Poet und Prophet

Ab und zu scheint das nicht weit auseinander zu liegen – Walter Wink zitiert in Engaging the Powers einen Brief von D.H. Lawrence aus dem Jahr 1923, in dem dieser die Ereignisse des 2. Weltkriegs zehn Jahre vor Hitlers Machtergreifung schon beklemmend vorausahnt:

In der Nacht spürt man, wie sich in der Dunkelheit seltsame Dinge regen, seltsame Gefühle rühren sich in diesem bislang unbezwungenen Schwarzwald. Du richtest dich auf und hörst in die Nacht hinein. Man spürt eine Gefahr. Es sind nicht die Menschen. Sie wirken nicht gefährlich. Aus der Luft kommt dieses Gefühl von Gefahr, ein merkwürdiges, haarsträubendes Gefühl unheimlicher Gefahr.

Etwas ist geschehen. Etwas ist geschehen, das noch nicht eingetreten ist. Der alte Zauber der alten Welt ist gebrochen… Etwas ist der Menschenseele zugestoßen, ihr ist nicht mehr zu helfen… Es ist ein Schicksal, keiner kann es mehr ändern… Zugleich haben wir es selbst über uns gebracht – durch eine Ruhrbesetzung, durch eine englische Nichtigkeit und einen falschen deutschen Willen. Wir haben es selbst getan. Aber anscheinend war es nicht abzuwenden.

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3 Antworten auf „Poet und Prophet“

  1. Hmmmm… (Da mag der Geschichtelehrer nicht schweigen…)

    Nur um der Geschichte die Ehre zu geben:
    Im Jahr 23 ging auch wirklich alles schief, was nur schiefgehen konnte. Putschversuche von links und rechts. Hitlers Marsch auf die Feldherrnhalle in München bricht im Kugelhagel der bayerischen Landespolizei (ein Hurra auf bayerische Ordnungshüter!) zusammen, das Ruhrgebiet (im Zitat ausdrücklich erwähnt) wird wegen geringfügiger Vertragsverletzungen von französischen Truppen besetzt. Separatistenbewegungen in Sachsen und Thüringen führen zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Am Ende noch die größte Hyperinflation, die es in Deutschland je gab, in der die Billionen-Mark-Scheine (spontan gedrucktes Notgeld) am Ende nur noch zum Verheizen (im Küchenofen) gut waren.

    Da darf Lawrence gerne mal alle Hoffnung verlieren, damit ist er nicht allein, Schwarzseherei war in diesem Jahr ohnehin eher in Mode.
    Viel erstaunlicher ist, dass in den Folgejahren, den „Goldenen 20ern“, Männer wie Stresemann und Briand die Aussöhnung zwischen Erzfeinden gewagt und an einem Traum von einem friedlichen Europa gearbeitet haben…

    Aus historischer Sicht ist der Fatalismus von Lawrence eher zeittypisch, die Hoffnung und das radikale Wagnis der Annäherung und Versöhnung von Stresemann und Briand (gemeinsamer Friedensnobelpreis 1926) ist das eigentlich Bemerkenswerte der Zeit.

    Viel spannender für mich ist also: Woher haben diese ehemaligen Feinde die Dreistigkeit zur Hoffnung her?

  2. Sicher hat Olli Recht mit dem, was er sagt und dennoch kann man nicht von der Hand weisen, dass Dichter ganz häufig ein feines Gespür, eine hohe Sensibilität für vorherrschende (latente) Stimmungen und den allgemeinen Zeitgeist, sowie Ahnungen oder Antizipationen kommender Ereignisse, besonders was schwelende Gefahren anbelangt, haben.

  3. Fatalismus ist es ja nicht so richtig. Eher eine Lawine, die mutwillig oder fahrlässig losgetreten wurde. Vielleicht hatte Lawrence ja auch Recht, dass da schon etwas seinen Lauf nahm, was nicht mehr aufzuhalten war. Nicht prinzipiell, weil es vorherbestimmt wäre, aber weil die Kraft nicht da war, es zu stoppen – Parallelen zum G8 und Klimagipfel drängen sich auf. Und natürlich zu Propheten wie Jeremia.

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