicht verständlichen Einstieg sucht, der auch praktische Impulse für das eigene Leben bietet, der ist hier richtig. Also – einfach draufklicken und zurücklehnen…

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Die Wahrheit über chinesische Spritualität

Die FAZ berichtet über das Tiger-Jahr in China. Marx und Engels würden sich im Grab umdrehen. Die Anbetung des Mammon ist im Reich der Mitte stärker als irgendwo sonst auf der Welt, und sie wird völlig unverhüllt zelebriert:

In keinem anderen Land stimmen mehr Menschen der Aussage zu, der Erfolg eines Menschen zeige sich vor allem im Geld. 84 Prozent der befragten Chinesen sind der Meinung, seit der Finanzkrise sei Geld für sie noch wichtiger als zuvor. Sogar die Leser der Parteizeitung „Global Times“ finden zu achtzig Prozent, China sei das Land der Geldverehrung Nummer eins.

Das wirft ein ganz neues Licht auf die spirituellen China-Importe der Esoterik…

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Die Suche nach dem „dritten Weg“

Der dritte Weg ist derzeit für viele ein großes Thema. Es geht dabei nicht darum, zu sagen, dass alles bisherige falsch war – egal, wie man nun den ersten und zweiten Weg inhaltlich beschreiben würde – sondern nach einer Möglichkeit zu suchen, herrschende Gegensätze und vor allem Ausschlüsse zu überwinden, mit Paradoxien zu leben und zu einem tieferen Verständnis des Lebens vorzudringen. Im dualistischen Denken erscheint dies dennoch als Widerspruch.

Die Suche nach dem dritten Weg ist an vielen Stellen erkennbar. Es ist das erklärte Gegenstück zu faulen Kompromissen und kleinsten gemeinsamen Nennern. Es geht auch nicht um den prichwörtlichen „Mittelweg“. Anders als im Schema These-Antithese-Synthese scheint mir oft nicht die höhere Ebene, sondern das tiefere Verstehen das Ziel zu sein.

Treffend beschrieben hat Bernhard von Mutius diesen Ansatz in Die andere Intelligenz – Wie wir morgen denken werden. Ich habe eine stark vereinfachte Version seiner hilfreichen Gegenüberstellung hier eingefügt. Um die in dieser Kürze schablonenhaft wirkenden Begriffe zu entschlüsseln, ist die Lektüre des anregenden Sammelbandes jedoch sinnvoll.

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Es ist nicht einfach nur ein intellektueller, sondern ein spiritueller Weg. Das bedeutet, dass sich nicht nur der Inhalt der Erkenntnis dabei verändert, sondern auch ihr Subjekt. Für Glaube und Theologie hat auch Richard Rohr ein paar gute Gedanken dazu. Ganz am Ende von Ins Herz Geschrieben stellt er eine kleine Liste von Streitfragen zusammen, an denen die Misere des dualistischen Denkens sichtbar wird:

  • Kreationismus contra Evolution (bzw. Biblizismus und Szientismus)
  • Rechtfertigung durch Glauben contra gute Werke
  • Dilemma der Debatte um Homosexualität
  • Kontinuität contra Innovation
  • Geist contra Natur
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Ganz großes Kino

Der katholische Theologe James Alison spricht über Versöhnung. Ich habe ja schon eine Menge Predigten und Vorträge gehört zu diesem Thema, aber das gehört zum Besten, was ich kenne. Einerseits so mitreißend vorgetragen, dass es nie langweilig wird , andererseits so dicht, dass man es zwei oder dreimal hören muss, – oder immer wieder eine Pause einlegen, um nachzudenken und sich Dinge zu notieren. Und er klingt fast ein bißchen wie N.T. Wright.

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Kleinvieh macht auch Mist…

Bei manchen Passagen in diesem schön geschriebenen Buch von Rohr hatte ich fast das Gefühl, Brian McLarens Stimme zu hören. Brille, Bart- und Haartracht sind schon ähnlich, aber die Verwandtschaft der Herzen ist deutlich erkennbar. Beide arbeiten das ambivalente Erbe ihrer jeweiligen Tradition engagiert auf, nehmen dabei kein Blatt vor den Mund und bleiben dennoch nicht beim Negativen stehen.

Es sind nicht die «schlimmen Sünden», die die Leute vom Festmahl abhalten, und das ist bei uns genauso: auch uns hält unser tägliches Besetztsein von tausend nicht so wichtigen Dingen davon ab, hinter die «Schatten und Schleier» zu blicken. Dann sehen wir nicht die «unergründliche Tiefe der Dinge», wie es der Dichter Gerald Manley Hopkins formulierte. Die Spiritualität lehrt uns den Grundsatz, dass die Innenseite der Dinge größer ist als die Außenseite.

Richard Rohr,  Ins Herz Geschrieben, S. 250

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Inklusives „Du“

Richard Rohr schreibt in Ins Herz Geschrieben über die Schwierigkeiten eines maskulinen Gottesbildes und der Notwendigkeit, auch weibliche Begriffe für Gott zu finden. Vor allem aber geht es ihm darum, diese Ebene der Reflexion wieder hinter sich zu lassen:

Bei aller Widerspiegelung patriarchaler Weltsichten zeigen die Texte der Bibel vor allem ein erstaunliches Desinteresse daran, überhaupt von Gott in der dritten Person zu reden (ob nun er, sie oder es). Was die Bibel sehr viel mehr umtreibt ist die Entdeckung, in der zweiten Person, um „Du“, mit Gott zu sprechen. (…) Manchmal kann die Beschäftigung mit dem korrekten Pronomen (…) für Gott eine dringend notwendige Korrektur sein, manchmal bringt sie aber auch zum Ausdruck, dass gerade diese Ich-Du-Beziehung vermieden wird.

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„Die Geschichte gehört den Betern“

Die Allianz-Gebetswoche ist zwar schon fast vorbei, aber eben habe ich diese Sätze von Walter Wink wieder gelesen:

Gebet ist kein Gesuch, dass an einen allmächtigen König gerichtet wird, der alles zu jeder Zeit tun kann. Es ist ein Akt, der den Ursprung, das Ziel und den Prozess des Universums befreit von den Verzerrungen, Vergiftungen, Verwüstungen, falschen Richtungen und dem puren Hass auf alles, was ist, der Gottes Absichten im Wege steht.

Wenn wir beten, schicken wir keinen Brief an ein himmlisches Weißes Haus, wo er auf einen Stapel mit anderen gelegt wird. Wir beteiligen uns vielmehr an einem Schöpfungsakt, in dem ein kleiner Sektor des Universums sich erhebt und lichtdurchlässig wird, hell glühend, ein vibrierendes Kraftzentrum, das die Kraft des Universums ausstrahlt.

Die Geschichte gehört den Betern, die die Zukunft in Existenz glauben. Wenn das so ist, dann ist Fürbitte alles andere als eine Flucht vor dem Handeln, sondern ein Weg, der auf Aktion zielt und sie herbeiführt.

Walter Wink, Engaging the Powers. Discernment and Resistance in a World of Domination, Minneapolis 1992, 303f

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Im Anfang

Ich bin noch nicht so ganz zufrieden mit dem Export aus Keynote und den gewählten Übergängen, aber vielleicht gefällt die kleine Präsentation zum Johannesprolog dem einen oder der anderen ja trotzdem:

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Adventsmusik

Das Lied und sein franziskanischer Sänger haben schon einige Jahre auf dem Buckel, aber ich finde es immer noch großartig: John Michael Talbot und seine Advent Suite


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Die Mitte – wovon?

Heute morgen habe ich das Lied Jesus, be the centre gesungen und bin darüber ins Nachdenken geraten. Das ist ja durchaus eine häufige Bitte, dass Jesus der Mittelpunkt unseres Denkens, Fühlens, Wünschens und Handelns wird – und stillschweigend setzt diese Bitte ja voraus, dass er das oft genug eben nicht ist und dass das auch nicht automatisch so ist, dass sich meine subjektive Welt um ihn dreht.

Also bitte ich ihn herein in die Mitte. Aber irgendwie bleibt es, scheint mir, doch meine eigene, kleine, subjektive Welt. Nun könnte ich aber, statt Jesus zu bitten, Mittelpunkt meiner Welt zu werden, mir einfach bewusst machen, dass er schon die ganze Zeit der Mittelpunkt seiner Welt ist, in der ich lebe. Damit räume ich zugleich ein, dass mein kleines Teiluniversum längst nicht die ganze Wirklichkeit ist.

Und ich richte mich neu aus auf eine Wirklichkeit, die auch dann besteht, wenn ich davon nichts merke oder nicht daran denke. Denn erlebe ich vielleicht auch, wie befreiend es ist, dass ich nicht der Nabel der Welt bin. Ich bitte nicht Jesus in meine Illusion herein, sondern ich kehre meiner Illusion bewusst den Rücken und wende mich ihm zu – dem wahren Licht, das allen Menschen leuchtet. Ich bin sicher, so hat der Autor des Liedes das auch gemeint…

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Weihnachten: Der ewige Zweite

Wenn es um Weihnachten geht, hat Matthäus keine Chance. Die Weihnachtsgeschichte, die amtliche, die ist von Lukas, und ohne die geht gar nichts am 24.12.

Der arme Autor des ersten Evangeliums hat wohl so ziemlich alles falsch gemacht mit seiner „Weihnachtsgeschichte“. Sie wird allenfalls zerstückelt und in homöopathischen Dosen hier und da beigemischt. Aber so richtig lesen, am Stück und als eigenständigen Bericht, mag sie fast niemand.

Denn statt eines erhabenen Kaisers taucht nur der schleimige Herodes auf. Der schöne (??) Stall mit den süßen (??) Tieren fehlt, denn es war wohl eine schnöde Hausgeburt. Maria und Josef kamen ursprünglich gar nicht aus Nazareth, das lernten sie erst ein paar Jahre später durch die Führung des Engels kennen, als sie aus Ägypten zurück kamen.

Bild: Wikipedia CommonsApropos Engel: Kein Engelein Chor jubelt hoch droben, die Engel halten sich bei Matthäus alle im Reich der Träume auf – ärgerlich subjektiv, das alles. Und der Ärger geht weiter: Statt redlicher Hirten (ok, schlechter Leumund, aber jüdisch) erscheinen Magier aus dem Osten – ist das nicht ein gefundenes Fressen für Esoteriker? All das ist ebenso wenig kindertauglich wie das Blut, das kurz darauf in Strömen durch Bethlehem fließt. Ach ja, Josef wollte Maria anfänglich sogar heimlich verlassen.

Ihr Kinderlein, bleibt lieber zuhause.

Mensch, Matthäus…

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Das Ja der Stille

Meine Meditationsübung besteht im Augenblick darin, still zu sein und bei jedem Ausatmen „ja“ zu sagen – in Gedanken, nicht laut.

Zwei Dinge sind mir sofort aufgefallen: Das deutsche Ja hat dafür einen schönen Klang. Das kommt ja nicht so oft vor, aber rein vom Klang her finde ich Ja schöner als yes oder oui. Letzteres erinnert mehr an unsere Meerschweinchen, wenn sie „quiek und Frieden“ spielen (um Kommentaren vorzugreifen: Klar, ist natürlich Geschmackssache, und nein, ich mag die Franzosen).

Obwohl es ein unspezifisches „Ja“ ist, keine Antwort auf irgendeine konkrete Frage also, hatte ich schon den Eindruck, dass es mich irgendwie positiv stimmt. Eigentlich sogar noch etwas mehr: Es kam mir so vor, als käme auf die eher monotone Übung aus meinem Inneren eine Resonanz. Hinter den Gedanken an Dringendes und Belangloses und den tausend Dingen, die mir durch den Kopf gehen und mich ablenken, atmet so etwas wie mein wahres Ich oder der neue Mensch, der aus Gottes uneingeschränktem Ja zu mir lebt.

Am meisten hat mich dabei überrascht, wie überrascht ich war, dass es diesen Teil (oder wie soll man das sonst sagen?) von mir wirklich gibt. Manchmal bin ich so mit den un-heilen Affekten beschäftigt, dass ich es aus den Augen verliere.

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