Wenn Worte meine Sprache wären…

Ich habe neulich schon ein paar Leserinnen mit einem Nietzsche-Zitat darüber schockiert, wie Worte „das Ungemeine gemein machen“ können, und (wie mir gesagt wurde, ich konnte es nicht nachprüfen) etliche negative Bewertungen auf Jesus.de gesammelt. Freilich ist es paradox, den banalisierenden Effekt vielen Redens mit Worten zu beschreiben. Trotzdem – legen wir doch noch eine Schippe drauf mit den folgenden Worten von Thomas Merton zum gleichen Thema (und liebe Jesus.de Freaks, ab jetzt lest Ihr auf eigene Gefahr weiter, also bitte beklagt Euch nicht hinterher…):

Wir setzen Worte zwischen uns und die Dinge. Selbst Gott ist zu einem weiteren unwirklichen Konzept im Niemandsland der Sprache geworden, die nicht mehr als ein Mittel der Verbundenheit mit der Wirklichkeit dient.

Das Leben in der Stille, das Schweigen, beseitigt die Vernebelung durch Worte, die der Mensch zwischen sich und die Dinge gebracht hat. In der Stille begegnen wir dem nackten Wesen der Dinge von Angesicht zu Angesicht. Und doch merken wir, dass die Nacktheit der Wirklichkeit, vor der wir uns gefürchtet hatten, weder eine Sache des Schreckens noch der Scham ist. Sie ist in die freundliche Gemeinschaft des Schweigens gekleidet, und dieses Schweigen ist Liebe. Die Welt, die unsere Worte zu klassifizieren, zu beherrschen und sogar zu verachten suchten (weil sie sie nicht fassen konnten), kommt uns nahe, denn die Stille lehrt uns, die Wirklichkeit zu kennen, indem wir sie achten, wo Worte sie beschmutzt haben. (hier gefunden)

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11 Antworten auf „Wenn Worte meine Sprache wären…“

  1. Hmmm, sehr idealisierte Beschreibung. Das mag ja für freiwillig auferlegte Stille gelten. Aber was ist mit der erzwungenen? Warum drehen Leute in Isolationshaft oftmals durch? Weil sie den Blick auf das „nackte Wesen der Dinge“ nicht auf Dauer ertragen können? Vielleicht, weil wir Menschen mit der Gabe der Kommunikation und einem entsprechenden Bedürfnis geschaffen wurden? Stille kann hilfreich sein, wo das Leben zu laut geworden ist. Aber sie kann auch Strafe sein und desktruktiv. Wohin Funk-Stille z.B. in einer Beziehung führt, haben viele schon schmerzhaft erleben müssen… Oftmals (und vermutlich überwiegend) zeigt Schweigen nämlich gerade keine Liebe.

    1. @Simon II: Davon können wir, denke ich, ausgehen, dass Merton als Mönch von keiner „erzwungenen“ Stille redet. Allerdings kann die freiwillige Stille auch dazu dienen, die Wunden des Rückzugs oder Ausschlusses (so würde ich das lieber nennen, was Du beschreibst) zu heilen. Ging mir jedenfalls so…

  2. Nach der Stille, wenn wir uns vom AUSRUHEN ausgeruht, uns für Monate alles ausreichend betrachtet, alles ausreichend angeschwiegen und uns vom Rest der Welt vollständig zurückgezogen haben, kommen wir vielleicht zu dem Schluss, dass Gott einen Grund gehabt haben muss, dem Menschen eine Stimme zu geben und als Draufgabe den Willen diese Stimme mit „eigenen“ Worten zu füttern. Er tat das mit dem Wissen, dass das was durch unsere Worte entsteht nicht vollkommen ist. Dauerhaft ohne Worte, ohne Kommunikation, lediglich ein stummer Betrachter, stummer Analyst, oder schlimmstenfalls einzig geschaffen und geduldet als stummer, kritikloser Bewunderer – das wird einseitig.
    Das fände Gott vielleicht auch nicht so schick. Er will uns in unserer Unvollkommenheit, in unserer Echtheit und Ehrlichkeit. So weit ich ihn kennengelernt hab, kann ER damit gut umgehen. Er hat uns so geschaffen. Er macht keine Fehler … .

    Anders: Wenn die Art der Fortbewegung eines Behinderten nicht so elegant ausschauen mag so bewegt er sich trotzdem fort und dies hat seine Berechtigung.

  3. Ich hatte das Zitat nicht als Kritik an der Sprache an sich oder gar der Kommunikation gelesen. Zur Kommunikation gehören ja noch viele andere Möglichkeiten, welche vollkommen unabhängig von Sprache sind. Da wären z.B. die Geste oder das gelebte Beispiel….
    Für die Kommunikation von Gefühle ist m.E. nach die Sprache sogar eine echte Krücke. Da ist die Melodie eines Liedes viel wichtiger als der Text und die Tat wichtiger als Worte.
    Weniger Worte machen dann den Blick auf solche Dinge frei.

  4. O.K..
    Ich schrieb unvollständig. Zur Stille hin führt ein Weg. Die Sehnsucht nach Stille und der Genuss von Stille und Einsamkeit entsteht durch Leben vor der Stille.

    Wenn vor der Stille und Rückzug, der Glaube, die Gesten und das (Vorl-)Leben stehen. Wenn Melodien aber keine Rolle spielen und deshalb keine Wirkung haben und man selbst dabei die Freude an der Melodie verliert.

    Wenn Gesten, Gesang, pures Leben nichts gebracht haben, GEHT DAS LEBEN ABER TROTZDEM WEITER. Es mündet in die Zeit der Sille. Danach wird es die Zeit nach der Stille geben bevor sich eine neue Stille ankündigt und gelebt werden will … .

    Ich wollte mit dem Geschriebenen u.a. auch ausdrücken, dass es Zeiten vor und nach Stille gibt. Hatte ich wohl nicht so geschafft – eher das „danach“ betont.

  5. Ich bin nicht einmal sicher, ob Merton einen Gegensatz von Stille und Sprache aufmacht. Jedenfalls sind Schweigen und Kommunikation für ihn kein Widerspruch. Dazu fällt mir ein schöner Beitrag aus dem Bereich der Popkultur ein – auch wenn er sich nicht nahtlos in das Thema einfügt, denn das Schweigen ist hier zunächst nicht positiv besetzt, sondern mahnt an einen eventuell bevorstehenden Verlust. In der „Theme Time Radio Hour“ über „Nothing“ las der Moderator, Bob Dylan, die Mail eines gewissen Bill Shield vor, der klagte, dass – ich zitiere http://sz-magazin.sueddeutsche.de/blogs/musikblog/54/wie-bob-dylan-im-radio-eine-stunde-lang-nichts-gesagt-hat/ – „er und seine Frau sich ständig streiten würden. Die Eheberatung sei erfolglos gewesen – ob Dylan vielleicht einen Rat hätte? Na klar, hatte er. ‚Here is what you do. You and your wife sit in a room. Just look at each other, and nobody says nothing. Just keep quiet. Eventually you’re gonna wanna talk. Don’t! This is where most people make their mistake. The frustration works its way to the surface and whatever you say will just make the other person angry. Keep quiet a while longer. Look at the other person. Remember why you were with them. Finally, you’ll know it’s time to talk – when you remember how much you’ve missed them. The silence you hear is what your life would be like without them. Sometimes it’s important to just take the time to remind yourself why the other person is there. I guarantee it’ll work.”‘

    Und weil man sich bei Bob Dylan gern mal darüber streitet, ob er nun nach wie vor bekehrt ist oder nicht mehr oder ob er gar inzwischen katholisch ist oder wieder jüdisch oder ob er einfach aufgehört hat, darüber zu reden und wenn dann höchstens in rätselhaften Andeutungen, eignet er sich hervorragend zum Gegenstand lebhafter Diskussionen auf Jesus.de.

  6. 🙂

    Kenne Dylan nicht so gut. (Kenne mich oft auch nicht … .)
    Gott scheint Dylan zu kennen.
    ER hat ihm Weisheit geschenkt … .

    Es ist urig, dass man kürzlich einer Frau kurz vor der Trennung vom Ehemann den Ratschlag erteilt hat den von ihr ersehnten Abstand erst einmal OHNE endgültige Trennung für ein Jahr zu schaffen, die ehelichen Rechtsgeschäfte auf eine Vertrauensperson zu übertragen und während dieses Jahres auf keinen Fall mit dem Partner zu kommunizieren um nach diesem Jahr überhaupt reflektieren zu können, ob der Grund für die innere Rebellion in der Partnerschaft begründet lag oder ob eine verschüttete, nicht wahrgenommene Wunde in sich selbst noch von Gott geheilt werden muss .

    K.

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