Homo Duplex

Jonathan Haidt erklärt in diesem TED-Video, dass Menschen eine Sehnsucht nach Selbsttranszendenz in sich tragen. Religion und Spiritualität, die Welt als ein verbundenes Ganzes, als etwas Heiliges sehen und empfinden zu können, gehört zu unserem Wesen als Menschen. Emile Durkheim sprach daher vom Homo Duplex, der nicht nur in der Welt der Dinge wohnt, sondern nach Tiefe (bzw. nach Höherem) sucht.

Nur hat – und da berühren sich seine Ausführungen z.B. mit den Thesen von Richard Rohr – unsere säkulare Gesellschaft mit ihrer linkszerebralen Reduktion der Wirklichkeitserfahrung dieses Bedürfnis vernachlässigt und bietet uns wenig Gelegenheiten, einen Zugang zur spirituellen Dimension des Lebens zu finden.


Zwischendurch kommt übrigens auch das Problem egozentrischer Trittbrettfahrer zur Sprache, das ich neulich bei Rodney Stark schon gefunden hatte. Theologen werden den (zumindest in der Kürze des Vortrags) etwas undifferenzierten Religionsbegriff sicher noch präzisieren wollen, aber das ist doch schon einmal ein ganz guter Ansatz für weiteres Nachdenken und Diskutieren. Wenn man „Selbsttranszendenz“ mit Glaube (im Sinne des vertrauensvollen Sich-Fallen-Lassens) und Liebe (sich selbst zugunsten anderer zurücknehmen) umschreibt, dann wäre die theologische Aufgabe, das in eine stimmige Beziehung zum Christusereignis zu setzen – also eine Art Schleiermacher reloaded :-)(Gefunden bei Michael Blume auf Natur des Glaubens)

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Todesmut und Lebensmut

Kürzlich las ich einen Satz, der Martin Luther King zugeschrieben wurde und sinngemäß lautete, wer nichts habe, wofür es sich zu sterben lohnte, der habe auch nichts, wofür er leben könne. Eine ebenso steile wie eingängige Wahrheit; und eine, die im Blick auf den, der sie äußerte, gewiss auch zutraf.

Im Alltag stehen die wenigsten von uns jedoch vor der Frage, wofür sie denn jederzeit sterben würden. Und dann kommen gelegentlich noch die Nachrichten von oft jugendlichen Selbstmordattentätern dazu, die zwar etwas haben, wofür sie sterben, aber offenbar wenig, wofür sie leben konnten.

Diese Assoziationen heben den positiven Sinn der Aussage nicht auf, zeigen aber an, dass nicht das Leben vom Tod her seinen Wert erhält, sondern der Tod vom Leben. Das scheint mir zumindest die christliche Position zu sein. Und die christliche Tradition weiß auch um den Vorbehalt Jesu gegenüber den Anflügen von Helden- und Todesmut seiner Nachfolger: Als es darauf ankam, verließ er den Petrus.

Was ist nicht alles über diese Verleugnungsszene gesagt und geschrieben worden. Statt nur das Versagen darin zu sehen, kann man auch auf den „Erfolg“ achten: Petrus hatte seine Mission noch nicht erfüllt – er hatte sie noch gar nicht richtig angetreten. Seine Lebensaufgabe lag noch vor ihm. Als sie beendet war, so die Tradition, war auch der Mut zum Sterben kein Problem.

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Abtrünnige

Vielleicht liegt es daran, dass ich mich zur Zeit mit mittelalterlicher Gnadenlehre beschäftige: Heute fiel mir ein Gespräch mit einem Bekannten ein. Es liegt schon länger zurück. Ich weiß nicht mehr, wie wir auf das Thema kamen, aber er war ziemlich verärgert über einen Pfarrer, der für sein Empfinden eine laxe Haltung zum Thema Ehe und Scheidung hatte. Sinngemäß sagte er damals: Unsereiner strengt sich an und hält durch, und der macht es sich leicht. Dabei sollte er doch ein Vorbild sein. Ich spürte: Der Mann war bei ihm wirklich „unten durch“.

Vermutlich kann man das auch im Blick auf andere Themen so empfinden: Einer hält die Regeln ein, der andere bricht sie – das fängt schoin im Straßenverkehr an. Die einen stehen zu einer Überzeugung, verteidigen einen Wert und lassen sich das etwas kosten, andere scheren aus dieser Solidarität aus – und man fühlt sich plötzlich noch mehr auf verlorenem Posten als zuvor. Und so wächst die Wut auf Streikbrecher, Fahnenflüchtige, Kollaborateure und Verräter an der guten Sache.

Lassen wir es mal dahingestellt sein, ob es tatsächlich eine leichtfertige Entscheidung war, die jener Pfarrer traf.Es ist in Ordnung, empört zu sein, wenn ein Mensch selbstsüchtig handelt, wenn jemand andere mutwillig gefährdet, verletzt oder im Stich lässt. Aber manchmal stehen wir vielleicht auch in der Gefahr, dass sich unsere Empörung nur vordergründig darauf bezieht und dahinter die eigene Sorge zum Vorschein kommt, etwas zu verpassen oder sich ausnutzen zu lassen.

Trotzdem: Ich hätte meinem Bekannten in dieser Situation die Gelassenheit gewünscht, dass sein persönlicher Weg gut und richtig ist. Dass seine Konsequenz und Prinzipientreue sich lohnt, dass er sich morgens mit Dankbarkeit statt Bedauern im Spiegel ansehen kann, dass er seinen Weg fröhlich und mit erhobenem Haupt geht. Und dass er nicht zu oft nach rechts und links schaut, sondern den anderen, der das (aus welchem Grund auch immer) nicht fertig brachte, mit Barmherzigkeit betrachtet. Und mir selber wünsche ich das auch.

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„Es steht geschrieben…“

Iain McGilchrist berichtet in The Master and His Emissary von einem interessanten Experiment. Probanden wurden mit einem falschen Syllogismus konfrontiert, zum Beispiel:

  • Grundprämisse: Alle Affen klettern auf Bäume.
  • Nebenprämisse: Das Stachelschwein ist ein Affe.
  • Folgerung: Stachelschweine klettern auf Bäume.

Normale Probanden erkennen den Fehler in der zweiten Annahme. Wurde aber während des Versuchs die rechte Hemisphäre des Gehirns deaktiviert, hielt dieselbe Versuchsperson den Schluss für korrekt. Auf die Frage des Versuchsleiters, ob das Stachelschwein denn tatsächlich ein Affe sei, antworteten die Probanden mit nein – das Stachelschwein sei kein Affe. Dennoch stimmten sie der Schlussfolgerung beim nächsten Mal, als sie mit ihr konfrontiert wurden, wieder zu. Als Begründung gaben sie an: „Das steht da so“. Hatte man umgekehrt bei derselben Testperson die linke Hemisphäre deaktiviert, erkannte die rechte den Fehler sofort.

Für McGilchrist zeigt das Experiment anschaulich, dass das formallogische Denken die Tendenz hat, sich zu verselbständigen und den Bezug zur konkreten Wirklichkeitserfahrung zu verlieren. Es bildet ein geschlossenes System von Zeichen, das nur im Blick auf sich selbst stimmig ist, aber nicht mehr mit Außenwelt und deren Erfahrung richtig eingehen kann.

Man kann mit jedem Text auf der Welt so verfahren. Ab und zu freilich begegnet mir das – sicher berufsbedingt – auch mit Bibellesern. Es gibt eine Art, die Bibel zu lesen, die im Wesentlichen selbstreferenziell funktioniert. Wahr ist, was dort geschrieben steht und zwar einzig und allein, weil es dort geschrieben steht, vermeintlich so und nur so. Wer so tickt, entdeckt meist auch in der Bibel selbst nichts Neues mehr, sondern erkennt, was er schon weiß, und was er (aufgrund seiner Vorprägung) dort zu finden erwartet.

Wenn die Realität sich nun diesen Prämissen nicht fügt, was früher oder später fast immer wieder einmal der Fall ist, wird weder das eigene Vorverständnis noch die generelle Gültigkeit einer bestimmten biblischen Aussage für diesen Fall in Frage gestellt, sondern die Erfahrung als Irrtum zurückgewiesen beziehungsweise schlicht ignoriert. Denn „absolut“ sind unsere Wahrheiten häufig nur so lange, wie sie auf keine irritierende, vieldeutige Erfahrung treffen. Weil aber dieses „Wissen“ immer weniger durch Erfahrung geerdet ist, kann man es anderen auch nur in einer Art „Friß-oder-Stirb“-Manier aufs Auge drücken. Gott zu erkennen funktioniert dann nur, indem man die Augen vor der Welt und ihren Widersprüchen verschließt. Freilich ist das selten im positiven Sinne naives „Gottvertrauen“, als das diese Haltung immer wieder gern hingestellt wird, oft geht es dabei da mehr ums Recht haben oder die Bestätigung der eigenen Prämissen – die nämlich auch nach einem Dreisatz funktionieren: Die Bibel ist Gottes Wort – Gott ist allwissend und wahrhaftig – alles, was in der Bibel steht, ist absolut wahr. Dazu gesellt sich dann oft noch die etwas zwanghafte, angsterzeugende Schlussfolgerung: Wer die Bibel kritisch liest (und zwar ganz egal welche Aussage er im einzelnen hinterfragt!), misstraut Gott und macht sich zum Richter über ihn – der Urimpuls des Sündenfalls quasi. Und mit dem Einsetzen der Angst erstarrt die Fähigkeit, in der Bibel ein lebendiges Buch zu sehen und mit ihr in all ihren Schärfen und Unschärfen lebendig auseinanderzusetzen.

Freilich hat man denselben Fehler auch umgekehrt gemacht und viele biblische Inhalte zu bloßen „Fabeln“ erklärt, weil sie sich einem reduktionistischen Rationalismus widersetzten und dessen materialistische und szientistische Grundannahmen erschüttern, wie ein Blick auf die plumpe „Wunderkritik“ im 18. und 19. Jahrhundert zeigt, deren Vertreter meinten, das mechanische Uhrwerk des Newton’schen Universums sei die einzig gültige Realität. Richard Rohr würde das eine wie das andere als „dualistisches Denken“ bezeichnen.

Wer also die Bibel (und alles andere) mit eingeschalteter rechter Hirnhälfte und mit wachem Geist liest – potenziell sind das wir alle – der findet in ihr immer wieder Sätze und Erfahrungen, die ihn einen neuen Blick auf die Welt und das Leben, also auch neue, unerwartete Erfahrungen ermöglichen. Er findet Horizonterweiterungen statt Scheuklappen, sieht genauer hin statt die Augen zu verschließen, und erliegt nicht dem Irrtum, dass man nur durch den Rückzug auf den Buchstaben der Schrift schon gegen Irrtümer abgesichert wäre. Und plötzlich erkennt man Gottes Handschrift in den alltäglichen und natürlichen Dingen, in den Worten und Gedanken anderer Menschen und sogar in eigenen Erlebnissen und Einsichten. Das stelle ich mir unter Weisheit und einem gesunden, nichtdualen kritischen Bewusstsein vor.

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Schweigen und Schauen

Es ist einer unter vielen Berichten dieser Art: Der Zeit-Journalist Wolf Alexander Hanisch zieht sich in ein Kloster zurück, diesmal nicht La Grande Chartreuse, wo Die große Stille aufgenommen wurde, sondern Santa Maria de Poblet in Spanien. Und dort macht er Erfahrungen wie viele andere, die vor ihm die Stille gesucht und einen neuen Kontakt zur Wirklichkeit darin gefunden haben.

Wie er das erlebt, ist trotzdem schön zu lesen. Hier zwei kurze Auszüge:

Das Schweigen, erklärt Prior Lluc, diene jedoch allein dazu, Gott schauen und hören zu können. […]

Spätestens nach vier Tagen merke ich, wie das Routinekorsett meine Gedanken weiter ausschwingen lässt. Wie es mich von den taktischen Wahrheiten des Alltags weglenkt und zum Wesen der Dinge führt. Es sind Momente von distanzloser Klarheit.

In der Abwesenheit von Streulicht beginnt man anders und besser zu sehen. Und so schließt Hanisch mit einer bildhaften Aussage, die unsere Alltagswelt eher pessimistisch darstellt:

Ich starre ins Sternengefunkel und denke an einen bekannten Witz. Ein Mann sucht einen Schlüssel im Laternenschein. Ein zweiter hilft ihm eine Zeit lang und fragt dann, ob er den Schlüssel auch wirklich hier verloren habe. Nein, entgegnet der erste, verloren habe er ihn woanders. Aber hier sei besseres Licht. So kommt mir nun der Mensch dort draußen vor, wo in der Ferne die Windräder blinken. Er sucht sein Glück im Hellen. Doch zu finden gibt es da nichts. Der Schlüssel liegt im Dunkeln.

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Zurück treten

Es hilft dann und wann zurückzutreten und die Dinge aus der Entfernung zu betrachten.

Das Reich Gottes ist nicht nur jenseits unserer Bemühungen. Es ist auch jenseits unseres Sehvermögens.

Wir vollbringen in unserer Lebenszeit lediglich einen winzigen Bruchteil jenes großartigen Unternehmens, das Gottes Werk ist.

Nichts, was wir tun, ist vollkommen.

Dies ist eine andere Weise zu sagen, dass das Reich Gottes über uns hinausgeht.

Kein Vortrag sagt alles, was gesagt werden könnte. Kein Gebet drückt vollständig unseren Glauben aus. Kein Programm führt die Sendung der Kirche zu Ende. Keine Zielsetzung beinhaltet alles und jedes.

Dies ist unsere Situation.

Wir bringen das Saatgut in die Erde, das eines Tages aufbrechen und wachsen wird.

Wir begießen die Keime, die schon gepflanzt sind in der Gewissheit, dass sie eine weitere Verheißung in sich bergen.

Wir bauen Fundamente, die auf weiteren Ausbau angelegt sind.

Wir können nicht alles tun. Es ist ein befreiendes Gefühl, wenn uns dies zu Bewusstsein kommt.

Es macht uns fähig, etwas zu tun und es sehr gut zu tun.

Es mag unvollkommen sein, aber es ist ein Beginn, ein Schritt auf dem Weg, eine Gelegenheit für Gottes Gnade, ins Spiel zu kommen und den Rest zu tun.

Wir mögen nie das Endergebnis zu sehen bekommen, doch das ist der Unterschied zwischen Baumeister und Arbeiter.

Wir sind Arbeiter, keine Baumeister. Wir sind Diener, keine Erlöser.

Wir sind Propheten einer Zukunft, die uns nicht allein gehört.

Oscar A. Romero, † 1980 (via MinEmergent, deutsch hier gefunden)

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Entfesselte Worte

Fulbert Steffensky kommentiert kritisch die gelegentlich vorgetragene These, das apostolische Glaubensbekenntnis sei doch eigentlich überholt und klinge befremdlich für heutige Menschen. Dabei vermeidet er es aber, in den starren Traditionalismus zu verfallen, der sich an Formeln klammert und den Protest möglicherweise überhaupt erst ausgelöst hat. Diese Bekenntnisse sind nicht die einzig wahre Art, den eigenen Glauben zu bekennen, aber sie bewahren uns auch davor, die eigene Formulierung der Wahrheit für die einzige wahre zu halten:

Die Glaubensaussagen verlieren immer da ihre Kraft, wo sie als objektive verstanden werden, zu allen Zeiten und von jedem zu machen, unüberhörbar und unberührt von den Zeitläufen und den Schicksalen ihrer Bekenner. Religiöse Sprache ist, wo sie den Namen verdient, eine poetische Sprache, das heißt, dass sie nicht zu hören ist abgelöst von den Sprechenden, von ihren Tränen und von ihrem Jubel. Sie ist gerade keine Einheitssprache, die zu allen Zeiten zwischen Tokio und Lima gilt. Sie ist Auslegung, nicht nur Rezitation eines immer schon Gesagten. Das heißt nicht, dass sie die willkürliche Expression der Gemütslagen von unverbundenen Individuen ist. Wir haben Texte und Traditionen, die unsere Auslegung richten, sie aber nicht beherrschen. […]

Wir sind nicht in die Korrektheit des Glaubensbekenntnisses gefesselt, das ist wahr. Aber wir sind auch nicht in die Kärglichkeit unserer eigenen Sprache gefesselt, wenn wir in die Sprache der Toten fliehen. Wir sind Gast in fremden Zelten, Gäste von großen Lebensbildern. Wir sind humorvolle Gäste, die wissen, dass sie in dieser Sprache nicht ganz zu Hause sind.

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Wenn Worte meine Sprache wären…

Ich habe neulich schon ein paar Leserinnen mit einem Nietzsche-Zitat darüber schockiert, wie Worte „das Ungemeine gemein machen“ können, und (wie mir gesagt wurde, ich konnte es nicht nachprüfen) etliche negative Bewertungen auf Jesus.de gesammelt. Freilich ist es paradox, den banalisierenden Effekt vielen Redens mit Worten zu beschreiben. Trotzdem – legen wir doch noch eine Schippe drauf mit den folgenden Worten von Thomas Merton zum gleichen Thema (und liebe Jesus.de Freaks, ab jetzt lest Ihr auf eigene Gefahr weiter, also bitte beklagt Euch nicht hinterher…):

Wir setzen Worte zwischen uns und die Dinge. Selbst Gott ist zu einem weiteren unwirklichen Konzept im Niemandsland der Sprache geworden, die nicht mehr als ein Mittel der Verbundenheit mit der Wirklichkeit dient.

Das Leben in der Stille, das Schweigen, beseitigt die Vernebelung durch Worte, die der Mensch zwischen sich und die Dinge gebracht hat. In der Stille begegnen wir dem nackten Wesen der Dinge von Angesicht zu Angesicht. Und doch merken wir, dass die Nacktheit der Wirklichkeit, vor der wir uns gefürchtet hatten, weder eine Sache des Schreckens noch der Scham ist. Sie ist in die freundliche Gemeinschaft des Schweigens gekleidet, und dieses Schweigen ist Liebe. Die Welt, die unsere Worte zu klassifizieren, zu beherrschen und sogar zu verachten suchten (weil sie sie nicht fassen konnten), kommt uns nahe, denn die Stille lehrt uns, die Wirklichkeit zu kennen, indem wir sie achten, wo Worte sie beschmutzt haben. (hier gefunden)

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Ein kostspieliges Ja

Brian McLaren schriebt in Naked Spirituality, dass Evangelikale den Wert des Commitment (Zusage, Bindung, Verpflichtung, Hingabe) schon immer verstanden haben. Man ist vielleicht von Geburt aus blond, oder deutsch, oder auch Linkshänder.

Die Beziehung zu Gott ähnelt jedoch mehr einer Ehe: sie erfordert ein bewusstes Ja – ein erstmaliges, das dann zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten bekräftigt werden möchte. Manche dieser Situationen und Augenblicke sind alles andere als einfach:

Am meisten zählt unser Ja, wenn wir ungerechte Behandlung statt Lob erfahren für unsere Mühen. Deshalb ist das Thema des Leidens für gute Taten so zentral in allen unseren spirituellen Traditionen.

Ja zu sagen zum Tun des Guten und dann ignoriert zu werden, Ja zu sagen zum Tun des Richtigen und dann missverstanden und kritisiert zu werden, Ja zu sagen zum Handeln aus Liebe und dann geschmäht und sogar gekreuzigt zu werden – das ist das Terrain, auf das wir eines Tages alle eingeladen werden.

Das ist das Ja des nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.

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Wasser und Geist

Im Gottesdienst heute hatten wir zwei Taufen und ich wurde wieder an Johannes 3 erinnert, wo Jesus vom neugeboren werden aus Wasser und Geist spricht. Dass der Geist für uns nicht zu fassen ist, verdeutlicht der folgende Vergleich mit dem Wind. Wasser wirkt etwas konkreter, aber wie ist das wohl gemeint?

Vielleicht kommt man dem so auf die Spur: Das Wasser Leben spendet, daran erinnert schon die Überlieferung, dass im Garten Eden vier Flüsse entspringen. Flüsse verbinden Menschen: Sie sind Wasserwege, auf denen Menschen reisen, Güter transportiert werden, an deren Ufern Landwirtschaft betrieben wird. Manchmal sind sie die Nahtstellen zwischen Ländern und Kulturen. Und auch die Geschichte ist wie ein großer Strom, der sich aus vielen Nebenflüssen speist. Insofern steht Wasser für Leben, Verbindung und Kontinuität.

Zugleich begegnet uns Wasser oft an den Wendepunkten biblischer Geschichte, wo ein Kapitel geschlossen und ein neues aufgeschlagen wird. Ansatzweise bei Noah, wo Gott, freilich mit bescheidenem Erfolg, den urgeschichtlichen Spülknopf drückt (und fortan die Strategie eines Hardware-Reset verwirft; denn als später Jona, selbst nur durch ein Wunder dem Wasser entronnen, auf den finalen Schlag gegen Ninive spekuliert, verrät Gott zartfühlend, dass ihm sogar die Tiere dort leid tun).

Wichtiger dann beim Auszug der Israeliten aus Ägypten und beim Einzug ins verheißene Land. Und nachdem dieses Kapitel 587 zu Ende ist, als die Verbannten trauernd an den Strömen Babels sitzen (Ps 137,1), hat Ezechiel schließlich die Vision eines neuen Paradiesflusses, der aus dem Tempel strömt: Ein Umbruch deutet sich an, der neue und dauerhafte Kontinuität verheißt.

Beides dürfte in der Taufe des Johannes eine Rolle spielen: Die Erwartung des nahen Umbruchs, wenn Gottes Herrschaft in der Welt anbricht, und der Horizont der neuen Schöpfung, in der alle lebensfeindlichen Kräfte überwunden sind.

Wiedergeboren werden „aus Wasser“ bedeutet, so betrachtet, in diesen Fluss des Lebens einzutauchen und sich von ihm kontinuierlich in die Weite tragen zu lassen. Und zugleich wird es uns geschenkt, ein Leben in eben jenem Umbruch von der alten zur neuen Welt zu führen, der im Tod und der Auferstehung Jesu eingesetzt hat. Von alter Schwere und Trägheit befreit hineinzuleben in eine Welt, die bunter und schöner und vielfältiger sein wird, als sie es heute ist.

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Am Anfang war der Gesang

Tolkien könnte mit seinem Kunstmythos, dass die Welt aus dem Gesang der Ainur entstand. gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt gewesen sein, zumindest nicht von der Art, wie Menschen ihre gemeinsame Welt erschaffen. Iain McGilchrist hat gute Argumente dafür gefunden, dass vor der Sprache die Musik, vor der Rede der Gesang war.

Man schätzt, dass Sprache als Symbolsystem im heutigen Sinne mit Silben, Wörtern und Grammatik etwa 40.000 bis 80.000 Jahre alt ist, so alt sind die ältesten Bilder und Skulpturen, die man ausgegraben hat und die auf demselben Prinzip der Repräsentation beruhen. Wesentlich älter muss das Vermögen von Menschen sein, komplexe Laute zu erzeugen, indem die Stimmbänder moduliert und die Atmung auf die komplexen Erfordernisse längerer Lautsequenzen eingestellt wurde. Bei den Vorfahren des Homo Sapiens jedenfalls waren die Nervenkanäle zum Brustkorb und Kehlkopf deutlich größer als die heutiger Primaten. Daher gelingt es trotz vieler Versuche nicht, Affen das Sprechen beizubringen, während Vögel singen und zum Teil menschliche Stimmen imitieren können, und Wale und Delphine auch für unsere Verhältnisse „musikalisch“ kommunizieren.

Das Ganze spiegelt sich in der Entwicklung des einzelnen wider. Kinder können singen, bevor sie sprechen: Sie modulieren Töne, imitieren und verstehen Rhythmen und Phrasierungen – und sie kommunizieren darüber. Während wir mit Worten über irgendetwas reden können, spricht Musik uns an. Und Sprache ohne Tonalität, wie die Blechstimmen von Navigationsgeräten, ist ein merkwürdig beschränktes Medium. Bei schriftlicher Kommunikation schließlich ist noch mehr Sorgfalt nötig, um den richtigen „Ton“ zu treffen. Anders gesagt: Prosodie kann viele „semantische Ambiguitäten“ auflösen. In jedem Fall ist sie körpernäher und gehört zu den 90% menschlicher Kommunikation, die nicht aus Worten bestehen. Es spricht wohl auch Etliches dafür, dass Poesie – gesungene Dichtung in der Regel – älter ist als Prosa. Schließlich kann man auch noch mit vielen Worten viel besser lügen und täuschen als mit Gesten, Mimik und Intonation.

Von da aus weiter gedacht: Ein wort- und vernunftlastiges (und weitgehend körperloses) Christentum, wie es unter Protestanten die Norm ist, tut vielleicht gut daran, den Wert von Musik und Gesang nicht nur zur ästhetischen Umrahmung theologischer Aussagen, sondern als eigene und sinnvolle Form der Kommunikation neu zu entdecken (das geschieht ja auch an vielen Stellen). Die Lieder (Taize macht das gut vor, einige Lobpreislieder ganz passabel nach) brauchen auch nicht immer unglaublich bedeutungsschwangere Texte zu haben. Wobei ich als Textfreak hinzufügen würde: doof müssen sie deshalb auch nicht sein. Aber das resultiert ja eher aus einem Hang zu geschwätzigen Plattitüden und unbesehenem Gebrauch von vorgestanzten Textbausteinen.

Das Ganze wirft auch ein interessantes Licht auf die oft irritiert wirkenden Kommentare, mit denen das Thema Glossolalie in der kirchlich-theologischen Literatur normalerweise abgefertigt wird. Denn auch dort geht es neben dem Reden in einer Art unverständlichen „Babysprache“ (als „ganzheitlichem Sprachgeschehen“) häufig um das Singen. Das liefert vielleicht keine „verwertbaren“ Aussagen über Gott, aber es spricht Menschen immer wieder tief an.

In Frage steht auch die moderne Unterscheidung zwischen Musikproduzenten und -konsumenten, die sich ebenfalls bis in die Kirchen hinein etabliert hat. Mehr oder weniger professionelle Solisten und Ensembles „bieten“ den tendenziell passiven Gottesdienstbesuchern einen Ohrenschmaus (oder berieseln einzelne als Konserve), während in vielen ursprünglichen Kulturen alle gemeinsam singen und tanzen, und das nicht nur zu einigen wenigen Anlässen, sondern bei allem, was das Leben ausmacht. McGilchrist spricht von einer integralen und integrativen Rolle der Musik in diesen Gesellschaften.

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Entschlossen Auftreten

In Lukas 10,19 steht ein steiler, kämpferischer Satz Jesu an seine Jünger, an dem ich neulich hängen geblieben bin:

Seht, ich habe euch die Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten und die ganze Macht des Feindes zu überwinden. Nichts wird euch schaden können.

Angesichts der Tatsache, dass die Jünger barfuß unterwegs waren, hat die Aussage erst einmal auch eine ganz wörtliche Komponente. Sie stimmt aber auch darauf ein, dass neben dem Interesse und Desinteresse, von dem bis dahin die Rede war, auch heftiger Widerstand zu erwarten ist.

Selbst wenn das Evangelium barfuß und unbewaffnet daherkommt, ist es eine Botschaft, die an bestehenden Machtverhältnissen rüttelt und deren Legitimität in Frage stellt. Und wenn plötzlich ganz einfache Landmenschen davon reden, dass Gottes Reich unter ihnen Fuß gefasst hat, dann kann es auch mit der Untertanenmentalität schnell zu Ende gehen. Aber es geht noch weiter, es geht insgesamt um Ohnmachtserfahrungen, die zerstörerisch wirken, sagt Michael Welker in seiner Interpretation des Begriffs „dämonisch“:

Dämonisches Wirken führt Situationen herbei, in denen wir uns zu völliger Hilflosigkeit verdammt sehen, wo Geduld nichts nützt und die Zeit nichts heilt. Beschwichtigungs- und Ermutigungsfloskeln bleiben uns im Halse stecken. Ohnmachtsempfinden, Apathie und Ausbrüche von Angst und Verzweiflung wechseln einander ab. Durch dämonische Mächte werden Situationen herbeigeführt, die wir im Rückblick “hoffnungslos” oder “tragisch” nennen, die wir erleichtert durch den Tod abgelöst sehen oder die wir verdrängen, weil es unerträglich ist, in der Gegenwart des Grauens und der Grausamkeit zu leben. (M. Welker, Gottes Geist, S.204)

So gesehen kann man im Treten auf „Schlangen und Skorpione“ keine Anleitung für hemdsärmlig-fromme Ghostbusters, sondern eher so etwas wie Zivilcourage erkennen: Klar gehört dazu auch, klug wie Schlangen und ohne Falsch wie Tauben zu sein, aber auch unerschrocken gegenüber den ausgesprochenen (und unausgesprochenen) Drohungen, und unbefangen, wenn mal wieder der Eindruck vorherrscht, gegen irgendein Übel sei halt kein Kraut gewachsen. Ob das nun die Suche nach Frieden und Versöhnung zwischen zerstrittenen Konfliktparteien ist, ob es um kollektive Betriebsblindheiten geht, überbordende Gier oder zynische Machtspielchen – wer an das nahe Reich Gottes glaubt, muss sich mit dem Status Quo nicht schweigend arrangieren. Er darf – sollte! – entschlossen auftreten, egal welches Gift ihm unter die Füße kommt.

(PS: Am Ende heißt es: „Nichts wird euch schaden können“. Wie auch immer das zu verstehen ist, leider bedeutet es offenbar nicht, dass Christen garantiert nichts zustößt, wie aktuell der Blick nach Afrika wieder deutlich macht)

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Alles von vorn?

Die Düsternis am Ende des Jahres hat Sybille Berg auf Spiegel Online ganz treffend eingefangen. Wo von Weihnachten nicht mehr übrig geblieben ist als Zimtgeruch, dann kann man sich dieser Stimmung wirklich nur schwer entziehen:

Das ist diese Festzeit, die Jahresendzeit, wo die Welt starr ist vor Angst, weil wieder alles vorbei ist, sich nichts geändert hat. So sitzen sie in ihren Wohnungen, die dunklen Höhlen gleichen, nach Nahrung riechen, nach Zimtzeug riechen, alles riecht wie eine schwere Wolke aus Mensch und Trägheit, weht nicht mal, steht in den Höhlen, und draußen ist alles tot. Draußen ist nichts, außer Stillstand und dem Warten, dass diese furchtbare Zeit vorübergehen möge, und alles von vorne beginnt.

Sie geht der Frage nach, ob eine neue Liebe das Leben verändern könnte. Und verneint sie. Hat der ganze Weihnachtsrummel das schon so verdeckt, dass sich tatsächlich eine neue Liebe finden ließe, die auch gar nicht in direkter Konkurrenz zum jetzigen Partner steht? Dass man tatsächlich von vorn anfangen kann, ohne am ebenso trüben Ende des nächsten Jahres, vom Stillstand erdrückt unbedingt wieder alles auf Null setzen zu wollen?

Ein Charakteristikum biblischen Glaubens ist, dass er sich vom „ewigen Rad“ der Geschichte gelöst hat und es tatsächlich wagt, Hoffnung auf eine bessere Welt und ein erfülltes Leben zu verbreiten. Hier ist noch einmal einer der alten Verheißungen (Jesaja 60,1-6) für die äußerlich dunkelsten Tage des Jahres. Frohe Weihnachten an alle, die es lesen!

Auf, werde licht denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des Herrn geht leuchtend auf über dir.

Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker,

doch über dir geht leuchtend der Herr auf, seine Herrlichkeit erscheint über dir.

Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz.

Blick auf und schau umher: Sie alle versammeln sich und kommen zu dir.

Deine Söhne kommen von fern, deine Töchter trägt man auf den Armen herbei.

Du wirst es sehen und du wirst strahlen, dein Herz bebt vor Freude und öffnet sich weit.

Denn der Reichtum des Meeres strömt dir zu, die Schätze der Völker kommen zu dir.

Zahllose Kamele bedecken dein Land, Dromedare aus Midian und Efa.

Alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold und verkünden die ruhmreichen Taten des Herrn.

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