Vergebung, Erlösung und viele Fragen

Bestimmte Varianten christlicher Versöhnungstheorien wirken bisweilen so, als beherzige Gott selbst die Aufforderung aus der Bergpredigt, die Rechte dürfe nicht wissen, was die Linke tut. Etwa in der Art, wie die Begriffe „Vergebung“ und „Erlösung“ aufeinander bezogen werden.

Vergebung bedeutet, jemand bekommt seine Schuld(en) erlassen: Ein Gläubiger verzichtet auf seine Forderungen, ein Geschädigter auf Genugtuung oder Vergeltung. Es handelt sich um eine juristische Metapher.

Erlösung bedeutet, dass eine Transaktion stattfindet, durch die jemand aus einer Zwangslage freikommt: Ein Gefangenenaustausch etwa oder ein Lösegeld. Hier haben wir es mit einem Bild aus der Ökonomie, wenngleich der zweifelhaften Sorte, zu tun.

Hier und da höre und lese ich, dass Gott erst vergeben konnte, nachdem Jesus sich „geopfert“ hatte – oder so ähnlich. Wenn das so ist, dann ist Vergebung streng genommen keine Vergebung, sondern der Sohn zahlt dem Vater das Lösegeld (und jeder Akt der Vergebung vor dem Kreuzestod Christi wäre eine Art vorlaufender Abbuchung von diesem imaginären „Konto“ gewesen). Damit aber landet der Vater in der Rolle des Sklavenhalters, Gefängnisdirektors oder gar Kidnappers, und das ist im Neuen Testament nun nirgends so dargestellt. Wenn Zwang und Gefangenschaft, dann durch andere Mächte.

Man muss das Verhältnis also anders bestimmen, um nicht bei einem Gott zu landen, der sich mit der einen Hand – bildlich gesprochen – das Geld selbst in die Tasche steckt, das er mit der anderen dem Schuldner schenkt oder – anders gesagt – in einen unerbittlich fordernden und einen großzügig schenkenden Teil zerfällt.

Um dem zu entgehen, kann man nun zwei Dinge tun. Entweder fragt man, worin die Gemeinsamkeit beider Vorstellungen liegt, da wird ja bildlich gesprochen. Oder man sucht ein übergreifendes Bild, in das sich beide irgendwie einfügen lassen. Letztes könnte zum Beispiel die Versöhnung sein: Gott überwindet von sich aus die Feindschaft und Entfremdung der Menschheit. Ebenso kann man sagen, dass die „Schnittmenge“ von Vergebung und Erlösung in einer gewissen Asymmetrie liegt (Gott hat den aktiven Part), dass es um einen Akt großzügiger Hingabe geht (ob er nun auf eine „Nachforderung“ verzichtet oder einen „Freikauf“ tätigt), und damit ein Neubeginn frei von Altlasten möglich wird.

Das Bild von Gott, das dabei entsteht, finde ich stimmiger als die Vorstellung des Nacheinanders von Erlösung/Vergebung (bei dem letztlich der Begriff Vergebung ausgehöhlt wird) oder die problematische Rollenteilung zwischen den trinitarischen Personen. Und man kommt ein Stück weg von Metaphern, die allzu eng an Juristerei und Ökonomie angelehnt sind.

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Die Weisheit nicht gepachtet

In den Kulturen Asiens hat das Christentum einen anderen Stand als in vielen anderen Teilen der Welt. Die katholischen Bischöfe tragen dem Rechnung, indem sie ihr Verständnis von Kirche auf das Reich Gottes ausrichten, beziehungsweise es diesem ausdrücklich unterordnen. Das bedeutet auch einen anderen Zugang zu einer religiös pluralistischen Gesellschaft, den viele Europäer und Amerikaner mühsam lernen müssen. Das zeigt sich an ihrer Haltung zum Dialog, in dem man sich behutsam zurücknimmt, ohne jedoch seine Botschaft aufzugeben:

Sobald man das Verhältnis zwischen Christentum und anderen Religionen nicht mehr als Gegenwart/Abwesenheit oder überlegen/unterlegen oder ganz/teilweise versteht, wird Dialog zu dem Kontext, in dem Verkündigung stattfinden muss. Denn selbst wenn man die gute Nachricht mit Zuversicht verkündet, sollte man das mit großem Respekt vor Gott tun, der handelt, und der Freiheit des anderen, der antwortet, und den eigenen Begrenzungen der Kirche als Zeugin. (Michael Amaladoss, Making All Things New, New York 1990, 59)

Nach Peter C. Phan bedeutet Dialog in den Kirchen Asiens nicht nur intellektuellen Austausch von Argumenten, sondern

  • einen Dialog des Lebens, wo man Freude und Leid miteinander teilt
  • einen Dialog das Handelns, wo Christen mit anderen daran arbeiten, dass Menschen sich entfalten können
  • einen theologischen Austausch, wo man einander das religiöse Erbe erläutert und nach einem tieferen Verstehen sucht
  • einen Dialog über religiöse Erfahrung, wo man miteinander die geistlichen Reichtümer wie Gebet, Kontemplation und die Suche nach Gott teilt

Im Blick auf die „prophetische“ Rolle der Gemeinden Asiens hält Phan weiter fest:

  1. Kirche ist eine geschwisterliche Gemeinschaft von Gemeinschaften
  2. Sie entsteht aus der Erkenntnis, dass alle Glieder dieser Gemeinschaft fundamental gleichrangig sind. Institutionelle Macht muss daher kollegial ausgeübt werden. Nur so wird Kirche ihrem Auftrag gerecht.
  3. Sie ist eine partizipatorische Kirche, in der jeder etwas beiträgt. Ein pastoraler Primat ist darauf angelegt, die Teilhabe und Mitverantwortung aller zu stärken
  4. Auch nach außen hin wird Dialog mit den Kulturen, Religionen und Menschen Asiens zur entscheidenden Haltung
  5. Damit weist die Kirche prophetisch über sich hinaus auf das kommende Reich Gottes und wird zum Sauerteig der Transformation. Auf dieses Reich hin ist sie als Minderheit mit (nicht gegen und auch nicht anstelle von) allen anderen Menschen unterwegs.
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Menschen sind die Worte

Vor einiger Zeit habe ich hier ein paar Gedanken zu narrativer Theologie gepostet. Das hat mit einem Verständnis von Offenbarung Gottes zu tun, dem nach Hans Waldenfels auch das Zweite Vatikanische Konzil folgt, das sich weg von einem „intruktionstheoretischen“ hin zu einem „personal qualifizierten kommunikationstheoretischen“ Ansatz bewegt:

Danach besteht Offenbarung nicht primär in einer neuen Form von Wissensvermittlung; sie ereignet sich vielmehr in einer interpersonalen Begegnung zwischen Gott und den Menschen, die sich in der Geschichte der Menschen abspielt. Edward Schillebeeckx beginnt sein Buch Menschen mit den anrührenden Sätzen »Ein kleiner Junge soll einmal gesagt haben: ‚Menschen sind die Worte, mit denen Gott seine Geschichte erzählt.’« (Mission und Prophetie, in: Delgado/Sievernich, Mission und Prophetie in Zeiten der Interkulturalität, St. Ottilien 2011)

Wenn Offenbarung aber nicht bloß Information und Instruktion ist (und das ist sie leider, wenn man sich umsieht, noch viel zu oft!), sondern lebendige Begegnung, dann spielt auch der Kontext eine entscheidende Rolle für ihr Zustandekommen. Dann lassen sich Inhalt und Form nicht mehr trennen, sie gehören zusammen: Das worthafte „Zeugnis“ kann nicht vom Lebenszeugnis der Christen getrennt werden. Aber zum Zeugnishaften tritt für Waldenfels noch das Prophetische:

In seiner Vollgestalt ist der Prophet religiös eine von Gott inspirierte und gesellschaftlich inspirierend wirkende Persönlichkeit. So haben die Propheten des alten Israel bis in die Zeit Jesu gewirkt. Danach ersetzten Zeugen die Propheten, indem sie nicht mehr aus einer neuen Inspiration heraus Zeugnis gaben; sie sprachen aufgrund ihrer Rückbindung an den Ursprung und an die inspirierten Bücher der Heiligen Schrift. Wer dagegen als Prophet mit dem Anspruch einer neuen »Inspiration« auftrat, wurde bald als »falscher Prophet« verurteilt. Dennoch hat die Kirche nicht verhindern können, dass immer wieder Menschen auftraten, die auch die Botschaft Jesu aufgrund von innerer Eingebung »inspirierend« und oft auch gegen Widerstände der Kirchenleitung für Kirche und Öffentlichkeit auslegten und verkündeten.

[…] Es geht um die Mündigkeit des Laien, um den Wandel der Kirche von einer (nur) lehrenden zu einer (immer auch) lernenden Kirche, einer Kirche, die sich weniger abgrenzt von der Welt, sondern offen ist für die Menschen in aller Welt.

Waldenfels schließt mit dem Hinweis, Exodus und Befreiung seien heute die Leitmotive einer Theologie und Praxis, in der das prophetische Moment erwacht ist, und die an gesellschaftlichen Aufbrüchen nicht nur in Lateinamerika mitwirkt. Bleibende Aufgabe der Theologie ist es dabei, den Austausch mit anderen Disziplinen zu suchen, um eine neue prophetische Sprache zu finden für unsere Zeit.

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Vom Nicht-Menschen zum neuen Menschen

Nächste Woche unterrichte ich wieder Kirchengeschichte. Für meinen Geschmack kommt das 20. Jahrhundert in den Lehrbüchern viel zu kurz. Meist werden die ökumenische Bewegung und der Kirchenkampf ausführlich beschrieben, der Rest spielt eine untergeordnete Rolle. Dazu gehören die Entstehung der Pfingstbewegung und auch die Theologie der Befreiung. Beides hat in Deutschland keine große Rolle gespielt, wohl aber im Rest der Welt. Im Jahrhundert der Globalisierung darf es daher nicht unter den Tische fallen. Um diese Lücken zu schließen, lese ich gerade ein paar Sachen quer und stoße dabei auf sympathische Gedanken:

Das Evangelium wendet sich nicht allein an den modernen und kritischen Menschen, sondern hautsächlich an den „Nicht-Menschen“, das heißt an jenen, dem die Würde und fundamentalen Rechte verweigert werden. Daraus erwächst eine prophetische und solidarische Reflexion, die darauf abzielt, aus dem „Nicht-Menschen“ einen vollen Menschen und aus dem vollen Menschen einen neuen Menschen zu machen – gemäß dem Projekt des „novissimus Adam“, des neuen Adam in Jesus Christus

Leonardo und Clovodis Boff, Wie treibt man Theologie der Befreiung?, S. 18

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Allah (8): Ist mit monotheistischen Religionen ein Staat zu machen?

Toby Faix hat mich jüngst daran erinnert, dass meine Besprechung von Allah. A Christian Response noch der Vollendung harrt. Also, packen wir es an!

Viele religiöse Konflikte sind durch die Globalisierung entstanden oder doch verschärft worden, schreibt Miroslav Volf im Kapitel 12 von Allah. Und er geht der Frage nach, ob Menschen, die exklusiven Religionen angehören (also durchaus konkurrierende Wahrheitsansprüche erheben) friedlich in einem Staat zusammenleben können.

Monotheismus, sagt Volf mit dem Ägyptologen Jan Assmann, ist nicht einfach die Vorstellung eines höchsten Gottes, sondern des einen wahren Gottes, dem gegenüber alle anderen Götter falsche Götter sind, bloße Götzen also und Gegenstand des Aberglaubens sind. Monotheismus war von Anfang an aber auch mit einer politischen Vision verbunden. Das kann eine imperialistische Vision sein (ein Gott- ein Kaiser bzw. ein Papst) und dann stünde sich Christentum und Islam in einem Kampf um die Weltherrschaft gegenüber. Der allerdings wäre auch im religiös pluralistischen Polytheismus keineswegs ausgeschlossen, wie die Geschichte zeigt.

Andererseits gab es im Monotheismus immer auch die gegenläufige Tendenz: Der Glaube an den einen wahren Gott verträgt sich nicht mit der Unterwerfung eines Menschen durch andere. Zudem, so argumentieren die Advokaten des Monotheismus, ist er inklusiv: Der wahre Gott ist der Gott aller Menschen. Freilich, so lässt sich kritisch einwenden, ist diese Inklusivität an Bedingungen geknüpft: Nur wer Gott anerkennt, ist „drin“.

Verträgt sich religiöser Exklusivismus (nicht alle Religionen sind gleich „wahr“) mit politischem Pluralismus? Oder muss (wie nach dem Augsburger Religionsfrieden) der jeweilige Staat/Herrscher dafür sorgen, dass in seinem Machtbereich einheitlich geglaubt wird? Politischer Pluralismus würde beuteten, dass verschiedene Religionen gleichberechtigt koexistieren und sich am politischen Leben konstruktiv beteiligen können.

Neben der Unterscheidung von „wahr“ und „falsch“ hat der Monotheismus auch die Alternative „gerecht“ und „ungerecht“ gesellschaftsfähig gemacht. Er hat daher eine grundlegende ethische Dimension (vgl. Micha 6,8): Die Liebe zum Nächsten. Polytheistische Religionen dagegen sind primär kultisch strukturiert. Zweitens hat der Monotheismus die Religion von Staats- und Stammesangehörigkeit abgekoppelt. Die christliche Kirche bestand von Anfang an aus verschiedenen Nationalitäten und nie war eine einzelne Nation zu hundert Prozent christlich. Es entsteht ein Riss in bis dahin homogenen Gemeinschaften: Volf zitiert Nicholas Woltersdorf, der sagt: „Immer wenn die Kirche in einer Gesellschaft Fuß fasst, zerstört sie jegliche religiös-ethnische Einheit, die dieser Gesellschaft bis dahin zu eigen war. Jetzt gibt es nur noch religiösen Pluralismus.“ Staat und Religion sind ab sofort nicht mehr deckungsgleich.

Glaube aber ist zu allererst eine Angelegenheit des Herzens. Viele Christen und viele Muslime, sagt Volf, würden den folgenden Thesen zustimmen:

  1. Der eine gnädige Gott begegnet allen Menschen zu gleichen Bedingungen.
  2. Die Nächstenliebe erfordert es, anderen die gleichen Freiheiten zuzugestehen, die man sich selbst wünscht
  3. In Glaubensfragen darf es keinen Zwang geben

Bleibt noch das Problem der Apostasie: Etliche heutige islamische Staaten stellen wie das römische Reich nach der Konstantinischen Wende den Abfall vom Glauben unter Strafe, oft wird sogar die Todesstrafe verhängt. Das aber ist eine verfehlte Verknüpfung des Wahrheitsbegriffs mit dem Glauben an den einen Gott, wenn die Religionsfreiheit eingeschränkt wird. So lange sich eine Religion in der Minderheit befand, forderte sie gleiche Rechte ein, so bald sie in der Mehrheit war, baute sie ihre Privilegien aus. Richtig verstandener Monotheismus aber würde dazu führen, allen Religionen gleiche Rechte einzuräumen und allen Menschen das Recht, die Religionszugehörigkeit zu wechseln.

In einer religiöse inhomogenen (aber eben auch auf Dauer in erheblichen Teilen religiösen) Gesellschaft müssen drei Prinzipien gelten:

  1. Keine Identifizierung von Staat und Religion. Staatliche Gesetze sind also nicht unbedingt als Wille Gottes zu verstehen
  2. Keine völlig Trennung zwischen Religion und Staat: Unparteilichkeit bedeutet nicht, Religion an sich (die im Leben vieler Bürger ein wichtige Rolle spielt) und das Ringen verschiedener Religionen um Gerechtigkeit und Wahrheit aus dem öffentlichen Leben zu verbannen.
  3. Ein unparteiischer Staat ermöglicht es Christen wie Muslimen, ihren beiden wichtigsten Grundsätzen treu zu bleiben: Dass Gott der Gott aller Menschen ist und dass er es gebietet, Recht zu üben und allen Menschen in Liebe zu begegnen.

 

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Das beste theologische Buch?

N.T. Wright wurde kürzlich gefragt, welches das beste theologische Buch ist, das er gelesen hat. Hier ist seine Antwort, und ich kann sie wirklich gut nachvollziehen:

The best theological book I’ve read in the last 20 years is without doubt Exclusion and Embrace by Miroslav Volf. He takes on some of the major issues in our society and culture and wrestles with them from a deeply Christian perspective. It’s a work of great maturity and wisdom.

Exclusion and Embrace erscheint unter dem Titel „Von der Ausgrenzung zur Umarmung“ im Herbst im Francke-Verlag.

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Warum Ostern nichts für jeden ist

Gegen eine triumphalistische oder anderweitige Versüßlichung des Osterfestes und die Entkoppelung von Osterfreude, Trauer und Hoffnungslosigkeit (die dann einfach verharmlost oder übersprungen werden) hilft dieser „attestamentliche“ Denkanstoß von Bonhoeffer, der in diesen Tagen wieder aktuell ist. Der Tod ist für ihn nicht einfach nur die Drehtür ins nächste Leben, als die er hin und wieder dargestellt wird. Und das Jenseits ist nicht das „Eigentliche“, dem gegenüber diese Welt nichts mehr zählt:

Nur wenn man das Leben und die Erde so liebt, dass mit ihr alles verloren und zu Ende zu sein scheint, darf man an die Auferstehung der Toten und eine neue Welt glauben.

Dietrich Bonhoeffer in Widerstand und Ergebung


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Der könnte interessant werden

Habe ich da unter anderem gerade John Piper, Mark Driscoll und Brian McLaren im Trailer gesehen? Im September erscheint „Hellbound“ (meine Autokorrektur wollte gerade „hellblond“ draus machen…) in den USA. Ob man den Streifen hier auch zu Gesicht bekommt?

Vielleicht könnte der ERF oder BibelTV ja deutsche Untertitel drunter machen. Spannend wär’s allemal!

Hellbound? Teaser Trailer 1080 from Darren Hull Studios Inc. on Vimeo.

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Das Kreuz und die „Hunde“

Ich habe es in den letzten Wochen schon ein paar mal angerissen: Ted Jennings geht in Transforming Atonement der Frage nach, wie man ein Verständnis des Kreuzestodes Jesu gewinnen kann, das missverständliche Metaphern ersetzt oder zumindest ergänzt, und das im Unterschied zu machen Sühnetheorien auch die historischen Zusammenhänge ernst nimmt.

Eine der Linien, die er herausarbeitet, betrifft dabei Juden und Heiden. Von Anfang an wird Jesus in den Evangelien nicht nur als der Messias der Juden dargestellt, sondern auch als der Menschensohn, der über den engen Rahmen Israels hinauswächst. Das beginnt schon mit den „Magi“ bei seiner Geburt, dem Tumult, den seine erste Predigt in Nazareth auslöst und nach dem kurzen, scheinbar herben Disput mit der syrophönizischen Frau über Heiden, Hunde und Brotkrümel entwickelt sich tatsächlich ein vorösterliches Wirken unter den Heiden in der Dekapolis. Die Begegnung erweitert also Jesu Verständnis seiner eigenen Sendung.

Aber dann stirbt Jesus auch noch als der Menschensohn, der von den eigenen Leuten verstoßen und „den Heiden ausgeliefert“ wird (Markus 10,31). Und so kommt das Evangelium endgültig zu den Heiden und wird dort auch als erstes verstanden.

Paulus zieht in Kolosser 3 daraus die Konsequenz, dass weder starre und hierarchische Geschlechterrollen noch soziale und ethnische Grenzen in der Gemeinde Geltung haben können: Weder die zwischen Juden und Heiden noch die zwischen Griechen und Skythen. Ein wichtiger Schritt zu dem multikulturellen Christentum, das im Vielvölkergemisch der antiken Großstädte so erfolgreich Fuß fasste.

Für uns heute stellt sich dann zum Beispiel die Frage, wie Gemeinden in einer Stadt aussehen müssten, deren Bürger zu einem Drittel (!) Migrationshintergrund haben. Wer sich das Ganze etwas ausführlicher mit ein paar Ergänzungen und Kommentaren von mir anhören möchte, kann hier in den ELIA-Podcast klicken.

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„Er trug unsere Krankheit“

Wir haben munter diskutiert über Sühnetheorien diese Woche. Ausgangspunkt war Theodore Jennings‚ Einwurf, dass manche klassischen Sühnetheorien heute nicht mehr „anschlagen“. Seine Anregung war, wieder verstärkt auf die geschichtlichen Zusammenhänge einzugehen, die im Hintergrund des Weges Jesu ans Kreuz stehen.

Einer davon ist die Frage nach Gottes Verhältnis zu körperlichem Leiden – der Schmerzensmann aus Jesaja 53 etwa. Was hat das Leiden Jesu am Kreuz mit seiner – und in der Konsequenz dann auch mit unserer – Haltung Kranken gegenüber zu tun? Und ist das Thema geschehender wie ausbleibender Heilung nur ein nebensächlicher Aspekt oder doch ein zentrales Element des Evangeliums?

Ich habe Jennings‘ spannendes Kapitel über Kreuz und Leiden hier in einem Podcast kurz zusammengefasst, wer also dranbleiben möchte an der Thematik, findet weitere Anregungen.

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Warum Genugtuung nicht mehr genügt

In den letzten Jahren gab es immer wieder erbitterte Auseinandersetzungen über die Interpretation des Kreuzestodes Jesu. Einzelne soteriologische Konstrukte standen dabei in der Kritik, besonders der Gedanke des Sühnopfers und der Satisfaktion. Für die einen steht und fällt der Glaube mit diesen Vorstellungen, für die anderen sind sie unerträglich.

Theodore W. Jennings hat mit Transforming Atonement. A Political Theology of the Cross ein paar interessante Gedanken ins Spiel gebracht: Die gängigen Metaphern, die das Kreuz erklärten, sind aus seiner Sicht ungemein erfolgreich gewesen. So erfolgreich, dass sie den Zusammenhang, aus dem sie ursprünglich stammen, fast völlig gesprengt und aufgelöst haben.

Der Opfergedanke, für Juden und Griechen im ersten Jahrhundert noch ein alltägliches Erlebnis, wird etwa im Hebräerbrief herangezogen. Obwohl Jesus nach einem politischen Prozess exekutiert wurde, wird sein Tod als „Opfer“ verstanden. Zugleich wird deutlich, dass dieses eine Opfer das Verhältnis von Gott und Menschheit ein für allemal verändert. In der Folgezeit hat die Ausbreitung des Christentums, indem es keine blutigen Opfer mehr zuließ, dafür gesorgt, dass uns dieser Gedanke inzwischen völlig fremd geworden ist. Unglücklicherweise strotzen unsere alten (und leider auch viele der neuen) Kirchenlieder von eben dieser Begrifflichkeit.

Der Gedanke vom Triumph Gottes über die dämonischen Mächte, der in der alten Kirche eine große Rolle spielte und auf den Dualismus persisch-parthischer Herkunft anspielt, wo gute und böse Gottheiten sich einen Krieg lieferten, ist inzwischen weithin aus unserem alltäglichen Weltbild verschwunden, und von Teufel und Dämonen ist (außerhalb gewisser frommer Subkulturen) heute nur noch in dem Sinne die Rede, dass sie entmachtet sind. Den alten Dualismus (den es bei Marcion und den Manichäern noch gab) kennt heute kaum noch jemand.

Und von Satisfaktion (Anselm von Canterburys genialem Entwurf fürs feudale Hochmittelalter reden wir heute kaum mehr, weil nicht zuletzt das Christentum den Ehrbegriff und das Fehdewesen von damals effektiv überwunden hat. Heutige Versuche, Sünde als todeswürdige Majestätsbeleidigung darzustellen, lösen bei unseren Zeitgenossen verständlicherweise nur Kopfschütteln und Empörung aus.

Diese Modelle hatten ihre Zeit und ihren Sinn. Aber sie ist vorbei und kommt nicht mehr zurück. Sie haben ihren geschichtlichen Wert, aber kaum noch einen aktuellen. Und sie sind nicht „die Wahrheit“, sondern Modelle. Bei einem Modell kommt es darauf an, dass es wirkungsvoll erhellt, was es erklären soll. Wenn das nicht mehr gelingt, muss man (wie Anselm) neue Modelle finden. Der Streit um ihre Wahrheit (oder ob das „biblisch“ ist) ist also irrelevant, es geht vielmehr um die Zweckmäßigkeit solcher Bilder und Vergleiche.

Jennings weist auch noch darauf hin, dass diese Modelle eine gemeinsame Schwäche hatten, weil sie der Tendenz der altkirchlichen Theologie folgten, das Ereignis des Kreuzes vom Leben und der Verkündigung Jesu wie auch von den konkreten Umständen seines Todes durch das Urteil des römischen Statthalters und die Hand seiner Schergen immer mehr abzukoppeln. Das Kreuz wurde – ob bewusst oder nicht – damit auch entpolitisiert.

Wenn wir also heute fragen, warum Jesus so starb, wie er starb, und wozu das gut sein könnte, dann müssen wir das Kreuz wieder in den weiteren Zusammenhang der Evangelien stellen – und darüber hinaus danach fragen, welche Folgen dieser Weg Jesu für seine Nachfolger haben sollte (bei Jennings habe ich leider keinen Hinweis auf Tom Wright gefunden, der ja viel in dieser Richtung gearbeitet hat).

Eine schöne theologische Aufgabenstellung für die Passionszeit, finde ich.

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Lässt Gott sich studieren?

Das IGW wirbt seit einer Weile mit dem Slogan „Ich studiere Gott“. Dass man über diesen Satz stolpert, ist natürlich gewollt, so funktioniert gute Werbung. Vermutlich soll er sagen, dass das Studium beim IGW vergleichsweise unkonventionell ist und weniger „theoretisch“ als anderswo. Man kann ihn freilich auch so verstehen, als würde dahinter der Anspruch stehen, hier etwas in Reinform vermittelt zu bekommen, was andere nur als x-ten Aufguss servieren: Die einen studieren „Gott“, andere bloß Theologie. Hier das Original, das der müde Abklatsch.

Die Frage nach der Wahrheit dieses Satzes bleibt so oder so: Lässt Gott sich studieren? Und wenn ja, wie würde so etwas aussehen?

Studieren bedeutet im Lateinischen, nach etwas zu streben oder sich um etwas zu bemühen. Im Deutschen – und das ist hier ausschlaggebend – bedeutet Studieren das wissenschaftliche Lernen und Forschen in einem bestimmten Wissensbereich. Es geht um einen diskursiven und methodisch reflektierten Weg zu einem tieferen Verständnis eines Gegenstands, den man durch möglichst genaue Beobachtung und Untersuchung besser verstehen will. Wissenschaftliches Arbeiten, das weiß auch das IGW, orientiert sich an bestimmten Standards von Rationalität, dafür gibt es dann auch akademische Abschlüsse.

Nun ist – und hier droht der Slogan eben Missverständnisse zu erzeugen – Gott gerade kein Gegenstand, der sich beliebig beobachten und erfassen lässt, sondern ein personales Wesen (und selbst bei diesen Begriffen spürt man schon, wie unsere sprachlichen Kategorien zu versagen drohen), das sich offenbaren muss, damit es erkannt werden kann. So, wie wir einen anderen Menschen auch erst dann kennenlernen, wenn er sich uns mitteilt (und uns dabei nichts vormacht). Man muss ihm irgendwie begegnen. Wann, wo und in welcher Form Gott uns begegnet, lässt sich leider gar nicht planen und systematisieren. Gott bleibt frei, Offenbarung ein wunderbares Geschenk (und ja, manchmal auch eine Last oder ein Erschrecken).

Aber oft – meistens sogar – passieren diese Begegnungen gänzlich unerwartet. Was ein „Studium“ dazu beiträgt, lässt sich also kaum vermessen: Statt in einem IGW-Kurs zu sitzen, könnte man auch verschiedenste geistliche Übungen machen, am Bett eines Kranken oder Sterbenden sitzen, oder auf die Oberfläche eines Gletschersees schauen. Augustinus hört Gott in einem Kindervers sprechen, Franziskus begegnet Christus in einem Aussätzigen, Abraham beim Blick an den Sternenhimmel und Jakob beim Ringkampf.

Was ein Studiengang leisten kann, ist, dass man eigene Erfahrungen der Offenbarung Gottes (die werden also notgedrungen vorausgesetzt) beschreibt und reflektiert, sie mit den Erfahrungen und Gedanken anderer Menschen (der VerfasserInnen des Alten und Neuen Testaments, heutiger und früherer TheologInnen) vergleicht und daraus eine zusammenhängende Perspektive auf unsere Welt und unser Leben im indirekten Lichte der Offenbarung Gottes entwickelt. Und sich dabei zugleich bewusst macht, dass unser Nichtwissen (sprich: unsere offenen Fragen) proportional mit dem Wissen zunimmt.

Ein gutes Studium wird auch immer die Sehnsucht nach Gott und die Offenheit für Gottesbegegnungen fördern, aber sie nicht verwechseln mit den Zeugnissen von solchen Begegnungen, die uns notwendigerweise nur in versprachlichter – und damit immer auch schon im Rahmen einer bestimmten Kultur und Tradition interpretierter – Form zugänglich sind. Als solche lassen sie sich allerdings tatsächlich studieren, und ein solches Studium kann gewinnbringend und sinnvoll sein.

Ließe Gott sich „studieren“, dann stellte sich sofort die Frage, ob Intellektuelle (oder wer sich das Studium finanziell leisten kann) nicht gegenüber den „Normalos“ im Vorteil sind. Um ihn jedoch im gängigen Sinn des Wortes studieren zu können, müsste man ihn irgendwie „Schauen“ oder unmittelbar bzw. direkt erkennen können, und genau das verneint das Christentum immer: Wir erkennen in Bruchstücken, wir sehen Gott in einem trüben Spiegel, schreibt Paulus in 1.Korinther 13 – kein Mikroskop, kein Radioteleskop, kein Sonar oder Röntgengerät fängt ihn ein, keine intellektuelle Methode und keine spirituelle „Technik“. Nicht unmittelbar, sondern immer vermittelt: Durch bestimmte Personen, Ereignisse, Worte, die das Ganze nicht weniger real machen, aber eben weniger objektivierbar: Keine „Fakten“, sondern Zeugnisse.

Damit hinkt die Theologie anderen Wissenschaften nicht einmal hinterher, sondern sie ist manchen in ihrer Bescheidenheit und dem Bemühen, nicht zu viel „wissen“ zu wollen und zu versprechen, auch ebenbürtig – und gelegentlich sogar einen Schritt voraus, denn auch in anderen Disziplinen ist Erkennen merkwürdig indirekt und alles vermeintlich gesicherte Wissen immer von Zweifel und Fragen umgeben. Wenn ein Studium das vermittelt und zur existenziellen Suche nach Gott ermuntert, dann kann man es doch eigentlich nur empfehlen.

Und nicht zuletzt werden solche in Bescheidenheit gebildeten Theologen dann Gotteserfahrungen anderer auch nicht herablassend kommentieren oder korrigieren, sondern zu einem fruchtbaren Gespräch über den Glauben beitragen. Gott zu lieben und ihm zu vertrauen ist die Sache aller Christen, egal ob und was sie studiert haben. Übernächste Woche bin ich selbst (daher beschäftigt mich das Ganze) beim IGW in Zürich. „Gott“ werde ich da leider kaum unterrichten können, aber dafür ein paar Jahrhunderte Kirchengeschichte.

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Schlüsselfragen

Wir hatten es kürzlich schon von den richtigen oder nicht so richtigen Fragen, auf die das Evangelium eine Antwort gibt (oder eben auch nicht). Im Laufe der Geschichte haben sich diese Fragen immer wieder verändert. Luthers Frage nach dem „gnädigen Gott“ ist heute – sagen wir es vorsichtig – nicht mehr ganz so verbreitet wie im Spätmittelalter. Gottes Ferne und Abwesenheit ist vielleicht eher das Thema als sein Zorn.

Auf der anderen Seite ist das Evangelium eben kaum noch als „gute Botschaft“ zu verstehen, wenn es nicht auf die entscheidenden Fragen antwortet. Dabei geht es für die meisten Menschen um mehr als das persönliche Glück, um einen weiteren Horizont der Hoffnung also. Im Zeitalter der globalen Risikogesellschaft würde ich das – stark verkürzt – so zusammenfassen:

Wie kann diese gefährdete und gefährliche Welt heil werden – und wir in ihr?

Ein Evangelium, das nur individuelles Glück für wenige verspricht und dessen Eskapismus das Heil der gesamten Welt ausblendet, ist keine gute Botschaft, sondern nur eine in frommes Vokabular verpackte und leicht vergeistigte Version desselben handfesten Egoismus, der unsere Konsumkultur an den Rand des Abgrunds und gebracht hat und der den Anderen und alles Fremde als Bedrohung empfindet, die ausgelöscht werden muss.

Andererseits: Ein Evangelium der totalen Selbstaufopferung und des Verlusts jeglicher Individualität im Überlebenskampf der Menschheit oder Natur mit ungewissem Ausgang ist auch noch keine gute Botschaft. Und der falsche Trost von einer ohne Gott immer schon heilen Welt klingt auch schal.

Das biblische Evangelium spricht von Gott, der sich einmischt und selbst zum Verlierer wird, um alle zu gewinnen. Das ist die gute Botschaft – die alte Ordnung von Siegern und Verlieren, das System des gnadenlosen Wettlaufs und Konkurrenzkampfs wird auf den Kopf gestellt. Und wer gewonnen wurde, kann im Chaos der Geschichte alles riskieren, um andere zu gewinnen und – egal wie vorläufig und unvollkommen – Heilung weiterzutragen. Heilung für die Kranken und Leidenden. Heilung für die Wunden der ausgebeuteten Schöpfung. Heilung für die Systeme und Ordnungen unseres Zusammenlebens.

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Heilsamer Perspektivwechsel

Der Wiener Theologe Paul Zulehner spricht (unter anderem hier) von einem Perspektivwechsel, der im katholischen Bereich mit den zweiten vatikanischen Konzil eingesetzt hat. Und wir können sagen, dass er auch in Teilen der evangelischen Theologie ähnlich anzutreffen ist und einen dritten Weg zwischen starrem Dogmatismus und der gelegentlich auch kritisierten Selbstsäkularisierung darstellt. Er findet derzeit (freilich: ein paar Jahrzehnte nach dem II. Vaticanum) beispielsweise auch unter Evangelikalen in den USA statt durch Leute wie Rob Bell, hier bei uns lief und läuft das in mehreren Schüben, denke ich.

Es ist die Abkehr von einem Heilspessimismus, von einem moralisierenden Sündenverständnis, von einem Kirchenbegriff, der Gottes Heil auf Insider und Linientreue begrenzt und von einem Missionsverständnis, das primär von Angst vor Strafe und den dazugehörigen Höllenvisionen getrieben wird. Ich habe das hier ja schon gelegentlich angerissen.

Der Ansatzpunkt der Theologie, das Urdatum des Evangeliums, ist nun nicht mehr die Katastrophe des Gefallenseins und die (unbestrittene) Realität von Tod und Zerstörung in der Welt, sondern die Realität der neuen, geheilten Schöpfung in Christus, die alte Kausalitäten aufhebt und Zwangsläufigkeiten durchbricht. Es geht um das „Erbheil“, wie Zulehner es in Anknüpfung an den Begriff „Erbschuld“ nennt, das durch Christi Tod und Auferstehung allen Menschen gilt und das jetzt schon menschliches Leben bestimmen soll. Und so kann Zulehner dann auch fragen:

Was ist die Aufgabe der Kirche? Mit Gott solidarisch zu sein und ihn zu unterstützen bei der Vollendung der Welt.

Ich denke, dieser befreiende Umbruch zu einem zwanglosen und angstfreien und daher weltzugewandtem und weitherzigen Glauben läuft immer noch weiter. Unten habe ich im Kasten Zulehners Übersicht, das Original ist hier zu finden, falls jemand weiterlesen möchte. Aus dieser neuen Perspektive liest sich die Bibel plötzlich erfrischend anders. Ich denke, das beschreibt nebenbei auch schön, was mit dem Begriff „missional“ gemeint ist.

Ausgang der einen Weltgeschichte

Erbheil-Erbschuld

Kirchenbild

Mission der Kirche

heilspessimistisch: massa damnata und die kleine Zahl der Geretteten (Augustinus; vgl. Mt 22,14)

universelle Erbschuldgeschichte und begrenzte Erbheilgeschichte

exklusives Kirchenbild: „extra ecclesiam nulla salus (veritas)“. („Vereinnahmung durch die Kirche“)

Erfassen der Geretteten (mit allen Mitteln). Sicherung des Heils durch strenge Moral.

heilsoptimistisch: Vollendung der Welt im Auferstandenen als „kosmischen Christus“ (Kol 1,15-20; Hildegard von Bingen und viele andere: Zweites Vat. Konzil)

universelle Erbheil- und Erbschuldgeschichte

inklusives Kirchenbild:

„ubi salus (veritas, caritas), ibi ecclesia“

Was rettet ist die geschenkte wahrhafte Liebe, die uns gottförmig macht (Mt 25) („Verausgabung Gottes“)

Licht (enthüllen: leben, erzählen, feiern) und Salz (heilen).

Wer durch Gott von der Angst geheilt ist, kann wahrhaft lieben.

Kirche ist in der Nachfolge des Heilands Heil-Land.

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Warten auf Volf (2): Die „Politik der Reinheit“

Passend zum Post von gestern hier ein Abschnitt aus dem 2. Kapitel von Miroslav Volfs Exclusion and Embrace, das demnächst auf Deutsch erscheint. Volf bezeichnet das Streben nach falscher Reinheit als einen zentralen Aspekt von Sünde, den Jesus aufdeckt und bekämpft. Dann wendet er diesen Gedanken auf die Politik an, und es ist immer noch hochaktuell, was er schreibt:

Denken Sie an die tödliche Logik der „Politik der Reinheit“. Das Blut muss rein sein: Nur deutsches Blut soll durch deutsche Adern fließen, frei von aller nichtarischen Kontamination. Das Territorium muss rein sein: Serbischer Boden darf nur Selben gehören, rein sein von allen nichtserbischen Eindringlingen. Die Herkunft muss rein sein: wir müssen zurück in die ursprüngliche Reinheit unserer sprachlichen, religiösen oder kulturellen Vergangenheit, den Schmutz des Andersartigen abschütteln, der sich auf dem Marsch durch die Geschichte angesammelt hat […]. Das Ziel muss rein sein: wir müssen das Licht der Vernunft in jeden dunklen Winkel leuchten lassen oder eine Welt völliger Tugend erschaffen, in der keine moralische Anstrengung mehr nötig ist. Der Ursprung und das Ziel, das Innere und das Äußere, alles muss rein sein: Pluralität und Heterogenität müssen der Homogenität und Einheit weichen.

Ein Volk, eine Kultur, eine Sprache, ein Buch, ein Ziel; was nicht unter dieses allumfassende „Eine“ fällt, ist ambivalent, verunreinigend und gefährlich […]. Es muss entfernt werden. Wir wollen eine reine Welt und drängen die „Anderen“ aus unserer Welt hinaus; wir wollen selbst rein sein und tilgen die Andersartigkeit aus unserem Selbst. Der „Wille zur Reinheit“ enthält ein ganzes Programm zur Ordnung unserer sozialen Welten – von den inneren Welten des Selbst zu den äußeren unserer Familien, Nachbarschaften und Nationen […]. Es ist ein gefährliches Programm, regiert von einer Logik, die reduziert, ausscheidet und abtrennt.

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