Mission und Qualität – geht das?

Vorgestern war ich zu einem Treffen eingeladen, wo wir versucht haben, diese beiden Begriffe zusammenzubringen. Vielleicht war die Runde ein bisschen zu groß, die das Zentrum Mission in der Region da zusammengebracht hatte. Während die offizielle Ergebnissicherung noch aussteht, habe ich beschlossen, hier mal mein persönliches Fazit in ein paar unausgegorenen Thesen festzuhalten:

1. Wesen und Ziel von Mission

Zum Missionsbegriff ist viel geschrieben worden. Ich bevorzuge ein weites, ganzheitliches Verständnis. Mission ist mehr als nur die Predigt des Evangeliums, sondern auch der Dienst am Nächsten und das Eintreten für soziale und ökologische Gerechtigkeit.

Aber selbst in der weitesten Fassung muss man gleichzeitig festhalten: Mission ist nur das, wo sich Kirche und Christen nicht mit sich selbst beschäftigen. Das ist im großkirchlichen Kontext schwer zu definieren, wo Kirchenmitgliedschaft und Getauftsein sich mit sehr unterschiedlicher Nähe und Distanz zum Glauben verbinden.

Mission hat ihr Ziel erst dann wirklich erreicht, wenn Menschen aktiv an dieser Bewegung teilnehmen, die Gottes liebendes und rettendes Handeln an der Welt beschreibt (richtig verstanden führen Taufe und/oder die Erfahrung von „Bekehrung“ zu diesem Ziel). Wollte man über Erfolgskriterien oder Ergebnisqualität nachdenken, so müsste man ansetzen bei Fragen wie:

  • hilft sie Menschen, zum Glauben zu finden und diesen auch selbst wieder weiterzugeben?
  • nehmen die nach außen gerichteten Aktivitäten in einer Gemeinde zu?
  • finden wir Partner in anderen Gruppen (und Glaubensgemeinschaften), mit denen wir soziale und ökologische Anliegen gemeinsam verfolgen?
  • wird unsere Stimme in der Gesellschaft wahrgenommen?

2. Charakter von Mission

Hier geht es, das habe ich gestern gelernt, um die Prozessqualität. Ich hatte vorgeschlagen, sich am biblischen Ethos der Gastfreundschaft zu orientieren. Ganz knapp formuliert hat „gute Mission“ für mich fünf Aspekte; ich versuche, weitgehend positiv zu formulieren:

  1. Die Bereitschaft, selbst zum Fremden zu werden – sich durch die Identifikation mit Christus in eine Distanz zur eigenen (auch und gerade kirchlichen) Kultur führen zu lassen, starre Identitäten erschüttern zu lassen und deren Grenzen zu überschreiten um des Nächsten willen.
  2. Auf den Nächsten, der mir als Fremder begegnet, zuzugehen und ihn mit seinen Bedürfnissen wie mit seinem Reichtum sehen zu lernen
  3. Einen Freiraum (Zeit, Kraft, Aufmerksamkeit) zu schaffen, der frei ist von Erwartungs- und Anpassungsdruck (bzw. von allen Versuchen, andere zu beeindrucken, zu manipulieren oder zu übertrumpfen)
  4. Eine „freundliche Leere“ (H. Nouwen) zu pflegen, indem ich mich selbst zurücknehme und ein echter, ergebnisoffener Dialog und gegenseitiges Lernen möglich wird
  5. das freimütige, fröhliche und unapologetische Bekenntnis des eigenen Glaubens an den dreieinigen Gott bzw. der eigenen Glaubensgeschichte mit Gott im Rahmen der großen Geschichte Gottes mit der Welt.

Hier wird „Qualitätssicherung“ vor allem darin bestehen, auf die Rückmeldungen des jeweiligen Gegenübers zu hören. Darüber hinaus kann man sich selbst fragen (und das am besten von Jahr zu Jahr und dann die Antworten vergleichen):

  • Wo bewegen wir uns als einzelne und gemeinsam über das gewohnte und vertraute Terrain hinaus?
  • Wo gelingt es uns, Distanz zu überwinden und Vorbehalte bei uns selbst und anderen abzubauen?
  • Wie klar ist unsere Vorstellung von unserem Beitrag zum Wohl des Gemeinwesens?
  • Wo lassen wir die Beschäftigung mit eigenen Bedürfnissen und dem eigenen Erfolg bleiben um des anderen willen und pflegen Kontakte?
  • Welche Spannungen nehmen wir dafür in Kauf?
  • Wie kultivieren wir Achtsamkeit und Gelassenheit?
  • Wie ist es um unsere Sprachfähigkeit im Blick auf den Glauben bestellt und welche Formen (Belehrung, Appell, Apologie, Bekenntnis/Zeugnis) bevorzugen wir dabei?

Oft sind hier nur relative Bewertungen möglich: Mehr/weniger (bzw. besser/schlechter) als vor einem Jahr, vor drei Jahren, vor zehn. Die jedoch können enorm sinnvoll und hilfreich sein. Man könnte schließlich auch noch die Frage der Strukturqualität aufwerfen: Aus- und Weiterbildung des Personals, Ausstattung mit Mitteln, angewandte Methoden.

Ich gestehe, dass ich das immer noch mit einem mulmigen Gefühl niederschreibe. Die Ökonomisierung so vieler Bereiche des gesellschaftlichen Lebens droht auch in den Kirchen großen Schaden anzurichten, wenn man nicht sehr umsichtig mit den Begriffen und Methoden des Managements verfährt. Ich rede zum Beispiel viel lieber von „Identität“ als „Marke“ zu sagen. In dieser Hinsicht musste ich mir beim Gespräch öfters auf die Zunge beißen. Die meisten Leute, die ich kenne, sind heilfroh, wenn in ihrer Gemeinde nicht auch noch die ganze Zeit von Effizienzsteigerungen und ähnlichen Dingen die Rede ist.

Kleiner Nachtrag: Mission ist eine Art Liebesaffäre. Kein Wunder, wenn man Hemmungen verspürt, in Herzensangelegenheiten Qualitätskriterien anzulegen.

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Tabubrecher aller Länder…

Der Beifall für Thilo Sarrazin unter Evangelikalen hat mich in den letzten Wochen doch beunruhigt. Vielleicht ging es dabei nicht einmal um die Sache, sondern um das (meiner Meinung nach nicht unbedingt berechtigte) Empfinden, dass hier jemand von einer linken Medienmeute gelyncht wird, weil er „die Wahrheit“ gesagt und auf „Fakten“ verwiesen hat, die von allen anderen angeblich tabuisiert und totgeschwiegen wird. Solche Erfahrungen kamen vielen vertraut vor, Eva Herman hatte in mancher Augen für ihre Thesen zu Kind und Familie schließlich ähnliches erleiden müssen, in einschlägigen Kommentaren dazu klang auch schon einer gewisse Christenverfolgungs-Rhetorik an.

Unbehagen gegenüber dem Islam kommt dann noch dazu, wie auch eine gewisse Bitterkeit über Kritik und Häme, die man in der Öffentlichkeit für bestimmte Moralvorstellungen einstecken musste. Nun wagt jemand mit tatkräftiger Unterstützung von Bild („Jede Wahrheit braucht einen Mutigen…“) einen scheinbar ähnlichen „Tabubruch“ und erhält dafür große Zustimmung. Dreht sich der Wind? Und wäre das nicht eine herrliche Gelegenheit, dem eigenen Frust auch einmal Luft zu machen, indem man sich mit Sarrazin solidarisiert? Zumal einem selbst doch diese Solidarität versagt geblieben ist…?

Nun, dasselbe haben anscheinend auch Erika Steinbach und der Bund der Vertriebenen empfunden und eine Spur zu deutlich gesagt, was sie immer schon dachten, aber nie klar zu sagen wagten, schließlich war es (aus guten Gründen) auch ein „Tabu“, etwa dass Polen den zweiten Weltkrieg im Grunde mit verschuldet haben soll. Steinbach war (zu Recht, wie sich nun deutlich zeigt) zu einer echten Belastung des deutsch-polnischen Dialogs und die Stiftung „Flucht – Vertreibung – Versöhnung“ geworden, was wiederum polnischen Scharfmachern in die Hände spielte, die es natürlich auch gibt. Steinbach & Co haben sich damit als Revisionisten geoutet.

Für mich bedeutet das: Wir sollten mit Opfer- und Märtyrerposen oder Begriffen wie „Schauprozess“ sehr, sehr sparsam umgehen. In der Geschichte der Kirche sind viele Unterdrückte nur allzu schnell zu Unterdrückern geworden. Sarrazin hat nach allem, was man inzwischen bei Freunden und Gegnern lesen kann, ja nichts wirklich Neues gesagt, sondern es war der Ton und der grob gestrickte publizistische Auftakt seiner Veröffentlichung, sowie das Nachlegen mit kruden Argumenten, das ihm den verdienten Gegenwind einbrachte (und ihn zum zweifelhaften „Volkshelden“ machte).

Zuletzt: Tabubrecher wie die Knalltüte Terry Jones will ja dann doch niemand wirklich haben. Eine christliche Subkultur, die ihre Verfolgungskomplexe hätschelt und trotzig mit Tabubrüchen und politischen Unkorrektheiten kokettiert, droht solchen Wahnsinn jedoch auf Dauer zu begünstigen.

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Beschützt und geborgen

Nach ein paar Tagen in den Schweizer Bergen muss ich mal einen Dank loswerden – an die eidgenössische Luftwaffe. Die hat uns mit zahlreichen Überflügen das beruhigende Gefühl vermittelt, dass am Himmel oben jemand stets über uns wacht. Man kann ja nie wissen, welche Schurken gerade irgendwelchen Terror aushecken, daher ist präventive und demonstrative Verteidigungsbereitschaft so entscheidend in dieser unsicheren Zeit.

Besonders spektakulär waren die donnernden Loopings zweier Jetpiloten am Mittwoch am wolkenlosen Himmel über Grindelwald. Zuerst habe ich noch überlegt, ob dem staunenden Urlauber hier neben dem Schutz auch Unterhaltung geboten wird. Dann fiel mir ein, dass Loopings und ähnlich verschlungene Manöver zum Standardrepertoire der Alpenflieger gehören müssen. Wenn man mit Überschall länger als ein paar Minütchen geradeaus fliegt, hat man nämlich schon den heimischen Luftraum verlassen…

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Ich hab’s!

… und wer will, kann es jetzt auch haben. Heute morgen fand ich nach der Rückkehr aus dem Urlaub das Paket mit meinen Belegexemplaren und musste es natürlich gleich öffnen. Wir haben den denkwürdigen Moment im Bild festgehalten:

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Eine Leseprobe hat der Verlag hier ins Netz gestellt.

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Re-reading Richard Rohr (2)

Die Pause fiel etwas länger aus – der schrullig-schlaue Commisario Montalbano war schuld – aber nun geht es weiter mit kleinen Weisheiten von Pater Richard Rohr. Ab nächste Woche mische ich mich auch wieder bei den Kommentaren ein, das habe ich die letzten Tage einfach nicht geschafft:

Wenn Ihre wichtigste Bezugsperson, der „signifikante Andere“ sagt, „du bist gut“, dann sind Sie tatsächlich gut. Die Erfahrung, von Gott befreit und geliebt zu werden, bedeutet: Gott sagt zu Ihnen: „Du bist gut.“ Jede und jeder andere kann Ihnen das genauso sagen, aber Sie werden das immer wieder bezweifeln, selbst wenn es sich zeitweise ganz gut anfühlen mag und als notwendiger „Flaschenöffner“ dient.

Der Erlösung versichert uns erst im Nachsatz eiens ewigen Lebens; der erste Satz spricht uns dieses jetzige Leben zu, und dann kommt die Aussage: „Und wenn du jetzt das Leben hast, dann hast du es auch später.“ Das kann uns schließlich zur tief inneren Gewissheit werden.

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Re-reading Richard Rohr (1)

Ich wollte schon seit einiger Zeit Richard Rohrs Buch Ins Herz geschrieben wieder lesen. Jetzt endlich komme ich dazu. Und weil es fast unmöglich ist, seine Gedanken knapp und griffig zusammenzufassen, gibt es an dieser Stelle immer wieder einmal einzelne Zitate, die vielleicht den einen oder die andere dazu anregen, selbst hinein zu schauen. Los geht’s mit einem Gedanken zur Bibel – passend zur immer noch andauernden Diskussion in der Kommentarspalte:

Der Bibeltext selbst ist in einer Bewegung nach vorn und manchmal zurück, gerade so wie wir Menschen. Mit anderen Worten: Die Bibel gibt Ihnen keine Schlussfolgerungen und fertigen Antworten an die Hand, sondern öffnet einen Raum und lässt eine Richtung erkennen: Die Punkte nach vorn und hinten zu verbinden, ist unsere Aufgabe …

Das Leben selbst – und ebenso die Bibel – ist ein Prozess, der sich immer drei Schritte vorwärts und zwei Schritte zurück bewegt. Wir finden immer wieder einen Punkt, den wir dann wieder verlieren oder in Zweifel ziehen. Darin ist der Bibeltext ein Spiegel unseres menschlichen Bewusstseins und unserer Lebensreise. Unsere Aufgabe besteht darin, zu erkennen, in welche Richtung die Texte führen, die drei Schritte vorwärts gehen. Es sind die Texte, die unablässig in Richtung Erbarmen, Vergebung, Nicht-Augrenzen, Nicht-Gewalt, Vertrauen weisen.

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Rennradfahrer sind seltsame Menschen

… das ist bestimmt eine ungerechte Verallgemeinerung. Vielleicht treffe ich immer nur die komischen Exemplare. Sie tragen grelle Trikots mit wenig ansehnlichen Werbeaufdrucken meist unbekannter Firmen, ohne dass sie dafür etwas bezahlt bekämen, und verstecken sich hinter Spiegelbrillen, deren Gläser in Schockfarben wie türkis, orange oder pink schillern und an die Stubenfliege Puck aus der Biene Maja erinnern. Vermutlich um andere Verkehrsteilnehmer darüber im Unklaren zu lassen, ob sie noch Puste haben oder längst aus dem letzten Loch pfeifen. Denn das Leben ist ein Wettrennen, da verschenkt man keinen Vorteil, auch keinen psychologischen.

Ich bin ein eher zügiger Radfahrer, aber mit normaler Sonnenbrille und in unauffälligem Zwirn unterwegs. Ab und zu begegne ich einem Rennradler, der verträumt vor sich hin strampelt. Er – vielmehr sein Ehrgeiz – erwacht jedoch in genau dem Moment, wo ich ihn überhole. Dann hängt er sich ein Weilchen in meinen Windschatten um etwas später triumphierend an mir vorbeizuziehen. Ich bin kein Bummler und finde es schön, schnell zu sein. Aber mein Verdacht ist, dass Rennradler immer nur „schneller als“ sein müssen. Sonst wäre sie ja gleich schneller gefahren.

PS: Für Ehrgeizige gibt es inzwischen elektrische Hilfsmotoren, die man dezent im Rahmen verstecken kann.

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Harte Zeiten für Vampire

Mittwoch mittag am Ostbahnhof in Berlin. Ich kaue das Produkt einer großen Sandwich-Kette und blicke durch die Glasscheibe hinaus Richtung Ausgang. Eine automatische Schiebetür öffnet und schließt sich, während Reisende den Bahnhof betreten oder verlassen. Auf – zu. Auf – zu.

Plötzlich wird das monotone Kommen und Gehen interessant: Eine Frau geht auf die Tür zu, aber die öffnet sich nicht. Die Frau geht ein paar Schritte zurück und nimmt einen neuen Anlauf – wieder nichts. Sie wippt auf den Zehenspitzen, sie wedelt mit der Hand – nichts. Unverrichteter Dinge dreht sie ab und verschwindet aus meinem Blickfeld.

Ich starre auf die Tür. Ist sie kaputt? Jemand nähert sich von außen. Sie öffnet sich und schließt sich wieder hinter der Person. Dann kommen zwei Leute von innen. Die Tür funktioniert tadellos. Ich versuche mich zu erinnern: Hatte die Frau nicht irgendwie transsilvanisch ausgesehen? Schattenkreaturen wie Vampire und Geister sieht man ja angeblich nicht im Spiegel. Da wäre es ja auch kein Wunder, wenn Bewegungsmelder sie ignorieren. Also stolpern sie über dunkle Flure und müssen Umwege in Kauf nehmen – die moderne Seite des alten Fluches. Vielleicht sieht man sie deshalb so selten.

Nachdenklich schlucke ich den letzten Bissen herunter. Es fühlt sich gut an, Mensch zu sein. Sogar die automatischen Türen sind uns untertan…

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Weisheit der Woche: Weitblick

In Krisenzeiten braucht man eine etwas weiter ausgreifende Perspektive als den Rat des Mainstreams und das Klein-Klein des bloßen Durchwurstelns

Jürgen Habermas – hier zitiert

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Adam, Eva und die globale Familie

In diesem spannenden Video geht Jeremy Rifkin der Frage nach dem Ursprung der Menschheit, der Zivilisation und der menschlichen Natur nach. Er setzt ein mit der Feststellung, dass der Mensch nicht – wie manche Denker der Aufklärung und Vertreter der (frühen) Evolutionstheorie vermuteten – primär von Aggression und Trieb zur Selbstdurchsetzung gelenkt wird, sondern von Empathie, Kooperation und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit.

Auf die Frage, ob es gelingen kann, globale Solidarität jenseits von ethnischen, religiösen, ideologischen und nationalen Grenzen zu ermöglichen, kommt er eher nebenbei darauf zu sprechen, dass genetische Daten darauf hindeuten, dass die heute Menschheit tatsächlich von einem Mann und einer Frau abstammt und dass daher die globale Familie genetisch betrachtet gar keine Fiktion ist. Weiß jemand, wer diesen Nachweis geführt hat?

Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich sage damit nicht, dass Genesis 1-2 in allen Einzelheiten wörtlich auszulegen wäre, besonders was die Theorie von der Erbsünde betrifft. Aber für einen fruchtbaren Dialog zwischen Theologie und Wissenschaft liefert Rifkin ein paar schöne Ansatzpunkte.

RSA Animate – Empathic Civilisation from The RSA on Vimeo.

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Homosexualität: Leiser streiten

Vor einer Weile habe ich mich in ein paar Posts mit den Positionen des Aufatmen-Dossiers Homosexualität beschäftigt. Inzwischen habe ich angefangen, im Sammelband Homosexuality and Christian Faith zu lesen. Ein Beitrag stammt vom Herausgeber selbst – Walter Wink, definitiv kein theologisches Leichtgewicht – und da geht es um Homosexualität und die Bibel. Ich referiere das hier einfach kurz und kommentarlos:

Die Frage nach einem Standpunkt zu Homosexualität führt uns immer wieder zurück auf die Frage, wie wir die Bibel heute verstehen und auslegen. Wink beginnt damit, dass er sagt, bei manchen Texten ist nicht klar, ob sie sich überhaupt auf Homosexualität beziehen. Bei anderen ist der Bezug unmissverständlich, etwa in Levitikus 18 und 20. Allerdings strikt auf Männer bezogen. Im Hintergrund steht das vorwissenschaftliche Weltbild der Hebräer, die davon ausgingen, das männliche Sperma enthält das Ganze des werdenden Lebens, weshalb es Tötung ungeborenen Lebens wäre, es nicht ausschließlich zur Zeugung einzusetzen. Daher die Todesstrafe. Fruchtbarkeit hatte in der alten Welt einen ganz anderen Stellenwert, es ging um das Überleben des Stammes und der Sippe, um Altersversorgung und – da es keinen Auferstehungsglauben gab – eine gewisse Form des Weiterlebens nach dem Tod. All das hat sich für uns verändert.

Manche dieser Vorstellungen stehen auch im Hintergrund, wenn Paulus in Römer 1,26f mit dem Gegensatz natürlich/unnatürlich arbeitet. Paulus hatte allem Anschein nach keine Vorstellung von einer homosexuellen Neigung, die sich entweder sehr früh im Leben entwickelt oder möglicherweise auch angeboren ist, sondern er geht davon aus, dass jemand willentlich gegen eine gegebene heterosexuelle Natur handelt. Paulus und seine Zeitgenossen hatten vermutlich auch kein Konzept gleichberechtigter homosexueller Partnerschaften die auf Dauer und Treue angelegt sind.

Aus der Bibel eine widerspruchsfreie, stimmige Sexualethik abzuleiten, ist deswegen ein schwieriges Unterfangen, weil dort ganz verschiedene Gebräuche oft unkommentiert nebeneinander stehen.

  • Geschlechtsverkehr während der Woche nach dem Einsetzen der Menstruation wird mit dem Tod bestraft (Lev. 18,19; 15,19-24)
  • Ehebrecher wurden gesteinigt (Dtn 22,22), allerdings konnte eine Frau nur die eigene, der Mann nur die Ehe eines anderen „brechen“. Eine Braut, die vor der Hochzeit ihre Jungfräulichkeit verloren hatte, wurde auch gesteinigt.
  • Nacktheit war ein strenges Tabu (Gen 9,20ff, 2.Sam 6,20; 10,4; Jes 20,2-4; 47,3)
  • Polygamie und Konkubinat dagegen kommen wiederholt vor und werden nicht kritisiert, im Judentum noch in nachneutestamentlicher Zeit
  • Die Leviratsehe ist Brauch im AT wird auch von Jesus ohne negative Wertung erwähnt
  • Wie das Hohelied andeutet, sind im Judentum einvernehmliche sexuelle Beziehungen unter Unverheiratetenin Einzelfällen möglich, so lange sie den Brautpreis nicht schmälern (s.o.).
  • In manchen ländlichen Gegenden erfolgte auch unter Christen die Eheschließung erst dann, wenn die Braut schwanger war. Kinderlosigkeit konnte man sich nicht leisten.
  • Sperma und Menstruationsblut verunreinigten nach dem jüdischen Gesetz einen Menschen für einen Tag bzw. eine Woche – Christen kümmert das heute in der Regel gar nicht mehr.
  • Regelungen zu Ehebruch, Inzest, Vergewaltigung, Prostitution drehen sich meistens um die Frage, wie hier männliche Besitzverhältnisse in einer patriarchalischen Gesellschaft berührt werden. In manchen jüdischen Texten ist zwar die Prostituierte eine Sünderin, nicht aber der Mann, der zu ihr geht. Heute verstehen wir das anders, weil wir von einer gleichberechtigten Partnerschaft mit Liebe, Treue und gegenseitiger Achtung ausgehen.
  • Die Mischehe mit Angehörigen anderer Völker ist im Alten Testament in der Regel verboten
  • Das mosaische Gesetz erlaubt die Scheidung, Jesus verbietet sie, die meisten Christen haben sich mit der Realität von Scheidungen inzwischen irgendwie arrangiert.
  • Ehelosigkeit wird im Alten Testament als abnormal empfunden, ihre generelle Forderung in 1Tim 4,1ff als Häresie bezeichnet, Paulus empfiehlt sie als Charisma und Jesus lebt sie vor.
  • Sklaverei wird in Teilen der Bibel akzeptiert und der „Gebrauch“ von Sklavinnen als Konkubinen gehörte da auch dazu.

Angesichts dieser Vielfalt, sagt Wink nun, sind Christen schon immer dabei, biblische Aussagen zu gewichten, zwischen unterschiedlichen Positionen auszuwählen und es ist gar nicht möglich, alles wörtlich zu erfüllen. Es gibt für Wink keine isolierte biblische Sexualethik. Stattdessen gilt:

Sexualität kann vom Rest des Lebens nicht getrennt werden. Kein geschlechtlicher Akt ist an sich „ethisch“, ohne Bezug zum übrigen Leben eines Menschen, den Mustern seiner Kultur, den besonderen Umständen, mit denen er zu tun hat, und dem Willen Gottes. Wir haben hier einfach sexuelle Gepflogenheiten, die sich manchmal mit erstaunlicher Geschwindigkeit wandeln und in befremdliche Dilemmata führen.

Diese Verhaltensweisen und Gepflogenheiten gilt es nun, sagt Wink, vom biblischen Liebesgebot her zu bewerten. Homosexualität als Orientierung ist für ihn so wenig eine Frage der Moral wie Linkshändigkeit, daher wirft er die Frage auf, ob man sie nicht (analog zu Ehelosigkeit) als Gabe neu begreifen sollte. Jesus fordert in Lukas 12,57 von seinen Zuhörern ein eigenverantwortliches ethisches Urteil, und Wink fragt, ob angesichts eines verändertes Wissensstands wie angesichts veränderter sozialer Verhältnisse nicht eine Neubewertung an der Zeit ist, die frühere Urteile revidiert. So wie Christen inzwischen Sklaverei, Gewalt und Sexismus hinter sich lassen und die biblischen Texte, in denen sich dies noch als unbestrittene Realität widerspiegelt, anders werten, könnte auch hier eine begründete Öffnung stattfinden. Den Ermessensspielraum hält er für gegeben.

Von daher kritisiert und beklagt Wink die aggressiven Auseinandersetzungen um das Thema Homosexualität in den Kirchen. Es wäre angesichts der Vielschichtigkeit der Auslegungsfragen besser, die Lautstärke um 95% zu reduzieren und auf gegenseitige Ausschlüsse und Verurteilungen zu verzichten, so lange kein Konsens erreicht ist. Als Beispiel führt er das Ehepaar Campolo an, die auch zum Autorenkreis des Sammelbands gehören. Meinungsunterschiede sind schmerzhaft, aber es ist eben manchmal nötig, sie auszuhalten.

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Authentisch Predigen

Nach dem Post über Authentische Antworten hier noch ein weiterführender Gedanke zum Thema Predigen, der wieder die vier Beziehungsräume (öffentlich – sozial – persönlich – intim) voraussetzt.

Predigen spielt sich im mindestens sozialen, meist auch im öffentlichen Raum ab. Unverfängliche, zum Thema passende Anekdoten sind eine schöne Sache. Aktuelle „Wie gehts mir“-Erklärungen gehören da aber einfach nicht hin, vor allem, wenn es um Probleme geht (mit Erfolgen ist es jedoch nicht viel besser). Die aktuelle Befindlichkeit herauszuhalten bedeutet nicht, zu lügen oder zu heucheln. Denn ich kann ungelöste persönliche Dinge da nicht ausbreiten, ohne dass die Gemeinde anfängt, sich Sorgen um mich zu machen, anstatt über den Gegenstand meiner Predigt nachzudenken.

Ein konkretes Beispiel: Als ich mit Gipsarm ankam, musste ich den Unfall in drei Sätzen erklären – nicht während, sondern vor Beginn der Predigt. Und ich fing nicht an, zu beschreiben, wie mich das beim Schlafen stört, wann ich noch Schmerzen habe, ob ich wütend bin auf den Verursacher und so weiter. Ich kann auch mit genügend innerem und zeitlichem Abstand von bewältigen Problemen berichten, aber es muss klar werden, dass das abgeschlossen und vergangen ist, und auch nur dann, wenn es die eigene Person nicht ungebührlich in Szene setzt.

Authentisch predigen bedeutet also, nicht dem Irrtum zu erliegen, man müsse jede Aussage durch den Verweis auf eigenes Erleben untermauern. Persönliche Geschichten, vor allem sehr persönliche Geschichten, erzeugen immer eine größere Resonanz. Die Versuchung ist also durchaus gegeben, möglichst viel Persönliches zu erzählen, weil das von den Hörern belohnt wird. Doch es lauern hier mehrere Gefahren:

  • Die Abnutzung: Wenn Persönliches zum Standardrepertoire wird und nicht etwas Besonderes bleibt, verliert es seine Wirkung. Woche für Woche kann kaum jemand bewegende persönliche Erlebnisse erzählen, ohne am Ende um des Effekts willen Banalitäten aufzubauschen. Das ist natürlich ein Vorteil für Gast- und Wanderprediger – man kommt mit drei bis fünf guten (oder schlimmstenfalls rührseligen) Storys über die Runden und erzeugt zumindest die Illusion, es gehe hier sehr persönlich zu.
  • Die Verselbstständigung: Es mag eine Nebenwirkung der Klatschpresse sein, aber viele Predigthörer erinnern sich an nebensächliche persönliche Details und haben die – eigentlich beabsichtigte? – Aussage der Predigt längst vergessen.
  • Die Verengung: Wenn ich nur „persönlich“ predigen kann, dann wird mein persönliches Erleben zum Nadelöhr. Die Palette der Themen, die ich in der Bibel finde und die mit den Fragen und Erfahrungen in meiner Gemeinde korrespondiert, ist jedoch viel breiter. Es findet aber unter der Hand auch eine Verengung des Evangeliums auf den persönlichen und intimen Bereich statt. Das wird nie explizit gesagt, aber die soziale und öffentliche Dimension des Glaubens rückt in den Hintergrund.
  • Die Verflachung: Persönliche Geschichten können durchaus eine beachtliche Wirkung haben, aber wenn wir darüber vergessen, die Bezüge zum Ganzen der christlichen Botschaft herauszustellen und neben einem schönen Beispiel auch gute Gründe für ein bestimmtes Handeln zu vermitteln, verpufft sie auch ganz schnell wieder.

Sicher sagen mir nach diesem Post viele, dass ich nicht in der Gefahr stehe, auf der persönlichen Seite vom Pferd zu fallen. Ich finde das auch gar nicht schlimm. Ab und zu passt alles und ich kann tatsächlich persönlicher predigen als sonst. Authentisch ist es aber in jedem Fall.

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