Deutsch zum Abgewöhnen (9): „Ein“ Thomas Müller

Heute las ich den Kommentar von Oliver Fritsch in der Zeit zum Halbfinale zwischen den Bayern und Real Madrid. Neben vielen guten Beobachtungen habe ich mich gefreut, dass kein Eigenname mit unbestimmtem Artikel im Text erschien. Selbstverständlich ist das schon lange nicht mehr.

Nicht im Sport jedenfalls. Ich weiß nicht, wer mit diesem Unsinn begann, aber er hat sich im Umfeld des Profifußballs durchgesetzt. „Ein“ Lothar Matthäus begann schon früh, über sich selbst in der dritten Person zu reden und dann den unbestimmten Artikel zu verwenden. Dabei soll dieses „ein“ bei Lothar M. natürlich nicht ausdrücken, dass es auch noch andere Menschen mit diesem Namen gibt (für die dieses Aussage dann ja auch gelten müsste), sondern eben nur den einen und einzigartigen – ihn selber: Weltmeister, Weltfußballer, Würdenträger.

Oliver Kahn gehört zu Lothars gelehrigsten Schülern. Immerhin kommentieren sie nun beide gelegentlich im Fernsehen und werfen mit unbestimmten Artikeln nur so um sich. So weit ich sehe, hat selbst Pep Guardiola zwar zwei Marios im Kader, kann aber nur einen Mandzukic und einen Götze auf dem Platz schicken, und das jeweilige Original spielt dann, nicht eine von mehreren Kopien.

Oder habe ich das missverstanden? Wissen Kahn und Matthäus mehr als wir? Spielt tatsächlich nur ein Klon? Hat die Sportmedizin im Schatten der Dopingdebatten längst den nächsten Quantensprung gemacht und multipliziert wichtige Leistungsträger? Liegt das Original vielleicht irgendwo an einem Strand in der Karibik, nachdem es seine Gene an den Verein lizensiert hat?

Jemand sollte dieser Frage einmal nachgehen. Vielleicht findet ein Oliver Fritsch die Antwort.

PS – Fest etabliert ist das „ein“ freilich bei dieser Fußballikone:

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8 Antworten auf „Deutsch zum Abgewöhnen (9): „Ein“ Thomas Müller“

  1. Sprachsystematisch finde ich diese Konstruktion ‚unbestimmter Artikel + Personenname‘ sehr spannend. Sie wird insgesamt relativ wenig genutzt, würde ich vermuten (und der Fußball hatte ja schon immer seine eigene Sprache). Aber sie ist grammatisch möglich, und das macht sie als Stilmittel dann eben interessant.

    Was kann man damit erreichen? Habe dazu in einer Online-Grammatik nachgeschlagen und bin auf folgende Funktion gestoßen: ‚Unbestimmtheit als Stellvertreter einer Klasse‘

    Link: http://www.canoo.net/services/OnlineGrammar/Wort/Artikel/Gebrauch/ArtIndef.html#Anchor-Unbestimmtheit-35326

    Heißt für mich zusammengefasst: Mit Klonen hat das wohl nichts zu tun. Aber damit, dass man eine einzelne Person zum Stellvertreter einer besonderen (erst einmal logischen, nicht gesellschaftlichen) Klasse erheben kann. Das ist erst einmal nichts Verwerfliches, sondern wie in dem Stichwort „Klasse“ anklingt, ein Verfahren der Klassifikation.

    Ich kann also sagen: „Der Marc Ter Stegen ist halt kein Manuel Neuer“. Und meine damit: „Kein Torhüter von der Qualität, wie sie Manuel Neuer bringt.“

    Wie man das jetzt werten möchte, ist eine ganz andere Frage. Mir geht es so, dass sprachliche Stilmittel anfangen mich zu nerven, wenn sie zu häufig verwendet werden (zum Beispiel hinter jedem! Wort! oder! Satz! ein Ausrufezeichen!). Und natürlich kann man fragen, ob es denn sinnvoll ist, aus jeder (halb)prominenten Person eine eigene Klasse zu bilden; das ist dann eine grundlegende Frage der Weltsicht. Den Fußballern (ich wiederhole mich) wird man das aber nicht abgewöhnen können, fürchte ich.

  2. Hab ich auch erst überlegt, Johannes. Und das mit der Klassenbildung – „ein“ = „jemand wie“ – ist in der Negation natürlich geläufiger. Leider ergibt es im konkreten Zusammenhang gar keinen Sinn, weil wir da ja gerade nicht von einem „Stürmer der Ribery-Klasse“ reden, wie das bei U-Booten und Fregatten geht. Sondern da stehen eben Individuen auf dem Platz. Es kommt nicht jemand wie CR7 angerannt, sondern der CR7, the one and only. Mag sein, dass der eine Klasse für sich ist. Aber Klassen, die prinzipiell aus einem Exemplar bestehen, sind logischer Unfug.

    Den Fußballern wird man das vielleicht nicht abgewöhnen, aber dann muss man sie auch nicht so lange im Fernsehen reden lassen, wenn sie das nicht richtig können. Und Sportreporter sollten das ohnehin bleiben lassen…

    1. Das Thema hat mich nicht losgelassen. Ich glaube nämlich immer noch, dass unsere Sport-Kommentatoren (so sehr ich meine eigenen Vorurteile über Sportler-Sprech mit Lust pflege) sich in diesem Fall voll im Bereich der Sprachnorm bewegen. So hab ich über die letzten zwei Tage noch ein paar Beispiele gesammelt – und zwar im Kontext der jeweiligen Kommunikationssituation. Denn auf die kommt’s entscheidend an.

      SZENE 1:

      Bela Rethy kommentiert ein gerade laufendes Fußballspiel. Folgendes würde er nie sagen: „EIN Lahm passt auf EINnen Müller. EIN Müller legt quer auf EINen Robben. EIN Robben schießt mit links und zieht knapp über das Tor.“ Das würde Rehty nicht machen. Auch sprachlich weniger bemittelte Experten aus dem Sportler-Lager sind zu dieser Form der sprachlichen EIN-Falt wohl nicht fähig.

      Warum?
      Rethy ist als Live-Kommentar so nah an der konkreten Situation dran, dass das EIN nicht funktioniert. Das EIN steuert hier eindeutig nicht den Numerus (Singular oder Plural), sondern die Frage von Nähe und Distanz des Sprechers zum Geschehen.

      SZENE 2:

      Jochen Breyer und Oli Kahn kommentieren das Spiel im Nachhinein. Und Kahn sagt: „Das leere Tor nicht treffen: Das darf EINem Arien Robben einfach nicht passieren.“

      Wo Du, Peter, natürlich recht hast: Es geht (immer noch) um den ganz konkreten Arien Robben, es gibt keinen zweiten. Aber Oli Kahn steht (bereits) in räumlich-zeitlicher Distanz zu der konkreten Spielsituation. Mit der Verwendung des unbestimmten Artikels kann er diese Distanz unterstreichen und kann damit auch anfangen zu generalisieren, was (echte oder selbsternannte) Experten ja gerne machen.

      Kleiner Test dazu: Ergänzen wir Oli Kahns Satz um das Wort WIE, löst sich das Dilemma um bestimmen oder unbestimmten Artikel sofort auf: „Das darf EINem WIE Arien Robben nicht passieren“. Wieder generalisiert Kahn – und das geht nur noch durch unbestimmten Artikel. Der bestimmte Artikel wäre grammatisch falsch.

      Das Ganze funktioniert auch mit positiven Aussagen. Wieder O-Ton Kahn – diesmal vor dem Spiel: „EIN Müller, EIN Lahm, EIN Robben: Wo so viel Qualität auf dem Platz steht, kann auch ein Gegner wie ManU geschlagen werden.“ Wieder spricht Kahn aus Distanz zum Geschehen und der unbestimmte Artikel geht voll in Ordnung.

      SZENE 3:

      Heute Vormittag bei uns in der Küche. Mein ältester Sohn erklärt mir: „Ich bin EINer, der seine Termine im Vorhinein plant.“ (Leider nicht die Termine, die ich mir wünschen würde …)
      Er trifft eine generelle Aussage über sich selbst und verwendet dafür mit traumwandlerischer Sicherheit die indefinite Variante. Natürlich hätte er auch die definite Form nehmen können, nur würde er damit seiner Aussage eine ganz andere Note geben: „Ich bin DER, der seine Termine im Vorhinein plant.“ (Vorstellen könnte ich mir diesen Satz aus seinem Munde allerdings sehr gut …)

      SZENE 4:

      Ein letztes Beispiel noch. Es gibt doch folgende Redewendung, die Fußball-Kommentatoren wahrscheinlich nie verwenden würden – das ist ziemlich komplex: „So ein Auftritt ist EINes Arien Robben nicht würdig.“
      Die definite Form (bestimmter Artikel) ist grammatisch eindeutig falsch. Und wieder geht es um eine generalisierende Aussage, die kommunikationstechnisch automatisch mit einer Distanznahme verbunden ist.

      Ich finde, dieses Thema ist ein sehr schönes Beispiel dafür, wie Sprache funktioniert. Der Austausch eines einzigen Wortes (mit rein grammatischer Funktion) rückt eine Aussage in eine ganz andere Perspektive. Das ist wirklich elegant. Einen sprachlichen Fehler kann ich in der Verwendung wirklich nicht sehen. Höchstens kann man kritisieren, dass unsere lieben Kommentatoren mit dem Nähe-Distanz-Spiel zu sehr den Experten raushängen lassen – was ja durchaus nerven kann. Aber das ist eine andere Frage – und wäre am Ende ein Zeichen von sprachlicher Intelligenz …

      1. @JohannesD: Wow, das war jetzt sehr tief gebohrt. Ad 1.: geschenkt, das kommt nicht vor. Ad 2.: Das ist der Fall, den ich im Blick hatte. Da finde ich Kahns „Distanzierung“ (sich vom Geschehen, des Individuums qua Pseudo-Klassenbildung von anderen) immer noch störend. Ad 3.: Wenn statt eines Namens eine Eigenschaft erscheint, ist die Klassenbildung stimmig.
        Ad 4.: Ja, aber dagegen hätte ich auch nichts eingewandt.

        Aber stellen wir uns doch mal vor, es wäre von Politik die Rede, und ein Kommentator würde sagen: „Ein Obama, ein Cameron und eine Merkel können sich von Putin nicht so düpieren lassen“. Die drei gehören nun statt in die Klasse „Top, Top, Top Spieler“ zur Liga der Regierungschefs, und dennoch fände ich das weiterhin unpassend. Es kommt de facto auch so gut wie nie vor. Kahn und Matthäus ist es offenbar eben noch nicht gelungen, diese Redeweisen dort durch steten Gebrauch zu etablieren.

  3. Ich frage mich, ob das sprachliche Verfahren nicht eher so verläuft, dass aus einem Individuum eine Klasse gebildet wird, und dann fortan der Klassenname gebraucht wird: Ein Thomas Müller schießt Tore nur im Fallen = Ein Professor muss Vorlesungen halten. Bei beidem geht es um eine Klassenaussage, nicht um eine Aussage über ein Exemplar einer Klasse (inklusiv dann natürlich auch das).
    Dann wäre das beschriebene Stilmittel ganz genau die sprachkreative Entsprechung zu dem von Peter zitierten Diktum: eine Klasse für sich sein.
    Interessant…

  4. Am meisten stört mich das, was im Völler-Link zu hören ist: „es gibt nur ein rudi Völler“.

    Hat BVöller seien Männlichkeitn verloten (Sportunfall?), oder wieso es is ein bzw. das rudi Völler und nicht einen bzw. den?

    1. Helmut, Du musst das als poetische Freiheit verstehen bzw. einfach den Apostrophen und das verdoppelte „n“ mithören „es gibt nur ein’n Rudi Völler…“ Als Fußballweltmeister ist Rudis Männlichkeit über jeden Zweifel erhaben, zumal bei den Fans vom alten Schlag, daran ändert auch sein femininer Spitzname nichts

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