Greifswald-Nachlese: Braucht die Kirche das Picardiat?

Den Abschluss des Symposiums “Kirche in der Postmoderne” bildete Michael Herbsts Referat “Führung und Leitung in der Kirche der Postmoderne”. Den Inhalt hat der emsig tippende DoSi protokolliert. Ich habe weiter über transformationale Führung nachgedacht, die im Gegensatz zur transaktionalen Führung (der simple Tauschhandel Leistung gegen Lohn) darauf gerichtet ist, einen hohen Einsatz (“beyond expectations”) anderer zu bewirken.

Das Paradebeispiel für diese Art zu führen ist Bill Hybels: Er ist Meister des Vision Casting, er bringt seinen Mitarbeitern hohe Wertschätzung entgegen, ermutigt sie durch sein Vorbild, ihre Begabungen einzubringen; er weckt in anderen Anerkennung und Bewunderung, erwartet umgekehrt nicht nur Pflichterfüllung, sondern Exzellenz – und bietet im Gegenzug eine enge persönliche Beziehung, die von anderen als Aufwertung erlebt wird .

Potenziell ist dieser Ansatz jedoch manipulativ, je nach Inhalt der Vision, für die der charismatische Führer (Max Weber – Richard Sennett hat dazu auch einiges zu sagen und ich werde das bei Gelegenheit posten) andere begeistert. Er kann eben auch zu einer kollektiven Infantilisierung führen, weil die Anhänger von ihrem Führer und seiner fremden Wahrheit und Vision (in dem Sinne, dass man sie sich nicht selbständig angeeignet oder sie gar mit gestaltet hat) abhängig werden. Man “kauft” sich sozusagen in die fertige Vision ein. Das kommt vielen natürlich auch sehr entgegen, weil es manches erleichtert. Wir müssen auch so noch genug selbst entscheiden und verantworten.

Auf der Suche nach einer Lösung stellt Michael Herbst im Rückgriff auf Dan Kimball die Captains Kirk und Picard aus Star Trek gegenüber und fragt, wo man (meine, bzw. Kimballs Worte) emerging leadership lernen kann. Ich habe dann angeregt, ein Picardiat (laut lesen, sonst funktioniert der Kalauer nicht) einzurichten. Ob man dazu nach Santa Cruz muss oder demnächst auch nach Greifswald? Es war nicht das einzige Mal, dass bei diesem Symposium auf emerging church Bezug genommen wurde, und der Bezug war in aller Regel positiv.

Zurück zu mir: Picard zu sein ist aber nicht so leicht, wenn man an Kirks Elle gemessen wird. Mir sind spontan ein paar Gespräche aus den letzten Monaten eingefallen, wo ich auf oder zwischen den Zeilen die Erwartung gelesen habe, ich müsse in die Hybels-Rolle schlüpfen (wobei weder Herbst noch Kimball, noch ich selbst Bill Hybels und Captain Kirk in einen Topf werfen würden). Und ich spürte die ganze Zeit, dass ich das aus verschiedenen Gründen nicht konnte: große strahlende Visionen ausspucken, für die andere sich rückhaltlos einsetzen würden und mit mir eine verschworene Gemeinschaft bilden. Zu groß diese Aufgabe, ich wäre dabei nicht authentisch, und der Gedanke, andere könnten sich am Ende manipuliert fühlen, ist schon irgendwie beängstigend. Wenn es also auch anders geht, dann müssen wir das eben nun gemeinsam lernen.

(Apropos Kirk: Heute beim Kaffee mit unseren Freunden Regina und Martin hatten wir es dann aus einem anderen Anlass von der christlichen Sehnsucht nach Helden. Von der Psycho-logik her sind manche geschickt vermarkteten christlichen Stars, deren Bücher und CDs wie warme Semmeln gehen, irgendwie wohl auch das, was für Tante Emma das goldene Blatt mit den Reichen und Schönen ist, nämlich “Auferbauung” – in dem Sinne, dass der fremde Glanz vielleicht irgendwie auf die Konsumenten abfärbt, oder wenigstens ablenkt und die Stimmung hebt.)

Technorati Tags: , ,

Share