Erweckungsbewegungen – ich habe mich in den letzten Wochen unter anderem noch einmal mit Pietismus, Great Awakening, Erweckungsbewegung und der Pfingstbewegung befasst – sind ein spannendes Phänomen. Mann kann ihren Ausbruch nicht vorhersagen (was viele bedauern), man kann sie auch nicht „machen“ (das bedauern noch mehr). Auch die Erklärungen gehen auseinander: Zwar kann man auf bestimmte (Fehl-?)entwicklungen der Kirchen verweisen (die starre Orthodoxie, der flache Rationalismus) und auf günstige Winde aus der jeweiligen Gegenwartskultur (die Romantik zum Beispiel), oder auf große Persönlichkeiten (wie Zinzendorf oder Wesley), die so etwas begünstigen. Aber ist damit schon alles gesagt?
Liest man nämlich die Berichte der „Betroffenen“, dann ist dort oft vom souveränen Wirken Gottes die Rede. Nun kann es zwar auch die typische Rhetorik solcher Bewegungen sein, die Rolle des Heiligen Geistes möglichst stark hervorzuheben, aber ganz lässt sich der Aspekt wohl doch nicht auflösen. Und so stellt sich dabei auch eine theologische Frage: Wenn es so ist, dass es offenbar Zeiten gibt, in denen der Geist Gottes mächtiger wirkt als in anderen, wäre das nicht ein Hinweis darauf, dass Glaube tatsächlich ein unverfügbares Geschenk ist und der menschliche Anteil beim Zum-Glauben-finden eher gering?
Wie aber lässt sich das mit der Ansicht versöhnen, dass Glaube und Unglaube als menschliche Antwort auf Gottes Gnade über ewiges Leben (und ewige Verdammnis) entscheiden? Läge so gesehen nicht die Schlussfolgerung nahe, dass vielleicht jeder Mensch eine faire Chance hatte, aber manche eben doch eine deutlich fairere Chance als andere? Wie sollen wir das verstehen und einordnen, dass manche Menschen nach eigener Darstellung von Gott geradezu überwältigt werden, während andere jahrelang suchen und auf ein Zeichen hoffen, ohne eines zu bekommen? Und über die verständliche Verschlossenheit von Menschen, denen von einfachen Christen oder gar Klerikern schlimmes Unrecht widerfahren ist, haben wir dann noch gar nicht geredet…
Nun kann man mit Mt 20,15 natürlich antworten: „Bist du neidisch, weil ich gütig bin?“ oder auf die Undurchschaubarkeit dieser Zusammenhänge verweisen. Man kann auch ein Argument für die doppelte Prädestination draus stricken. Oder sagen, Erweckungen und geistliche Aufbrüche werden ja nur deswegen „notwendig“, weil die Kirche ihrem eigentlichen Auftrag, nämlich hinsichtlich des Heilserwerbs Chancengleichheit herzustellen, nicht nachkommt.
An beiden Argumenten ist etwas dran, aber … vielleicht ist es ja wirklich so, wie Rob Bell verhalten andeutet: Die Tatsache, dass wir machmal herzlich wenig dafür können, dass wir zum Glauben gefunden haben oder besser noch gefunden wurden, sollte uns etwas vorsichtiger machen, allen Menschen, denen es anders geht, ihr Nicht-Glauben-Können als Schuld oder Versagen anzurechnen und sie damit auch gleich noch auf dem Weg ins „Höllenfeuer“ zu sehen. Vielleicht (darüber hat George Lindbeck schon spekuliert) gibt es ja doch zwischen hier und dem Ende der Geschichte, beziehungsweise nach dem Tod oder im Tod, eine ähnlich überwältigende Begegnung mit Gott, wie sie aus vielen Erweckungen bezeugt wird. Eine „Fair-weckung“ sozusagen.
Nun höre ich sofort den Einwand, so eine Vorstellung würde jeglichen missionarischen Eifer und Ernst untergraben. Bei manchen mag das der Fall sein. Umgekehrt ließe sich fragen: Wer entlastet eigentlich die, die längst tun, was in ihrer Macht steht, aber merken, dass sie zu wenige sind und nicht überall sein können? Und könnte es nicht sein, dass der Alarmismus, den die Vorstellung ständiger Lebensgefahr mit sich bringt, auch dazu führt, dass manche Christen abstumpfen oder blockiert sind?
Die Diskussion über Love Wins hat nun auch das Magazin Time erreicht. Der Themenkreis wird uns also noch eine Weile beschäftigen.