Stress mit bösen Geistern (2)

Ich hatte mich mir Richard Horsleys These befasst, dass sich die Unterdrückung indigener Völker durch technisch und wirtschaftlich überlegene Großreiche oder Kolonialmächte in einer signifikanten Zunahme von Bessenheitsphänomenen äußert. Die eindringenden Dämonen tragen häufig Attribute der Besatzer, der Kampf gegen sie lenkt ab von der demütigenden Aussichtslosigkeit des politischen und militärischen Kampfes, ja sie rettet die betroffenen Gemeinschaften davor, Ihr Leid durch einen Aufstand zu potenzieren.

Horsley zieht eine Parallele zum Neuen Testament. Während Geister und Engel in Israel vor der hellenistischen Zeit kaum eine Rolle spielten und vor allem nicht als eigenständigen Akteure erschienen, ändert sich das in den späten Schichten der hebräischen Bibel wie dem Danielbuch dahingehend, dass zwischen Gott (der damit in größere Ferne rückt) und Welt sich eine Sphäre von Zwischenwesen auftut, in der ein Kampf zwischen Gut und Böse tobt. Spätere jüdische Schriften wie das Henochbuch und die Texte aus Qumran malen das weiter aus. Zeitgeschichtlich fällt das mit der Besatzung durch die hellenistischen Seleukiden (davon berichten die Makkabäerbücher) und später dann durch die Eroberung und brutale Unterwerfung Palästinas durch die Römer zusammen. In Qumran wurde der „geistliche Krieg“ (meine Formulierung) rituell begangen. Deutliche Anspielungen auf Formationen der Besatzerheere trafen dabei auf Elemente der Josua-Tradition und Vorstellungen vom Gotteskrieg.

In den Evangelien finden wir zahlreiche Berichte über Dämonenaustreibungen. Solche Berichte fehlen fast völlig aus der Zeit der Selbständigkeit von Israel und Juda. Die knappen Schilderungen interessieren sich dabei im Vergleich zu vergleichbaren Texten der hellenistischen Literatur überhaupt nicht für die Techniken und Kunstgriffen des Wundertäters, dafür enthalten sie Anspielungen auf den mosaischen Exodus und die Erneuerung Israels.

Unverkennbar ist die politische Dimension (und die Parallele zum kolonialen Afrika) in Markus 5,1-20, in der sich der Dämon als „Legion“ zu erkennen gibt. Der dämonisierte Mann hingegen steht als Symptomträger für die gesamte Bevölkerung. Militärische Sprache prägt auch den weiteren Gang der Erzählung. Die Geister treiben eine Schweineherde in einen wilden Ansturm auf das „Meer“ – der See Genezareth wird zum Symbol für das Mittelmeer, über das die Römer kamen, und das Schilfmeer, in dem die Ägypter untergingen.

Dass es die Leute mit der Angst zu tun bekamen und Jesus baten, die Gegend zu verlassen, hat, so Horsley, weniger mit den tumultartigen Umständen zu tun, sondern mit der Tatsache, dass die Maskierung der wahren Unterdrückung, einschließlich der Ursachen und Folgen, nun zusammengebrochen war und ein anderer Modus Vivendi gefunden werden musste als das gelegentliche Niederringen eines Besessenen mit vereinten Kräften. Deutlich wird in alldem: Das Kommen des Gottesreiches in den Exorzismen Jesu (mit dem „Finger Gottes“) signalisiert auch den Anfang vom Ende der römischen Gewaltherrschaft.

Share

Wenn geistreich sein nicht mehr reicht…

Madeleine Delbrêl lebt in der Spannung zwischen Kirche und Gesellschaft, die (nicht nur) damals von beiden Seiten bedroht war. Die Kirche zog sich in sich selbst zurück vor einer immer gleichgültigeren Welt, die von ihr nichts mehr erwartete. Man muss das wissen, um die folgenden Sätze nicht misszuverstehen.

Einzig in der Kirche und durch sie ist das Evangelium Geist und Leben. Außerhalb ist es nur noch geistreich, nicht mehr Heiliger Geist.

Die Evangelisierung der Welt, ihr Heil ist die eigentliche Berufung der Kirche. Sie ist unaufhörlich auf die Welt hin ausgespannt, strebt zu ihr hin wie die Flamme zum Stroh. Aber diese Spannung wäre eine Überforderung für jemanden, der nichts weiter als er oder sie selbst sein wollte.

Je kirchenloser die Welt ist, in die man hineingeht, desto mehr muss man Kirche sein. In ihr liegt die Mission – durch uns muss sie hindurchgehen.

(Deine Augen in unseren Augen, 214.)

Das wäre durchaus eine Kirche, von der auch heute viele träumen: Eine Gemeinschaft von Menschen, in der sich das Evangelium verkörpert und deren Identität nicht in der strikten Abschottung besteht, sondern die sich fordern, dehnen und verändern lässt, die in ihrem Hineingehen in die Welt auch über sich selbst hinauswächst.

Reduziert man das Evangelium auf eine körperlose Idee, und versucht man aus dieser Idee Kapital zu schlagen für andere Zwecke (Bildung, Wellness, bürgerliche Moral etc.), dann ist es nur noch geistreich. Nicht wertlos, aber weit unter Wert verkauft.

 

Share