Anscheinend ist das Thema „Hölle“ immer noch ein mächtiger Aufreger für viele Christen. Um sicherzustellen, dass die Ewigkeit nicht von Krethi und Plethi bevölkert wird, weil die strengen Zugangsvoraussetzungen von allzu liberalen Gutmenschen aufgeweicht werden, wird immer wieder mal angemerkt, dass am Ende auch noch Hitler und Stalin im „Himmel“ auftauchen könnten, weshalb man in dem Fall selber gar nicht mehr da hin will. Ich nenne das mal den Monster-Trick.
So weit, so gut. Ich wüsste noch ein paar Namen von Leuten, denen ich lieber nicht begegnen würde. Je länger nicht drüber nachdenke, desto mehr fallen mir ein für die Monster-Liste. Nur: Wo ist die Grenze? Und ist mein netter, aber vermeintlich gott-loser Nachbar nun näher an mir oder näher an den Monstern? Es geht ja gar nicht um diese Grenzfälle, sondern um die Milliarden unspektakulärer Individuen, die schon erwähnte „massa damnata“,
Auf der anderen Seite haben viele die Blüten, die der theologische Exklusivismus hier und da so treibt, dermaßen satt, dass sie der Kirche insgesamt den Rücken kehren, die für sie zum Hort der Bigotterie und Intoleranz geworden ist. Von einer solchen Geschichte erzählte neulich Peter Rollins. Einer seiner Freunde erklärt seinen Abschied vom organisierten Christentum mit einer Parabel: Er kommt an der Himmelstür an, Petrus überprüft seine Identität und will ihn hereinlassen, da fällt sein Blick auf seine Freunde. Ob die auch hinein dürfen? Petrus schüttelt den Kopf. Dann, so der Freund, ziehe er es vor, auch draußen zu bleiben. Petrus strahlt ihn an und beglückwünscht ihn zu dem Entschluss.
Es ist freilich eine konstruierte Geschichte, die auf diese sympathische Pointe hinausläuft. Immerhin: Jesus hat selbst den „Himmel“ verlassen um all der Menschen, ja der ganzen Welt willen, die Gott liebt. Wie sollten wir ihm da nicht nacheifern?
Die Szene an der Himmelstür, wo man sich in Ruhe informieren kann, wer nun drin ist und wer nicht, und sich dann selber entscheiden, ob Gottes Auswahl einem nun zusagt oder nicht, wird es freilich nicht geben. Die Entscheidung, wie ich zu Gott und anderen Menschen stehe, treffe ich heute. Sich von einer Organisation zu distanzieren (oder ihr entschieden zu widersprechen!), die den Großteil der Menschheit mehr oder weniger verklausuliert in die Kategorie „Monster“ einstuft, kann dabei ein sinnvoller Schritt sein.
Letzten Endes aber bedeutet es, auf das Urteil in dieser Frage überhaupt zu verzichten, keine end-gültige Ausgrenzung vorwegzunehmen und zu akzeptieren, dass ich nicht Gott spielen kann – für niemanden. Wer sich damit schwer tut, kann ja mal drüber meditieren, wie es wäre, tatsächlich im „Himmel“ einem Hitler oder Stalin zu begegnen. Einem, der dort all die positiven Möglichkeiten verwirklicht, die er in seinem „irdischen“ Leben ausgelassen hat. Einen, der in all das Gute hineinwächst, das Gott ihn ihm angelegt hatte.
Man muss ja nicht gleich eine Theologie draus machen. Als Herzensübung ist das jedoch gar nicht so schlecht. Denn wenn Gott so etwas mit Hitler gelingen könnte, was wäre dann mit meinen ganz persönlichen Intimfeinden – oder gar mir selbst?
Eines meiner „Lieblingsthemen“, weil nicht auflösbar. Daran kann man sich die Zähne ausbeißen. Oder es als Barometer für den eigenen religiösen Arroganzspiegel nutzen. Die „Wahrheit“ ist doch, das sich in meinem eigenen, inneren Mikrokosmos dasselbe Elend aufhält ( Folgen menschlicher Sünde), das- fände ich es im ganzen Makrokosmos einmal ausgebreitet- mich sofort in den Wahnsinn treiben würde. Letztlich würde keiner die ganze Wahrheit über sein Leben “ auf einmal“ aushalten. in all ihren Verzweigungen.
D. h. ich kann mich weder ein-noch aus-schließen, ich bin mittendrin und nicht fähig und nicht dazu bestimmt letztendliche Grenzen zu ziehen. Die helfen nur, manche Sachverhalte deutlich zu machen, hervorzuheben , „letztendlich“ sind sie nicht, das ist die Aufgabe eines Richters, der nicht „Mensch“ heißt. Die Geschichte mit Hitler im Jenseits ist übrigens in dem Buch „Gnade“ von Philip Yancey schön herausfordernd angedacht.
Spannend fände ich in diesem Zusammenhang auch die Frage, was genau vom „System“ Hitler ich im Himmel antreffen würde – sicher nicht den „Führer“ der hauptsächlich durch seine Herde so furchterregend und grausam sein konnte. Wahrscheinlich eher den körperlich beeinträchtigten erfolglosen Maler mit ein paar Zwangsneurosen. Der würde eher Mitleid als Hass bei mir erwecken und vielleicht würde er auch eher zuhören als andere anzubrüllen. Und er würde sich helfen lassen statt die Welt am arischen Wesen „genesen“ zu lassen. Klingt für mich gut.
Ich halte die ganzen Himmel-und-Hölle-Vorstellungen für nicht so recht durchdacht. Man stelle sich nur den Himmel mal ganz konkret vor. Unheimlich viel Zeit, ständig Harfenmusik und Chorgesang, nur kooperative Spiele, alkoholfreie Drinks und frigide Frauen. Das kann es nicht sein.
Dass Hitler und Stalin – hätten sie sich unmittelbar vor dem Tod bekehrt (wie der Schächer am Kreuz) – im Himmel anzutreffen wären, müsste auf der anderen Seite allerdings weitgehend christlicher Konsens sein – theoretisch zumindest. Auf der anderen Seite kann man sehr leicht darüber reden, wenn man auf Grund der Gnade der späten Geburt nicht persönlich von deren Terror betroffen ist. Aber ich denke, fast jeder Christ dürfte eine Person kennen, die er heimlich gerne in der Ewigkeit los wäre, die er aber um Gottes willen (sic!) ganz bestimmt nicht los werden wird.