Die lange Nacht und der helle Morgenstern

In meiner Straße leuchten zur Zeit Sterne überall aus den Fenstern, wenn es dunkel wird. Sterne gehören zu Weihnachten, ebenso wie die Nacht, in der die Engel bei den Hirten erscheinen und der Stern die Weisen lotst.

Die „heilige Nacht“ erinnert an Nächte, die nicht enden sollten – verliebt, im Glücksrausch, im Flow. Sie erinnert auch an Nächte, die nicht enden wollen. Mit einem kranken Kind, mit Schmerzen, mit Sorgen, die mir keine Ruhe lassen, mit schlechten Träumen.

Viele von uns haben das Gefühl, dass sich unsere Welt verdunkelt hat in den letzten Jahren. Pandemie, Kriege und viele ungelöste Probleme, die wir vor uns herschieben. Und dann noch unsere privaten und persönlichen dunklen Stunden und Wegstrecken. Wird es noch einmal besser? Wann hört das auf?

Wer in diesen Tagen vor Sonnenaufgang an den Himmel schaut, kann den Morgenstern sehen. Heller als alle anderen. Wenn er erscheint, dann ist es die längste Zeit dunkel gewesen. Nicht nur vielleicht, sondern ganz sicher. Auch wenn es in diesem Moment noch stockdunkel ist.

Das liegt an der besonderen Beziehung zwischen Erde, Sonne und dem Morgenstern – unserem Nachbarplaneten, der Venus. Sie ist immer in der Nähe der Sonne zu sehen. Und ihr helles Licht ist das Licht der demnächst aufgehenden Sonne.

In der Bibel wird Jesus ab und zu als „Morgenstern“ bezeichnet. Das ist wunderbar poetisch. Aber wie kommen die Menschen in der Bibel dazu, Jesus als Morgenstern zu bezeichnen, als den Vorboten des neuen Tages für die Welt und uns? Ist das mehr als bloß Zweckoptimismus?

Ja, und das liegt an seiner besonderen Beziehung, in der Jesus zu Gott und zu uns steht. Jesus ist in unser Universum gekommen und an unserer Seite, und er ist Gott so nahe, dass Gottes Licht und Liebe und Schöpferkraft aus ihm hervorstrahlen wie nirgendwo sonst. Die Nacht dauert zwar noch an, es ist noch ziemlich dunkel, aber das Ende ist schon besiegelt. Es wird nicht ewig so weitergehen. Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis kriegt es nicht in den Griff.

An Weihnachten feiern wir den Beginn einer großen Verwandlung. Sie beginnt in Gott selbst. Er legt sich unwiderruflich fest auf diese Liebe zu seiner kaputten Welt. Mein Computer warnt mich manchmal: „Sie können den folgenden Arbeitsschritt nicht mehr rückgängig machen. Möchten sie fortfahren oder abbrechen?“ Wir feiern, dass Gott sich fürs „Fortfahren“ entschieden hat. Wohl wissend, dass dieser Weg zu neuem Leben für die Welt durch den Tod am Kreuz führt.

So sehr identifiziert er sich mit seinen Geschöpfen. Und wir können zwar die Welt und die Lebewesen auf der Erde zerstören, aber nicht Gott. Mitten in der Welt existiert jetzt eine Quelle von Leben und Güte und Kraft, die größer ist als die Welt selbst und alle Verwüstung, die in ihr herrscht. 

Weil Gott sich so festgelegt hat, deshalb besteht heute Hoffnung für uns: Welt ging verloren, Christ ist geboren. Paulus nennt ihn den „Erstgeborenen der neuen Schöpfung“. Dieser Anfang liegt zwar schon in der Vergangenheit, aber seine ganze Wirkung hat er noch gar nicht entfaltet.

So sicher wie der Morgenstern sich zeigt, so sicher kommt der Tag. So sicher, wie Jesus sich auf den Weg machte zu uns, so sicher bringt er uns zum Ziel. Also feiern wir heute schon mal ein Ende von Krieg, Hass, Unterdrückung, Einsamkeit, Krankheit, Verzweiflung und Tod. Das ist alles noch da, aber nicht mehr übermächtig. Übermächtig ist die Liebe. Und darüber dürfen wir uns ausgelassen freuen. 

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Meine Liebe – deine Liebe

Mehr denn je bin ich davon überzeugt: Die Liebe ist der Daseinsgrund und das oberste Gesetz der Gemeinschaft. Aber bei uns wie bei anderen habe ich erlebt, dass man der Liebe recht übel mitgespielt hat – und das im Namen der Liebe!

Weder das Bemühen, von sich selbst abzusehen, noch die Ermahnung, doch an die übernatürliche Dimension zu denken, scheinen zu genügen, um solche Flurschäden zu verhindern. Alle, die gegenseitig aufeinander losgingen, waren davon überzeugt, dass man „Gott über alles lieben müsse und seinen Nächsten wie sich selbst“ – aber jede hatte ihre eigene Auffassung und ihre eigene Version dieser Liebe.

Madeleine Delbrêl, Deine Augen in unseren Augen. Die Mystik der Leute von der Straße, 139.

 

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Das Format unserer Taten

Wir anderen, wir Leute von der Straße, sind ganz sicher, dass wir Gott so sehr lieben können, wie er Lust hat, von uns geliebt zu werden.

Wir glauben, dass die Liebe keine glanzvolle, dafür aber eine aufzehrende Angelegenheit ist; wir denken, dass wir, wenn wir für Gott ganz kleine Dinge tun, ihn ebenso lieben können wie mit großen Aktionen. Im Übrigen halten wir uns für schlecht informiert, was das Format unserer Taten angeht. Wir wissen bloß zweierlei: zum einen, dass alles, was wir tun, nur klein sein kann; zum anderen, dass alles, was Gott tut, groß ist. Das beruhigt uns angesichts dessen, was zu tun ist.

Weil wir die Liebe für eine hinreichende Beschäftigung halten, haben wir uns nicht die Mühe gemacht, unsere Taten nach Beten und Handeln auseinanderzusortieren.

Madeleine Delbrel, Deine Augen in unseren Augen. Die Mystik der Leute von der Straße, 97.

 

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Kirche ist nichts für Romantiker

Ganz nüchtern lasen wir heute im Epheserbrief davon, dass man einander in der Kirche (wie auch in der Familie) manchmal halt einfach ertragen muss. Das ist eine schlichte und doch tiefe Lebensweisheit. Vielleicht hat sie etwas mit dem Älterwerden zu tun, bestimmt aber mit einer gewissen Reife.

Unreifere Beziehungskonzepte kennen nur den Modus der Euphorie oder der Krise, scheint mir. Ist die Euphorie weg, hält man das schon für den Anfang vom Ende (und wenn man das glaubt, ist es auch oft so). Wenn aber das Verfliegen der Euphorie schon die Krise ist, dann ist die Versuchung hoch (zumal wenn alle anderen ähnlich ängstlich sind), dieses Abflauen möglichst lange zu kaschieren oder zu leugnen. Oft so lange, bis der Frust am Ende so abgrundtief ist, dass man gleich alles hinschmeißt.

Aber wir sind einfach nicht so gestrickt, dass wir ständig auf der höchsten Erregungsstufe laufen können. Von daher ist es befreiend, wenn man sich eingesteht, dass wahre und echte Liebe manchmal auch „nur“ bedeutet, sich und den anderen auszuhalten (N.B.: ersteres kann noch schwerer sein. Der große Philosoph Brian Adams dichtete vor Ewigkeiten schon: If you wanna leave me, can I come, too? ).

Das „Ertragen“ ist also kein Zerfallsprodukt der Liebe (das verbitterte Aushalten schon eher), sondern es ist eine ganz authentische Äußerung wahrer Liebe.

Zwischen Euphorie und Panik, Intimität und Irritation liegt ein weites, fruchtbares Land.

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Crazy Love (2): Zorn und Zärtlichkeit

(Wer Teil 1 noch nicht gelesen hat, bitte erst hier klicken)

Schließlich kommt er doch – der Tag, an dem er nach langem Zögern beschließt, seine Frau zu verlassen. Er packt seine Sachen und verlässt das Haus. Von einem Tag auf den anderen ist er nicht mehr erreichbar. Für sie bricht eine Welt zusammen. Als wäre das nicht genug, gerät sie auch noch ins Visier der Geheimdienste. Ihr verschwundener Mann, munkelt man, habe Kontakte zu Staatsfeinden unterhalten.

Gleichzeitig beginnt der soziale Abstieg: Sie muss das Haus verlassen und in ein Zimmer zur Untermiete ziehen. Die Menschen in diesem Teil der Stadt sind ihr fremd, die wenigsten sprechen ihre Sprache, sie fühlt sich einsam. Arbeit zu finden ist nicht einfach, es bleiben nur schlechte Jobs. Frühere Freundinnen gehen ihr aus dem Weg, ihre Nachbarinnen tuscheln hinter ihrem Rücken. Männer behandeln sie zunehmend respektlos.

Alles, was sie an ihm auszusetzen hatte, wirkt plötzlich hoffnungslos kleinkariert. Warum beginnt man das, was man hatte, so oft erst dann zu schätzen, wenn man es verliert? Vom guten Leben ist sie weiter weg als je zuvor. Und das schlimmste ist, dass sie immer deutlicher sieht, wie sie selbst ohne Not alle Türen zu einer Versöhnung zugeschlagen hatte.Sie braucht noch eine ganze Weile, bis sie sich fängt. Aber dann weiß sie, dass sie sich nicht gehen lassen will. Sie will die Scherben aufsammeln und ihr Leben in den Griff bekommen.

Eines Abends besucht sie ein Freund ihres Mannes. Er hat eine Nachricht dabei. Die erste seit Jahren. Sie beginnt erst zögernd zu lesen, aber dann ist sie auf ganzer Linie überrascht vom Inhalt: Kein Vorwurf, keine Klage. Stattdessen die Erinnerung an das Kennenlernen, an die ersten Jahre, als sie ein Herz und eine Seele waren, und das Bekenntnis, dass er das nie vergessen wird. Er spricht davon, dass zwischen ihnen alles wieder gut wird.

Sie kann es nicht fassen. Sie legt die Brief weg und schaut eine Weile aus dem Fenster hinaus in die Dunkelheit. Dann dreht sie sich um, nimmt den Brief wieder zur Hand und liest noch einmal. Kein Zweifel, das ist seine Handschrift. Und auch Art, sich auszudrücken erkennt sie sofort wieder. Bei allen Unterschieden zwischen ihnen beiden, bei allen Überraschungen, die er ihr zugemutet hatte im Lauf der Jahre, allen Enttäuschungen, weil Dinge sich nicht nach ihren Vorstellungen entwickelt hatten, allem Frust und Streit – sie konnte sich immer auf sein Wort verlassen.

Und doch ist er ein anderer geworden. So wie sie selbst eine andere geworden ist. Kann jetzt wirklich alles gut werden zwischen ihnen beiden? Wir haben diesen Brief. Hier ist der Wortlaut:

Für eine kleine Weile habe ich dich verlassen, aber weil ich dich von Herzen liebe, hole ich dich wieder heim. Als der Zorn in mir aufstieg, habe ich mich für einen Augenblick von dir abgewandt. Aber nun will ich dir für immer gut sein. Das sage ich, der Herr, der dich befreit. Zur Zeit Noachs schwor ich: ‘Nie mehr soll das Wasser die Erde überfluten!’ So schwöre ich jetzt: ‘Nie mehr werde ich zornig auf dich sein und nie mehr dir drohen! Berge mögen von ihrer Stelle weichen und Hügel wanken, aber meine Liebe zu dir kann durch nichts erschüttert werden und meine Friedenszusage wird niemals hinfällig.’ Das sage ich, der Herr, der dich liebt.

Wie die Geschichte weitergeht? Dazu in Kürze mehr.

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Crazy Love (1): Ein unwahrscheinliches Paar

Dies ist eine wahre Geschichte über Freude und Schmerz und wie nahe beides beisammen liegen kann. Sie handelt von einem kreativen Self-Made-Man. Er hatte, quasi aus dem Nichts, ein florierendes StartUp in der Biotechnik-Branche auf die Beine gestellt – und sich damit eigentlich für den Olymp der Reichen und Schönen qualifiziert. Doch in deren Gesellschaft fand er niemanden, der zu ihm gepasst hätte. Sie kamen alle zu selbstverliebt daher und neigten dazu, andere zu benutzen und von oben herab zu behandeln. Und weil er jemand war, der Ungerechtigkeit nur ganz schwer ertragen konnte, machte ihm diese Mentalität schwer zu schaffen.

Die Firma lief gut und stabil genug, dass er es sich leisten konnte, allein und weitgehend inkognito durch die Welt zu reisen. Er verließ die Welt der Villenviertel und tauchte ab als Wanderer, nur einem Rucksack unterwegs. Und so traf er schließlich in einem Flüchtlingslager in Afrika eine junge Frau. Sie wirkte rebellisch und leidenschaftlich, wenn es um Gerechtigkeit ging, mit einem ungeheuren Freiheitsdrang und vor allem voller waghalsiger Träume.

„Ist sie das alles wirklich“, fragte er sich anfangs, „oder sehe ich das nur in ihr, weil es mir selbst so wichtig ist?“ Er musste es herausfinden. Vielleicht war sie ja auch ein bisschen von beidem? Also verriet er ihr bei den ersten Begegnungen nur zögerlich, wer er war. Er wollte nicht, dass sie in ihm nur das Ticket in ein besseres Leben sah.

Umgekehrt stellte er fest: Sie stammte aus bescheidenen Verhältnissen und wusste, wie es sich anfühlt, wenn man keine Lobby und keine Rechte hat, wenn man unterdrückt und ausgenutzt wird. Sie war gewiss keine Heilige, aber sie gehörte zu exakt den Menschen, um die es ihm mehr als um alles andere ging. Dort in Afrika fingen sie an, gemeinsam von einer besseren Welt zu träumen, in der Menschen nicht unter die Räder des Sicherheitsapparats, der Konzerne oder der Hassprediger und ihrer Anhänge kommen.

Schließlich verhalf er ihr zur Flucht vor dem autoritären Regime, indem er ihr einen Pass besorgte, mit dem sie ausreisen konnte. Fast wäre sie an der Grenze noch gestoppt worden, aber es funktionierte dann doch noch alles. Sie verbringen ein paar Wochen allein in den Bergen und beschließen in dieser Zeit zu heiraten. Dann nimmt er sie mit zu sich nach Hause.

Vermutlich hatten sie sich das beide einfacher vorgestellt: Er muss sie immer wieder gegen den Spott der etablierten Nachbarn in Schutz nehmen, die sie wegen ihrer einfachen Herkunft verachten. Und es macht ihm Sorgen, dass sie immer weniger miteinander reden. Manchmal scheint ihm, sie ist ganz zufrieden damit, dass ihre Welt nun eine bessere ist. Gelegentlich sagt oder tut sie Dinge, die sie so oberflächlich erscheinen lassen wie die anderen Frauen, mit denen er sich ein gemeinsames Leben nie vorstellen konnte.

Wenn er wieder über seinen Traum von einer gerechten Welt für alle spricht, ist sie nicht mehr so aufmerksam und interessiert wie früher. Manchmal hat er das Gefühl, dass sie ihn belächelt. Ist das noch die Frau, in die er sich verliebt hat? Und kann er noch auf sie zählen?

Er stellt sie zur Rede. Sie weicht ihm immer wieder aus. Manchmal wirft sie ihm vor, er liebe sie nicht genug. Anderen Frauen ginge es besser. Seinetwegen sei sie eine Außenseiterin in der High Society. Er stecke viel zu viel von ihrem gemeinsamen Vermögen in seine sinnlosen Weltverbesserungsprojekte. Andere Male ist sie zerknirscht und sagt unter Tränen, dass sie sich ändern werde. Aber die guten Vorsätze halten nicht lange.

Mit der Zeit spürt er immer deutlicher, dass sie sich selbst nicht leiden kann. Sie sucht Trost in Luxusartikeln, behandelt die Angestellten im Haus schlecht und beneidet die Nachbarn, bei denen angeblich alles besser ist. Hat sie ihn wirklich jemals geliebt? Ist sie in diesem inneren Zustand dazu überhaupt fähig? Auch wenn er ihr nie vorgehalten hat, dass sie von ihm abhängig ist, dass er ihr alles erst ermöglicht hat – nimmt sie ihm diese Ungleichheit insgeheim doch übel?

Er versucht ihr zu erklären, dass sie dabei ist, nicht nur sich zu zerstören, sondern auch diese Beziehung. Sie reagiert defensiv und zieht sich weiter zurück. Die Positionen verhärten. Er ahnt, dass er sie verlieren wird.

Fortsetzung folgt

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