Der andere Faktor ist die Monotonie. Unglaublich, wie viele verschiedene Sachen meine Familie in diesen beiden Tagen schon gefuttert hat! Wenn hier auch nur drei Tage dasselbe Essen auf den Tisch käme, gäbe es sehr lange Gesichter. Ich habe zur Abwechslung gegenüber dem Vortag ein paar Spritzer Sojasauce verwendet und mich bei dem Gedanken ertappt, ob nicht Jamie Oliver nicht mal ein peppiges Kochbuch mit tollen Ideen zu kleinen, einfachen Reisgerichten schreiben könnte. Aber im Ernst: Viele würden vielleicht sagen „ich kann den ewigen Reis nicht mehr sehen“, aber es gibt schlicht keine Alternative…
Weisheit der Woche: Authentizität
Authentizität ist eine terroristische kulturelle Idee. Sie zwingt einen, nach der Quintessenz des eigenen Wesens zu suchen: Aber oft gibt es diese Quintessenz nicht. Gefühle, ebenso wie Menschen, sind Größen, die sich verändern.
Die Soziologin Eva Illouz im äußerst lesenswerten Interview mit Spiegel Online
Fast bloß eine Schale Reis
Ich fange wieder mit der körperlichen Seite an. Meinen Reis auf zwei Portionen zu verteilen klappte relativ gut. Beim Essen verglich ich meine Portion mit denen der anderen am Tisch und versuchte ich mir dann vorzustellen, dass über zwei Milliarden mit mir am Tisch saßen und auch Reis aßen.
Später am Abend genehmigte ich mir noch einen halben Apfel dazu und merkte mit einem Schlag, welch ein Luxus sogar ein mickriger halber Apfel für jemanden sein muss, der von einer Schale Reis am Tag lebt. Und – positiv formuliert – wie dankbar ich für einen halben Apfel sein konnte.
Überhaupt wird meine Erfahrung ja dadurch behindert und zugleich erleichtert, dass ich weiß, im Notfall (und den definiere ich selbst…) kann ich jederzeit so viel essen, wie ich mag. Erleichtert, weil das Ende immer schon in Sicht ist. Behindert, weil ich durch das absehbare Ende die Konfrontation mit dem Mangel nicht so ernst nehmen könnte.
Auf der Website zur Aktion stand gestern eine Bibelauslegung. Irgendwie fand ich keinen Zugang zu dem Text, was vermutlich mehr an mir lag als am Autor. In der Nacht lag ich dann eine Weile wach, aber vermutlich eher wegen eines aufwühlendes Gesprächs am Tag zuvor und weniger, weil der Magen knurrte. Auf n-tv lief eine Dokumentation über den ersten Weltkrieg. Die Bevölkerung in Deutschland litt im Winter 1916 an Hunger, man ernährte sich von Steckrüben und pro Kopf standen etwa 1.000 Kalorien zur Verfügung. Trotzdem ist das immer noch mehr als diese eine Schale Reis…
Eine Schale Reis: Der Einstieg
Das Sonntagsmenü stand schon, also habe ich den Beginn des angekündigten Selbstversuchs auf heute verschoben. Die ganze letzte Woche hatte ich einen etwas flauen Magen und eher mäßigen Appetit, aber gestern nachmittag und Abend zog das Hungergefühl – sicher auch, weil ich wusste, was mich diese Woche erwartet – deutlich an.
Wenn man nur so eine überschaubare Essensration vor sich hat, dann schiebt man die erste Mahlzeit vielleicht besser etwas hinaus, dachte ich mir und verzichtete auf ein paar Löffel Reis zum „Frühstück“. Im Lauf des Vormittags fragte ein hungriger Leidensgenosse an, ob der Reis in trockenem oder gekochten Zustand 100g schwer sein sollte. Ich hatte die Anleitung so verstanden, dass er vor dem Kochen gewogen wird.
Mittags war mir dann langsam kalt mit leerem Magen. Ich setzte den Reis auf und kippte, weil kein Brühwürfelchen mehr da war, ein paar Krümel Bratenfond ins Wasser, um etwas Geschmack zu erreichen. Mit mäßigem Erfolg. Der Rest der Familie aß auch Reis, freilich mit Huhn und eindringlich duftender Currysoße. Ich verspeiste gut die Hälfte meiner Portion und packte den Rest weg fürs Abendessen.
Das Verdauungstief fällt nach der leichten Mahlzeit weniger massiv aus, einen (freilich fairen!) Kaffee gönnte ich mir trotzdem und entschied, dass Milch auch ok ist, auch wenn die natürlich etwas Fett und Protein enthält. Für meine Mitmenschen bin ich so vermutlich genießbarer als wenn ich bloß Wasser zu mir nehme. Der Körper muss sich ja erst mal umstellen. Mit Alkohol sieht es dagegen schlecht aus. Ein 0,2l Glas Apfelsaft enthält laut Packung ein Fünftel des täglichen Bedarfs an Zucker, aber ein kleines Schorle ist vielleicht auch noch drin irgendwann heute.
Mein Fastenkollege schreibt gerade, er habe schon drei Viertel der Tagesration verdrückt und immer noch Hunger. Mal sehen, was das noch wird heute…
Die Legende vom iGod
Meinen ersten Mac kaufte ich 1990, als Steve Jobs bei Apple längst rausgeflogen war und sich um Pixar und Next kümmerte. Es war ein Macintosh LC, auf dem meine Dissertation dann Schritt für Schritt entstand – das legendäre Pizzaschachtel-Design. Der Bildschirm war noch farblos, aber scharf und man konnte Texte schon im echten WYSIWYG erstellen – das Kürzel kennen meine Kinder gar nicht mehr. Steve Jobs hat einen Kurs in Kalligrafie am Reed College als einen wesentlichen Anstoß bezeichnet, der bei der Entwicklung des ersten Macintosh 1984 zehn Jahre später stilbildend wurde. Und genau das war es, was mich für Apple einnahm. Jemand hatte mich verstanden und mein Bedürfnis nach schlichter, menschenfreundlicher und funktionaler Ästhetik begriffen.
Die Schachtel mit 40 MB Festplatte wurde dann ein paar Jahre später erst mit einem Farbmonitor versehen und dann von einem Performa 630 und später 6400 verdrängt, der inzwischen CDs lesen konnte und viel zu groß war für den Schreibtisch. Statt einem 68020-Chip rechnete eine PowerPC 603e CPU. Apple wurde in dieser Zeit in dem Medien ständig mit dem Attribut „angeschlagen“ versehen. Erinnert sich noch jemand an Gil Amelio? Niemand wusste, wie lange die Firma noch durchhält. Man wurde von den Windows-Benutzern mal bemitleidet, mal verspottet. Die pragmatische Navy schien die sentimentalen Piraten mit ihrem ästhetischen Spleen bald erledigt zu haben.
Ich hatte sogar einen Newton für eine Weile, der aber umständlich, schwer und damit unbrauchbar war – kein Vergleich zum iPad. Dann kam Steve Jobs zurück. Ich war mir erst gar nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Doch innerhalb kurzer Zeit kamen iMacs (Schock: ohne Diskette!) und iBooks aus buntem Plastik heraus (hatte ich nie), dann der Schwenk ins Weiß zum Schreibtischlampen-iMac (hatte ich, steht heute noch im Haus) und den weißen Notebooks.
Wie die Produktgeschichte weiter lief, kann man überall nachlesen in diesen Tagen. Apple verdiente plötzlich Geld, es wurde immer mehr und seit 2004 wurde die Marke so hip, dass sie ernsthafte Marktanteile im Mainstream ergatterte. Meine Söhne brachten ihre Freunde mit und mit einem Mal entschuldigten sie sich nicht mehr dafür, dass bei uns ein Mac herumstand, es brachte ihnen Bewunderung und Respekt ein – und ich musste mir keine Klagen mehr anhören, wann wir endlich Windows kriegen.
Seither gibt es überall begeisterte Neu-Macianer oder iPodPhonePad-Nutzer. Für mich war Apple nie ein Hype. Freilich hat mich gefreut, dass sich der ästhetische und kreative Ansatz durchgesetzt hat gegen die übermächtige Mentalität der Schrauber und Zahlenkolonnen. Ich glaube, dass das mit dem Kult ein Missverständnis ist. Unsere Mediengesellschaft veranstaltet um alles Mögliche einen Kult, Elvis und Michael Jackson waren Kultfiguren, in Italien sogar zeitweise Diego Maradona. Steve Jobs nicht – der hat das Echo der Medien sicher auch genutzt, im Letzten denke ich aber, dass er „seine“ Produkte nicht primär als Waren, sondern als Kunstwerke und irgendwie auch Geschöpfe verstanden hat, so wie ein Regisseur oder Autor das mit den Protagonisten seiner Geschichten vielleicht auch tut. Er hat seine eigene Begeisterung für sie so unwiderstehlich versprüht, wie es selbst der cleverste Verkäufer nie könnte, der darin eben nicht einen Teil von sich selbst erkennt.
Wenn es eine wirklich legitime Rede vom quasi-mythischen, süffisant so genannten „iGod“ gibt, dann ist das vielleicht die Geschichte eines begeisterten, leidenschaftlich kreativen und kompromisslos auf Vollkommenheit zielenden Schöpfers, der sich an seinem Universum kindlich freuen kann – und nicht die des jähzornigen Autokraten, selbst wenn es solche Momente sicher auch gab. In diesem ersten Sinne zeichnen auch Walter Isaacson und Walt Mossberg den Menschen Steve Jobs. Ihre Berichte heben sich wohltuend ab vom Mainstream, der über grobe Klischees nicht hinauskommt. In diesem Sinne spiegelt er den wahren Schöpfer von unser aller Welt wider.
Steve Jobs war kein Messias. Gerettet hat er nur Apple, aber er hat vielleicht doch auch geahnt, dass „Schönheit die Welt retten wird“, wie Dostijewski sagte. Die Welt ist ein bisschen ärmer geworden ohne ihn. Aber wenn viele sein Vermächtnis nicht nur in Form von Geräten kaufen, sondern die Philosophie verstehen und die Haltung verinnerlichen, die Jobs an den Tag gelegt hat, und dabei ihrem Herzen folgen, dann könnte daraus auch weiter Gutes entstehen.
Nochmal Weisheit: Bescheiden leben
Der unreife Mensch will für eine Sache nobel sterben, während der reife Mensch bescheiden für eine Sache leben möchte.
J.D. Salinger, zitiert von Andreas Malessa in Glaube am Montag
Wie schmeckt Armut?
Die Micha-Initiative ruft für die kommende Woche zu einer – für alle, die sich ihr anschließen – enorm eindrücklichen Aktion auf: Unter dem Motto Reicht Fast(en)? kann man sich verpflichten, täglich eine Schale Reis (100g, ca 350 kcal) zu essen. Blank, wenn’s geht, mit etwas Salz.
Mehr nicht, denn das ist die tägliche Essensration für ein Drittel der Weltbevölkerung – über 2 Milliarden Menschen! Die eine Milliarde, die tatsächlich im „technischen“ Sinn hungert, hat noch weniger…
Letzte Woche haben wir in einem Teamtreffen über die Aktion gesprochen und die meisten fanden das schon ziemlich happig. Einer aus der Runde meinte, dann würde er lieber ganz fasten, dann stellt sich wenigstens kein Hunger ein. Andere schüttelten den Kopf und meinten, sie müssen ja arbeiten, da geht so etwas nicht.
Andererseits: Vielleicht muss man es ja gerade deshalb am eigenen Leib erfahren! Denn die Leute mit der einen Schale Reis am Tag arbeiten ja auch. Also: Wo sind diejenigen, die es drauf ankommen lassen? Egal, wie lange jede/r durchhält – einen Versuch sollte es uns allemal wert sein. Also jetzt bitte nicht gleich „Reis aus nehmen“ – es sei denn, jemand hat Untergewicht oder gesundheitliche Probleme. Als Diät ist das Ganze übrigens auch nicht gedacht (zunehmen wird man freilich kaum).
Man lebt billig in so einer Woche. Das ist die andere Seite. Das gesparte Geld kann man dann spenden, um Armut und Hunger zu bekämpfen. Die Flyer für die Aktion kann man übrigens noch hier bestellen.
Weisheit der Woche: Dankbarkeit
Brian McLaren hat mit Naked Spirituality ein wunderbares Buch geschrieben. Gleichermaßen tiefgründig, zugänglich und motivierend stellt er dort zwölf Grundbewegungen des geistlichen Lebens vor. Im Unterschied zu manch anderem Werk dieses Genres kommt er auch ohne gesetzliche Forderungen, moralisierende Schuldgefühle und abtönende Gewissensbisse aus.
Wir haben mit einer Predigtreihe zu den zwölf Worten begonnen, nächsten Sonntag folgt der zweite Teil, und da geht es um Dankbarkeit. Nicht unbedingt neu, aber immer aktuell ist dabei dieser Anstoß für uns Bürger der Wohlstandsgesellschaft, zumal wenn Krisengewölk am Wirtschaftshorizont erscheint:
Je mehr wir haben, desto mehr müssen wir uns in Dankbarkeit üben; sonst halten wir immer mehr von dem, was wir haben für selbstverständlich. Wenn wir aus Gewohnheit immer mehr für selbstverständlich halten, macht uns unser Undank schließlich … unglücklich. Und natürlich müssen wir Dankbarkeit auch üben, wenn wir wenig haben, so dass das wenige, das wir sehr schätzen, zu mehr Glück führt als Vieles, was wir wenig schätzen.
Man kann das als einen Kommentar zu Philipper 4,13 lesen, dem die sachte Erinnerung daran folgt, dass wir um diese Haltung der Dankbarkeit kämpfen müssen:
A lot of people spend a lot of money to keep you from being grateful.
Kurz und (zu?) knapp…
Erzbischof Zollitsch musste kurz und simpel antworten, als ihn die Kinderreporter des Spiegel befragten. Er tat das durchaus sympathisch und angenehm persönlich, und manchmal kann die Kürze ja auch zu einer gewissen Prägnanz führen. Insofern ist es dann auch interessant, wie direkt seine Antwort auf die Frage, warum Frauen nicht zum Priesteramt zugelassen sind, ausfällt:
Das ist eine Tradition, die es seit Beginn der Kirche gibt. Die kann man nicht einfach so ändern, obwohl manche das gern möchten. Jesus hat damals nur Männer zu seinen Aposteln erwählt. Und die Priester sind ihre Nachfolger.
Das Argument der unumstößlichen Tradition steht auf tönernen Füßen. Immerhin hat man eine andere Tradition, dass Apostel und Priester lange verheiratet waren, vor etlichen Jahrhunderten auch zugunsten des Zölibats geändert, der nun seinerseits als unumstößliche Tradition erscheint. Und die Kritiker dieser Position wollen das ja auch nicht „einfach so“ ändern, sondern auch gutem Grund.
Der begründende Nachsatz zeigt dann schön die ganze Problematik: Erstens ist da der (Fehl?)Schluss vom Sein („Jesus hat…“) zum Sollen („daher können wir nicht“). Verboten hat Jesus ja nicht, das auch anders zu halten. Dass der Jüngerkreis Jesu bunter war, dass die Funktion der Zwölf eine symbolische und nicht primär eine priesterlich-hierarchische war, dass, wie man auch sagen könnte, der Ur-Apostolat – die Botschaft von der Auferweckung – nach einhelligem Zeugnis der Evangelien zuerst gerade Frauen anvertraut wurde, das muss den Kindern dann doch jemand anders erklären.
Gefahr am rechten Rand
Gestern bin ich im schönsten Sonnenschein ein Stück Landstraße geradelt und habe dabei eine interessante Beobachtung gemacht. Es gibt eine unmittelbare Korrelation zwischen dem Abstand eines Radfahrers zu rechten Fahrbahnrand und dem Abstand, mit dem er von Autofahrern passiert wird:
Fahre ich nag am Fahrbahnrand, sagen wir 30 cm neben der Linie, rasen die PKWs mit 30 cm Abstand an mir vorbei. Ich werde auch bei Gegenverkehr überholt, weil man ja die Mittellinie gar nicht überschreiten muss, um an mir vorbeizukommen. Bei solchen Manövern genügt ein kleiner Wackler mit dem Lenker, und ich bin Matsch.
Fahre ich dagegen einen guten Meter links von der Linie, dann werde ich mit einem Abstand von mindestens einem Meter überholt. Nun ist dem Autofahrer bewusst, dass er die Gegenfahrbahn nutzen und mich als vollwertigen Verkehrsteilnehmer behandeln muss, nicht etwa als Randerscheinung.
Wer also meint, er tue Autofahrern einen Gefallen, wenn er sich möglichst eng an den rechten Rand schmiegt, der irrt. Er verleitet sie vielmehr zu einem Verhalten, mit dem sie sich und andere gefährden (hier ließen sich nun nette politische Analogien ziehen…!) und vor allem gefährdet er sich selbst, weil er durch seine Ausnutzung des Raumes die Botschaft vermittelt, dass er sich selbst nicht ganz „für voll nimmt“.
Also, liebe Pedalritter: Nehmt Euch ernst, gönnt Euch den Raum, und seid Euch bewusst, dass es sogar denen dient, die Euretwegen (leise fluchend, aber das hört Ihr ja nicht) auf die Bremse treten müssen.
Verrücktes Vertrauen
In den letzten Tagen habe ich mich gefragt: Vielleicht sollten wir neben Psychopathen und Soziopathen nun auch von „Plutopathen“ sprechen (analog zu Plutokratie, oder wäre „Monetopathen“ besser)? Die Finanzkrise hat – Deutschland ist da die krasse Ausnahme – weltweit 13 Millionen Jobs vernichtet, Familien und ganze Landstriche in die Armut gestürzt. Der billionenschwere „Krieg gegen den Terror“ fand derweil irrtümlicherweise weit weg in Afghanistan und im Irak statt.
Der wahre Schrecken kam deshalb unerwartet: Aus der US-Subprimekrise ist die Schuldenkrise in Südeuropa und Irland und die Krise des Euro geworden. Seit Wochen ringen Regierungen darum, das Vertrauen „der Märkte“ zurückzugewinnen, nachdem man in der Krise die Reform der Märkte versäumt hat, was wiederum vor allem die USA zu verhindern wussten.
Nur: Wer verbirgt sich hinter dieser Chiffre „die Märkte“? Die Antwort ist wirklich erschreckend: Die Finanzmärkte werden im Wesentlichen von Menschen dominiert, denen die Universität St. Gallen ein vernichtendes Charakterzeugnis ausstellt. Der Forensiker Thomas Noll bilanziert eine Studie zum Verhalten von Aktienhändlern laut Spiegel Online folgendermaßen:
„Natürlich kann man die Händler nicht als geistesgestört bezeichnen, […] aber sie verhielten sich zum Beispiel noch egoistischer und risikobereiter als eine Gruppe von Psychopathen, die den gleichen Test absolvierten.“ Besonders schockierend für Noll: Insgesamt erzielten die Banker gar nicht mehr Gewinn als die Vergleichsgruppen. Statt sachlich und nüchtern auf den höchsten Profit hinzuarbeiten, „ging es den Händlern vor allem darum, mehr zu bekommen als ihr Gegenspieler. Und sie brachten viel Energie auf, diesen zu schädigen.“ Es sei in etwa so gewesen, als hätte der Nachbar das gleiche Auto, „und man geht mit dem Baseballschläger darauf los, um selbst besser dazustehen“.
Wunderbar illustriert wird diese These durch ein Interview der BBC mit einem gewissen Alessio Rastani, das für große Aufregung im Internet gesorgt hat. Die Süddeutsche beleuchtet seinen etwas schillernden Hintergrund und stellt dann fest, dass der selbsternannte Experte mit der großen Klappe Dinge ausspricht, die andere schon seit langem anprangern, ohne damit groß aufzufallen. Der springende Punkt ist jedoch der: Realität und Karikatur oder Effekthascherei lassen sich für viele eben schon gar nicht mehr so leicht auseinanderhalten – Rastani hat die Baseballschläger-Rhetorik perfekt drauf.
Und das gesparte Geld könnte man nutzen um – richtig – gegen den Euro zu wetten. Oder den Dollar – der kommt als nächstes dran.
Fair Kürzen
Vorgestern schrieb mir der Redakteur einer evangelikalen Zeitschrift und fragte, ob ich auf folgende Frage in einem Text von 1.500 Zeichen antworten könnte:
Reicht es, ein guter Mensch zu sein, um in den Himmel zu kommen?
Dazu lautete die Anweisung: „Die Fragen sollten kurz und knapp beantwortet sein, die Feinheit der Frage sowie auch das große Ganze dahinter im Blick behalten.“ Genau die Feinheit der Frage hat mich dazu gebracht, dankend abzulehnen. Aber betrachten wir kurz eben diese Feinheiten. In der vorliegende Form setzt die Frage mehrere Annahmen voraus:
- Erstens ist das Ziel aller Menschen (oder es sollte es zumindest sein), in „den Himmel“ zu kommen.
- Das Leben im Hier und Jetzt dient der Qualifikation für die Ewigkeit. Im Gegensatz zur Reinkarnationslehre hat man aber nur einen Versuch.
- Um im Jenseits auf der richtigen Seite zu landen, muss ein Mensch bestimmte Bedingungen erfüllen („reicht es?“).
- Glaube und Religion sind dazu da, um Menschen über die korrekten Kriterien zu informieren und die Qualifikation zu ermöglichen.
Bejaht man alle diese Annahmen, dann wird die Antwort wahrscheinlich lauten müssen: Nein, selbst wenn man ein „guter Mensch“ ist, muss man noch das Richtige glauben (Jesus, Bibel, altkirchliche oder reformatorische Bekenntnisse etc.) bzw. der richtigen Religion angehören (und wenn das der Fall ist, darf man sogar kein so ganz guter Mensch sein!), oder wenn man es ein bisschen pietistischer und weniger kognitiv haben will, sagt man dann, dass man Jesus liebhaben muss (und so ggf. von selbst von einem nicht so guten zu einem guten Menschen wird), und dann gibt es noch die sakramentale Variante mit der (man ahnt es schon) richtigen Taufe (unbedingt groß und entschieden oder unbedingt möglichst früh im Leben, um die Gnade nicht durch Zustimmung und Mitwirkung zu kompromittieren) und dem richtigen Abendmahl (unbedingt mit einem Priester, der in der apostolischen Sukzession steht oder unbedingt ohne Alkohol).
Ja, und natürlich wäre eine mögliche Antwort auf unsere Frage auch die: „Wenn man von Ewigkeit her erwählt ist, ja. Wenn nicht, nein.“ Kurz, calvinistisch und trocken. Dafür wären dann 1.500 Zeichen zu viel.
Ich habe den Umfang des erwünschten Artikelchens hier schon überschritten, indem ich nur die in der Frage enthaltenen Verkürzungen des Evangeliums problematisiert habe. Ich stimme den Denkvoraussetzungen schon nicht zu – fair kürzen würde bedeuten, hier deutlich weiter auszuholen. Jetzt könnte ich zwar den alten Trick von Helmut anwenden und sagen: „Die Frage ist doch nicht …, die Frage ist …“ und dann schreiben, was ich schon immer sagen wollte, aber damit wäre ja nichts gewonnen.
Berge, Ozeane und ein paar dringende Fragen
Vor einer Weile war ich auf einem Kongress in der Schweiz. Unter anderem spielte dort eine Band aktuelle Lobpreislieder. Gleich mehrfach sangen wir einen Song (auf Englisch), der sich mit dem gewaltigen Ozean, dem Wind und den Wellen befasste. Die meisten Menschen sprechen auf diese Sprachbilder im Stil von Fotos aus National Geographic ja ganz gut an.
Was mich trotzdem wunderte, war die Präferenz für das Ozeanische mitten im alpinen Binnenland. Ich würde im Zweifelsfall lieber von Berge singen als vom Meer. Oder idealerweise gleich über die Berge und die See? Das Lied, mit dem die Aufmerksamkeit der Gruppe auf Gott gelenkt werden sollte, zeichnet ein exotisches Bild. Und zwar im präzisen Wortsinn – „exo-“ steht für „draußen“.
„Geistliche“ Ästhetik in ihrer Orientierung am Fremden und Exotischen greift natürlich auf parallele Phänomene der Gegenwartskultur (die Fototapete mit Tropenmotiv oder den Bildschirmhintergrund) zurück. Darin aber schlummert ein eskapistisches Moment: Wir lokalisieren Gott so nämlich in der Ferne. Das mag nun positiv verstanden ein Symbol für Sehnsucht und Weite sein. Gleichzeitig suggeriert die Symbolik aber, dass Gott nicht im Nahen und Gewöhnlichen, sondern im Fremden und Besonderen, Exotischen anzutreffen ist.
Und das lesen wir dann wieder hinein in biblische Texte. Dabei begegnen die großen Gestalten des Glaubens Gott nicht an exotischen Plätzen (der Sinai mag das für heutige Touristen sein – Mose war in Exodus 3,1ff dort bei der Arbeit!). Paul Gerhard hatte in „Geh aus mein Herz“ ähnlich wie die Psalmisten auf einheimische Motive gesetzt. Klar, kann man jetzt einwenden, die Leute kannten auch nichts anderes. Mag sein. Zugleich lieferten die Psalmen und Gerhards Choräle denen, die sie singen, aber auch eine Sprache und Symbolik, mit der man das Alltägliche aus dem Glauben heraus erschließt.
Ich erinnere mich, dass wir einmal einen Gottesdienst hatten, wo wir im Hintergrund des Präsentationsprogramms für die Liedertexte Motive aus Erlangen einblendeten: Gebäude, Straßenzüge, Menschen. Hinterher gab es gleich mehrere Beschwerden, das würde ablenken und die erwünschte Andacht stören. Was hat ein Siemens-Bürohaus schon mit Gott zu tun?
Anders gesagt: Wer es ernst meint mit Glaube am Montag, der sollte sich nach Liedern, Symbolen und Metaphern umsehen, die Gott nicht nur im „jetzt“, sondern eben auch ganz ausdrücklich im „hier“ lokalisieren. Man kann sich zum Thema „Inkarnation“ buchstäblich totpredigen, wenn das aber durch das Liedgut und die Dekoration so nachhaltig konterkariert wird, wird nichts davon hängenbleiben.
Ein blaues Lüftchen
Slavoj Žižek hat neulich die These aufgestellt, die Kombination aus autoritärem Staat und Kapitalismus sei Gewinner der Krise das Erfolgsmodell des 21. Jahrhunderts. China, Singapur, und das refeudalisierte Russland machen es vor, während sich Demokraten in den USA und der EU in Parteikämpfen aufreiben und schwerfälligen Strukturen verheddern.
Großbritannien, das in Europa ja schon mit dem Wirtschaftsliberalismus Trendsetter war und längst schon Weltmeister in Videoüberwachung ist, tut nun auch den nächsten Schritt und macht nach den Ausschreitungen in London eine Rolle rückwärts zu schwarz-weißem Law-and-Order Denken, bestraft Plünderer drakonisch – und ein nicht unerheblicher Teil der Menschen hätte gern auch in den Schulen wieder die Prügel als pädagogische Maßnahme eingeführt. Deutsche Populisten rund um das Regierungslager aktivieren in der Eurokrise nach Laune nationale Ressentiments und Klischees – aktuell spricht Peter Gauweiler von „fremden Regierungen“ und meint den EU-Partner Griechenland.
Deutsche Eliten stehen, wie ich bei Daniel Renz las, auch nicht mehr geschlossen hinter der Demokratie, weil ihnen da zu oft gewöhnliche Leute einen Strich durch die Rechnung machen. Und Papst Benedikt macht sich für eine Kombination von lebendigem Glauben und autoritärer Kirche stark, was die religiöse Entsprechung zu der Bewegung darstellen dürfte, die Žižek beschreibt.
Das alles ist kein Wunder: Erstens halten sich Machteliten seit jeher an der Spitze, indem sie die Gefahr der Anarchie und des Chaos beschwören. Zweitens wird angesichts der globalen Krisen der Rückgriff auf die dominierenden Denkmuster einer Zeit, in der aus heutiger Sicht noch alles in Ordnung schien, wieder interessant. Die politisch übersichtliche und klar konturierte Welt des kalten Krieges, die bürgerliche Restauration und familiär, sozial und kirchlich „geordneten Verhältnisse“ der Zeit des Wirtschaftswunders oder gar der viktorianischen Ära. In Spiral-Dynamics-Terminologie gesagt: Man aktiviert das blaue Muster: Absolutistisch, konformistisch, Law-and-Order mit einem ausgeprägten Schwarz-Weiß-Denken und Vergeltungsdrang.
Zur Lösung komplexer Fragen in einer unübersichtlichen Welt dürfte dessen Logik aber nicht ausreichen. Politisch könnte es dennoch ein Erfolg werden, etwa für die US-Republikaner. Man polarisiert die Gesellschaft, bis der Ruf nach dem starken Mann ertönt, und bietet sich dann als Retter mit eiserner Faust an. In der Unsicherheit ziehen viele das Bekannte trotz seiner Mängel dem Unbekannten vor und machen eine Rolle rückwärts. Da bleibt einem zumindest die Anstrengung erspart, sich zu verändern, riskante Experimente zu wagen und sich in diffizile Zusammenhänge hineinzudenken.
Schinken vom Streithammel
Wenn Jesus heute Geschichten erzählen würde, wäre diese tatsächliche Begebenheit vielleicht auch darunter:
Er nagelte einen Schinken an die Tür einer Moschee im englischen South Shields und saß in Arrest – jetzt ist der Täter wieder auf freiem Fuß. Der Vorsteher der Moschee hatte sich in einem Schreiben an das Gericht für ihn eingesetzt. Der 63-Jährige wurde nach einem Bericht der Zeitung „Gazette“ zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt und darf sich der Moschee für ein Jahr nur auf 100 Meter nähern. Das Gericht brandmarkte seine Tag als „unchristlich“ und beleidigend. Muslime dürfen kein Schweinefleisch essen. Der Täter gibt persönliche Motive für sein Verhalten an, er liege seit 20 Jahren im Streit mit einer muslimischen Familie. Er besucht regelmäßig die Kirche in der Straße, in der auch die Moschee liegt.