Glückskeks-Bibel

Neulich wieder, eine Besprechung bei einer kirchlichen Dienststelle: Der Gesprächsleiter liest den Bibelvers aus den Losungen vor, es folgt ein kurzes freies Assoziieren in der Runde, was man aus dem in sich schon schwierigen Satz für die nun anstehende Tagesordnung für Schlüsse ziehen könnte. Wir kapitulieren und gehen schulterzuckend zur selbigen über. Losungen werden ja nicht für solche Anlässe konzipiert und ausgesucht.

Wenn das unter „Profis“ schon so läuft, wie viel mehr wird das durchschnittliche Gemeindeglied an diesem Tag ebenso konsterniert über die fehlende „Relevanz“ der Bibel in seinen Tag starten (oder das Ganze gar als schlechtes Omen werten?). Ja, ich weiß, es gab auch Tage, da traf das Losungswort voll ins Schwarze. Je nachdem, wie assoziationsfreudig jemand ist, wird das unterschiedlich oft der Fall sein, dass einem so ein Wort den Tag über neue Erfahrungen aufschließt.

Die Losungen können nichts dafür. Sie sind ja kein Orakel. Als sie erfunden wurde, las die Gemeinschaft, für die sie galten, mehr als nur (wenn überhaupt…) zwei Verse am Tag in der Schrift. Die kontextfreien Bibelschnipsel hatten also einen breiten Resonanzboden. Den kann man heute nicht mehr voraussetzen. Sie wirken eher wie eine Art christlicher Glückskeks ohne Keks.

Meine Frage ist, ob diese minimale Dosis Menschen für das dicke Buch eher interessiert oder sie immunisiert. Pauschal wird sie schwer zu beantworten sein. Ich denke, wer mit dem Bibellesen beginnt oder eher wenig liest, sollte statt einzelner Verse lieber ganze Geschichten lesen, lieber längere Zusammenhänge, lieber fortlaufend. Das wäre sozusagen der Keks zum Glücksspruch. Aber es gibt zum Glück auch andere Kekse, etwa die Tageslese.

Share

8 Antworten auf „Glückskeks-Bibel“

  1. ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Minimaldosis Lust auf mehr macht. Entweder trifft der Spruch und gut ist es – oder er ist unverständlich, dann reizt es auch nicht unbedingt zum mehr Lesen. Was ich aber auch verheerend finde, sind die Zwischenüberschriften in christlichen Bibeln, weil sie die Wahrnehmung sehr stark vorprägen.
    Was ich sehr anregend finde, ist die Zeitschrift Faszination Bibel

  2. „Nein, es gibt keinen Keks mehr. Gleich ist Mittagessen.“ Dein Blogeintrag passte unfreiwillig, aber treffend zu meiner heutigen Papa-Situation. Vielleicht sollte man das auch wieder rückübertragen. 😉

  3. Trotzdem gut, Markus 🙂

    @IWe: Ja, die Überschriften finde ich auch schwierig. Noch schwieriger, wenn jemand sie z.B. bei einer gottesdienstlichen Lesung mitliest, als gehörten sie zum Text…!

  4. Ich nenne die – in der von dir beschriebenen Weise missbrauchten – Losungen auch gerne mal „das fromme Horoskop“. Das trifft es meiner Meinung nach besser. Von einem Glückskeks erwartet man sich ja in der Regel höchstens einen Zufallstreffer und normalerweise nur (absichtliche?) Rechtschreibfehler und Unterhaltung. Von den Losungen erwarten sich viele (leider) analog zum Horoskop Leitgedanken für Tag und Leben – und werden in der Regel ähnlich wie bei den Astrologen enttäuscht werden. Wenn auch aus einem anderem Grund 😉

  5. @Peter: Jetzt bin ich völlig geplättet, denn das hätte ich nicht für möglich gehalten.
    Aber das macht die lesende Person sicher kein zweites Mal – oder?
    Ich gebe bei meinern Kursen – Bibelserver sei dank – die Bibeltexte immer ohne Zwischenüberschriften aus. Das führt zu völlig anderen und neuen Wahrnehmungen – manchmal sogar Schwerpunktsetzungen bei den Teilnehmenden was die Arbeit mit den Texten betrifft.
    Aber ehrlich gesagt muß ich auch einräumen, daß mir die Zwischenüberschriften bei den neutestamentlichen Texten die Arbeit gelegentlich sehr erleichtern, weil ich dadurch die Stellen schneller finde.

  6. @IWe: Ich lese fast nur noch e-Bibeln (Accordance und die Bibel-App für iOS), und da fehlen die Überschriften. Zur Orientierung sind sie tatsächlich ab und an nützlich, das stimmt.

  7. Ich probiere dieses Jahr mal aus, wie das ist, täglich die Tageslosung zu lesen, kurz auf mich wirken zu lassen und zu notieren, was mir dazu einfällt. Natürlich passt nicht jeder Spruch, manche kommen auch zu einer völlig ungewohnten Kirchenjahreszeit, aber oft sind doch richtige Treffer dabei, entweder direkt oder durch eine Geschichte, ein Lied oder irgendetwas anders, was mir dazu einfällt.

    Außerdem hat es was, zu wissen, dass einige andere Menschen sich auch jetzt gerade mit diesem Spruch beschäftigen. Ich werde das Experiment wahrscheinlich fortsetzen.

Kommentare sind geschlossen.