Mein Gedanken gehen immer noch zurück zum Predigttext vom vorletzten Sonntag. Paulus drängt seine Leser in Rom, auf Rache und Vergeltung in jeglicher Form zu verzichten.
Viele Konflikte folgen der Logik, dass erlittenes Unrecht Vergeltung rechtfertigt und dass gewaltsame Gegenwehr dann als moralisch zulässig oder sogar richtig und „gut“ zu bewerten ist. In Römer 12 dagegen ist, ganz auf der Linie der Bergpredigt, davon die Rede, Böses grundsätzlich nicht mit Bösem zu vergelten.
Die Gewalttat ist und bleibt, selbst wenn sie den Schuldigen trifft (und noch viel mehr den Unschuldigen), böse. Das Opfer (oder sein Beschützer) wird zum Täter und der Täter, der sich nun als Opfer fühlen darf, plant schon die nächste Runde der Vergeltung.
Zu Beginn der Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der Hamas beschrieb Yuval Disken, früherer Chef des Shin Bet, die politischen Versäumnisse der Regierung Netanyahu. Ich poste hier kein Zitat, der Text ist es wert, in voller Länge gelesen zu werden. In der biblischen Sprache des Paulus und der jüdischen Weisheit könnte man sagen, hier wurde eine Gelegenheit ausgelassen, „glühende Kohlen zu sammeln“.
Es sind ja keineswegs die vermeintlichen Israelfeinde, die so reden, sondern Freunde. Der Schriftsteller David Grossmann schrieb jüngst im Feuilleton der FAZ:
Die Rechte, die an dieser Weltanschauung [alle Hoffnung auf Frieden sei illusionär] festhält, hat es geschafft, sie der Mehrheit der Israelis erfolgreich beizubringen. Man kann sagen, dass die Rechte nicht nur die Linke bezwungen hat. Sie hat Israel bezwungen. Nicht allein, weil diese pessimistische Weltanschauung den Staat Israel in einer Frage, die für seinen Fortbestand ausschlaggebend ist, lähmt, obwohl gerade hier Mut, Beweglichkeit und Kreativität gefragt sind; die Rechte hat Israel besiegt, indem sie unterworfen hat, was man ehedem den „israelischen Geist“ hätte nennen können: jenen springenden Funken, unser Vermögen zur Wiedergeburt, den Geist des Trotzdem und des Muts. Der Hoffnung.
Und bevor jemand fragt: Natürlich gilt die Mahnung auch für die Palästinenser und alle anderen Konfliktparteien auf der Welt.