Entfesselte Worte

Fulbert Steffensky kommentiert kritisch die gelegentlich vorgetragene These, das apostolische Glaubensbekenntnis sei doch eigentlich überholt und klinge befremdlich für heutige Menschen. Dabei vermeidet er es aber, in den starren Traditionalismus zu verfallen, der sich an Formeln klammert und den Protest möglicherweise überhaupt erst ausgelöst hat. Diese Bekenntnisse sind nicht die einzig wahre Art, den eigenen Glauben zu bekennen, aber sie bewahren uns auch davor, die eigene Formulierung der Wahrheit für die einzige wahre zu halten:

Die Glaubensaussagen verlieren immer da ihre Kraft, wo sie als objektive verstanden werden, zu allen Zeiten und von jedem zu machen, unüberhörbar und unberührt von den Zeitläufen und den Schicksalen ihrer Bekenner. Religiöse Sprache ist, wo sie den Namen verdient, eine poetische Sprache, das heißt, dass sie nicht zu hören ist abgelöst von den Sprechenden, von ihren Tränen und von ihrem Jubel. Sie ist gerade keine Einheitssprache, die zu allen Zeiten zwischen Tokio und Lima gilt. Sie ist Auslegung, nicht nur Rezitation eines immer schon Gesagten. Das heißt nicht, dass sie die willkürliche Expression der Gemütslagen von unverbundenen Individuen ist. Wir haben Texte und Traditionen, die unsere Auslegung richten, sie aber nicht beherrschen. […]

Wir sind nicht in die Korrektheit des Glaubensbekenntnisses gefesselt, das ist wahr. Aber wir sind auch nicht in die Kärglichkeit unserer eigenen Sprache gefesselt, wenn wir in die Sprache der Toten fliehen. Wir sind Gast in fremden Zelten, Gäste von großen Lebensbildern. Wir sind humorvolle Gäste, die wissen, dass sie in dieser Sprache nicht ganz zu Hause sind.

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3 Antworten auf „Entfesselte Worte“

  1. Spontan erinnert mich das an einen Abschnitt aus Rudolf Bohrens „Predigtlehre“: Zungenrede hat deswegen ihren Sinn, weil sie das Gefängnis unserer begrenzten Sprache sprengt …

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