Grasse Enthüllung

Aus all den Sachen, die über das späte Bekenntnis von Günter Grass (der sich inzwischen schon als Opfer von Neid- und Hasskampagnen sieht) geschrieben wurden, sticht die messerscharfe Analyse von Evelyn Finger in der Zeit heraus. Grass stilisiert sich mit Hilfe der FAZ “als Schaf unter Schafen” und verschleiert mit dem, was er preisgibt, mehr als er enthüllt. Nicht so sehr die “Fakten”, sondern die Frage nach der Verantwortung:

Das Fürchterliche an dem Interview ist nicht Grass‘ fortgesetzte Feigheit vor der eigenen Biografie, sondern dass er die Lebenslügen seiner Generation und auch der Generation seiner Eltern nachträglich beglaubigt. Wenn schon der junge Grass, das angehende Genie, der spätere Nobelpreisträger »verführt« wurde, wie hätten da erst alle anderen das Dritte Reich in seiner Grausamkeit durchschauen sollen? Sich gar verweigern?

Der Gipfel dieser Entschuldungstaktik ist die Anekdote über den Kriegsgefangenen Joseph, mit dem Grass sich anfreundete und von dem er uns glauben machen will, es sei Ratzinger gewesen. Die FAZ entblödet sich nicht, ein Uniformporträt des Luftwaffenhelfers und späteren Papstes zu drucken, dessen frohe Botschaft lautet: Auch du, Ratzinger! Nicht nur Grass, nicht nur alle Deutschen, sogar der Stellvertreter Gottes, also im Grunde Gott selbst war, wie man so sagt, verstrickt.

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(un)korrekte Peilung

Wer sich schwer tut, dem Partner zu vertrauen, kann ihn bzw. sie (oder die Kinder) nun via Internet überwachen. Das heißt, sofern das Handy eingeschaltet ist. Dann kann man auf ehebruch24.de (klingt wie eine dieser Seitensprung-Agenturen, ist aber das Gegenteil) eine Peilung vornehmen und erfährt den ungefähren Aufenthaltsort. Was sich liebt, das peilt sich. Der Ehering des dritten Jahrtausends?

Vielleicht sollte Rick Warren zu seinen Geboten einfach noch dazu schreiben: Thou shalt not turn off your cellphone…

Der Markt jedenfalls ist laut Spiegel im Aufwind. Neben Partner und Kind lassen sich mit entsprechender Hardware entlaufene Haustiere und Senioren orten.

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Verwarrener Ethik Code

Rick Warren schlägt aktuell einen Ethik-Code für verheiratete Mitarbeiter (Hauptamtliche vermutlich) vor, der in apodiktischer Sprache neben einer Reihe vernünftiger Anweisungen auch folgende Vorschläge enthält, die der Meister notfalls auch mit dem Baseballschläger (das meint er nicht ernst, oder doch?) durchzusetzen gewillt ist, um Ehebruch und Unmoral in den eigenen Reihen zu verhindern. Zunächst die gute Nachricht – der Schleier wird nicht eingeführt. Warrens Gebote lauten unter anderem vielmehr so:

  • Thou shalt not go to lunch alone with the opposite sex.
  • Thou shalt not have the opposite sex pick you up or drive you places when it is just the two of you.
  • Thou shalt not kiss any attender of the opposite sex or show affection that could be questioned.
  • Thou shalt not visit the opposite sex alone at home.

Ich frage mich, ob das erstens den gewünschten Erfolg bringt und zweitens in dieser Form erwachsenen Menschen angemessen ist. Wenn das jemand so machen möchte, schön. Aber als “Gesetz”? Keine Küsschen (Punkt 3) – geschenkt; aber welcher Ausdruck von Zuneigung kann denn nicht in Frage gestellt oder missverstanden werden?

Ich kenne natürlich die Geschichten nicht, die zu diesen Maßnahmen geführt haben. Trotzdem: Müsste man nicht an ganz anderen Stellen ansetzen und das Verhältnis eher entkrampfen, so dass nicht jeder Kontakt gleich verdächtig erscheint und Leute ins Grübeln bringt – ganz abgesehen davon, wie kompliziert alles wird, wenn man sich nicht mehr traut, jemanden im Auto irgendwohin mitzunehmen? Leuten helfen, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und damit verantwortlich umzugehen?

Und schließlich: Muss es eigentlich immer nur das andere Geschlecht sein, das einen in Verlegenheit bringt? Erinnert alles ein bißchen an Wal-Mart, auch wenn Unverheiratete in Saddleback (noch?) mit einem Exemplar des anderen Geschlechts Essen gehen dürfen.

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Blogs, auf die die Welt gewartet hat: Seltsame Propheten

Man trifft schon auf skurrile Dinge in der Blogosphäre, etwa einen anonymen “Propheten”, der am laufenden Band im Namen Jesu (superschmalziges Jesusbild dazu…) Blogeinträge produziert. Beim Überfliegen der Sprüche bin ich über folgenden Satz gestolpert:

(…) judgment in the usual sense is impossible. This is not an opinion but a fact.

Würde da tatsächlich Jesus reden, wäre doch sonnenklar, dass es nicht um irgendeine Meinung geht. So aber drängt sich der Verdacht auf, dass da doch das Ich des Propheten spricht und nicht etwa, wie es im Untertitel heißt, “teaching and revelation directly (!!!!) from Jesus Christ” (Nach dem Motto: “So spricht der Herr: Entschuldigung, es war doch nicht Mose sondern Elia, der mit dem Feuerwagen…”). Auf Blog Top Sites in der Rubrik “Religion” wird The Jesus Promise auf Platz 34 gelistet mit dem Zusatz:

This site by one of the world’s finest Christian Prophets provides predictions, all-seeing viewpoint

Wenn er das von sich glaubt, sollte der (oder die?) Gute doch wenigstens den eigenen Namen veröffentlichen und den Kopf für die Sachen hinhalten, die er verzapft. Das wäre gute biblische Tradition.

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Faszination der Schönheit

Wie Kunst und Schönheit ein Anstoß sein können, dass auch jemand, der sonst nicht nach Gott fragt, plötzlich mit ihm spricht, zeigt dieser wirklich lesenswerte Post bei Spreeblick. In diesem Fall ist Johnny Cashs Album American V der Anlass. Da ist ein Mensch durch Höhen und Tiefen mit Jesus gegangen und schaut in großer Aufrichtigkeit und Dankbarkeit zurück. Schwer, sich diesen “Argumenten” zu entziehen:

Dies ist, lieber Gott, ein fantastisches Album. Für mich und auch für dich. Denn nicht zum ersten oder einzigen Mal sind Cashs Songs direkt an dich gerichtet, doch selten hat das derartig meine Kehle zugeschnürt wie in diesem Fall. Und kommt der Mann in Schwarz nach den ersten sechs Songs zu einer seiner zwei eigenen Kompositionen, zu „I Came To Believe“ nämlich, dann, lieber Gott, bin ich wirklich fast soweit es ihm mit dem Zumglaubenkommen gleich zu tun.

Schick uns doch den Cash einfach wieder zurück, wir tauschen ihn gerne gegen einen erheblichen Haufen Pappnasen ein, die in deinem Namen Hass statt Schönheit produzieren. Das wäre nicht nur eine ziemlich coole Aktion. Das würde mich überzeugen.

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Mit 25 schon am Ende?

Die “Zeit” bringt einen Nachruf auf MTV, das 25 Jahre alt wird. Madonna, so stand schon vor einer Weile zu lesen, lässt ihre Kinder kein MTV gucken. MTV hat sich selbst erledigt, weil es praktisch keine Musikvideos mehr spielt und vor allem weil es progressive Kraft und künstlerischen Anspruch vermissen lässt. Das Fazit fällt ziemlich deutlich aus, aber ich kann es gut nachvollziehen:

… die Clips sehen inzwischen nicht nur aus wie Softpornos, gleichzeitig haben sich auch die Statussymbole auf dem Schirm breit gemacht. Die Maxime der neuen MTV-Videos hat der Erfolgsrapper 50 Cent benannt: „Get rich or die tryin’“; das immer gleiche Bild: Karren, Bikinis, Kohle. War Grunge noch Rebellion (wenn auch kaum politisch motiviert, sondern individuell verzweifelt), trugen die Videos der letzten Jahre systemkonforme Botschaften an die männliche Konsumenten: Kauft Angeberkram und haltet euch willige Mädchen!

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Transzendente Pandemie?

Im Kulturteil der Süddeutschen Zeitung beschwert sich Sonja Zekri darüber, dass man als “Gottloser” in der Minderheit sei und angesichts der neu in Mode geratenen Religiosität unter Anpassungsdruck gerate. Die bedrohliche Kulisse rührt natürlich auch daher, dass sie alles Religiöse undifferenziert in einen Topf wirft. So entsteht eine Front aus Esoterikern, Fundamentalisten und Traditionskirchen, dem ein Häuflein aufrechter und aufgeklärter Selberdenker gegenüber steht.

Spätestens seit der Massenverzückung beim letzten Papstwechsel fühlt man sich deshalb als Atheist wie auf einer Eisscholle im Golfstrom.

Allerdings verfällt sie, bei aller berechtigten Kritik an neokonservativer Instrumentalisierung von Religion und esoterischem Rückzug aus einer komplexen Welt, mit ihrem Aufschrei in dieselbe quasi-apokalyptische Rhetorik wie die “Gegner” (so muss man es wohl doch nennen):

Der Kampf der Kulturen wogt längst nicht mehr zwischen Islam und Christenheit, sondern zwischen Frommen und Ungläubigen. Die Fundamentalisten beider Seiten verstehen sich nämlich blind.

Also doch eine Art “Reich des Bösen” und eine unheilige Allianz der Eiferer? Das Argument, die Religion habe die Welt nicht besser gemacht, ist nicht neu und trifft Aufklärung und Naturwissenschaft genauso.

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Keine Frage der Theologie?

Angesichts der Konflikte im Nahen Osten herrscht wieder reger e-mail Verkehr, der recht unterschiedliche Dinge anschwemmt. Heute las ich in einer email folgenden Satz:

Theology isn’t the issue. WE have the pure and simple word of the Lord speaking of…

Dann wird auf eine Prophetie aus dem Alten Testament verwiesen, deren Erfüllung noch ausstehe. Hallo? Keine Frage der Theologie? Nichts ist weiter entfernt von der Wahrheit! Hier dreht sich alles um Theologie: Wie verstehe ich die Schrift? Wie interpretiere ich alttestamentliche Verheißungen im Licht neutestamentlicher Grundaussagen, ganz besonders wenn es sich um das nationale bzw. staatliche Schicksal Israels handelt? Wie stelle ich mir Gottes Wirken in der Geschichte vor und auf welches Ziel läuft es hinaus? Welche Mittel der Auseinandersetzung sind in den aktuellen Konflikten eigentlich legitim?

Aber der Satz ist auch in anderer Hinsicht verräterisch. Das groß geschriebene “WE” sagt überdeutlich: “Hier geht es nicht um Theologie, die UNSERE Meinung und Theologie in Frage stellen würde.” Daher haben wir auch das “reine und einfache (!) Wort Gottes”… Jetzt, wo sogar George W. Bush allmählich lernt, dass nichts so einfach (und wenig so rein) ist, wie er lange dachte, sollte man die Hoffnung nicht aufgeben, dass ihm noch ein paar Freaks nacheifern.

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Jenseits von Mars und Venus

Die Welt interviewt den amerikanischen Sexualtherapeuten Dr. David Schnarch. Trotz der unübersehbaren Ironie – nomen non est omen in diesem Fall: Schnarchs Antworten sind wesentlich intelligenter als die Fragen seiner Gegenüber.

Er spricht über die Sehnsucht nach Nähe und Intimität und die gleichzeitige Angst, erkannt zu werden. Er lässt die Luft aus Versprechungen der Pharmaindustrie und kosmetischer Chirurgie, aber auch den gängigen Stereotypen mancher Kollegen und hütet sich auch sonst vor schwarz-weißem Denken und unverantwortlichen Vereinfachungen, zum Beispiel mit dieser Antwort:

WELT ONLINE: Haben Sie jemals einem Paar zur Trennung geraten?

Schnarch: Das würde ich niemals, ich bin nicht Gott. Zudem würde es einen Prozeß der Selbstentwicklung unterbrechen, während man von allen Seiten hinterfragt, ob man das Richtige oder Falsche tut. Die Konfrontation mit sich selbst ist wichtig.

Eine Leseprobe aus seinem jüngst auf Deutsch erschienenen Buch gibt es hier. Kleiner Tipp: Auf Englisch kostet es nicht einmal die Hälfte…

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Hilferuf

Der iranische Christ Reza Mamipour Abri soll trotz Lebensgefahr für “Abtrünnige” in den Iran abgeschoben werden. Das Verwaltungsgericht Ansbach entscheidet am 26. Juli. Wer sich informieren und/oder eine online-Petition unterschreiben will, sollte sich gleich hier weiterklicken – und danach das Beten nicht vergessen.

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Der Segen des Party-Patriotismus

Die rechte Szene ist schwer verunsichert durch den fröhlichen Fußball-Patriotismus. Die FAZ zitiert den frustrierten NPD-Ideologen Gansel, der unter anderem einräumt: “Hier werden selbst Neger zu deutschen Patrioten”.

Genau so soll es sein. Vielleicht sollten wir uns schon deshalb eine Portion davon über die WM hinaus bewahren und demnächst rechte Kundgebungen statt mit Transparenten und Sprüchen mit Deutschlandfahnen, Spaß und geschminkten Gesichtern untergehen lassen – unter der Schminke ist die Hautfarbe sowieso egal 🙂

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work hard – play hard?

Wie ein Kommentar zur Lebensdevise zahlreicher Führungskräfte liest sich diese Passage aus Moltmanns Eschatologie:

Der Tod befristet unsere Lebenszeit und macht das Leben kurz: Vita brevis est. Unbewusste, nicht verarbeitete Todesangst zeigt sich in der Lebenseile. Presto! Nur wer schneller lebt, hat mehr vom Leben. Die »moderne Welle« ist die beschleunigte Welt. Wir »modernisieren« immer schneller. Wir bewegen uns immer mehr und hasten von einem Ort zum anderen. Wir nehmen immer mehr Erfahrungen auf und verbrauchen immer mehr Leben ohne erkennbares Tempolimit.

Die Antwort haben die Dixie Chicks in Easy Silence so formuliert:

When the calls and conversations
Accidents and accusations
Messages and misperceptions
Paralyze my mind

Busses, cars, and airplanes leaving
Burning fumes of gasoline
And everyone is running
And I come to find a refuge in the

Easy silence that you make for me
It’s okay when there’s nothing more to say to me
And the peaceful quiet you create for me
And the way you keep the world at bay for me

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Alles Deins…

Ich kann gar nicht sagen, wie viele Menschen, die ich kenne oder von denen ich gehört habe, in den späten Teenagerjahren oder Anfang Zwanzig Wahrheit außerhalb ihrer Religion erfahren und daraufhin dem ganzen den Rücken kehren, weil sie denken, das wäre ein Entweder-oder. (…)
Sie erleben Wahrheit auf alle möglichen neuen Weisen, und sie brauchen einen Glauben, der groß genug ist, um das zu stemmen. Ihr Schema wird gesprengt, und der Glaube, den man ihnen vermittelt hat, hat keinen Platz für das, was sie lernen.
Aber es ist kein Entweder-oder, weil Jesus sagte: “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben”. Wenn du auf die Wahrheit triffst, egal in welcher Form, liegt sie nicht außerhalb deines christlichen Glaubens. Dein Glaube ist gerade größer geworden. Christ zu sein, bedeutet sich Wahrheit zu eigen zu machen, wo immer man sie findet.

Rob Bell, Velvet Elvis : Repainting the Christian Faith, S. 81

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Schamlos

“So kommen wir ins Finale” sagte Luis Figo über das bisher peinlichste aller WM-Spiele, die “Schlacht von Nürnberg”. Na, das wollen wir mal nicht hoffen. Vielleicht haben die Engländer ja Lust darauf, sich doch noch mal mit Ruhm zu bekleckern – das Viertelfinale wäre ein guter Zeitpunkt.

Interessant auch, dass die niederländischen Journalisten im ARD Pressespiegel selbstkritische Töne finden, während die Portugiesen über den Schiedsrichter mosern, aber ihr Team als Helden feiern. Ich glaube, ich tausche mein Portugal-Trikot wieder um…

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