Missverständliches Mitgefühl

In einem Gespräch neulich berichtete jemand von einer Auseinandersetzung und machte seiner Empörung Luft über die Ungerechtigkeit, die ihm dabei widerfahren war. Eine andere Person aus der Gruppe antwortete zustimmend auf seine Äußerung. Ich kannte die andere Seite dieses offenkundig schmerzhaften Konfliktes nicht, daher war ich erst einmal recht zurückhaltend.

Als ich die zweite Person später wieder traf, sagte ich, dass ich über ihre emphatische Zustimmung verwundert war. Und ich entdeckte, dass die Zustimmung nicht dem Urteil des Betroffenen über die Sachlage und die Kontrahenten gegolten hatte, sondern als Ausdruck von Mitempfinden und als Ermutigung gemeint waren, sich nicht von den Sorgen überwältigen zu lassen. Das Problem war nur, dass man den Wortlaut dieses Zuspruchs auch so hätte verstehen können, dass die eine Konfliktpartei recht hat und die andere im Unrecht ist.

Mag sein, dass das sogar zutrifft – ich weiß das nur nicht und kann es auch nicht so leicht herausfinden.

Nachdenklich hat mich das Erlebnis deshalb gemacht, weil ich fürchte, mir und anderen ist es auch schon so ergangen. Wir regen uns über etwas auf, unsere Freunde bekommen das mit und wollen uns aufmuntern. Wir fühlen und dann in unserem gerechten Zorn bestätigt und denken, dass wir einen Verbündeten gefunden haben, der unsere Position teilt und unterstützt. Denn wenn wir unter Druck stehen, dann wollen wir solche Dinge ja auch hören. Vielleicht werden wir dadurch mutiger (oder rücksichtsloser) und versuchen mit aller Macht, uns durchzusetzen.

Das kann ins Auge gehen.

Vielleicht steckt ein ähnliches Muster auch in den Verweisen auf angeblich schweigende Mehrheiten in manchen Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten. Es könnte ja sein, dass auch da jemand das Mitgefühl anderer irrtümlich als inhaltliche Zustimmung zu seiner Position interpretiert. All das macht Konfliktlösungen nicht einfacher.

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2 Antworten auf „Missverständliches Mitgefühl“

  1. Ich erlebe, dass es Menschen gibt, die durch ihre begeisternde Art und Weise, Menschen in ihren „Bann“ zu ziehen oder die aufgrund ihrer Position Recht haben „müssen“, meistens „Recht“ bekommen, egal was die andere, am Konflikt beteiligte Person dazu zu sagen oder erlebt hat.
    Und raushalten, aus der Angst, einer der beiden Personen Unrecht zu tun oder noch krasser, zwischen die Fronten zu geraten, finde ich ehrlich gesagt, auch recht feige. Dann schon gern das Mitgefühl. Ich kann eh nur mitteilen, was und wie ich denke. Was und wie ein anderer es versteht und verstehen kann, hab ich so gut wie nicht in der Hand. Wer fehlinterpretieren will, wird das auch tun, leider auch nicht selten um jeden Preis. Daher nehme ich mir die Freiheit, mich für das Verstehen des anderen nicht mehr grundsätzlich verantwortlich zu fühlen. Der darf sich trauen, nachzufragen, ob er mich richtig verstanden hat oder seine Interpretationen prüfen.

  2. Mir passiert es oft andersherum: Ich höre den Ärger über jemanden und versuche reflexartig, dessen Position plausibel zu machen, in der Hoffnung, den Ärger etwas zu dämpfen. Es misslingt immer, weil die sich ärgernde Person sich von mir missverstanden und auch noch unempathisch behandelt fühlt.

    Empathie zeigen, ohne damit Zustimmung zu signalisieren: Das scheint mir die Herausforderung zu sein, wegen der Seelsorge eine Ausbildung braucht.

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