Heilsamer Perspektivwechsel

Der Wiener Theologe Paul Zulehner spricht (unter anderem hier) von einem Perspektivwechsel, der im katholischen Bereich mit den zweiten vatikanischen Konzil eingesetzt hat. Und wir können sagen, dass er auch in Teilen der evangelischen Theologie ähnlich anzutreffen ist und einen dritten Weg zwischen starrem Dogmatismus und der gelegentlich auch kritisierten Selbstsäkularisierung darstellt. Er findet derzeit (freilich: ein paar Jahrzehnte nach dem II. Vaticanum) beispielsweise auch unter Evangelikalen in den USA statt durch Leute wie Rob Bell, hier bei uns lief und läuft das in mehreren Schüben, denke ich.

Es ist die Abkehr von einem Heilspessimismus, von einem moralisierenden Sündenverständnis, von einem Kirchenbegriff, der Gottes Heil auf Insider und Linientreue begrenzt und von einem Missionsverständnis, das primär von Angst vor Strafe und den dazugehörigen Höllenvisionen getrieben wird. Ich habe das hier ja schon gelegentlich angerissen.

Der Ansatzpunkt der Theologie, das Urdatum des Evangeliums, ist nun nicht mehr die Katastrophe des Gefallenseins und die (unbestrittene) Realität von Tod und Zerstörung in der Welt, sondern die Realität der neuen, geheilten Schöpfung in Christus, die alte Kausalitäten aufhebt und Zwangsläufigkeiten durchbricht. Es geht um das „Erbheil“, wie Zulehner es in Anknüpfung an den Begriff „Erbschuld“ nennt, das durch Christi Tod und Auferstehung allen Menschen gilt und das jetzt schon menschliches Leben bestimmen soll. Und so kann Zulehner dann auch fragen:

Was ist die Aufgabe der Kirche? Mit Gott solidarisch zu sein und ihn zu unterstützen bei der Vollendung der Welt.

Ich denke, dieser befreiende Umbruch zu einem zwanglosen und angstfreien und daher weltzugewandtem und weitherzigen Glauben läuft immer noch weiter. Unten habe ich im Kasten Zulehners Übersicht, das Original ist hier zu finden, falls jemand weiterlesen möchte. Aus dieser neuen Perspektive liest sich die Bibel plötzlich erfrischend anders. Ich denke, das beschreibt nebenbei auch schön, was mit dem Begriff „missional“ gemeint ist.

Ausgang der einen Weltgeschichte

Erbheil-Erbschuld

Kirchenbild

Mission der Kirche

heilspessimistisch: massa damnata und die kleine Zahl der Geretteten (Augustinus; vgl. Mt 22,14)

universelle Erbschuldgeschichte und begrenzte Erbheilgeschichte

exklusives Kirchenbild: „extra ecclesiam nulla salus (veritas)“. („Vereinnahmung durch die Kirche“)

Erfassen der Geretteten (mit allen Mitteln). Sicherung des Heils durch strenge Moral.

heilsoptimistisch: Vollendung der Welt im Auferstandenen als „kosmischen Christus“ (Kol 1,15-20; Hildegard von Bingen und viele andere: Zweites Vat. Konzil)

universelle Erbheil- und Erbschuldgeschichte

inklusives Kirchenbild:

„ubi salus (veritas, caritas), ibi ecclesia“

Was rettet ist die geschenkte wahrhafte Liebe, die uns gottförmig macht (Mt 25) („Verausgabung Gottes“)

Licht (enthüllen: leben, erzählen, feiern) und Salz (heilen).

Wer durch Gott von der Angst geheilt ist, kann wahrhaft lieben.

Kirche ist in der Nachfolge des Heilands Heil-Land.

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13 Antworten auf „Heilsamer Perspektivwechsel“

  1. warum nur erinnert mich das an die alten fragen nach prädestination, wie sie im pelagianismus, semipelagianismus, calvinismus und arminianismus etc. falsch beantwortet wurden?

  2. Meinst du, da kommen einfache Leute wie, sagen wir meine Oma (85) noch mit?
    Sie liebt Ihren Herrn und will das alle andern sich bekehren damit sie nicht in die Hölle kommen.

  3. @Michael: Man kann das auch alles ganz einfach sagen. Deine Oma lassen wir natürlich besser so, wie sie ist. Tragisch ist es nur, wenn der Heilspessimismus an theologischen Ausbildungsstätten gelehrt und dann von Leuten, die zu Besserem fähig wären, in Gemeinden gepredigt wird. Oder wenn „einfache Leute“ sich aus einem Klima von Angst und Enge nicht lösen können, weil sie keine Alternative sehen.

  4. peter, damit fühle ich mich nicht wohl.
    das ringen um die rechte auslegung derer, denen wir unseren glauben verdanken, leichthin abzutun damit, als hätten sie nur die falschen fragen gestellt, finde ich… nun… schwierig.
    willst du etwa den häßlichen graben der geschichte einfach überspringen und hinter den ererbten glauben zurück?
    und michael, diene oma weiß vielleicht mehr über diese dinge, als sie hochtheologisch auszudrücken vermag – nur drückt sie es anders aus… unterschätze sie nicht! 😉

  5. @Georg: Entspann Dich (sofern die Aufregung nicht eh künstlich war). Als Erben der Reformation dürfen wir solche Schlüsse durchaus ziehen. Zumal das auch bedeutet, wieder Anschluss an die Tradition des christlichen Ostens zu suchen in der Versöhnungslehre.

  6. 🙂
    danke, ich bin entspannt… *gg*
    aber für mich ist das tatsächlich eine grundsätzliche frage – einerseits die tradition unserer auslegung, hinter die wir nicht zurück können (die ostkirche ist nicht meine tradition), andererseits das wissen darum, dass auch diese nur eine inkulturierte und somit begrenzte ist…
    dogmatisch ist also dieser von dir genannte perspektivwechsel hart an der grenze zur häresie, weil zur allversöhnung führend, andererseits ist schon vom jüdischen denken her manches in unserer abendländischen tradition sehr (!) fragwürdig…
    es bleibt spannend.

  7. der Ansatz führt, auch das beschreibt Zulehner, nicht zwingend zur „Allversöhnung“ (das ist ja ein Kampfbegriff der Exklusivisten), aber zumindest dahin, dass man niemanden vorschnell verloren gibt. Und selbst wenn wir „hinter unsere Tradition nicht mehr zurück“ könnten, dann können wir doch sehr wohl über sie hinaus und von anderen lernen. Zum Beispiel eben vom Judentum (das tatsächlich ohne Hölle auskommt) oder der Ostkirche. Da ist auch nicht alles Gold, aber vielleicht hat sich dort etwas gehalten, was uns die biblische Tradition wieder neu erschließt.
    Zweitens hat es die ganze Kirchengeschichte über immer wieder Heilsoptimisten gegeben. Das ist auch eine Tradition, auf die man sich berufen kann. Offenbar haben die Heilspessimisten sie aber so erfolgreich zensiert, dass Du davor zurückschreckst…?

  8. … was auch immer das bedeutet. Wir müssen uns zum Glück ja gar nicht auf irgendeine Formel einigen, sondern wir können weiterfragen nach einer angemessenen Perspektive.

  9. Witzig. Im Systematik-Proseminar im zweiten Semester oder so habe ich (stark vereinfacht) gelernt, das protestantische Kirchenbild sei exklusiv, das katholische inklusiv … Ist es Zufall, dass der Impuls vom katholischen Zulehner ausgeht?! 🙂

  10. es bedeutet einfach nur, dass ich eher an eine prädisposition, weniger an eine zwingende prädestination zum heil glaube; und schon gar nicht an eine doppelte prädestination – luther hat diese frage ja auch offen gelassen…

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