Authentisch Predigen

Nach dem Post über Authentische Antworten hier noch ein weiterführender Gedanke zum Thema Predigen, der wieder die vier Beziehungsräume (öffentlich – sozial – persönlich – intim) voraussetzt.

Predigen spielt sich im mindestens sozialen, meist auch im öffentlichen Raum ab. Unverfängliche, zum Thema passende Anekdoten sind eine schöne Sache. Aktuelle „Wie gehts mir“-Erklärungen gehören da aber einfach nicht hin, vor allem, wenn es um Probleme geht (mit Erfolgen ist es jedoch nicht viel besser). Die aktuelle Befindlichkeit herauszuhalten bedeutet nicht, zu lügen oder zu heucheln. Denn ich kann ungelöste persönliche Dinge da nicht ausbreiten, ohne dass die Gemeinde anfängt, sich Sorgen um mich zu machen, anstatt über den Gegenstand meiner Predigt nachzudenken.

Ein konkretes Beispiel: Als ich mit Gipsarm ankam, musste ich den Unfall in drei Sätzen erklären – nicht während, sondern vor Beginn der Predigt. Und ich fing nicht an, zu beschreiben, wie mich das beim Schlafen stört, wann ich noch Schmerzen habe, ob ich wütend bin auf den Verursacher und so weiter. Ich kann auch mit genügend innerem und zeitlichem Abstand von bewältigen Problemen berichten, aber es muss klar werden, dass das abgeschlossen und vergangen ist, und auch nur dann, wenn es die eigene Person nicht ungebührlich in Szene setzt.

Authentisch predigen bedeutet also, nicht dem Irrtum zu erliegen, man müsse jede Aussage durch den Verweis auf eigenes Erleben untermauern. Persönliche Geschichten, vor allem sehr persönliche Geschichten, erzeugen immer eine größere Resonanz. Die Versuchung ist also durchaus gegeben, möglichst viel Persönliches zu erzählen, weil das von den Hörern belohnt wird. Doch es lauern hier mehrere Gefahren:

  • Die Abnutzung: Wenn Persönliches zum Standardrepertoire wird und nicht etwas Besonderes bleibt, verliert es seine Wirkung. Woche für Woche kann kaum jemand bewegende persönliche Erlebnisse erzählen, ohne am Ende um des Effekts willen Banalitäten aufzubauschen. Das ist natürlich ein Vorteil für Gast- und Wanderprediger – man kommt mit drei bis fünf guten (oder schlimmstenfalls rührseligen) Storys über die Runden und erzeugt zumindest die Illusion, es gehe hier sehr persönlich zu.
  • Die Verselbstständigung: Es mag eine Nebenwirkung der Klatschpresse sein, aber viele Predigthörer erinnern sich an nebensächliche persönliche Details und haben die – eigentlich beabsichtigte? – Aussage der Predigt längst vergessen.
  • Die Verengung: Wenn ich nur „persönlich“ predigen kann, dann wird mein persönliches Erleben zum Nadelöhr. Die Palette der Themen, die ich in der Bibel finde und die mit den Fragen und Erfahrungen in meiner Gemeinde korrespondiert, ist jedoch viel breiter. Es findet aber unter der Hand auch eine Verengung des Evangeliums auf den persönlichen und intimen Bereich statt. Das wird nie explizit gesagt, aber die soziale und öffentliche Dimension des Glaubens rückt in den Hintergrund.
  • Die Verflachung: Persönliche Geschichten können durchaus eine beachtliche Wirkung haben, aber wenn wir darüber vergessen, die Bezüge zum Ganzen der christlichen Botschaft herauszustellen und neben einem schönen Beispiel auch gute Gründe für ein bestimmtes Handeln zu vermitteln, verpufft sie auch ganz schnell wieder.

Sicher sagen mir nach diesem Post viele, dass ich nicht in der Gefahr stehe, auf der persönlichen Seite vom Pferd zu fallen. Ich finde das auch gar nicht schlimm. Ab und zu passt alles und ich kann tatsächlich persönlicher predigen als sonst. Authentisch ist es aber in jedem Fall.

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