Sehnsucht

Und jetzt schwieg Legolas, während die anderen redeten, und er blickte hinaus gegen die Sonne, und als er schaute, sah er weiße Seevögel den Fluss herauffliegen.

»Schaut!« rief er. »Möwen! Sie fliegen land einwärts. Ein Wunder sind sie für mich und eine Beunruhigung für mein Herz. Nie in meinem ganzen Leben habe ich welche gesehen, bis wir nach Pelargir kamen, und dort hörte ich sie in der Luft kreischen, als wir zum Kampf um die Schiffe ritten. Da blieb ich stehen und vergaß den Krieg in Mittelerde; denn ihre klingenden Stimmen sprachen zu mir vom Meer. Das Meer! Ach, ich habe es noch nicht erblickt. Doch tief im Herzen unserer ganzen Sippe liegt die Meeressehnsucht, an die zu rühren gefährlich ist. Ach diese Unglücksmöwen! Keinen Frieden werde ich wiederfinden unter Buche oder Ulme.«

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Für mich bringt dieser kleine Abschnitt aus dem Herrn der Ringe vieles zum Thema Sehnsucht auf den Punkt: Sie liegt fast noch jenseits von Freude und Schmerz, auch wenn sie in beidem mitschwingt. Sie kann uns in dem Moment, wo sie erwacht oder wir uns ihrer bewusst werden, mit ihrer Tiefe und Kraft richtig erschrecken. Auf jeden Fall scheint in solchen Momenten das Treiben um uns her fast bedeutungslos, die Zeit stehen zu bleiben. Schließlich kann man sich nach etwas sehnen, das man noch nie gesehen hat. In diesem Fall ist es das Meer, aber auch das ist nur ein Symbol für die Heimat, die wir noch nicht kennen. Auch wenn sie uns keinen endgültigen Frieden finden lässt – unsere Sehnsucht kann uns helfen zu entdecken, wer wir wirklich sind und wohin wir gehören.
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