Henry Nouwen – Reaching Out (1): Einsamkeit, die erstickt

Ich hatte vor einer Weile ein paar Zitate aus Henri Nouwens Klassiker Reaching Out gepostet, hier nun eine etwas systematischere Zusammenfassung in mehreren Teilen. Sie beginnt mit einer Grundbewegung des Lebens aus dem Geist: Von der Einsamkeit zur Stille (from loneliness to solitude).


Zwischen Konkurrenz und Miteinander
Einsamkeit ist eine Erfahrung, die man unweigerlich macht, aber auch scheut: Heimweh und Unverstandensein als Kind oder Teenager, von anderen ignoriert zu werden, auf Parties, in Sitzungen, während der Arbeit oder allein beim vergeblichen Versuch, ein Buch zu lesen. Gesteigert wird das alles durch die Anonymität unserer Städte und den Konkurrenzdruck der Leistungsgesellschaft. Sie führt nicht selten in alle möglichen Formen von Sucht und Abhängigkeit.

Selbst bei geselligen Anlässen bleiben die höflichen Gespräche an der Oberfläche, nichts entsteht an Beziehung, was den Augenblick überdauert. Die Sprache verrät den Wunsch nach Nähe, aber den Schmerz der Einsamkeit kann sie nicht heilen. Er sitzt zu tief.

Das Meiden der schmerzhaften Leere
Wir scheuen die Konfrontation mit unserer eigenen Einsamkeit und verdrängen unseren Schmerz, indem wir in Aktivität, Zerstreuung und Betriebsamkeit flüchten. Aber jede Form von Kreativität setzt voraus, dass wir uns unserer Einsamkeit stellen und die Oberflächlichkeit durchbrechen.

Stattdessen warten wir auf Anrufe, e-mails und Nachrichten, die uns versichern, dass wir nicht einsam sind: “In dem Maß, wie unser inneres Leben versagt, gehen wir immer regelmäßiger und verzweifelter zum Postamt. Sie können darauf zählen, dass der arme Kerl, der mit den meisten Briefen herauskommt, stolz auf seine ausgiebige Korrespondenz, schon lange nichts mehr von sich selbst gehört hat.” (Henry David Thoreau)

Die Gefahr endgültiger “Lösungen”
Die Flucht vor unserer Einsamkeit kann fatale Folgen haben. Ein Ort ohne Schmerz, das Gefühl von Fremdheit und Unruhe existiert nur als Wunschtraum, den uns niemand erfüllen wird. Und wenn wir uns in dieser irrigen Erwartung an andere klammern, zerstören wir die Beziehung zu ihnen, die die Freiheit braucht, sich einander zu nähern und von einander auch wieder zu entfernen. Manchmal meinen wir, jetzt endlich diese Beziehung oder dieses Umfeld gefunden zu haben, nur um dann bitter enttäuscht zu werden.

Aus dieser Sehnsucht nach völliger Geborgenheit entsteht daher ungewollt Gewalt – in Gedanken der Rache, verletzenden Worten oder Taten. Eine Spirale der Zerstörung setzt ein. Bei allem, was man an Einfühlsamkeit und Offenheit in Beziehungen immer auch dazulernen kann, bleiben wir ein unauflösliches Geheimnis für uns selbst und andere. Echte Intimität lässt dieses Geheimnis bestehen.

Auch die Forderung nach totaler Offenheit führt nicht zum Ziel. Alles ans Licht zu zerren oder auszusprechen, kann mehr schaden als nützen, und auch schrecklich trivial werden, so dass gemeinsames Schweigen manchmal mehr Nähe schafft als ständiges Geplapper. Viele Ehen leiden unter der Erwartung, einer könne den anderen aus seiner Einsamkeit retten und eine völlig Harmonie sei erreichbar. Khalil Gibran setzt dagegen:

Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich, aber lasst jeden von euch allein sein,
So wie die Saiten einer Laute allein sind und doch von derselben Musik erzittern.
(…)
Und steht zusammen, doch nicht zu nah:
Denn die Säulen des Tempels stehen für sich,
Und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten der anderen.

Von der Wüste zum Garten
Statt vor unserer Einsamkeit zu fliehen, sollten wir sie lieber kultivieren und fruchtbar machen. Mit Mut und Beharrlichkeit lässt sich die Wüste zum Garten umgestalten.

Die Bewegung von der Einsamkeit zur Stille jedoch ist der Anfang allen spirituellen Lebens, weil sie eine Bewegung ist vom ruhelosen Gefühl zum ruhenden Geist, vom Verlangen, das um sich greift zu einer Suche, die nach innen dringt, vom ängstlichen Klammern zum furchtlosen Spiel. (S. 13)

Ein guter geistlicher Begleiter ist jemand, der uns in diesem Prozess helfen kann, uns der eigenen Einsamkeit zu stellen und durch sie hindurch mit Geduld in eine Tiefe hinein zu finden, in der wir unsere Selbsttäuschungen verlieren und neue Quellen von echter Freude und wahrem Frieden finden.

Technorati Tags: ,

Share

Weise werden – die Quintessenz

Vielleicht war manchen der Post von gestern zu lange und kompliziert. Ich habe es hier nun noch einmal kurz und knapp und ohne Fachchinesisch versucht:

Weisheit hat mit der von Gott gegebenen (und auf Gott gerichteten) Sehnsucht der Menschen zu tun, intim und ganzheitlich zu erkennen und selbst erkannt zu werden. Letzteres ist zugleich auch eine beängstigende Sache, die das Streben nach Weisheit erschwert und Wachstum zum Stillstand bringen kann.

Sie ist daher mehr als “objektives Wissen”, das den Wissenden nicht verändert und ihm lediglich Macht über den Gegenstand seiner rationalen Erkenntnis vermittelt. Der Geist Gottes nimmt dieses “natürliche” Bedürfnis nun auf und gibt ihm eine neue Qualität: Angesichts eines unendlichen Gegenübers wird unser endliches Erkennen relativiert. Man könnte in Abwandlung des Sprichworts auch sagen: “Wissen ist Ohnmacht”, aber die Ohnmacht des Gekreuzigten ist der endlichen und instrumentellen Weisheit der Welt überlegen.

Für menschliche Identität bedeutet das Befreiung in mehrfacher Hinsicht: Sie ist gehalten von Gottes ewiger Treue, sie wird geöffnet für Gottes hoffnungsvolle Zukunft und damit für ein unbegrenztes geistliches Wachstum (das auch die verschiedenen Formen rationalen Lernens und Erkennens im Dialog mit der Weisheit der Welt einschließt), sie kann anderen Geschöpfen Raum und Freiheit schenken und muss diese nicht zur Bestätigung des eigenen Egos versklaven.

Technorati Tags: , , , , ,

Share

Transforming Spirituality (2): Weise werden

Die versprochene Fortsetzung hat doch länger gedauert, als ich dachte. Eigentlich wollte ich Kapitel für Kapitel lesen und zusammenfassen, nun habe ich aber doch den ganzen theologischen Teil am Stück gelesen, um mich besser hineinzufinden. Da schon das Buch recht dicht formuliert ist, wird es in dieser (nicht gerade kurzen) Zusammenfassung auch recht anspruchsvoll. Aber vielleicht wirft es ja doch einige Denkanstöße ab oder animiert manche(n) zum Selberlesen:

Die theologischen Kapitel sind parallel aufgebaut: LeRon Shults verfolgt hier das Verlangen nach Weisheit zuerst kurz und knapp durch die Schrift, dann durch die christliche Tradition. Daraufhin fragt er nach dem Beitrag von Philosophie und Naturwissenschaft im Dialog mit Schrift und Tradition und zieht die Schlussfolgerungen in Anlehnung an die Grundgedanken des Wachstumsmodells, das Spiritualität als Intensivierung und fortschreitende Differenzierung der Persönlichkeit im Gegenüber zum Nächsten und zu Gott versteht.

“Spirituelle Transformation” setzt an bei dem menschlichen Verlangen, zu erkennen und erkannt zu werden und zielt ab auf ein “Teilnehmen an der ewigen Intimität, die das Leben des dreieinigen Gottes ist”. Sehnsucht nach Weisheit hat nicht nur den kognitiven Aspekt, sondern mit der Qualität gelebter Beziehungen.

In der Schrift begegnet die Weisheit in personifizierter Gestalt und sie lädt den Menschen ein, ihr leidenschaftlich auf der Spur zu bleiben. Die Weisheit hat eine enge Bindung an die göttliche Kreativität und Vorsehung, wer Anteil an ihr hat, kommt in das rechte Verhältnis zu Gott. Umgekehrt zeigt die Geschichte von Sündenfall, dass Weisheit (und mit ihr viel praktisches Wissen und Fertigkeiten) an die enge Beziehung zu Gott gebunden ist und nicht an Gott vorbei erreicht werden kann. Dies wird im Neuen Testament christologisch interpretiert. Weisheit (und Wahrheit) wird nicht einfach rational erkannt, sondern offenbart sich relational als befreiende Gegenwart Gottes.

In der christlichen Tradition kontemplativer Spiritualität ging es immer darum, Gott zu erkennen und von ihm erkannt zu werden, allerdings waren die anthropologischen und kosmologischen Denkvoraussetzungen hier und da problematisch. Augustinus stellt fest, dass Menschen dieses intime gegenseitige Erkennen (und die Wahrheit, auf die menschliches Denken immer schon gerichtet ist) einerseits ersehnen, andererseits fürchten. Die apophatische Theologie betont, dass der endliche Verstand den unendlichen Gott als Gegenstand des Wissens nicht fassen kann. Nikolaus von Cues kann so ein unendliches Wachsen der Gotteserkenntnis annehmen, das dennoch immer die Demut “gelehrter Unwissenheit” bewahrt. Bonaventura schließlich sieht das Einssein mit Gott und mystische Weisheit als Resultat eines Sterbens des eigenmächtigen Intellekts an. Während die Reformation viele dieser Ansätze noch bewahrte, brachte die Aufklärung eine Trennung zwischen objektivem Wissen und subjektiver Spiritualität. In jüngerer Zeit hat unter anderem diesen Dualismus Gustavo Gutierrez kritisiert und ein Verständnis von intellektuellem und spirituellem Erkennen eingefordert, das in der Spannung von Verheißung und Erfüllung diejenigen befreit, “deren persönliche Beziehungen schmerzhaft gebunden sind”.

Philosophisch brachte die Aufklärung die Lösung der Wahrheitsfrage von ihrem Bezug auf das Göttliche, die konsequente Trennung von Glauben und Wissen, und die Erfolge der Naturwissenschaften führten zu einer optimistischen Einschätzung menschlich-rationaler Erkenntnisfähigkeit. Spät- bzw postmodern wird dies in Frage gestellt. Paul Ricoeur plädiert für ein narratives Verstehen, das eine größere Nähe zu praktischer Weisheit und ethischem Urteil pflegt. Wahrheit und Erkennen haben neben der rationalen auch eine soziale Dimension, menschliche Identität (individuell und kollektiv) hängt eben an Geschichten.

Naturwissenschaftlich lässt sich menschliches Denken von körperlichen Vorgängen und Empfindungen nicht trennen (daher ist der neoplatonische Ansatz so problematisch), kann aber auch nicht auf diese reduziert werden. Der Gedanke der Evolution macht es möglich menschliches Werden als ein ausgerichtet Sein auf die Gottes Zukunft zu denken, der dann nicht mehr in einem zeitlosen “oben” residiert.

Alles Erkennen ist geistlich, weil es seinen Grund in Gott hat, von dem, durch den, und auf den hin alle Dinge sind. Insofern ist die Suche nach Weisheit und Erkenntnis dem von Gott geschaffenen menschlichen Geist schon mitgegeben. Sie wird aber intensiviert, indem der Mensch durch den Geist Gottes Anteil bekommt an der Erkenntnis Christi. An dieser Stelle bringt Shults das Konzept einer dialektischen Identität ins Spiel, die mit Paulus sagen kann “ich, aber nicht ich, sondern Christus”. Der menschliche Geist wird vom Geist Gottes weder strikt getrennt noch geht er in diesem auf oder unter. Menschliche Identität setzt immer schon eine Gegenüber voraus. Sie entsteht im Ringen darum, von diesem Gegenüber weder erdrückt noch verlassen zu werden. Die Gegenwart des Geistes, der mehr als ein endliches Gegenüber und uns damit näher ist, als wir selbst und andere es sein können, öffnet uns für eine Erkenntnis unserer wahren Identität. Biblische Weisheit entsteht in der innigen Beziehung zum trinitarischen Wesen und Leben Gottes, und nicht mehr in der defensiven Abgrenzung gegenüber allem Andersartigen, sondern in der Versöhnung der Unterschiede. Der Erwartung und Sehnsucht des werdenden menschlichen Geistes entspricht die Zukünftigkeit des göttlichen Kommens. Geschöpfliches Wissen erinnert sich an die Vergangenheit und ist durch den Geist Gottes auf die Zukunft hin orientiert. In diesem Sinn eröffneter Zukunft bedeutet Gott zu erkennen auch ewiges Leben (Joh 17,4).

Geistliches Erkennen bedeutet, an der Gotteserkenntnis Christi und am Leben des dreieinigen Gottes (2. Petr.1,4) teilzuhaben. Es geht damit über die Zustimmung zu Satzwahrheiten weit hinaus. Die Ostkirche hat das mit dem Begriff der Vergöttlichung des Menschen beschrieben, die christologisch und pneumatologisch vermittelt wird. Wenn das Wesen Gottes in diesem intimen, gegenseitigen trinitarischen Erkennen und Erkanntwerden besteht, hebt sie die geschöpfliche Endlichkeit nicht auf und verwischt die Differenz zum Schöpfer nicht, öffnet sie aber für dessen Wirken. In diesem relationalen Sinn bedeutet Glauben (und damit das rechte Verhältnis zu Gott), sich an Gottes Treue und die Treue zum Nächsten zu binden. Identität und Persönlichkeit wird dadurch nicht ausgelöscht, sondern entsteht so erst richtig. Und auf Pilatus‘ Frage nach der Wahrheit antwortet Jesus nicht mit Worten, wohl aber mit seiner gesamten Passion und Auferstehung, in der sich Gottes Ziel für seine Schöpfung offenbart.

Identität bildet sich in Beziehungen aus und das natürliche Verlangen nach Intimität, das menschliches Erkennen antreibt, wird in und durch die Beziehung zum Geist Gottes umgestaltet, der alle Dinge erhält. In diesem Vertrauen und der bewussten Abhängigkeit von Gott wächst eine neue Identität heran (vgl. Kol 1,9f; 2,16; 3,10.16). Zweifel ist dabei nicht das Gegenteil des Glaubens, sondern häufig ein Zeichen dafür, wie sich eine Spannung entwickelt, die ein tieferes Erkennen und erkannt Werden nach sich zieht. Möglich wird dies durch die Erfahrung der Nähe und Treue Gottes. Der menschliche Geist wird so (1.) geläutert von der Neigung, andere manipulativ an sich zu binden, um so das eigene Ego als Schutzfunktion der verletzlichen Identität zu sichern und das Wagnis des Vertrauens und die eigene Angst vor Nähe und Intimität zu umgehen. Das wiederum ermöglicht eine erleuchtete Sicht auf die Welt und den Empfang einer neuen Identität, für die auch die Nähe Gottes keine Bedrohung mehr darstellt. Der menschliche Geist findet zur Ruhe in Gott und zur Einheit mit dem Geist Gottes.

Konkret verwirklicht sich diese Transformation im Gebet, das wie die Weisheit eine Intensivierung der innigen Erfahrung des Geistes darstellt. Dazu muss das Gebet die Funktion der reinen Bitte überwinden, die oft noch narzisstisch gefärbt ist, und sich auf den Schmelztiegel der Intensivierung einlassen und so von der Sorge um diesen oder jenen Gegenstand hin zur (kontemplativen) Freude am Erkennen und erkannt Werden finden. Damit wird Gebet vom isolierten Akt zur grundsätzlichen Äußerung eines andauernden Lebens im Geist.

Dieser Weg, das eigene Selbst mit Gottes versöhnender Treue zu identifizieren, verändert unsere Antwort auf die bei Evangelikalen übliche Frage: “Wie viele Menschen hast Du diese Woche zum Herrn geführt?” So erkundigt man sich in der Regel nach der Zahl der Menschen, die ein bestimmtes formelhaftes Gebet nachgesprochen haben. Aber wenn wir Gebet als ein Teilnehmen an der Treue Gottes verstehen, als eine befreiende Erfahrung, wie unsere Absichten (“intentionality”) durch die erleuchtende Gegenwart göttlichen Lebens verwandelt werden, dann werden wir diese Frage ganz anders beantworten. Eine Person zum Herrn führen heißt, sie einzuladen zu einer neuen Weise des Wollens (intending) und Umsorgtseins (being-tended-to) in ihrer Beziehung zu Gott durch Christus im Geist. In diesem Modell können wir hoffentlich die Anfrage so beantworten: “Ich habe jede Person, der ich diese Woche begegnet bin, zum Herrn geführt, nicht nur die am Rande meines Lebens, mit denen ich kurz gesprochen habe, sondern auch meine Familie und meine Mitchristen.” (S. 91/92)

Gottes Gegenwart zu praktizieren (um Bruder Lorenz‘ Formulierung zu verwenden) bedeutet, selbst treu für andere gegenwärtig zu werden. Diese Art von Weisheit ist offen für andere Menschen und andere Formen des Erkennens – also für das Lernen von Philosophie und Naturwissenschaft.

Technorati Tags: ,

Share

Transforming Spirituality (1): Geist und Selbst

Ich habe das erste theologische Kapitel in LeRon Shults‘ Transforming Spirituality (“Reforming Pneumatology”) gelesen. Es ist sehr dicht formuliert und immer wieder verweist er auf die Darstellung seiner anderen Bücher, wenn er dort der Frage nach dem Wesen des Geistes (göttlich und menschlich) nachgeht.

Drei Bewegungen in der neueren Theologie greift er dabei auf: Die Wiederentdeckung der Unendlichkeit Gottes (dessen Geist alles erhält und umfasst), die Rückbesinnung auf das die Lehre von der Trinität (an deren Leben wir Menschen Anteil bekommen) und die Erneuerung eschatologischer Ontologie (der Ruf des Geistes hinein in die ewige Gemeinschaft mit dem unendlichen dreieinigen Gott, ein unendlicher, offener Wachstumsprozess).

Dann kommt Shults auf Kierkegaards relationale Definition von Geist zu sprechen, die so lautet:

Der Mensch ist Geist. Was aber ist Geist? Der Geist ist das Selbst. Was aber ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist da an dem Verhältnisse, dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält.

Ein solches Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, ein Selbst, muss entweder sich selbst gesetzt haben, oder durch ein Anderes gesetzt sein. Ist das Verhältnis, das sich zu selbst verhält, durch ein Anderes gesetzt, so ist das Verhältnis freilich das Dritte, aber dies Verhältnis, dies Dritte, ist dann doch wiederum ein Verhältnis, verhält sich zu demjenigen, welches das ganze Verhältnis gesetzt hat. Ein solches abgeleitetes, gesetztes Verhältnis ist des Menschen Selbst, ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, und, indem es sich zu sich selbst verhält, zu einem Anderen sich verhält. (Hier gefunden)

Der Geist hat eine zweifache Richtung, die der Selbstorganisation und der Beziehung nach außen, und er erinnert sich der Vergangenheit ebenso, wie er die Zukunft erwartet. Auch hier bewegt sich das lebendige Bewusstsein dialektisch nach zwei Richtungen. Selbstbewusstsein erwächst aus der Spannung zwischen dem Selbst und dem anderen und führt zu einer Intensivierung und Differenzierung des Selbst, das zugleich eine innigere Beziehung zum anderen und insbesondere zu Gott entwickelt.

Der menschliche Geist sehnt sich nach Wahrheit, Güte und Schönheit. Shults macht das zum organisierenden Prinzip seiner Darstellung, das sieht dann so aus:

Shults-Tabellen

Technorati Tags: ,

Share

Transformation: Eine doppelte Perspektive

Neben Pascal Mercier habe ich angefangen, “Transforming Spirituality: Integrating Theology and Psychology” (F. Leron Shults, Steven J. Sandage) zu lesen. Der Titel erinnert wohl nicht ganz zufällig an Transforming Missions von David Bosch. Sie fragen danach, wie Menschen tief greifende Veränderung erleben und was diese hervorruft. Gesellschaftstransformation ist dabei von Anfang an mit im Blick. Vielleicht erlaubt der stereoskopische Ansatz ja eine größere Tiefenschärfe als sie manch anderes Werk bietet:

Hier schreiben ein Theologe und ein Psychologe über Spiritualität und die Einleitung weckt schon einiges an Erwartungen. Zu meiner großen (positiven) Überraschung haben die beiden das Wachstumsmodell des Sexualtherapeuten David Schnarch adaptiert und setzen es in Beziehung zu klassischen Modellen mittelalterlicher Mystik (Läuterung – Erleuchtung – Einswerden) die so von ihrer Konzentration auf die Innerlichkeit und anderen problematischen Aspekten etwas gelöst werden. Demnächst mehr.

Technorati Tags:

Share

Abendgebet

Herr Du hast immer Brot für den kommenden Tag gegeben;

und obwohl ich arm bin, glaube ich heute.
Herr Du hast immer Kraft für den kommenden Tag gegeben;

und obwohl ich schwach bin, glaube ich heute.
Herr Du hast immer Frieden für den kommenden Tag gegeben;

und obwohl mein Herz ängstlich ist, glaube ich heute.
Herr, Du hast mich in Prüfungen immer bewahrt;

und nun, versucht, wie ich bin, glaube ich heute.
Herr Du hast immer den Weg gewiesen für den kommenden Tag;

und auch wenn er verborgen ist, glaube ich heute.

Herr, Du hast meine Dunkelheit immer erhellt;

auch wenn die Nacht gekommen ist, glaube ich heute.
Herr, du hast immer geredet, wenn die Zeit reif war;

auch wenn du jetzt schweigst, glaube ich heute.

(aus dem Evening Prayer der Northumbria Community)

Technorati Tags: ,

Share

Wahre Ungewissheiten

… das Gebet zieht uns weg von der Beschäftigung mit uns selbst, ermutigt uns, vertrautes Gelände zu verlassen, und fordert uns heraus, eine neue Welt zu betreten, die unser Herz und Verstand mit seinen engen Grenzen nicht fassen kann. Gebet ist daher das große Abenteuer, weil der Gott, mit dem wir eine neue Beziehung eingehen, größer ist als wir und alle unsere Berechnungen und Vorsichtsmaßnahmen missachtet. Die Bewegung vom Wunschdenken zum Gebet fällt schwer, weil sie uns von falschen Gewissheiten zu wahren Ungewissheiten führt, (…) von den vielen “sicheren” Göttern zu dem Gott, dessen Liebe keine Grenzen hat.

Henri Nouwen

Technorati Tags:

Share

Gratwanderungen

Ich war diese Woche zu einem Gespräch eingeladen, das sich um die unterschiedlichsten Glaubenskurse drehte. Dabei wurden natürlich die Unterschiede bedacht und die Frage, wie man Pfarrern und Gemeinden bei der Auswahl helfen kann. Insgesamt ein lebhaftes Gespräch und auch ganz fröhlich.

Was mich noch weiter beschäftigt hat, war die Frage nach dem individualistischen Ansatz vieler Konzepte – zumindest in der Formulierung mancher Themen (“Wie kann ich die Bibel lesen?”) und der Betonung des persönlichen Zugangs der einzelnen betrifft das Alpha Kurse auch ein Stück. Ohne den Inhalt genau zu kennen, hat der Kurs “Expedition zum ICH” von Klaus Douglass und Fabian Vogt da in der Wahl des Titels sicher den Vogel abgeschossen:

“Ich” ist doppeldeutig, es bezieht sich laut Website auf Gott und das Individuum (Augustinus lässt grüßen). Es bleibt trotzdem eine Frage, ob der Titel nur (clever?) an vorhandene Bedürfnisse anknüpft, oder ein weiterer Beleg unserer Tendenz ist, Glaube hier wie an vielen anderen Stellen als Hilfsmittel zur individuellen Selbstentfaltung anzupreisen. Es fehlt zumindest auf den ersten Blick das “wir” und der Blick auf gesellschaftliche Verantwortung. Ich will jetzt nicht wieder in die Kritik von neulich am kommerzialisierten Wohlfühl-Christentum verfallen. Gerade bei Glaubenskursen ist der Mut zur Lücke ja nötig, es ist eben kein Katechismusunterricht über ein Jahr.

Was meint Ihr: Ist das eine notwendige Beschränkung (bzw. sinnvolle Kontextualisierung) oder eine leichtfertige Verengung?

Technorati Tags: , , ,

Share

5 Things I Dig About Jesus

John Smulo started it and Jason tagged me. I will answer this in English, because I reckon most Germans will understand it and most English speakers do not have to use Babelfish and end up with incomprehensible stuff. Which might happen anyway – but read for yourself:

1. Humanity – Jesus was normal, vulnerable and accessible. He did not act like a star and hated it when people created a religious hype about him. He could be with crowds and in complete solitude. He was not addicted to applause.
2. Crossing boundaries – Jesus blurred social edges and included people who had been rejected. He was not afraid to touch and mingle with them. He thought that holiness was contagiuos.
3. Compassion – Jesus was less concerned about bein right or correct and he spoke truth to liberate people, not to control or shame them.
4. Joy – Although – or perhaps because? – Jesus embraced suffering as part of his vocation early on in his ministry, he was essentially a joyful and fearless person.
5. Wisdom – I believe Jesus had the sharpest anasysis of our human condition and that his insight is still, even after 2.000 years, unsurpassed. Following in his footsteps and living by his Spirit is the key to real transformation not only of individuals but of our whole world. Certainly helps me.

I have used the past tense deliberately because I refer to the Jesus of the gospels. I believe he is the same person today. It is just that these stories help me so tremendously to discover what he is doing today.

Finally, I am looking forward to what these people are going to say:
Will Briggs
Alex Kupsch
Pastor Sändy
Haso
Arne Bachmann

Technorati Tags: ,

Share

Allerlei Heilige

Viele große Heilige haben ihre religiösen Erfahrungen beschrieben, und viele geringere Heilige haben sie zu bestimmten Phasen, Ebenen oder Stadien systematisiert. Diese Unterscheidungen mögen denen nützen, die Bücher schreiben und die sie zur Unterweisung benutzen, aber es ist von großer Wichtigkeit, dass wir die Welt der Maße verlassen, wenn wir über das Leben des Geistes sprechen.


“Reaching Out: A Special Edition of the Spiritual Classic Including Beyond the Mirror: The Three Movements of the Spiritual Life” (Henri J. M. Nouwen)

Share

Hör nicht auf sie…

Falsche Propheten hatten im Judentum nicht viel zu lachen – richtige in der Regel (und zu ihren Lebzeiten) leider auch nicht. Heute hat der Mammon Jahwe in des Volkes Gunst verdrängt, nun heißt der Berufsstand Analysten. So kann man wenigstens gutes Geld mit Kaffeesatzlesen an den Börsen verdienen, wie man bei Welt Online nachlesen kann:

Anleger, die gegen den Strom schwammen und vor einem Jahr die bei Analysten Unliebtesten zehn Dax-Aktien orderten (…), können sich heute über eine Performance von 55,1 Prozent freuen, 14,1 Prozentpunkte mehr als der breite Markt.

Das ist doch mal ein interessanter Gedanke: Vergiss die Stars und kümmere dich um die Loser. Riskiere etwas und geh nicht auf Nummer sicher. Glaube – und zwar nicht einfach das, was die Mehrheit sagt. Und am Ende hast Du mehr erreicht. Die letzten werden die ersten sein – von wem war der Spruch nochmal?
🙂

Technorati Tags: ,

Share

Hunger in der Stadt (2)

Was lernt man nun aus so einer Geschichte? Wenn wir nicht auch in der Situation landen wollen, dass Gottes Reich irgendwo an- oder hereinbricht, und wir es zwar sehen, aber doch verpassen, dann fallen mir dazu wenigstens drei Anregungen ins Auge:

1. Auf die Propheten hören: Wirkliche Propheten sind vielleicht nicht immer die Leute, die irgendwelche blumigen Eingebungen haben und mit viel Pathos von sich geben. Auch nicht immer die mit den großspurigen Ankündigungen triumphaler Erfolge und rosiger Zeiten. Oft aber sind sie Unruhestifter, die den Status Quo in Frage stellen und unbequeme Ansichten haben. Vor allem, wenn es um Gerechtigkeit geht, können sie leicht aufmüpfig werden. Der Prophet steht für die Freiheit Gottes vom System – sei es ein kirchliches, oder ein staatliches, oder ein wirtschaftliches System. Sie verhindern, dass Gott vereinnahmt und vor irgend einen menschlichen Karren gespannt wird. Und sie setzen den Hoffnungslosen und Unterdrückten seltsame Flöhe ins Ohr. Ich habe neulich schon mal erzählt, wie ich Loren Cunningham drei Jahre vor dem Fall der Mauer davon reden hörte, dass die Trennung zwischen West und Ost beseitigt würde. Ich habe das damals nicht glauben können. Es gibt echte Propheten, und sie halten uns wach und lebendig.

2. Gott außerhalb der Stadt erwarten: Der Adjutant des Königs hat die Belagerungsmentalität – Druck von außen und Mangel im Innern – längst verinnerlicht. Nicht einmal eine himmlische Luftbrücke würde das Problem lösen, meint er. Und der König nutzt die Krise, um alte Rechnungen im Inneren zu begleichen, nämlich die mit dem notorischen Schwarzseher Elisa. Er demontiert sich in dieser Geschichte bis zur totalen Bedeutungslosigkeit, so wie George W. Bush 2005 angesichts des Hurrikans Katrina erstarrte und sein Ansehen schweren Schaden nahm.
Meine Jungs lieben die Serie Navy CIS, und da sagte Agent Gibbs letzte Woche: “Erwarte das Unerwartete”. Ein durchaus biblischer Rat. Aber dazu müssen wir den Blick nach außen richten – dort war Gott schon längst am Werk und veranlasste – völlig gewaltfrei – den Abzug der Aramäer (wer sagt denn immer, der Gott des AT sei blutrünstig?).
Ein äußerst problematischer Zug der Belagerungsmentalität kommt aber noch hinzu: Selbst wenn gute Nachrichten eintreffen, schlägt neben dem scheinbar nüchternen Rationalismus auch noch das Misstrauen zu Buche: Vielleicht ist diese Gelegenheit nur eine Falle? Wann immer Gott etwas Unerwartetes tut, gibt es Menschen, die darin den Teufel am Werk sehen – ob nun im wörtlichen oder im metaphorischen Sinn. Auch das war schon bei Jesus so und hat sich in allen Aufbrüchen der Kirchengeschichte fortgesetzt. Warum sollte es also heute anders sein?

3. Den Draht zu den Exoten und Underdogs halten: Die Unberührbaren machen die entscheidende Entdeckung und bringen die gute Botschaft. Wie oft im Verlauf der Geschichte kam das entscheidend Neue von Leuten, die am Rand der Geschichte standen: Aus Nazareth, aus der Wüste Nordafrikas und von den Klippen Irlands und Schottlands, aus Assisi oder aus Wittenberg – die Liste lässt sich beliebig erweitern. Wie oft standen geistliche Aufbrüche und soziale Innovationen in Verbindung mit den Armen? So hat das Christentum das römische Imperium besiegt. Wenn wir uns als Wohlstandschristen sozial und global isolieren, dann haben wir vielleicht nur wenig Anlass, mit Gottes Eingreifen zu rechnen (wozu auch – zur Unterhaltung?).

Vor einer Weile habe ich Shane Claiborne zitiert mit der Frage, wo denn die Armen bei uns sind (heute im Gottesdienst habe ich aus seinem Buch vorgelesen, wie sie eine Party mit Obdachlosen auf der Wall Street gefeiert und Geld scheinbar sinnlos und willkürlich verschenkt (und damit die Trennung zwischen Arm und Reich für einen folgenreichen Augenblick aufgehoben) haben. Je länger, je mehr wird mir die Verengung von Mission und Gemeindegründung auf soziologische Zielgruppensegmente suspekt. Natürlich sind das Realitäten, mit denen man rechnen muss. Aber darf man sich von ihnen bestimmen lassen, beziehungsweise hat das dann noch etwas mit Glauben zu tun?

Bestimmt kann man der Geschichte noch mehr gute Anstöße abgewinnen. Aber für heute sind diese drei vielleicht genug. Wer weiß, wo Gott uns als nächstes überrascht?

Technorati Tags: ,

Share

Hunger in der Stadt (1)

Die letzten Tage hat mich eine Geschichte aus dem Alten Testament beschäftigt: Im 2. Buch Könige (6-7) wird die Belagerung Samarias durch die Aramäer beschrieben – und eine überraschende Wende. Im Telegrammstil hört sich das dann so an:

In der Stadt bricht eine Hungersnot aus, erste Fälle von Kannibalismus werden bekannt. Der König fühlt sich von Gott verlassen und will – nachdem Gott nicht erreichbar ist – dem Propheten Elischa ans Leder. Der allerdings hat diesmal keine schlechten Nachrichten wie sonst immer, sondern erklärt, dass binnen eines Tages der Hunger vorbei sein wird.

Technorati Tags: , , ,


„Hunger in der Stadt (1)“ weiterlesen

Share