Hoffnungsloses Ballern

Mein Gedanken gehen immer noch zurück zum Predigttext vom vorletzten Sonntag. Paulus drängt seine Leser in Rom, auf Rache und Vergeltung in jeglicher Form zu verzichten.

Viele Konflikte folgen der Logik, dass erlittenes Unrecht Vergeltung rechtfertigt und dass gewaltsame Gegenwehr dann als moralisch zulässig oder sogar richtig und „gut“ zu bewerten ist. In Römer 12 dagegen ist, ganz auf der Linie der Bergpredigt, davon die Rede, Böses grundsätzlich nicht mit Bösem zu vergelten.

Die Gewalttat ist und bleibt, selbst wenn sie den Schuldigen trifft (und noch viel mehr den Unschuldigen), böse. Das Opfer (oder sein Beschützer) wird zum Täter und der Täter, der sich nun als Opfer fühlen darf, plant schon die nächste Runde der Vergeltung.

Zu Beginn der Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der Hamas beschrieb Yuval Disken, früherer Chef des Shin Bet, die politischen Versäumnisse der Regierung Netanyahu. Ich poste hier kein Zitat, der Text ist es wert, in voller Länge gelesen zu werden. In der biblischen Sprache des Paulus und der jüdischen Weisheit könnte man sagen, hier wurde eine Gelegenheit ausgelassen, „glühende Kohlen zu sammeln“.

Es sind ja keineswegs die vermeintlichen Israelfeinde, die so reden, sondern Freunde. Der Schriftsteller David Grossmann schrieb jüngst im Feuilleton der FAZ:

Die Rechte, die an dieser Weltanschauung [alle Hoffnung auf Frieden sei illusionär] festhält, hat es geschafft, sie der Mehrheit der Israelis erfolgreich beizubringen. Man kann sagen, dass die Rechte nicht nur die Linke bezwungen hat. Sie hat Israel bezwungen. Nicht allein, weil diese pessimistische Weltanschauung den Staat Israel in einer Frage, die für seinen Fortbestand ausschlaggebend ist, lähmt, obwohl gerade hier Mut, Beweglichkeit und Kreativität gefragt sind; die Rechte hat Israel besiegt, indem sie unterworfen hat, was man ehedem den „israelischen Geist“ hätte nennen können: jenen springenden Funken, unser Vermögen zur Wiedergeburt, den Geist des Trotzdem und des Muts. Der Hoffnung.

Und bevor jemand fragt: Natürlich gilt die Mahnung auch für die Palästinenser und alle anderen Konfliktparteien auf der Welt.

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Im Bann der Gewalt?

Mal ganz abgesehen davon, dass etliche üble Fouls bei dieser WM in jedem anderen Zusammenhang eine ausgewachsene Körperverletzung wären und nur noch die Frage zu klären bliebe, ob es Vorsatz oder Fahrlässigkeit war, liest man in diesen Tagen auch immer wieder von Zauberern, die den Gegnern mittels schwarzer Magie Schaden zufügen wollen. Das ist in der Konsequenz ja auch eine Form von Gewalt.

Mag sein, dass das Motiv die blanke Verzweiflung ist. Sie wissen sich nicht anders zu helfen als mit solchem Blödsinn. Oder (das halte ich für plausibler), sie wollen mit dieser Nummer medial groß herauskommen, und hoffen, dass sie das Geschäft belebt.

Andererseits: Gehören die Voodoo-Heinis nicht wegen versuchter Körperverletzung und Spielmanipulation angezeigt, wenn sie schon selbst den Zusammenhang zwischen ihren Ritualen und Zaubersprüchen und den erwünschten üblen Folgen herstellen? Oder ließe sich das als eine Art Hassrede interpretieren?

Und wo wir schon dabei sind: Liebe Journalisten, warum muss man davon berichten und das Geschäftsmodell auch noch unterstützen?

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Unbequeme Erinnerung

Es gibt Tage, da kann man in aller Demut stolz sein auf unsere Demokratie. Seit vorgestern gehört dazu: Navid Kermanis Rede zum 65. Jahrestages des Grundgesetzes, die mit folgender Passage für Aufsehen gesorgt hat (vor allem natürlich bei den Kräften, die damals für die „Verstümmelung“ des Textes verantwortlich waren):

Wir können das Grundgesetz nicht feiern, ohne an die Verstümmelungen zu erinnern, die ihm hier und dort zugefügt worden sind. Auch im Vergleich mit den Verfassungen anderer Länder wurde der Wortlaut ungewöhnlich häufig verändert, und es gibt nur wenige Eingriffe, die dem Text gutgetan haben. Was der Parlamentarische Rat bewußt im Allgemeinen und Übergeordneten beließ, hat der Bundestag bisweilen mit detaillierten Regelungen befrachtet. Nicht nur sprachlich am schwersten wiegt die Entstellung des Artikels 16. Ausgerechnet das Grundgesetz, in dem Deutschland seine Offenheit auf ewig festgeschrieben zu haben schien, sperrt heute diejenigen aus, die auf unsere Offenheit am dringlichsten angewiesen sind: die politisch Verfolgten. Ein wundervoll bündiger Satz – „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ – geriet 1993 zu einer monströsen Verordnung aus 275 Wörtern, die wüst aufeinander gestapelt und fest ineinander verschachtelt wurden, nur um eines zu verbergen: daß Deutschland das Asyl als ein Grundrecht praktisch abgeschafft hat. Muß man tatsächlich daran erinnern, daß auch Willy Brandt, nach dem heute die Straße vor dem Bundeskanzleramt benannt ist, ein Flüchtling war, ein Asylant?

Heute war Europawahl. Ob Kermanis Appell gegen die Abschottung Früchte getragen hat?

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Der Wald, der Weg und die Angst

Die Bayerische Staatsforsten GmbH ist ein Unternehmen, das sich durch besondere Großzügigkeit auszeichnet. Einerseits, weil sie seit ein paar Jahren selbstlos den russischen Holmulti Ilim Timber mit einem langfristigen Liefervertrag zum Tiefstpreis beglückt, andererseits, weil man beim Schottern der – inzwischen für den Schwerlastverkehr zum Abtransport eben dieses Holzes verbreiterten – Forstwege mit dem Material auch sehr freigiebig umgeht. Als Radfahrer schwimmt man förmlich im losen Mikrogeröll. Und gelegentlich sind als kostenlose Zugabe sogar extra große Steine auf dem Weg zu finden.

Wie dem auch sei: Nach einer Weile bilden sich auf den üppig geschotterten Waldwegen kleine, fußbreite Spurrillen, in denen man halbwegs gefahrlos Radfahren kann. In einer solchen war ich heute ein paar Kilometer weit unterwegs und staunte nach einer Weile, wie gut und flott das doch ging.

Hätte ich stattdessen auf einem ebenso breiten Balken radeln müssen und auf beiden Seiten wäre es einen, oder ein paar hundert Meter steil bergab gegangen, wäre mir das nicht so leicht gefallen. Vermutlich wäre ich vor lauter Nervosität gestürzt. Nicht, weil der Balken zu schmal gewesen wäre, sondern die Angst zu groß.

Ist es da noch ein Wunder, dass Menschen, die in einem Klima der Angst leben müssen (vor dem Staat, vor dem Chef, vor dem wirtschaftlichen Absturz) nicht etwa besser und motivierter bei der Sache sind als andere, sondern häufiger Fehler machen, und dass umgekehrt Angstfreiheit Menschen zu erstaunlichen Dingen fähig macht?

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Deutsch zum Abgewöhnen (9): „Ein“ Thomas Müller

Heute las ich den Kommentar von Oliver Fritsch in der Zeit zum Halbfinale zwischen den Bayern und Real Madrid. Neben vielen guten Beobachtungen habe ich mich gefreut, dass kein Eigenname mit unbestimmtem Artikel im Text erschien. Selbstverständlich ist das schon lange nicht mehr.

Nicht im Sport jedenfalls. Ich weiß nicht, wer mit diesem Unsinn begann, aber er hat sich im Umfeld des Profifußballs durchgesetzt. „Ein“ Lothar Matthäus begann schon früh, über sich selbst in der dritten Person zu reden und dann den unbestimmten Artikel zu verwenden. Dabei soll dieses „ein“ bei Lothar M. natürlich nicht ausdrücken, dass es auch noch andere Menschen mit diesem Namen gibt (für die dieses Aussage dann ja auch gelten müsste), sondern eben nur den einen und einzigartigen – ihn selber: Weltmeister, Weltfußballer, Würdenträger.

Oliver Kahn gehört zu Lothars gelehrigsten Schülern. Immerhin kommentieren sie nun beide gelegentlich im Fernsehen und werfen mit unbestimmten Artikeln nur so um sich. So weit ich sehe, hat selbst Pep Guardiola zwar zwei Marios im Kader, kann aber nur einen Mandzukic und einen Götze auf dem Platz schicken, und das jeweilige Original spielt dann, nicht eine von mehreren Kopien.

Oder habe ich das missverstanden? Wissen Kahn und Matthäus mehr als wir? Spielt tatsächlich nur ein Klon? Hat die Sportmedizin im Schatten der Dopingdebatten längst den nächsten Quantensprung gemacht und multipliziert wichtige Leistungsträger? Liegt das Original vielleicht irgendwo an einem Strand in der Karibik, nachdem es seine Gene an den Verein lizensiert hat?

Jemand sollte dieser Frage einmal nachgehen. Vielleicht findet ein Oliver Fritsch die Antwort.

PS – Fest etabliert ist das „ein“ freilich bei dieser Fußballikone:

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Ungeaigneter Vorschlag

Unsere Staatsregierung koaliert ja nach eigenen Angaben mit dem Volk. Den Koalitionsvertrag hat sie natürlich einseitig entworfen und alleine „unterschrieben“. Nach Horst Seehofer übt sich nun auch seine gelehrige Kronprinzessin Ilse Aigner im „Koalieren“: Sie will die Sommerzeit abschaffen – per online-Petition.

Natürlich könnte die CSU-Fraktion im Landtag einen Antrag einbringen, besser freilich noch im Bundestag – obwohl Bayern als autonome Zeitzone natürlich ein großartiges Symbol dafür wäre, dass im Machtbereich der Christsozialen „die Uhren anders gehen“. Bisher ging ich, naiv wie ich bin, davon aus, solche Themen würden im Parlament diskutiert und entschieden.

Offenbar ist das Ganze aber ein Manöver im Europa-Wahlkampf, das das Robin-Hood-Image der Partei nach dem peinlich schlechten Abschneiden bei den Kommunalwahlen aufpolieren soll. Es zielt auf all die geschundenen Seelen, die sich in ihrem fragilen Biorhythmus von der Zeitumstellung wochenlang aus der Bahn geworfen fühlen. Freilich fliegen dieselben gar nicht armen Seelen in ferne Länder, um sich dort trotz des vielfachen Zeitunterschieds prächtig zu erholen und schon nach vierzehn Tagen nehmen sie denselben wieder klaglos in Kauf, um am nächsten Tag daheim wieder arbeiten zu gehen.

Frau Aigner hat im Namen all dieser Opfer von Eurobürokratie und Behördenwillkür nun an die EU appelliert, die Sommerzeit abzuschaffen. Wenn am kommenden Wochenende wieder Tausende betrauern, dass ihnen eine Stunde kostbarer und verdienter Schönheitsschlaf geraubt wurde, dann werden sie sich an Aigner und die CSU erinnern, die in diesem unübersichtlichen Gebilde die einzigen Menschen sind, die ihren momentanen Kummer verstehen. Wer sich derart selbstlos und heroisch für das Wohl seiner Bürger einsetzt, darf natürlich auf dankbaren Zuspruch bei der anstehenden Europawahl hoffen.

Ich schlage als Antwort zwei Online-Petitionen vor:

  1. Der Missbrauch von Online-Petitionen sollte Regierungsmitgliedern verboten werden. Das ist ein Instrument für Bürger und muss es auch unbedingt bleiben.
  2. Schaffen wir bitte die Winterzeit ab! Ich liebe die langen Sommerabende, verzichte gern auf Sonnenaufgänge morgens um vier im Juni und habe gar nichts dagegen, die Uhr auch im Winter nicht mehr zurück zu stellen.

Kleiner Nachtrag: In Iphofen habe ich heute ein Plakat der CSU gesehen, auf dem stand: „Lieber christlich und sozial als frei und …?“ Nein, danke. Ich wäre erst einmal gern frei – zum Beispiel von solchen plumpen Bauernfängereien. Und für das ominöse „…“ kommen mir dann bestimmt ein paar gute Ideen.

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Deutsch zum Abgewöhnen (8): „besinnlich“

„Besinnlich“ ist ein Ausdruck, der Menschen praktisch nur in der Weihnachtszeit über die Lippen kommt. Er gehört überhaupt nicht zum „normalen“ Repertoire und ist eines dieser Verlegenheitswörter, die man, statt sie im Munde zu führen, vielleicht lieber zum Anlass nehmen sollte, sich der darin zum Ausdruck kommenden Verlegenheit zu stellen.

„Besinnlichkeit“ scheint mir eine Art Platzhalter zu sein, von dem man schon gar nicht mehr so genau sagen kann, wofür er eigentlich steht. Man empfindet eine Ahnung, dass da mal etwas stand, von dem noch ein Abdruck da ist, aber sonst jede substanzielle Spur fehlt. Besinnlichkeit benennt eine Stimmung, in der sich vielleicht der zarte Wunsch nach einer tieferen Besinnung auf „das Wesentliche“ noch widerspiegelt.

Zu letzterer kommt es in der Regel aber gar nicht mehr konkret, weil man entweder nicht weiß, wie man das mit dem Sich-Besinnen praktisch angehen sollte, oder aber in Anbetracht der Mühseligkeit dieses Unterfangens schon zufrieden ist mit dem Platzhalter-Gefühl, dem bloßen Vorhandensein jener Gemütsverfassung, die mir so etwas wie „Tiefgang“ attestiert, ohne dass ich einen Blick in diese womöglich schwindelerregende Tiefe riskieren muss.

Folglich lautet mein Weihnachtswunsch für alle, die diesen Post lesen, dass sie in diesem Tagen zu einer Besinnung finden, die reich und erfüllend genug ist, um jeden Hang zu nebulöser Besinnlichkeit überflüssig zu machen.

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Jungfrauengeburt: Studie mit neuen Erkenntnissen

Ein Freund hat mir die Auswertung einer repräsentativen medizinischen Langzeitstudie der University of North Carolina zugesandt, die kürzlich im British Journal of Medicine erschien. Dort heißt es, dass im Zeitraum von 1995 bis 2008/2009 in einer Gruppe von 7870 Mädchen und Frauen insgesamt 5340 schwanger wurden. 45 von ihnen (0,8%) gaben an, jungfräulich schwanger geworden zu sein, also ohne jemals Geschlechtsverkehr gehabt zu haben (eine Kurzübersicht bzw. Interview gibts hier).

Bemerkenswert sei, so die überraschten Forscher, in dieser Gruppe der hohe Anteil von Frauen mit konservativen Moralvorstellungen, aus dem heraus sie wohl auch sich ausdrücklich verpflichtet hatten, sexuell enthaltsam zu bleiben (30,5% gegenüber 15% bei den anderen Schwangeren). Außerdem befürworteten vergleichsweise viele der betroffenen Jungfrauen den Einsatz von Kondomen (67,8% gegenüber 30,2% in der Gruppe der anderen Jungfrauen), wussten aber über die konkrete Verwendung derselben weniger gut Bescheid.

Interessant fanden die Forscher auch, dass die Eltern der schwangeren Jungfrauen überdurchschnittlich häufig angaben, sich mit Sex und Verhütung nicht besonders gut auszukennen und über das Thema nur selten oder ungern in der Familie zu reden, um die Kinder nicht in Verlegenheit zu bringen.

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Blitzableiter-Mission

Christian Morgenstern hat sich – wie über vieles Andere auch – über manche Eigenarten religiösen Redens lustig gemacht, zum Beispiel in dem Gedicht vom Heiligen Pardauz:

Im Inselwald ›Zum stillen Kauz‹,

da lebt der heilige Pardauz.

Du schweigst? Ist dir der Mund verklebt?

Du zweifelst, ob er wirklich lebt?

So sag ichs dir denn ungefragt:

Er lebt, auch wenn dirs mißbehagt.

Er lebt im Wald ›Zum stillen Kauz‹,

und schon sein Vater hieß Pardauz.

Dort betet er für dich, mein Kind,

weil du und andre Sünder sind.

Du weißt nicht, was du ihm verdankst, –

doch daß du nicht schon längst ertrankst,

verbranntest oder und so weiter –

das dankst du diesem Blitzableiter

der teuflischen Gewitter. Ach,

die Welt ist rund, der Mensch ist schwach.

Der Name „Pardauz“ fällt sofort auf, er gehört zu den aussterbenden Begriffen (heute hieß der vermutlich „boing!“), allerdings war er das zu Morgensterns († 31.3.1914) Zeiten sicher nicht. Aber wer das Wort noch versteht, denkt unwillkürlich an jemand, der durch die Gegend stolpert oder irgendwie linkisch agiert. Und so passt das Linkische und „Kauzige“ zur implizierten vormodernen Weltferne, die in der Kombination von Insel und Wald besteht. Ein verschrobener Einsiedler also.

Es folgt die Auseinandersetzung des Gläubigen mit dem Zweifler. Welche Rolle spielt es denn für den Bewohner der modernen Großstadt, was der Heilige in seinem Hain tut und lässt? Der säkulare Adressat dieser Worte schweigt vermutlich nicht deshalb, weil er zweifelt, sondern weil er das Ganze verständlicherweise für vollständig irrelevant hält, worauf der Gläubige seine missionarische Botschaft mit einem trotzigen „so sag ichs dir denn ungefragt“ intoniert und die Ablehnung seines Gegenübers schon vorwegnimmt („auch wenn dirs missbehagt“).

Solche Töne begleiten die Affirmation des Glaubens: „Er lebt – es gibt ihn wirklich. Er lebt am angegebenen Ort, und das hat auch eine Vorgeschichte, die durch die Gleichnamigkeit mit dem Vater aber ins Zeitlose aufgelöst wird. Und dann wird die Not-Wendigkeit seiner Existenz aus der Warte des Wissenden herablassend („mein Kind“) erläutert: Der Mensch hat als „Sünder“, der er ist (etwa weil er zweifelt?), vom Leben im Grunde nur Böses zu erwarten – darauf deutet die für schaurige Ergänzungen offene Liste der „teuflischen Gewitter“. Allerdings steht der Missionar vor der schwierigen Aufgabe,einem eigentlich recht zufriedenen Sünder dessen gefährliche Lage dringlich bewusst zu machen.

Dabei überfällt ihn, noch während er redet, die fromme Melancholie. Denn es sind aus seiner Perspektive ja gerade die treuen Fürbitten des Heiligen, die dem Sünder eben jene Sorglosigkeit ermöglichen, aus der heraus er die Existenz des Mittlers und „Blitzableiters“ für unerheblich halten kann. „Die Welt ist rund“ (wie bei Sepp Herberger der Ball, zitierte der am Ende also Morgenstern?) und von dieser unumstößlichen Gewissheit aus geht es zur nächsten: „der Mensch ist schwach“.

Und so finden der Missionar und sein widerstrebender Adressat, religiöse und säkulare Weltdeutung, so fremd sie einander bleiben, doch noch einen gemeinsamen Nenner im Fatalismus, der alles beim Alten lässt. In der Schwachheit treffen der überforderte Evangelist und der desinteressierte Agnostiker sich wieder.

Wenn Papst Franziskus diese Woche in Evangelii Gaudium mahnt, Jesus müsse „aus den langweiligen Schablonen befreit werden, in die wir ihn gepackt haben“, gehört dazu auch die Schablone des „Blitzableiters“ (zumal der auch noch den Zorn Gottes abfängt), mit der das Relevanz- und Plausibilitätsproblem wundersam gelöst wird, oder die Schablone mythischer Zeitlosigkeit und Weltferne? Vielleicht wäre endlich auch der Pendelschwung zwischen Trotz und Melancholie überflüssig?

Freilich: Morgensterns Karikatur entspringt ja der puren Lust am Schabernack (ein Wort, so alt wie „pardauz“). Und der ernsthafte Theologe hat längst seinen Psalm 1 gelesen und mit solchen Spöttern rein gar nichts am Hut!

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Tragischer Verlust

Wenn nächstes Jahr die WM in Brasilien stattfindet, bleibt Zlatan der Große allein zu Haus. Indigniert gab der schwedische Superstar gestern nach der Pleite gegen Portugal den epischen Satz zu Protokoll: „Eines ist sicher. Eine WM ohne Zlatan lohnt sich gar nicht anzuschauen.“

Das animiert zur Nachahmung, und vielleicht tröstet das den Untröstlichen ja auch ein bisschen: Eine WM ohne Zlatan ist…

  • wie Schweden ohne Stechmücken
  • wie Paris ohne Touristen
  • wie der Club ohne Abstiegssorgen
  • wie die FIFA ohne Sepp Blatter
  • wie Große Koalition ohne Horst Seehofer
  • wie die Kanzlerin ohne den Verband der Automobilindustrie
  • wie Neapel ohne Vesuv
  • wie Verfassungsschutz ohne Neonazis
  • wie die NSA ohne Internet
  • wie Gerhard Schröder ohne Putin
  • wie Limburg ohne Dom

 

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Transatlantischer Kälteschock

Als Obama seine zweite Amtszeit antrat, haben einige Kommentatoren geschrieben, nun habe er die Chance, doch noch ein großer Präsident zu werden. Eine Wiederwahl sei nicht möglich, nun könne er befreit von Zwängen und Erwartungen das Gute und Richtige tun.

Derzeit sieht es jedoch nach dem Gegenteil aus. Mag sein, dass wir nun Obamas wahres Gesicht sehen, aber den wenigsten dürfte gefallen, was sich da zeigt, nämlich der distanzierte Drohnenkrieger und Datenscanner. Das Komitee für den Friedensnobelpreis wird seine Vorschusslorbeeren vermutlich längst bereut haben. Matthias Rüb hat die Empfindungen vieler in der FAZ schön auf den Punkt gebracht:

Hinter der „coolness“ von Obama verbirgt sich eine kalte Machttechnik, die Wählergruppen, Völker und ganze Weltgegenden nur als Datencluster erfassen kann. Altmodische Tugenden der Diplomatie wie Geschichtsbewusstsein, Verlässlichkeit oder Vertrauenspflege sind Obama fremd. Statt mit Staatsgästen über die Familie zu plaudern und dabei die Grundlage für persönliche und politische Partnerschaft zu schaffen, lässt sich Obama lieber von seinen Adlaten die neuesten Zahlenkolonnen, Abhörprotokolle und Satellitenaufnahmen präsentieren.

Jetzt, wo alle verstehen, wie Obama das mit dem „Zuhören“ unter Verbündeten tatsächlich gemeint hat, sind neue Allianzen gefragt, die dazu helfen, sich technologisch vom allzu großen Bruder und seinen seltsamen Definitionen von Freundschaft und Partnerschaft zu emanzipieren. Ob unsere zukünftige Regierung den Mut hat, für Bewegung zu sorgen, bleibt abzuwarten. Dass allen Ernstes die Herren Pofalla und Friedrich wieder ins Rennen geschickt wurden diese Woche, die sich in dieser Sache ja schon durch außergewöhnlichen Mut und bestechendes Urteilsvermögen ausgezeichnet haben, spricht leider kaum dafür.

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Pausenbild (2)

Knapp drei Wochen Urlaub liegen vor mir – Zeit, einen Gang herunterzuschalten, ein paar schöne Ecken aufzusuchen, ein gutes Buch (oder zwei, oder drei…) aufzuschlagen und die Nase in den sommerlichen Wind zu hängen!

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Der Jona-Komplex (3)

Wir kennen alle die Geschichte mit dem Fisch, mit dessen Hilfe Gott Jona wieder auf „Los“ setzt. Im Bauch des Fischs wird Jona merkwürdig gesprächig und offen, aber die wundersame Veränderung hält nicht lange an. Man muss sie daher auch nicht lange kommentieren.

Immerhin: Der zweite Anlauf sieht anfänglich besser aus: Jona geht auf Gottes erneute Anweisung tatsächlich in die große Stadt – den Hort des Bösen. Ein Tag wenig enthusiastischer Verkündigung dort bringt eine Wirkung hervor, von der andere Propheten nur träumen können: Wie schon die Seeleute glauben auch die Bürger von Ninive bereitwillig.

… viel zu bereitwillig?Es ist ja kaum zu glauben, wie leicht das geht.

Mann und Maus in Ninive flehen Gott auf Geheiß des Königs an, sie zu verschonen – sogar die Tiere fasten mit, um Gott noch umzustimmen. Dabei hatte Jona die Möglichkeit ja gar nicht erwähnt, dass Gott es sich anders überlegen könnte! Aber wie schon die Seeleute im ersten Kapitel unterstellen auch die Menschen in Ninive Gott zu allererst, dass er barmherzig ist.

… und sie behalten Recht!

Jona, der selbst gerade Barmherzigkeit erfahren hatte und dessen Leben verschont wurde, ist alles andere als glücklich über diese Entwicklung. Der einzige akzeptable Ausgang seiner Mission wäre der, dass Gott seine Drohung wahr macht. So, wie für viele Christen der einzig akzeptable Ausgang der menschlichen Geschichte der wäre, dass Gott seine Drohungen wahr macht und alle, die anders glauben und leben als man das selbst für richtig hält, dafür im Jenseits büßen lässt?

Sie übersehen, dass der Gott der Bibel eine lange Geschichte von Drohungen hat, die ihm später leid taten. Und dass genau das vermutlich auch ihr eigenes Glück ist, dass Gott gar nicht um jeden Preis Recht behalten will.

Warum also nicht hoffen, dass die Hölle am Ende vielleicht leer ist? Wäre Gott dann zu harmlos? Wäre alle Verkündigung Zeitverschwendung?

Aber Gott ist nicht harmlos. Und er ist noch nicht fertig mit Jona.

Ein interessantes Licht auf diese Erzählung werfen manche Gedanken aus Arno Gruens Buch Dem Leben entfremdet. Warum wir wieder lernen müssen zu empfinden. Für Gruen besteht ein Zusammenhang zwischen autoritären Gesellschaften und strafenden, Gehorsam fordernden Gottesbildern – beides hat sich mit den ersten Großreichen entwickelt (parallel dazu fand eine Verschiebung von Kooperation zum Wettkampf statt und eine Objektivierung der Welt, die Gruen ähnlich wie Iain McGilchrist mit einem kulturell bedingten Ungleichgewicht zwischen den Hemisphären des Gehirns in Verbindung bringt). Gruen schreibt:

Seit aber Kampf, Eroberung und Unterdrückung das Leitmotiv unserer Weltzivilisation bilden, wird alles, was auf emphatischen Wahrnehmungen [sprich: „Barmherzigkeit“…] gründet, als schwach eingestuft. Leid, Schmerz und Trauer wurden zum Fluch des Männlichen und daher aus dem Bewusstsein verdrängt. […] Angst wird auf diese Weise zum Kern des eigenen Seins: Die Angst, den Erwartungen nicht zu genügen; aber auch die Angst, eigene Gefühle zu haben; und schließlich die Angst, weil Selbst-Sein ungehorsam zu sein bedeutet. (S.36)

Diese Kultur der Unterwerfung und des Gehorsams gegenüber Autoritäten, so Gruen weiter, führt zum Feinddenken: Wer die Regeln verletzt, wer ungehorsam ist, muss ausgeschlossen werden, weil er das unterdrückte Ich an die eigenen mühsam verdrängten Aggressionen erinnert, die es sich aber keinesfalls eingestehen darf, weil eben jene Kultur mit ihren Göttern, Instanzen und autoritären Protagonisten das eigene Überleben garantiert und sichert:

Man muss dann den Feind im Außen finden, um ihn für die Demütigung der erlebten, selbstverschuldeten Unterjochung zu bestrafen, die man nicht zugeben darf. (S. 39)

Die Gehorsamskultur fördert aber eben auch den Buchstabenglauben, ein äußerst ungesundes Verlangen nach Eindeutigkeit. Und so beharrt Jona auch dann noch darauf, Gott müsse seine Drohung in allen Einzelheiten wahr machen, als dem Leser schon sonnenklar ist, dass es nicht mehr dazu kommen wird. Die Menschen in Ninive nimmt Jona als Mitmenschen gar nicht mehr wahr, nur als anonyme Masse und als Objekte des Zorns. Für Kuscheltheologie hat er keine Zeit. Und weil Gottes Zorn ausbleibt, qualmt nun Jona mächtig vor sich hin.

Vor ein paar Wochen legte ein Tornado eine Kleinstadt in den USA in Schutt und Asche. Viele Christen fuhren dorthin, um den Überlebenden beim Wiederaufbau zu helfen. Es gab aber leider auch andere Stimmen: John Piper dagegen twitterte Hiob 1,19: „Und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß auf die vier Ecken des Hauses und warf’s auf die jungen Leute, daß sie starben; und ich bin allein entronnen, daß ich dir’s ansagte.“ Sein erster Impuls war nicht Mitleid mit den Opfern, sondern es ging darum, klar(!)zustellen, dass sich hier ein Bibelwort erfüllt. Es ging, anders gesagt, schlicht ums Recht haben.

Ein autoritäres Gottesbild verhindert die Identifikation mit menschlichem Leid; und da auch das eigene Leid unterdrückt werden muss, betrachtet man das Leid anderer sogar noch mit einer gewissen Genugtuung. Irgendein „biblischer“ Grund lässt sich schon finden, warum die das verdient haben könnten.

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Danke, Dallas!

Dallas Willard ist gestern im Alter von 77 Jahren gestorben. John Ortberg hat einen bewegenden Nachruf auf ihn verfasst. Für mich ist der Autor von The Divine Conspiracy (leider nicht ins Deutsche übersetzt!) einer der originellsten und tiefsinnigsten christlichen Denker unserer Zeit gewesen.

Für mich persönlich gehört er in die Top Ten zum Thema Spiritualität und Glaube. Für die vielen Anregungen, die ich durch ihn bekommen habe, bin ich unendlich dankbar. Vielleicht ist das ein guter Anlass, sein Verschwörungsbuch wieder aus dem Regal zu ziehen und noch einmal zu lesen.

Willard zitiert in seinem großen Werk über das Reich Gottes Dwight L Moody. Der hatte gesagt: Eines Tages werdet ihr hören, dass ich tot bin. Glaubt es nicht. Ich werde lebendiger sein als je zuvor.

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