Es ist noch kein Buch vom Himmel gefallen…

Evangeliumda.jpg

also ließ auch Evangelium. Gottes langer Marsch durch seine Welt ein Weilchen auf sich warten, jetzt ist es erhältlich und ich hatte eben mein erstes Exemplar in der Hand. Walter Faerber und ich hatten viel Spaß beim Schreiben an diesem kleinen Buch und hoffen, dass alle Leser es ähnlich inspirierend finden.

Es geht um die Frage „Was ist das Evangelium?“. Wir sind beide der Meinung, dass man auf diese Frage letzten Endes nur sinnvoll antworten kann, indem man Teil dieser Geschichte wird, sie zugleich erzählt und lebt.

Verdienen werden wir mit dem Titel nichts, der Erlös kommt der Arbeit von Emergent Deutschland zugute. Warum die wichtig sein könnte, versteht man vielleicht auch besser, wenn man die 91 Seiten gelesen hat. Oder er/sie liest gleich weiter, etwa den kaffeebraunen Cousin aus der Reihe „Einfach Emergent“ mit dem (ähnlich langen) Titel: Emerging Church verstehen. Eine Einladung zum Dialog von Arne Bachmann, Tobias Faix und Tobias Künkler.

Share

Wahr oder erfunden? Was man von Karius und Baktus über die Bibel lernen kann

Meine Kinder haben im Kindergarten die Geschichte von Karius und Baktus gehört. Die Auswirkungen waren sehr positiv, bis heute putzen sie recht gewissenhaft ihre Zähne. Und niemand kommt auf die Idee, die Geschichte als erfunden und daher gar nicht wahr zu bezeichnen oder umgekehrt zu behaupten, man müsse das buchstäblich so glauben, wie es geschrieben steht. Kinder denken nun mal in Geschichten, und Karius und Baktus ist eine Geschichte, die ihnen eine wichtige Wahrheit nahebringt. Mit wissenschaftlichen Studien zur Dentalhygiene hingegen können Vorschulkinder nichts anfangen.

Kürzlich hat mich das Thema Schöpfung und Wissenschaft wieder beschäftigt. Der Streit zwischen fundamentalistischen Atheisten und fundamentalistischen Christen über die biblische Urgeschichte kommt mir vor wie ein Streit über Karius und Baktus. Natürlich ist dieser Text von Menschen und für Menschen in einer vorwissenschaftlichen Zeit geschrieben, in der es überhaupt nur Geschichten – Mythen – gab, mit denen man die Welt erklärte. Vermutlich nicht einmal so sehr die Frage, wie genau alles entstanden ist und was früher war (oder nicht war), sondern eine Beschreibung dessen, wie die Welt hier und jetzt ist und wie man in ihr richtig lebt.

Wenn man diese Geschichte verstehen will, muss man sich erstens auf sie einlassen, man muss in die Welt ihrer Vorstellungen von Urflut und Himmelsgewölbe eintauchen, und man muss zweitens verstehen, wo und wie sie sich von den anderen Geschichten unterscheidet, die zeitgleich im Umlauf waren: all den altorientalischen und antiken Schöpfungs- und Göttermythen. Zum Beispiel präsentiert uns Genesis 1 eine gewaltlose Schöpfung, eine völlig entdämonisierte Welt und depotenzierte Elementarmächte, während im Enuma Elish die Götter sagen „Lasst uns Dämonen machen“.

Im Übrigen hat ja auch Jesus niemand gefragt, ob die Geschichte vom verlorenen Sohn eine „wahre“ Geschichte ist. Natürlich ist sie „erfunden“. Aber sie ist genial erfunden, weil sie besser (und kürzer!!) als jede christliche Dogmatik Gottes Wesen charakterisiert. Und anders als unsere Wissenschaftsprosa kann die Poesie der Genesis etwas über Sinn und Schönheit des Lebens aussagen.

Wir sollten die Aussagen von Genesis 1-11 in unser heutiges, wissenschaftliches Weltbild integrieren und darüber nachdenken, was sie uns im 21. Jahrhundert denn sagen. Der Psychologe James Hillman hat die „modernen Mythen“ (des Materialismus, Positivismus und Szientismus) dafür kritisiert, dass sie Menschen weder Hoffnung noch Halt und Geborgenheit vermitteln können. Hillman möchte deshalb – aus therapeutischen Gründen – wieder zurück zu Göttern, Geistern und Seelenwanderung. Die biblische Schöpfungsgeschichte stützt weder das eine noch das andere Extrem. Und sie ist eingebettet in eine bunte Überlieferung, die von Gottes Handeln in der Geschichte und in konkreter menschlicher Erfahrung spricht.

PS: Chris Ellis hat mich gestern auf das folgende Video hingewiesen, da wird einiges noch einmal gut auf den Punkt gebracht

Share

Alpha analysiert (5): Die Zweinaturenbibel

In den letzten Jahren haben sich für mich eine ganze Reihe von Fragen an „Fragen an das Leben“ ergeben. Vor einigen Wochen habe ich begonnen, die in einer Serie von Blogposts etwas zu bearbeiten. Zum einen ist das eine Antwort auf etliche Anfragen, die mich zu den Themen des Kurses erreicht haben, zum anderen denke ich, dass von einer offenen Diskussion alle profitieren, auch wenn der eine oder andere Kommentar unten kritisch ausfällt. Die positiven Seiten habe ich übrigens hier gewürdigt.

Die Frage nach der Gewissheit ist eng verknüpft mit der Lehre von der Schrift, und tatsächlich ähnelt sich die Argumentationsstruktur der beiden Kapitel: Die Bibel wird zunächst als eine Art Buch der Superlative eingeführt. Sie ist erstens „konkurrenzlos“, zweitens „kraftvoll“ und drittens „kostbar“, weil Gott in ihr redet. Das ist schon einmal eine steile Behauptung für die Skeptiker unter den Lesern. Zur Begründung heißt es weiter:

Jesus sagte: „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ (Matthäus 4,4). Das Wort „kommt“ steht grammatikalisch gesehen im Originaltext im Partizip Präsens und bezeichnet einen ständig ablaufenden Prozess. Es ergießt sich sozusagen ununterbrochen aus dem Mund Gottes, wie ein Strom aus der Quelle hervorsprudelt. Mit anderen Worten: Gott möchte ununterbrochen mit uns kommunizieren. Und das tut er in erster Linie durch dieses Buch, die Bibel.

Nun kann man an dieser Stelle einwenden: Entweder ist Gottes Reden ein fortlaufender Prozess und ein stetes Geplätscher, dann wäre die Frage, wozu man die Worte konserviert, wenn es sie auch frisch gibt. Oder es ist im Grunde doch festgeschrieben und alles, was uns heute bleibt, ist ein frischer Aufguss des Alten. Passt beides irgendwie zusammen?

Nicky Gumbel importiert die Zweinaturenlehre aus der Christologie, um zu erklären (aber im Grunde ist es nur eine Behauptung), dass die Bibel ganz Menschenwort und zugleich ganz Gotteswort sein kann. Und wie in der klassischen Christologie verschwindet auch hier die schwache menschliche Seite umgehend hinter der göttlichen, denn es folgt eine scholastisch anmutende Akkumulation kirchlicher Autoritäten, die der Bibel – freilich nicht überraschend – Vollkommenheit und Unfehlbarkeit attestieren.

Nun kann man sich darüber freuen, wie hier eher unapologetisch ein ökumenischer Konsens (Irenäus – Luther – das II. Vaticanum) geäußert wird. Oder man wundert sich, dass die Traditionslinie zielstrebig auf Billy Graham zuläuft, der als Kronzeuge eines naiven Biblizismus zitiert wird, und von da ab beherrscht der Begriff „Autorität“ das Feld. Auf Bibelkritik – sei sie wissenschaftlich-historisch oder auch nur die Hilflosigkeit des einfachen Bibellesers angesichts verstörender Gewaltszenen – wird überhaupt nicht eingegangen, es wird lediglich eingeräumt, dass es wohl gewisse Schwierigkeiten beim Verstehen gebe und – freilich nur scheinbare – Widersprüche.

Vielsagend sind die Analogien, die dieses Bibel-Kapitel durchziehen. Da vergleicht Nicky Gumbel die Bibel mit der St. Paul’s Cathedral, deren Architekt Sir Christopher Wren keinen einzigen Stein in die Hand genommen habe und dennoch der Schöpfer des Kunstwerks sei, so wie Gott keinen Buchstaben selbst schrieb, aber trotzdem der eigentliche Autor der Bibel sei. Freilich sieht jeder, dass St. Paul’s ein Werk aus einem Guss ist, während die Entstehung der Bibel doch eher einem Haus gleicht, das an allen Ecken und Enden umgebaut und erweitert wurde, und entsprechend verwinkelt sind manche ihrer Zusammenhänge. Statt kultureller Komplexität und historischer Vielschichtigkeit wird hier eine im Grunde zeitlose Homogenität behauptet.

In eine ähnliche Richtung weisen die drei Metaphern gegen Ende des Kapitels: Das Regelwerk, die Bedienungsanleitung und der Liebesbrief. Regeln schützen und dienen dem Frieden, sie engen nicht nur ein – klar soweit. Tatsächlich finden wir in der Bibel unter anderem auch Gebote und Rechtssatzungen. Dass in der Bibel aber auch manche verstörende Regeln stehen und dass da zum Teil von drakonischen Strafen die Rede ist, bleibt außen vor. Unter dem Leitgedanken der Erziehung und Lebenshilfe erfolgt der Übergang zum Bild von der Gebrauchsanweisung. Der lässt sich deutlich schlechter verifizieren. Denn die biblischen Texte sind etwas ganz anderes als das Handbuch für ein technisches Gerät und das menschliche Leben ist viel komplizierter als eine Maschine, die „funktioniert“, wenn sie nur korrekt bedient wird. Wenn die Bibel eins nicht ist, dann ein Handbuch mit Patentlösungen und schrittweisen Anleitungen für alle Lebenslagen!

Um das Starre und Mechanistische etwas zu lindern, wird die Bibel schließlich unter Verweis auf Augustinus („Die Bibel erzählt von nichts anderem als von Gottes Liebe zu uns“) als „Liebesbrief“ beschrieben. Aber auch hier bleibt das Faktum unkommentiert, dass sich das dicke, alte und wundersame Buch so ganz und gar nicht wie ein persönlicher Brief Gottes an mich liest. Vielmehr ist da von allen möglichen Leuten die Rede, die zu anderen Zeiten in anderen Situationen lebten, teils ähnliche und teils ganz andere Sorgen und Probleme hatten als wir, und die oft genug alles andere als vorbildlich agierten.

Augustinus‘ oben zitierter Satz hatte ein Schlüsselwort enthalten: Das Erzählen. Warum nur wird die Bibel hier als dieses oder jenes angepriesen, ohne zu erläutern, dass sie vor allem eine Sammlung geschichtlicher Texte ist? Texte, die geschichtliche Erinnerungen an Gottes Handeln mit den Menschen festhalten und diese im Erzählen weiterentwickeln; Texte die in einem lockeren, aber eben keineswegs monolithischen, und eben deshalb nach vielen Seiten offenen und anschlussfähigen Traditionszusammenhang stehen. Texte, die auch und gerade deshalb vom Geist Gottes auf unerwartete Weise aktualisiert werden können. Texte, die unsere Kultur und Geschichte schon seit Jahrhunderten geprägt haben, selbst wenn das eine oder andere folgenschwere Missverständnis auch ein Teil ihrer Wirkungsgeschichte ist.

Wird dieses unkritische Harmonisieren der in Wirklichkeit kantigen Bibel und das Aufstellen von Behauptungen, die zu keinem Zeitpunkt die fromme Binnenperspektive verlassen, den Lesern von „Fragen an das Leben“ und den Gästen eines Alpha-Kurses (der richtet sich ja Skeptiker und Suchende) eigentlich gerecht? Ist das ehrlich empfunden, dass die schwierigen Seiten der Bibel ungefähr so vernachlässigbar sind wie deren flüchtige Erwähnung im Text dieses Kapitels, oder meint Nicky Gumbel, das einem Anfänger im Glauben (noch) nicht zumuten zu dürfen?

Zuletzt: Warum drehen wir das Argument eigentlich nicht um und arbeiten heraus, wie gerade die Vielfalt der Perspektiven und Stimmen oder auch die Weigerung der Juden und später der Christen, peinliche oder höchst erklärungsbedürftige Passagen nachträglich zu frisieren und Widersprüche zu tilgen, also gerade auch das Menschliche, die Bibel glaubwürdig macht? Welche andere religiöse Tradition hat denn etwas Vergleichbares zu bieten? Lässt sich vielleicht gerade auch darin Gottes Reden und Handeln erkennen?

Share

Alpha analysiert (4): Trockene Gewissheit

Ich habe mich im August schon ein bisschen mit der Theologie des Alpha-Kurses beschäftigt, damals ging es um die Christologie und Soteriologie und die modernistische Grundfärbung. Ich möchte den Faden wieder aufnehmen und diese Woche zwei weitere Aspekte betrachten, die eng zusammenhängen: Die Suche nach Gewissheiten und der Umgang mit der Bibel. Zum einen ist das eine Antwort auf etliche Anfragen, die mich zu den Themen des Kurses erreicht haben, zum anderen denke ich, dass von einer offenen Diskussion alle profitieren, auch wenn der eine oder andere Kommentar unten kritisch ausfällt. Die positiven Seiten habe ich übrigens hier gewürdigt.

Das vierte Kapitel stellt die Frage nach der Heilsgewissheit – ein zentrales Anliegen der Reformation (Luthers Frage nach dem gnädigen Gott) und, ein paar Jahrhunderte später, auf einem etwas bescheideneren Niveau und beschränkt auf eine bestimmte Szene, immer noch ein beliebter Einstieg in „evangelistische“ Gespräche („Wenn du heute nacht sterben würdest, wärst du dir sicher, dass du in den Himmel kommst?“).

Und so geht es auch in diesem Kapitel über den Himmel, dessen Tür sich in der Form biblischer Verheißungen öffnet, die es nun bewusst anzunehmen gilt. Der zentrale Vergleich ist der Trauschein, der den Beziehungsstatus rechtlich eindeutig klärt. Wer Gottes Verheißungen annimmt und – um im Bild zu bleiben – die eigene Unterschrift dazu setzt, der hat das ewige Leben. Da spricht also wieder der Jurist.

Aber eine Ehe beginnt nicht nur mit einem Stück Papier, die Eheschließung ist auch ein Ereignis. Daher tritt zu Gottes Zusagen als zweite Säule der Gewissheit das Ereignis des Kreuzestodes Christi. Hier hinkt der Vergleich freilich, weil im Unterschied zur eigenen Eheschließung niemand von uns die Kreuzigung miterlebt hat, also muss das eigene Ja-Wort sozusagen nachgeschoben werden, wie die Beispielgeschichte des Hochseilartisten Blondin verdeutlicht, der eine Schubkarre über die Niagara-Fälle schob und die Zuschauer aufforderte, sich hineinzusetzen. Eigenartigerweise ist hier von der Taufe nicht die Rede. Ebensowenig vom Abendmahl, beides ist ja in der paulinischen Theologie ganz stark mit dem Gedanken des „In-Christus-Seins“ verknüpft, um das es hier eigentlich geht.

Und auch im dritten Argumentationsgang bleibt Gumbel bei der Ehe-Metapher: Das (all-)tägliche Wirken des Heiligen Geistes schafft ein neues Verhältnis des einzelnen zu Gott. Wieder ist alles ausschließlich vom Individuum her gedacht, der gemeinschaftliche Aspekt des Glaubens wird erst sehr spät im Kurs thematisiert. Vielleicht fehlt deshalb der sakramentale Bezug. Alles spielt sich in Worten ab und bewegt sich in der Dimension der Innerlichkeit. Am Ende des Kapitels fällt dann wieder der schon beschriebene „Methodismus“ (nicht im konfessionellen Sinn!) auf, wenn es dort heißt:

Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie je wirklich Ihren Glauben auf Jesus gesetzt haben, dann können Sie das folgende Gebet sprechen. Es kann zum Startpunkt für Ihr Leben als Christ werden. Sie können dadurch alles empfangen, was Christus durch seinen Tod bewirkt hat.

Es folgt ein schlichtes Buß- und Übergabegebet. Vielleicht schweigt der Text auch deshalb von den Sakramenten, weil man noch in der alten Frontstellung (vgl. die alte pietistische Polemik gegen die „Namenschristen“) gegen eine diametral entgegengesetzte Objektivierung des Christseins steht, derzufolge die institutionelle Kirchenmitgliedschaft (bzw. der Taufschein) die Frage nach dem Gottvertrauen und Glaubensgehorsam – und damit jede konkrete Praxis der Nachfolge – überflüssig erscheinen lassen. Auf der Strecke bleiben die reiche Symbolik der Sakramente, ihr Gemeinschaftsbezug und das sinnliche Erleben – alles Aspekte, die im Bild von der Ehe durchaus eine Rolle spielen. Man kann – um noch einen anderen Brückenschlag zu versuchen – so ein Gebet vielleicht als eine Art Konfirmationsversprechen sehen (oder dessen Aktualisierung). Aber es kommt ja andererseits nicht von Ungefähr, dass der übliche Ort eines solchen Versprechens der Abendmahlsgottesdienst ist…

Stattdessen gründet sich nun die Gewissheit des neuen Lebens in Gott nun de facto auf ein trockenes, vorgestanztes Gebet, und die Frage stellt sich: Was kommt danach?

Share

Gott beschützen – vor wem eigentlich?

Ich habe mich mit dem zweiten und dritten Gebot beschäftigt und dabei festgestellt, dass Gott sich damit – anders als derzeit oft diskutiert – gar nicht vor seinen Feinden schützen muss, sondern vor seinen Anhängern.

Genauer gesagt: vor der allzu menschlichen Tendenz, ihn vor den eigenen Karren zu spannen, ihn mit dogmatischen Formeln zu verwechseln oder seine Namen für die jeweilige religiöse Institution zu vereinnahmen; ein MasGottchen aus ihm zu machen, ihn auf eine Art Stammesgott zu reduzieren, der für uns gegen die anderen kämpft – wer auch immer das jeweils ist. Es gab schon zu viele Versuche, Gottes Reich zu einer Provinz des eigenen Imperiums zu machen.

Ein paar Gedanken zum Thema Bild und Karikatur, Blasphemie und Heiligkeit des Namens, mit Überlegungen zum privaten Alltag und politischen Aufruhr habe ich hier zusammengetragen, wer mag, kann gern reinhören.

Share

Gemischte Motive: Die Narnia-Soteriologie

Gestern habe ich auf einer Studientagung mit Pastoren über die Bedeutung des Kreuzes für die christliche Erlösungslehre und Theologie nachgedacht. Dabei fiel mir ein, dass neben Kirchenliedern vor allem Kindergeschichten (oder vermeintliche Kindergeschichten) wie C.S. Lewis‘ „König von Narnia“ die Vorstellungswelten nachhaltig geprägt haben.

In Lewis‘ Fantasyroman mischen sich die soteriologischen Motive: Einerseits geht es um Schuld (Verrat) und Strafe, andererseits geht es um einen Gefangenenaustausch oder ein Lösegeld (Aslan gegen Edmund), drittens wird ein Ritualmord beschrieben, der an kultische Opferpraxis erinnert.

Man kann das nun ganz unterschiedlich lesen: Entweder ist die Häufung der Motive ein Ausdruck dafür, dass Lewis bewusst oder unbewusst merkte, dass jedes für sich genommen unzureichend war und höchstens einen Teilaspekt verdeutlichte. Oder ist es sogar als leise Kritik an den Motiven traditioneller Soteriologie zu lesen?

Spannend ist, dass sich für Lewis mit keinem dieser oben genannten Motive begründen lässt, warum Aslan wieder lebendig wird und die Winterhexe in die Flucht schlägt. Damit die Rechnung aufgeht, muss er eine „geheime“, uralte und vergessene „Regel“ nachschieben: Wenn sich ein Unschuldiger für einen Schuldigen opfert, dann wird die Strafe rückgängig gemacht.

Hier erinnert die Erzählung an das mythische Christus-Victor-Motiv der altkirchlichen Soteriologie: Der Sieg über Hölle, Tod und Teufel. Gott reizt die böse Macht, ihre Grenzen zu überschreiten, die Maske der Legitimität fallen zu lassen und sich zu verausgaben. Aber der Drache (um kurz einmal das Bild zu wechseln) verschluckt sich quasi an dem Köder, die Beute ist eine Nummer zu groß, und das besiegelt sein Schicksal.

Ein großes Handicap bei Lewis ist, dass er Aslan nicht trinitarisch beschrieben kann. So hat das Reden von einer uralten, tieferen Magie nun die Funktion, auf den Schöpfer und seine Vorsehung zu verweisen. Ziemlich komplex für eine Kindergeschichte!

Share

Religion und Institution

Religion als Institution, der Tempel als letztendliches Ziel, oder – anders gesagt – Religion um ihrer selbst willen, ist Götzendienst. Tatsache ist, dass das Böse Bestandteil der Religion ist, nicht nur des Säkularismus. Spießige Frömmigkeit kann ein Sich-Drücken vor der Pflicht sein, ein Zugeständnis an die Selbstsucht.

Religion ist um Gottes Willen da. Die menschliche Seite der Religion, ihre Glaubensbekenntnisse, Rituale und Institutionen, sind eher ein Weg als das Ziel. Das Ziel ist „Gerechtigkeit zu üben, Barmherzigkeit zu lieben und in Demut mit deinem Gott zu wandeln.“ Wenn die menschliche Seite der Religion zum Ziel wird, dann wird Unrecht zum Weg.

Abraham Heschel

Share

Warten auf Volf (3): Bedrohter Zusammenhalt

Von der Ausgrenzung zur Umarmung von Miroslav Volf wird auf Deutsch wohl erst im November erscheinen, wer also inzwischen schon nach Weihnachtsgeschenken sucht, sei schon einmal vorgewarnt. Um das Warten zu verkürzen, hier schon mal ein Gedanke, und zwar zum stets von Brüchen bedrohten gesellschaftlichen Miteinander verschiedener Gruppen und Personen und zur Frage, wie Versöhnung geschehen kann:

In einer Welt aufeinanderprallender Perspektiven und angestrengter Selbstrechtfertigungen, brüchigen Pflichtgefühls und heftiger Animositäten wird ein Bund gehalten oder erneuert, weil jene, die ihn aus ihrer Perspektive nicht gebrochen haben, bereit sind, an seiner Reparatur hart zu arbeiten.

Share

Der „biblische Befund“

Immer wieder begegnet mir in theologischen Diskussionen der Ausdruck „biblischer Befund“ und je länger, je mehr wächst mein Unbehagen. Freilich könnte damit nur gemeint sein: Wir schauen mal, was für Aussagen sich zu diesem oder jenem Thema in der Bibel finden, und dann sucht man nach bestimmten Begriffen oder Themen und diskutiert sie fröhlich.

Doch der Ausdruck „Befund“ klingt so technisch, als ob der Zahnarzt dem Patienten zur Kontrolle in den Mund schaut oder der Hausarzt ein Blutbild auswertet. Mit einem Befund lassen sich bestimmte Feststellungen treffen. Und das ist durchaus auch meistens die Absicht derer, die biblische Befunde erheben: Feststellungen zu treffen, die den Status von Fakten haben. Denn Fakten lassen sich nicht bestreiten.

Nun haben wir es in der Bibel nicht mit Zähnen und Bakterien zu tun, sondern mit Texten, die eine lange Geschichte hatten, in deren Verlauf sie irgendwann aufgeschrieben, aufeinander bezogen, gesammelt, später immer wieder gelesen und ausgelegt wurden. Sie lassen sich nicht in derselben Klarheit und Eindeutigkeit „lesen“ wie ärztliche „Befunde“ (und selbst die führen ja keineswegs immer zu klaren und eindeutigen Handlungsanweisungen).

Meine Befürchtung ist, dass jemand, der vom „biblischen Befund“ redet, die Bibel und unser Verhältnis zu ihr nicht als lebendigen Prozess versteht, sondern sie als eine Sammlung je für sich existierender, atomisierter und zeitloser Wahrheiten betrachtet, die sich im Baukastensystemen per Stichwortsuche kombinieren lassen und auf deren Fundament man dann dergestalt unverrückbar Position bezieht, dass man allen anderen objektiv bescheinigt, die reine biblische Lehre verlassen zu haben. Solche Konkordanzkrämereien behandeln die Schrift wie eine Rechtssammlung, ihre Vertreter lesen Bibelverse wie Paragraphen und werfen ständig mit „Belegstellen“ um sich.

Die Frage nach dem „Befund“ lenkt die Aufmerksamkeit unweigerlich auf den Buchstaben der Schrift. Der ist keineswegs unbedeutend, aber wer nichts als den Buchstaben gelten lässt, verpasst am Ende den Geist und den Sinn zwischen den einzelnen Buchstaben und Wörtern. In den muss man sich aber oft genug geduldig vertiefen oder schrittweise hineinnehmen lassen. Und jede neue Erkenntnis wirft umgehend neue Fragen auf.

Wir haben ja in unseren politischen Diskussionen durchaus ein Gespür dafür, dass Gerechtigkeit und Gesetzeskonformität nicht immer dasselbe sind (auch wenn wir das womöglich an recht unterschiedlichen Stellen empört einklagen). Mit dem „biblischen Befund“ ist es noch ein wenig komplizierter, weil dieses ebenso sperrige wie faszinierende Buch so vielfältig ist.

Share

Das Fleisch ward Wort (oder: die Tragik der Reformation)

(Achtung – erhöhter Schwierigkeitsgrad…)

Iain McGilchrist unterzieht in The Master and His Emissary die Kirchen der Reformation einer radikalen Kritik. In großen Teilen seiner Argumentation stützt er sich auf eine Arbeit von Joseph Koerner, The Reformation of the Image. Körner analysiert die Veränderungen, die durch die Reformation in der sakralen Kunst ausgelöst wurden. McGilchrist interessiert das, weil man daraus Rückschlüsse ziehen kann, ob rechte und linke Hemisphäre des Gehirns in einer gesunden Balance arbeiten oder ob die Linke Gehirnhälfte sich ungut verselbständigt. Ich gebe das im Folgenden erst einmal wieder, wir können dann in Ruhe diskutieren, wie plausibel die Darstellung uns erscheint:

Luthers ursprüngliches Anliegen war es, sagt McGilchrist, wieder zu einem authentischen Glauben zurückzukehren, der nicht auf formalen Autoritäten, sondern lebendiger Erfahrung beruht. Insofern war er ein typischer Mensch der Renaissance. Das innere und das äußere Leben, Sichtbares und Unsichtbares, gehörten für ihn zusammen. Aber seine Nachfolger, zumal Zwingli und Calvin, werteten die materiellen Dinge (mithin das Konkrete und Persönliche) gegenüber dem Geistigen (d.h. dem Allgemeinen) massiv ab – ein klares Indiz für eine „Überfunktion“ der linken Hemisphäre. Im Äußeren verkörpern sich keine geistigen Dinge mehr, es ist ein rein formaler Signifikant, ein abstrakter Hinweis auf eine Sache, die sich woanders befindet (wie ein Straßenschild, das nichts über die Stadt aussagt, auf die es verweist).

Die Reformation ist insofern modern, als sie der erste große Aufbruch zur Gewissheit ist. Schleiermacher hatte schon darauf hingewiesen, dass Reformation wie Aufklärung alles Geheimnisvolle und Wunderbare ächten und die Phantasie von Trugbildern reinigen wollten. Bilder und Metaphern, in denen die rechte Hemisphäre unseres Gehirns kommuniziert, wurden wegen fehlender Eindeutigkeit als störend abgetan. In der Polemik gegen Bilder wurde dann den anderen unterstellt, dass sie die Abbildungen als Götzen verehrten, obwohl doch allen klar war, dass Gott nicht identisch mit einer Ikone oder Statue ist, sondern bestenfalls im Raum zwischen dem Symbol und dem Betrachter gegenwärtig war. Man ließ nur die schroff binäre Alternative gelten, dass eine Statue entweder bloß ein Stück Holz war oder ein Götze.

Luthers Nachfahren hielten sich an das geschriebene Wort (hier kam Gutenbergs technische Revolution, die Schriften in jedes Haus lieferte, verstärkend ins Spiel), das Explizite verdrängte das Implizite und metaphorische. Schön zeigt sich das Dilemma im Abendmahlsstreit. Dort brechen die Reformierten mit der (ihrer Ansicht nach: magischen) Auffassung, dass Gott in den Symbolen Brot und Wein (und, das gehörte ja dazu zugleich im umfassenden Kontext der Messe von glaubender Gemeinde und überlieferter Liturgie) gegenwärtig sein kann, und deuten die den Sinnen zugänglichen Elemente als bloße Zeichen einer von ihnen weit entfernten und prinzipiell unabhängigen Wirklichkeit. Sakramente vermitteln nun Information, sie haben nur eine Bedeutung, aber keine Substanz mehr, denn sie stehen für einen Inhalt, der jenseits aller Form ist und daher potenziell jede Form annehmen kann. In der Tat ist die Ansicht, man könne zwischen Form und Inhalt trennen, eine der fatalsten Folgen der Reformation.

Damit, sagt McGilchrist, nimmt die Reformation „die hermetische Selbstreflexivität des Postmodernismus“ vorweg. Bilder verweisen nur noch auf sich selbst, sie sind nicht mehr transparent auf eine tiefere Wirklichkeit, etwas anderes: aus dem Protest gegen leere Strukturen ist selbst eine Struktur geworden, die keinen Inhalt mehr braucht. Entsprechend kommen Bilderrahmen mit dicken Textunterschriften in Mode, um das Gezeigte zu objektivieren. Das Geschriebene Wort erhält dinglichen Status, und damit es seine Wirkung nicht verfehlt, wird es endlos wiederholt. Weil das einen mechanischen Charakter annimmt, wird das Wort schließlich selbst zu einer Art Talisman mit magischer Qualität, kurz: zum Götzen. Das Motiv hier ist die Kontrolle:

Die Machthungrigen sind immer darauf aus, intuitives Verständnis durch explizites zu ersetzen. […] daher haben die Calvinisten eine Ausradierung der Vergangenheit unternommen, die die Vernichtung all dessen einschließt, was die Erinnerung daran nährt, wie die Dinge einst waren – eine Art Rote Revolution, ‚die nichts in den Kirchen lässt, an was man sich noch erinnern könnte.‘

Im Blick auf das Sakrament bedeutet dieser Eindeutigkeitswahn der protestantischen Orthodoxie, dass eine Art leibfeindlicher Manichäismus entsteht. Das Element verkörpert nicht mehr den Leib Christi es weist nur auf ihn hin, denn das Fleisch ist unnütz, nur der Geist zählt. Jener ist vergänglich, das Wort hingegen zeitlos und damit gottähnlich. Daher ist die einzig wahre Kirche auch die unsichtbare Kirche, die an keinem konkreten Ort mehr zu finden ist. Im Prinzip ist nun alles heilig, praktisch aber ist nichts mehr wirklich heilig, denn die Worte entfernen sich so weit von aller erfahrbaren Wirklichkeit, dass sie nichts mehr auslösen.

Die rechte Hemisphäre kann sowohl das Ganze sehen (und nicht nur ein Aggregat von Einzelteilen), sie sieht aber auch das konkrete und Einzigartige, während die linke nur das Allgemeine und Generelle erkennt. In der Schöpfungsgeschichte scheidet Gott die Dinge, sie werden individuell und besonders. Der Hang zum (All-)Gemeinen hingegen macht aus einem lebendigen, veränderlichen und beweglichen Gegenüber ein totes, starres Objekt.

Und so befördert, sagt McGilchrist unter Verweis auf Max Weber, der Protestantismus nicht nur den Kapitalismus, besonders durch seine starke Betonung der Handlungsfähigkeit Einzelner, sondern auch die Bürokratie der Obrigkeit, etwa bei den Lutheranern in Deutschland. Wo vor allem die Handlungsfähigkeit des Einzelnen im Blick ist, da geht es um Selbstschutz, Selbstbehauptung und Selbsterweiterung und somit auch Entfremdung, Isolation und Einsamkeit, bei Protestanten und Kapitalisten. Daher ist der Kapitalismus auch traditionsfeindlich, denn Traditionen verkörpern die Weisheit früherer Generationen, die sich zwar organisch wandeln, aber abstrakten Neuentwürfen erst einmal im Wege stehen.

Nachdem die Reformatoren sich der Macht von Kirchenfürsten und deren Monopolisierung des Heiligen entzogen hatten, trugen sie diese Macht dem Staat an und verliehen den staatlichen Institutionen eine quasireligiöse Aura. Die obrigkeitliche Kontrollmentalität verrät beispielsweise der Kirchenbau: die erhöhte Position der Kanzeln, gelegentlich (als Erlanger kennt man das bestens von den sogenannten „Markrafenaltären“) sogar in den Altar integriert, um von dort die moralischen Ordnungen an die Untertanen im Kirchengestühl zu vermitteln. Und in den reformierten Kirchen herrschte eine große Vorliebe für streng symmetrische Bankreihen – diese starre Ordnung ist vermittelt ein völlig anderes Grundgefühl als das Stehen in einer unordentlichen, nie völlig still stehenden Menge, das in den Kirchenräumen vor der Reformation normal war.

Der eigene „demokratische“ Anspruch wird durch die Sitzordnung schon wieder konterkariert, denn schnell wurde die Vergabe der besten Sitzplätze (und damit die Demonstration des eigenen sozialen Status) zum einträglichen Geschäft. (N.B.: Die Wikipedia verrät zum Thema Kirchenstühle und soziale Ordnung zum Beispiel dies: „In den streng protestantischen Gebieten Württembergs war es teilweise bis zur Wende zum 20. Jahrhundert üblich, Frauen, die uneheliche Kinder erwarteten, in der Kirche auf einem separaten Platz, dem sogenannten Hurenstuhl, auszustellen.“)

Freilich, sagt McGilchrist, war der Protestantismus immer sehr vielschichtig. Gemeinsam ist den verschiedenen Richtungen jedoch

  • die ausgeprägte Präferenz für Klarheit und Gewissheit statt Offenheit und Ambivalenz
  • die Präferenz für das Einzelne, Bestimmte, Statische und Systematische (statt für das Fließende, Vielfältige, Bewegliche und Kontingente)
  • die Bevorzugung des Wortes gegenüber dem Bild, des strikten Wortsinns gegenüber der Metapher
  • die Neigung zur Abstraktion und Abwertung des Natürlichen (bzw. besonders bei den Puritanern des sinnlich-Ästhetischen)
  • der stete Verweis auf verschriftlichte Sprache und ständige Querverweise zwischen Schriften, statt dass implizit zwischen den Worten noch etwas anderes, Unaussprechliches wahrgenommen und als gegenwärtig erfahren wird (Abraham Heschel würde vielleicht sagen: Der Sinn dafür, dass die Welt eine große Anspielung auf das Geheimnis Gottes ist, ging verloren).
  • das grundsätzliche Misstrauen gegen die Weisheit von Traditionen und der rationalistische Angriff auf alles „Heilige“ (Räume, Zeiten, Menschen, Rituale etc.)

Das Tor zur Aufklärung war damit also längst weit aufgestoßen, die Saat der Selbstsäkularisierung ausgestreut, und McGilchrists bitteres Fazit zu diesem Abschnitt lautet:

In essence the cardinal tenet of Christianity – the Word is made Flesh – becomes reversed, and the Flesh is made Word.

Ein paar Anmerkungen meinerseits:

Wenn McGilchrist, Weber und Körner Recht haben, dann wäre auch sofort nachvollziehbar, warum sich schon bald auch unter Protestanten wieder mystische Strömungen bildeten, etwa Johann Arndt (1555-1621), der sich, wie später auch Spener (sicher kein Zufall!) auf Luthers eigentliche reformatorische Intentionen berief.

Äußerst spannend finde ich, dass für McGilchrist gerade neopuritanische Bewegungen in ihrer Fixierung auf das Absolute, auf Gewissheit und Eindeutigkeit, das Explizite und Buchstäbliche und dem tiefen Misstrauen gegen alles Natürliche enge geistige Verwandte des verhassten Postmodernismus sind, der in bestimmten Spielarten zur völligen Virtualisierung neigt und der Auflösung der Beziehung von Signifikant und Signifikat.

Share

John Piper, Roger Olson und die „Avengers“

Müdigkeit und Langweile auf einem Langstreckenflug haben mich tatsächlich dazu gebracht, The Avengers anzuschauen. Die ewig alte Story: Comic-Superhelden retten die Welt, mit unendlich viel Feuerwerk und zwischendrin einer hübschen, schlagkräftigen Frau, Laserblitze fliegen so langsam, dass noch Zeit zum Ausweichen bleibt, Manhattan wird zum hundertundx-ten Mal in Trümmer zerlegt; eigentlich alles nicht der Rede wert.

Wäre da nicht die ein Szene gewesen, zur Stärkung des teutonisch-düsteren Elements in „Stuttgart“ angesiedelt, wo der Bösewicht Loki (diesmal hat man auf der Suche nach noch unverbrauchten Schurken die germanischen Mythen geplündert – Thor muss dafür bei den „Guten“ helfen) das Publikum des Opernhauses durch eine Demonstration willkürlicher Gewalt auf die Knie zwingt. Und dann sagt dieser „Gott“ sinngemäß zu den zitternden Stuttgartern: „Seht Ihr, so ist es richtig, dafür seid Ihr doch in Wahrheit geschaffen worden.“ Friede durch absolute Unterwerfung.

Auch keine neue Idee, aber sie hat mich unwillkürlich an das Gottesbild von John God-Is-Angry Piper erinnert, wohl weil ich tags zuvor diesen Post von Roger Olson gelesen hatte. Olson setzt sich mit dem Gott der Willkür auseinander, den Piper aus seiner extremen Calvin-Interpretation her zeichnet. Mir war das eben deshalb schon immer fremd, weil Zorn und Unterwerfung, Drohung und Einschüchterung so im Mittelpunkt stehen. Und nachdem ich diese Frage schon mehrfach aufgeworfen habe, hier nochmal Olsons Formulierung derselben:

Ich sage jetzt nicht, Piper ist kein Christ; ich sage nur, seine Ansichten sind viel, viel schlimmer als Open Theism. Open Theism [eine Art Prozesstheologie] bewahrt wenigstens Gottes Charakter. Und ich sage, dass ich nicht guten Gewissens einer Gemeinde angehören könnte, die Piper oder einer seiner Anhänger leitet (…). Ich würde mir wünschen, dass gemäßigte Calvinisten sich gegen Piper stellen, wenn er solche Sachen sagt (und gegen seine Imitate, wenn sie das wiederholen). Dass das nicht geschieht, macht mir wirklich Sorgen. Was denken die nur?

(Wer sich weiter mit der Problematik neoreformierter Positionen auseinandersetzen will, kann bei Krish Kandiah weiterlesen)

Share

Sprechende Kirchengeschichte

Wir haben einen einen 103-jährigen Pastor zu Gast, Rev. Bang, einen der ersten Missionare, der aus Korea entsandt wurde, und Dr. Choi (86 Jahre), der letzte Absolvent des Seminars in Pjöngjang und erste Missionar mit koreanischem Pass.

DSC05813.jpg

Rev. Bang rekapituliert die Frühphase der koreanischen Presbyterianer, die 1912 als Landesverband unabhängig von den USA wurden. Schon früh und noch unter japanischer Besatzung wurde das Bedürfnis spürbar, Missionare nach China zu senden, in Anerkennung der Tatsache, dass man von dort einst die konfuzianische Ethik übernommen hatte. China hingegen betrachtete sich damals als den Nabel der Welt und Korea als den etwas zurückgebliebenen Nachbarn. Und wer Christ wurde, konnte kein richtiger Chinese mehr sein.

Ein chinesischer Kirchenverband entstand in der Heimatregion von Konfuzius‘ und Laotse. Erst in den 50er-Jahren wurden die Missionare ausgewiesen. Rev. Bang gehörte dazu – einer von 5 ausländischen Missionaren, die nach 1937 nicht von Chinesen und Japanern vertrieben worden war. Er überdauerte dort zehn verschiedene Regierungen.

Zwar hatten auch die Japaner geschlossene Kirchen in den eroberten Gebieten wieder geöffnet und sogar Missionare nach gesandt, aber die trugen Militäruniformen. Den Koreaner Bang betrachteten sie als einen der ihren, aber der lehnte ab, weil er sich als Chinese fühlte. Nach neun Jahren unter kommunistischer Herrschaft ging Bang nach Hongkong und schließlich nach Korea zurück, wo er Missionsdirektor der General Assembly der Presbyterianer wurde. Deren Ziel ist es, bis 2020 eine Million Missionare entsandt zu haben.

DSC05815.jpg

Dr. Choi wurde 1926 geboren, seine Familie zog 1928 in die Mandschurei. Schulsprache dort war Japanisch, neben Koreanisch und Chinesisch spricht er noch Thai und Englisch, er fühlt sich als Sprachwaise, sagt er. Von Anfang an war die Kirche missionarisch und sie vereinte ganz verschiedene Völker und Kulturen. Dieses Verständnis wurde von Zinzendorf neu belebt, und die koreanische Kirche setzt diese Tradition fort.

Denn als Korea Missionare entsandte, kamen diese aus dem globalen Abseits, einem armen und schwer geschundenen Land, das (wie die Juden im ersten Jahrhundert) Mission trotzdem als seine Aufgabe begriff. Sie repräsentierten keine Kolonialherrschaft und keine Weltmacht. Choi arrangierte Radiosendungen nach China, in denen die Bibel vorgelesen wurde, so dass man mitschrieben konnte. 1985 eröffnete er (mit US-Pass) eine Druckerei in Nanjing, in der Millionen Bibeln gedruckt wurden.

Die beiden alten Herren strahlen immer noch eine große Begeisterung aus und wirken kein bisschen müde. Ab und zu stehen Pensionäre ihre Nachfolgern ja eher im Weg, aber diese beiden sind immer noch ganz aktiv dabei, Jüngere zu fördern und aufzubauen. Koreanische Missionare findet man heute in 180 Ländern in der Welt. Sie sind der Meinung, das Evangelium ist eine globale Aufgabe, die Christenheit nicht etwa auf bestimmte Kulturen und Regionen beschränkt.

Schließlich läuft ein Film über den Koreakrieg, mit dem (wenigstens für deutsche Ohren leicht pathetisch klingenden) Titel Heroes Forever. Junge Koreaner werden mit den historischen Ereignissen des „vergessenen Krieges“ vertraut gemacht. Den Trailer gibt’s hier:

Share

Seoul: Jetzt wird’s theologisch

Die inhaltliche Arbeit hat begonnen. Dr. Ung Kyu Pak sprach über die verschiedenen eschatologischen Konzepte im Verlauf der koreanischen Kirchengeschichte, die in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann und vor allem mit der japanischen Besatzung und der nationalen Befreiung zurecht kommen musste. So schwankte die Ausrichtung zwischen nationalem Aktivismus auf dem Boden des Evangeliums bis hin zur individualistisch-pietistischen Konzentration auf die Innerlichkeit. Sein Fazit lautet:

„The work of the kingdom is not narrowly cultic or religious; instead, it should extend into every area of life. The impact of the kingdom rule of Christ should always modify and transform a person’s worldview. We need to appreciate the merits and demerits of various millennial views. It is true that premillennialism survives best and is most beneficial to Korean Christians in times of suffering and persecution, but life is not always like that, so in the long run it may actually sow seeds of harm.“

Weiter ging es mit Pastor Charles Kim, der in den USA bei Peter Drucker gelernt hat und sich mit der Frage nach dem gesellschaftlichen Wandel befasst – global wie national. Wie reagiert die Kirche auf die digitale Revolution, die – ich habe es gestern erwähnt: so gut wie jeder läuft mit Smartphone herum – überall das Kommunikationsverhalten (und erst recht das Konsumverhalten!) verändert hat, und damit auch den Lebensstil und das Verhalten vieler Menschen (z.B. Twitter und der „arabische Frühling“), ebenso das wirtschaftliche Leben: Apple ist seit Kurzem der wertvollste Konzern weltweit, Aktien werden automatisiert von Computerprogrammen gehandelt. Und so weiter…

Die Kirche in Korea ist im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts massiv gewachsen. Doch allein im vergangenen Jahr wurden hier in Seoul zehn Kirchen verkauft und in buddhistische Tempel umgewandelt. In den USA stagnieren oder schrumpfen 80% aller Gemeinden. Kim fordert ein Umdenken im Blick auf Nachwuchsförderung, Planung (weg von Projekten und Programmen), der Gestaltung geistliches Lebens, im Führungsstil (von der charismatischen Persönlichkeit – dem CEO-Modell – und hierarchischer Struktur hin zum kooperativen Stil, es wird eh weniger „Profis“ geben). Schließlich: Wir müssen alle lernen, interkulturell zu denken und mit einem globalen Horizont zu leben. Überall in Asien und anderen Schwellenländern haben sich Megachurches entwickelt, dabei aber entstehen allmählich auch hier eher „emergente“ Formen von Gemeinden. Die meisten kirchlichen Strukturen haben einen Lebenszyklus. Im Grunde sollte es die Aufgabe bestehender Gemeinden sein, neue Formen von Gemeinde hervorzubringen, statt auf Selbsterhalt zu setzen, sagt Kim.

Zuletzt sprach der Kirchengeschichtler Dr. Dong Joo Kim über das rasante Wachstum der koreanischen Kirche in den 130 Jahren ihres Bestehens: Vor 120 Jahren galt Korea als das Land der Eremiten, es war weitgehend isoliert. 1882 waren die USA das erste Land, mit dem man diplomatische Beziehungen aufnahm. Heute sieht Seoul aus wie eine westliche Großstadt.

DSC05738.jpg

Vor hundert Jahren hab es in Asien 100 Länder. In Korea arbeiteten außerordentlich viele Missionare (1.500, zum Vergleich: in ganz China waren es „nur“ 6.000). Während die Chinesen als Folge des Opiumkrieges sich dem Westen entfremdeten (in Indien verlief die Entwicklung ähnlich), sah das von Japan annektierte Korea den Westen und das Christentum als Verbündete an in seinem Streben nach Unabhängigkeit.

DSC05643.jpg

Die Pionier-Missionare aus den USA, Australien und Kanada leisteten (wie einst Columbanus und Bonifatius im Frankenreich) großartige Arbeit: Sie und ihre Familien brachten große Opfer – nicht selten starb ein Elternteil oder mehrere Kinder, viele wurden in Korea beerdigt und wünschten sich das auch so. Diese selbstlose Haltung hat sich in der koreanischen Kirche erhalten. Das Christentum erschien als Religion der einfachen Leute (katholische Missionare waren 100 Jahre eher da, aber vornehmlich der Oberschicht zugewandt), man übersetzte die Bibel in die Volkssprache, die Gemeinden waren auch nach der Zeit der Pioniere sehr missionarisch aktiv. Man „erbte“ aber auch die sehr konservative Theologie der Pioniere,

Das protestantische Christentum (dazu zählt auch die Pfingstbewegung) leistete einen großen Beitrag zur Modernisierung Koreas – auch weil es eine sehr praktische Ausrichtung hatte: 1910 wurden zehn der 15 Krankenhäuser im von Epidemien geplagten Korea von Missionaren geführt. Während die japanischen Besatzer kein Interesse an gebildeten Untertanen hatten, unterhielten die Kirchen zwei Drittel aller Schulen im Land und errichteten Universitäten, die ersten Waisenhäuser und Sozialstationen.

Nach dem Koreakrieg (1950-52) verdoppelte sich die Zahl der Christen noch einmal. Im ersten Kabinett Südkoreas waren viele Christen vertreten. In den Bergen wurden Gebetshäuser errichtet. Praktisch alle Denominationen in Korea hatten eine pfingstliche Ader, aber das Gebet blieb eben nichts Abgehobenes, sondern es war eingebunden in die anderen Aktivitäten und umgekehrt.

Pastor Kang von der Myungsung Presbyterian Church fügt abschließend an: Ursprünglich waren die Presbyterianer hier eher dem stillen, kontemplativen Gebet zugewandt (das war vom Buddhismus her schon vertraut), später wurde es zunehmend lauter. Das Motiv des Leidens im Evangelium war für das leidgeprüfte Volk zur Zeit der Missionare ein wichtiger Schlüssel. Heute ist Korea eine der reichsten Nationen weltweit, man ist dem Westen immer noch sehr zugetan, aber in der Konsumgesellschaft ist die Frage nach Trost und Hoffnung im Leid längst nicht mehr so präsent. Und während „Westler“, vor allem Christen, in vielen Regionen der Welt mit Misstrauen beäugt werden, finden koreanische Christen in Japan oder islamischen Ländern heute viele offene Türen vor.

Share

Alpha analysiert (3): Das „blaue“ Kreuz

In den letzten Jahren haben sich für mich eine ganze Reihe von Fragen an „Fragen an das Leben“ ergeben. Vor einigen Wochen habe ich begonnen, die in einer Serie von Blogposts etwas zu bearbeiten. Zum einen ist das eine Antwort auf etliche Anfragen, die mich zu den Themen des Kurses erreicht haben, zum anderen denke ich, dass von einer offenen Diskussion alle profitieren, auch wenn der eine oder andere Kommentar unten kritisch ausfällt. Die positiven Seiten habe ich übrigens hier gewürdigt.

Im zweiten Kapitel das Alpha-Kurses folgt der Christologie die Soteriologie, also die Lehre von der Erlösung. Auch hier ist der modernistische Charakter der Logik und Begrifflichkeit unübersehbar. Und wieder ist der Einstieg sehr direkt: Nicky Gumbel beginnt mit „dem Problem“ – Sünde – auf das dann „die Lösung“ – Kreuz – folgt.

Sünde wird klassisch als individuelle moralische Schuld verstanden, die jedem anhaftet, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Sie wird mit den Begriffen „Korruption“ (hier als Verunreinigung und Verderbnis verstanden) und „Kontrolle“ (Unfreiheit) bezeichnet, die „Kosten“ heißen Tod und die „Konsequenz“ ewige Trennung von Gott. Im theologisch konservativen Spektrum ist das nichts Ungewöhnliches, aber der soziale und strukturelle Aspekt fällt dabei ebenso unter den Tisch wie andere Vorstellungen, die nicht in Kategorien von Recht und Moral angesiedelt sind, etwa der Verlust der Gottebenbildlichkeit. Wieder kann man diskutieren: Notwendige Elementarisierung oder problematische Verkürzung? Ich tippe eher auf Verkürzung, das zeigt sich im weiteren Verlauf des Kapitels auch immer deutlicher.

Es folgen zwei deftig ausgemalte Hinrichtungsszenen: Pater Maximilian Kolbe, der in Auschwitz für einen Mithäftling stirbt, und die Kreuzigung Christi. Mit einem Zitat von Raniero Cantamalessa wird schließlich gesagt, dass Jesus stellvertretend für jeden einzelnen Menschen den Zorn Gottes erleidet. Ob und inwiefern irgendein Zusammenhang zwischen Leben und Verkündigung Jesu und diesem stellvertretenden Tod besteht, wird dabei mit keinem Satz bedacht. Die Problematik der Verbindung Gott-Zorn-Gewalt bleibt ebenfalls unkommentiert. Wie schon die Gestalt Jesu erscheint auch das Ereignis der Kreuzigung aus allen historisch-politischen Bezügen gelöst. Dabei hätte man wunderbar beschreiben können, wie seine Solidarität mit den ausgewiesenen „Sündern“ Jesus auch ganz konkret ans Kreuz brachte.

Vier Bilder – ein Muster

In Anlehnung an John Stott werden – und auch das hätte vom Ansatz her gut werden können – nun vier Metaphern für das Kreuz thematisiert: Aus dem Kultus der Begriff des Opfers, das Bild des Lösegeldes im Sinne des Freikaufs eines Sklaven oder Verschleppten, der Begriff des Freispruchs vor Gericht – der allerdings durch eine eilig angefügte Beispielgeschichte ad absurdum geführt wird, in der ein Richter die Strafe eines schuldig gesprochenen Delinquenten aus eigener Tasche bezahlt, ihn also gerade nicht freispricht und damit auch nicht „rechtfertigt. Viertens klappert das Thema „Versöhnung“ etwas nach, zu dessen Illustration der verlorene Sohn angeführt wird. Dass in dieser Geschichte überhaupt keine Transaktion „nötig“ war, die Vergebung des Vaters weder ein „Opfer“ noch einen „Preis“, ja nicht einmal eine Entschuldigung voraussetzte, bleibt auffällig unkommentiert.

Von den vier Bildern bleibt für die weitere Argumentation letztlich doch nur eben jene Kombination aus Opfer und Lösegeld übrig, die in den meisten zeitgenössischen Kolportagen von Anselms Satisfaktionslehre üblicherweise erscheint. Warum aber Gott einen Unschuldigen brutal töten muss, um mir vergeben zu können, bleibt unklar. Am Ende kommt die Zuspitzung im Sinne des augustinischen „Gott und die Seele“: Nicht nur gilt der Tod Christi jedem einzelnen, es geht auch, so muss man das wohl doch lesen, um nichts anderes als die Versöhnung des Individuums mit Gott.

Vereinfacht oder verengt?

Nun war die Vergebung individueller Schuld ja bereits unter den Bedingungen des „alten“ Bundes kein Problem – dafür gab es den Tempel, die Opfer, die Priesterschaft, die Kultvorschriften. In der Verkündigung Jesu erscheint dieser Aspekt als viel weniger problematisch, vielmehr tritt – je länger, je mehr – Gottes Gericht über sein Volk in den Vordergrund, dessen „Sünde“ nicht in moralischer Verkommenheit, nicht einmal in arroganter Leistungsfrömmigkeit bestand, sondern darin, dass es seinen geschichtlichen Auftrag aus dem Blick verloren hatte, die Spirale der Gewalt nicht bremste und so für den Rest der Welt weder Segen noch Licht mehr war. Deshalb wählt ja der Leidensmessias den Märtyrertod, um einen eschatologischen Neuanfang mitten in der gefallenen Welt zu setzen und einen neuen, gemeinschaftlichen Exodus aus der Herrschaft lebensfeindlicher Kräfte zu ermöglichen. Das Kreuz Christi ist nach Darstellung der synoptischen Evangelien Resultat eines politischen Prozesses und weder ein kultisches Ereignis noch eine Form von Satisfaktion. Ausgerechnet diese beiden Metaphern sind heute für viele Menschen ohne fromme Sozialisation unverständlicher denn je, taugen also nur sehr eingeschränkt.

Vor ein paar Jahren war ich auf einer Tagung und habe dort über die verschiedenen Farben der „Spiral Dynamics“ gesprochen und wie das Evangelium auf den unterschiedlichen Frequenzen ganz unterschiedlich erscheint. Am Nachmittag sprach mich eine Teilnehmerin auf den zweiten Abend des Alpha-Kurses an uns sagte, der sei ja tiefblau. Ich denke, sie hat das ganz richtig beobachtet. In der Art und Weise, wie das Kreuz hier thematisiert wird, findet nicht nur eine notwendige Zuspitzung, sondern eine hinderliche Verengung statt, die es manchen Hörern eher erschweren dürfte, einen Zugang zu finden – wenn sie nämlich nicht aus dem Milieu der Traditionalisten und Corporate Achievers stammen, wie John Drane es nannte, wo die Logik von Schuld und Strafe, beziehungsweise die Ökonomie der Transaktionen, weitgehend unhinterfragt gilt.

Man könnte die Perspektive aber auch ganz anders wählen. Slavioj Žižek hat das in Die gnadenlose Liebe recht anregend getan, wenn er schreibt:

Das Opfer Christi ist daher in einem radikalen Sinne sinnlos: kein Tauschakt, sondern eine überflüssige, exzessive, ungerechtfertigte Geste, die Seine Liebe zu uns, zur sündigen Menschheit beweisen soll. Es ist so, wie wenn wir in unserem Alltagsleben jemandem »beweisen« wollen, dass wir ihn/sie wirklich lieben, und dies nur mittels einer überflüssigen Geste der Verausgabung tun können. Christus »zahlt« nicht für unsere Sünden; Paulus hat deutlich gemacht, dass eben diese Logik der Bezahlung, des Tausches, gewissermaßen die Sünde selbst ist und die Wette von Christi Tat darin besteht, zu zeigen, dass diese Kette des Tausches durchbrochen werden kann.

Christus erlöst die Menschheit nicht dadurch, dass er den Preis für unsere Sünden entrichtet, sondern indem er uns zeigt, dass wir aus dem Teufelskreis von Sünde und Vergeltung ausbrechen können. Statt für unsere Sünden zu bezahlen, löscht Christus sie buchstäblich aus und macht sie durch seine Liebe rückwirkend »ungeschehen«.

Share

Alpha analysiert (2): Der dekontextualisierte Jesus

Viele andere Glaubenskurse schlagen erst einen weiten anthropologischen („Der Sinn des Lebens“) und theologischen („Gibt es einen Gott?“) Bogen, bevor sie „zur Sache“ kommen und von Jesus reden. Der Mut, mit Jesus einzusteigen, hat mir bei Alpha immer gefallen. Auch deswegen, weil ich denke, alles christliche Reden von Gott und vom Sinn des Lebens muss sich schon vom ersten Ansatz her an Jesus orientieren. Sonst landet man schnell bei philosophischen Gottesbildern, die – etwa weil sie leidensunfähig sind – sich mit der Geschichte des leidenden Messias nicht mehr in Einklang bringen lassen.

In der konkreten Umsetzung jedoch stellt uns Nicky Gumbel vor ein großes Problem, indem er sein Jesuskapitel unter die Perspektive der Zweinaturenlehre stellt. Die erkenntnisleitende Fragestellung lautet, ob Jesus nur ein guter/interessanter/naiver/wichtiger Mensch war, oder der Sohn Gottes. Denn wäre es das nicht, so sagt Gumbel mit C.S. Lewis, dann war er ein Irrer oder ein Verführer. Und so werden die Evangelien nach Hinweisen auf alles abgeklopft, was Jesus von gewöhnlichen Menschen unterscheidet; neben den Wundern gehören etwa die „Ich-bin-Worte“ aus dem Johannesevangelium zu den Belegen. Die komplexe johanneische Frage wird jedoch nirgends aufgeworfen. Die Implikation ist, dass Jesus in seiner Verkündigung neben Aussagen zur Ethik und zum Heilsweg vor allem die eigene gottmenschliche Person thematisiert.

Weitgehend auf der Strecke bleibt dabei Jesus, der jüdische Prophet, die unbestreitbar politische Dimension seiner Reich-Gottes-Verkündigung und die Kontroversen um seinen messianischer Anspruch, wie sie N.T. Wright und andere herausgearbeitet haben. Von da aus ließe sich dann sehr wohl begründen, warum die Alte Kirche Jesus mit Gott in einer ganz bestimmten Weise identifiziert hat und wie die Vorstellung von der Dreieinigkeit Gottes entstehen konnte. Im jüdischen Kontext wurde der Begriff „Sohn Gottes“ damals ohne solche metaphysischen Konnotationen verwendet. Wenn Kaiphas Jesus in Markus 14 fragt: „Bist Du der Sohn des Hochgelobten?“ dann zielt das auf den Anspruch Jesu, der messianische König der Juden zu sein.

Denn die Auffassung, Jesus sei durch Palästina gezogen und hätte ständig von sich als der zweiten Person Gottes geredet, ist historisch absurd, wie Wright immer wieder betont. Das ist vor allem ein nachösterliches Thema. Erst im Rückblick auf die Auferweckung wird das analogielose Verhältnis Jesu zum Vater im Neuen Testament zum Thema (vgl. Römer 1,4) und der jüdische Monotheismus behutsam erweitert. Man kann die Christologie des 4. und 5. Jahrhunderts nicht einfach in die Evangelientexte zurückprojizieren. Freilich hat die christliche Kirche genau das Jahrhunderte lang getan und die meisten konservativen Evangelikalen tun es bis jetzt. Und so trifft Wrights Urteil nicht nur, aber auch den Alpha-Kurs, wenn er schreibt:

Für viele konservative Theologen würde es ausreichen, wenn Jesus (irgendwann im Verlauf der menschlichen Geschichte und vielleicht aus irgendeiner Rasse) von einer Jungfrau geboren worden wäre, ein sündloses Leben geführt hätte, einen Opfertod gestorben und drei Tage später von den Toten auferstanden wäre (N.T. Wright, Jesus and the Victory of God. Christian Origins and the Question of God Vol. 2, Minneapolis 1996, S.14)

Wright hat in Simply Christian gezeigt, dass man die Frage „Wer war Jesus“ auch anders beantworten kann. Nicky Gumbel dagegen verweist zum Ende (aber eben nicht zu Beginn) seines Plädoyers (das Schlüsselwort heißt evidence) für die Göttlichkeit Jesu Christi auf die Auferstehung. Damit stellt er seine Zuhörer vor die schroffe Entscheidung nach dem Alles-oder-Nichts-Schema, wenn er schreibt:

Zum Schluss stehen wir also, wie es C. S. Lewis ausgedrückt hat, „vor einer erschreckenden Alternative“. Entweder war (und ist) Jesus der, der er zu sein behauptete, oder er war verrückt oder noch Schlimmeres. C. S. Lewis erschien es offensichtlich, dass Jesus weder verrückt noch vom Teufel besessen war, und er schlussfolgerte: „[…] das bedeutet dann aber, dass ich anerkennen muss, dass er Gott war und ist – auch wenn mir das seltsam oder furchterregend oder einfach unwahrscheinlich vorkommt.

In Wirklichkeit gab und gibt es unter Christen eine Vielzahl von Perspektiven auf Jesus mit ganz unterschiedlicher Nuancierung. Allein der Satz „Jesus war Gott“ wurde und wird unterschiedlich verstanden und ausgelegt. So aber fällt nicht nur das Jüdische an Jesus weitgehend heraus (welch eine Ironie, wenn man bedenkt, dass Nicky Gumbels Vater als gebürtiger Jude aus Stuttgart emigrierte!), es kann auch durch diese unnötige Verengung des Horizontes schon zu Beginn des Kurses ein gewisser Druck entstehen. Gute MitarbeiterInnen werden es verstehen, ihren Gästen diesen Druck wieder zu nehmen. Besser wäre es für meinen Geschmack, wenn sie das gar nicht müssten.

Share