Hoffnungsloses Ballern

Mein Gedanken gehen immer noch zurück zum Predigttext vom vorletzten Sonntag. Paulus drängt seine Leser in Rom, auf Rache und Vergeltung in jeglicher Form zu verzichten.

Viele Konflikte folgen der Logik, dass erlittenes Unrecht Vergeltung rechtfertigt und dass gewaltsame Gegenwehr dann als moralisch zulässig oder sogar richtig und „gut“ zu bewerten ist. In Römer 12 dagegen ist, ganz auf der Linie der Bergpredigt, davon die Rede, Böses grundsätzlich nicht mit Bösem zu vergelten.

Die Gewalttat ist und bleibt, selbst wenn sie den Schuldigen trifft (und noch viel mehr den Unschuldigen), böse. Das Opfer (oder sein Beschützer) wird zum Täter und der Täter, der sich nun als Opfer fühlen darf, plant schon die nächste Runde der Vergeltung.

Zu Beginn der Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der Hamas beschrieb Yuval Disken, früherer Chef des Shin Bet, die politischen Versäumnisse der Regierung Netanyahu. Ich poste hier kein Zitat, der Text ist es wert, in voller Länge gelesen zu werden. In der biblischen Sprache des Paulus und der jüdischen Weisheit könnte man sagen, hier wurde eine Gelegenheit ausgelassen, „glühende Kohlen zu sammeln“.

Es sind ja keineswegs die vermeintlichen Israelfeinde, die so reden, sondern Freunde. Der Schriftsteller David Grossmann schrieb jüngst im Feuilleton der FAZ:

Die Rechte, die an dieser Weltanschauung [alle Hoffnung auf Frieden sei illusionär] festhält, hat es geschafft, sie der Mehrheit der Israelis erfolgreich beizubringen. Man kann sagen, dass die Rechte nicht nur die Linke bezwungen hat. Sie hat Israel bezwungen. Nicht allein, weil diese pessimistische Weltanschauung den Staat Israel in einer Frage, die für seinen Fortbestand ausschlaggebend ist, lähmt, obwohl gerade hier Mut, Beweglichkeit und Kreativität gefragt sind; die Rechte hat Israel besiegt, indem sie unterworfen hat, was man ehedem den „israelischen Geist“ hätte nennen können: jenen springenden Funken, unser Vermögen zur Wiedergeburt, den Geist des Trotzdem und des Muts. Der Hoffnung.

Und bevor jemand fragt: Natürlich gilt die Mahnung auch für die Palästinenser und alle anderen Konfliktparteien auf der Welt.

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14 Antworten auf „Hoffnungsloses Ballern“

  1. Hallo Peter,

    nachdem ich Deinen Beitrag erst einmal „sacken lassen“ musste, möchte ich gerne ein paar Gedanken und Anfragen äußern:

    Auch wenn ich nicht verstehe, wenn „die Mahnung auch für die Palästinenser und alle anderen Konfliktparteien auf der Welt“ gilt, warum doch immer wieder Israel als moralisch und/oder theologische Negativfolie herhalten muss (natürlich mit dem Verweis auf vermeintliche Freunde Israels und „jüdische Weisheit“), – bleibe auch ich zunächst beim Gazakonflikt, um mein(e) Problem(e) mit den sowohl politischen, als auch ethisch-theologischen Implikationen Deines Beitrags zu erläutern.

    (1) Paulus fordert die Gemeinde in Röm 12,20 mit Rückbezug auf den von Dir ja schon zitierten Satz aus Spr auf: „Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«.
    Ist das denn nicht grade das, was Israel seit Jahr und Tag mit Gaza tut? Angefangen vom bedingungslosen Rückzug Israels aus Gaza 2005, über die medizinischen Behandlungen selbst von engen Familienangehörigen Ismail Hanijes in israelischen Krankenhäusern bis hin zu dem täglichen, selbst jetzt noch andauernden Transport aller möglicher Güter in den Gazastreifen, sowie Strom- und Wasserlieferungen etc… ?

    (2) Das große Dilemma ist aber (bei allen Fehlern, die Israel leider auch begangen hat!) dass weder der einseitige Rückzug noch die ganzen humanitären Aktionen Israels dazu beigetragen haben, „feurige Kohlen“ auf das Haupt der Hamas, sondern feurige Raketen über den eigenen Köpfen zu sammeln.
    Ich glaube, Paulus schreibt in Röm 12,18 dann auch ganz realistisch: „*Wenn möglich*, *soviel an euch ist*, lebt mit allen Menschen in Frieden!“ Es scheint für Paulus also auch denkbar, dass es eben trotz des eigenen guten Willens nicht immer möglich ist, mit allen Menschen in Frieden zu leben.
    Was aber dann? Was, wenn der „Feind“ das Wasser, das ich ihm zu trinken gebe, dazu benutzt, mich ertränken zu wollen?
    Insofern halte ich das Urteil Grossmans „die Rechte hat Israel besiegt“ (btw :als ob „die Rechte“ irgendwelche Aliens wären und nicht ebenso Teil der pluralen israelischen Gesellschaft) für weitgehend unzutreffend: Ich glaube eher, dass die israelische Gesellschaft mehrheitlich zu großen Zugeständnissen bereit war, nur nach den tatsächlich erfolgten Zugeständnissen (Rückzug aus Südlibanon, Gaza, Camp David II) und deren Folgen (Raketen und Entführungen aus Libanon und Gaza, zweite Intifada usw.) ziemlich desillusioniert wurde.

    Um endlich mal von Nahostkonflikt wegzukommen: Wie hätten denn bspw. die „Verschwörer vom 20. Juli“ – zu denen ja auch zumindest ein paar Christen gehörten -, Röm 12, Bergpredigt etc. verstehen sollen? Oder wie ist es ganz aktuell mit den Christen etwa in Mossul? Ist da wirklich das nahezu teilnahmslose Verhalten der (westlichen) Christen wirklich dem lieben Frieden dienlich?
    Und – last but not least: Wenn jemand Gesundheit oder gar das Leben Deiner Familie oder Freunde bedrohen würde, würdest Du ihn dann gewähren lassen? Würde unser Rechtssystem nicht zusammenbrechen, wenn böse Taten nicht mehr mit Strafen vergolten würden?

    Verstehe mich nicht falsch: Ich schäme mich, in einigen Situationen in meinem Leben nicht nach Röm 12 u.ä. gehandelt zu haben und wünschte mir auch für die vielen kleinen und großen Konflikte dieser Welt, dass noch viel mehr im Geiste der hier genannten Bibelstellen gehandelt würde.
    Aber grade auch mit Blick auf den gestrigen Gedenktag frage ich mich, ob wir Christen es uns damit nicht manchmal auch etwas zu einfach machen. Insbesondere, wenn die Situation, über die wir urteilen, gar nicht uns selbst betrifft…

    Grüße und vielen Dank für die vielen guten und konstruktik-provozierenden Gedanken in Deinem Blog!
    Stefan

    1. Mag sein, dass Israel hier und da „als Negativfolie herhalten“ muss, aber ich habe oben die Diskussion zwischen der Regierung Netanyahu und zwei ihrer prominenten Kritiker angesprochen. Du gibst eher der Regierung Recht, ich den Kritikern, die bemängeln, dass es keinen Plan für und keine Hoffnung auf Frieden gibt.

      Was die Christen in Mossul angeht, so sehe ich derzeit tatsächlich kaum eine Chance, ihnen zu helfen. Hast Du einen Vorschlag? Immerhin dürfte klar sein, dass ohne den Irakkrieg, den Bush und Blair ja nicht ohne christlich-religiöse Konnotationen angezettelt haben, die Lage der Christen dort kaum dermaßen eskaliert wäre. Das rechtfertigt nicht den IS-Terror, aber es ist eben alles nicht so leicht.

      In beiden Fällen sind es verfahrene Situationen, die sich über Jahre und Jahrzehnte so entwickelt haben. Auch, weil die Möglichkeiten zum Frieden nicht genutzt wurden.

      Das Hitler-Attentat hat Bonhoeffer ja theologisch gründlich reflektiert. Vergeltung ist beim Grenzfall Tyrannenmord sicher nicht das zentrale Motiv. Was mich aber doch beunruhigt, ist wie historische Ausnahmen (Krieg gegen/Mord an Hitler) nun als legitimierende Blaupausen für neue Kriege (gegen „den Terror“) herhalten müssen.

      Zuletzt: Wenn jemand meine Familie bedroht, will ich sie schützen (unsere Diskussion klingt wie früher die „Gewissensprüfung“ für Wehrdienstverweigerer, oder?). Wenn ich klug bin und noch länger hier leben will, greife ich dennoch nicht zur Waffe. Vor allem, wenn es nicht ein einzelner Krimineller ist, sondern ein Konflikt zwischen Völkern. Und natürlich freue ich mich über ein funktionierendes Rechtssystem. Würde das aber auf Vergeltung statt Rehabilitation (so z.T. in den USA) zielen, wäre mir auch nicht wohl.

      1. Nun endlich…
        Zunächst war es nicht meine Absicht, dass unsere Diskussion wie einst die Gewissensprüfung für Wehrdienstverweigerer klingt. Mir ist das vielleicht auch deswegen gar nicht aufgefallen, da ich zu einer Zeit gemustert wurde, in der man de facto die Wahlfreiheit zwischen Wehr- und Zivildienst hatte. Meine Motivation dahinter war vielmehr folgendes: Es ist gut, Menschen nahezulegen, „Böses mit Gutem zu vergelten“. Sie dann aber zu verurteilen, dass sie sich anders entscheiden, obwohl man selbst gar nicht dieser Situation ausgesetzt ist, halte ich hingegen für problematisch. Deswegen mein (zugegeben z.T. holpriger) Versuch, den Blick auch auf uns selbst zu richten.
        Ebenso stimme ich Dir grundsätzlich zu, dass historische Ausnahmen -wenn überhaupt!- nur sehr, sehr vorsichtig für die Legitimation neuer Kriege herhalten dürfen. (Wobei den Deutschen das „Wehret den Anfängen…!“ ja immer sehr leicht von den Lippen geht, so lange es sie nichts kostet…) Wo ich allerdings schon eine Parallele sehe, ist der in Hitler-Deutschland herrschende nihilistisch-eliminatorische Geist, der heute m.E. wieder von Nigeria über Nordafrika, Syrien bis hin nach Afghanistan weht. Der Geist, der selbst den Tod der eigenen Kinder mehr liebt als das Leben. Wie soll man einem solchen lebensverneinenden Geist begegnen? Schlägt nicht irgendwann das Pendel von „feurige Kohlen auf dem Haupt des ‚Feindes‘ sammeln“ um – hin zum Füttern eines Monsters?
        Und selbst wenn ich persönlich bereit wäre, aus Feindesliebe sogar meinen eigenen Tod in Kauf zu nehmen, wie ist es mit dem Leben mir anvertrauter Menschen? Ich weiß, dass sind hier in Europa sehr theoretische Fragen, aber andernorts müssen sich Menschen diese Fragen ganz existenziell stellen – längst nicht nur in Israel.

        Was die Christenverfolgung im Irak betrifft: Nein, einen gut durchdachten Vorschlag habe ich bislang leider nicht. Aber uns im „christlichen Abendland“ sollte das Schicksal der Christen (und anderer Menschen, die unter der Isis nicht nur im Irak leiden) vielleicht doch ein wenig mehr interessieren als ein ratloses Schulterzucken – auch wenn es alles nicht so einfach ist… Erst recht, wenn man mit den Sponsoren dieser (und anderer) Terroristen gute Geschäfte macht und dort demnächst sogar eine WM austrägt…

  2. Ja, Kritik an Israel ist erlaubt und berechtigt. Aber sie muss eingebettet sein in eine primäre Kritik der antisemitischen Hetze, die in allen Ländern rund um Israel läuft. Wenn ich mir vorstelle, dass ich in einem kleinen Land lebe, das von Ländern umgeben ist, deren erklärtes Staatsziel es ist, mein Land von der Landkarte zu tilgen, mein Volk umzubringen, in denen die Kinder von klein auf zum Hass auf mich erzogen werden, das seit Jahren permanent mit Raketen beschossen und womöglich bald von einem solchen Land auch noch nuklear bedroht wird – dann empfände ich es (auch als Christ) gelinde gesagt als billig, vereinfachend und hochnäsig , wenn Leute, die gemütlich in einem reichen und sicheren Land leben, mir sagen, was ich machen soll und mich dabei auch noch auf die Bergpredigt stoßen. Hätten das die Engländer gegenüber Hitler auch so machen und Kohlen auf Hitlers Haupt sammeln sollen, während die Raketen nach England flogen und immer noch mehr Menschen sinnlos abgeschlachtet werden? Ich bin jedenfalls dankbar für den Einsatz der alliierten Soldaten, auch wenn es zu viel Blutvergießen geführt hat. Das war definitiv kein hoffnungsloses „Ballern“ (was für ein verächtliches, gedankenloses Wort dafür, dass hier israelische Soldaten ihr Leben riskieren). Wer sagt eigentlich, dass die israelischen Aktionen „Vergeltung“ sind und nicht schlicht die nackte Selbstverteidigung? Der heutige Islamfaschismus treibt immer grauenvollere Blüten: Ethnische Säuberungen, hunderttausende Tote in Syrien, Irak, Afrika, Kreuzigungen, Steinigungen, … Aber wir konzentrieren uns darauf, den einzigen demokratischen Staat mit Religionsfreiheit in dieser Region anzuklagen. Ja klar: Im letzten Nebensatz sagen wir natürlich noch, dass die Palästinenser doch bitte auch friedlich sein sollten. Ich bekenne es offen: Ich gehöre auch zu diesen Leuten, die die Hoffnung auf Frieden für illusionär halten, solange Islamfaschisten wie Hamas an der Macht sind. Das ist nicht Pessimismus sondern Realismus. Wer die Palästinenser liebt muss sich mit aller Macht dafür einsetzen, diesen irren Fanatikern und Judenhetzern wie Hamas oder IS das Handwerk zu legen, die permanent ihre Völker den Hass gegen die Juden lehren, inzwischen ja auch mitten in unserer Hauptstadt. Sonst gibt es keinen Frieden, auch nicht mit „kreativen Mitteln“. Wer die Juden kritisiert ohne primär den Antisemitismus der Hamas und sein Staatsziel der Vernichtung Israels zu geißeln spielt dem Antisemitismus in die Hände und lässt das Kalkül der Hamas aufgehen, sich mit möglichst hohen Opferzahlen durch menschliche Schutzschilde in eine Opferrolle zu begeben und den Hass auf Israel zu provozieren.

      1. Warum? Entsteht durch meine Zeilen bei Dir der Eindruck, ich wäre grundsätzlich gegen Kritik an Israel? Das wäre schade. Wodurch ist dieser Eindruck bei Dir entstanden? Es gibt definitiv viel zu kritisieren an Israel (so wie es auch an Deutschland, den USA usw. viel zu kritisieren gibt), Dein Link gibt dazu einige gute und bedenkenswerte Hinweise. Ob z.B. die Bodenoffensive richtig ist habe ich auch Zweifel. Definitiv gibt es zum Vorgehen Israels viele kritische Fragen zu stellen. Dagegen wende ich mich mit keinem Wort. Aber wir sollten es nicht von oben herab tun und nicht meinen, dass es einfache Antworten gäbe. Und vor allem: Die Fratze des Antisemitismus, die gerade weltweit ihre Maske fallen lässt und auch bei der Hamas Programm ist, muss uns gerade in Deutschland mindestens genauso beschäftigen. Oder wie siehst Du das?

        1. Sehe ich auch so. Wobei der Antisemitismus ja schon mehrfach aufgeflammt ist.
          Ich verstehe den Hinweis auf Paulus auch nicht als simple „Lösung“. Mir ging es darum, wie selbst re-aktive Gewalt auch die „Guten“ auf Dauer vergiften kann.
          Die Bodenoffensive scheint mir als militärischem Laien, wenn man schon zu den Waffen greift, die fast unvermeidliche Konsequenz zu sein. Jetzt kann man nur hoffen, dass sie schnell vorbei ist.
          Wichtiger aber ist wohl die Frage, wie man nach so vielen Toten irgendwann wieder die Kurve zum Frieden bekommt. Und da gibt es Anlass zur Sorge, wenn man z.B. diesen Artikel liest: http://www.sueddeutsche.de/politik/israel-im-gaza-konflikt-zivile-scharfmacher-1.2054475
          Freilich: Die Hamas toppt das in jeder Hinsicht.

          1. Danke gerade auch für den letzten Satz. Ich finde es notwendig, das auch auszusprechen: Die Hamas hat seit jeher die vollständige Vernichtung Israels und den Völkermord an den Juden schriftlich in seiner Charta fixiert. Sie verweigert sich jedem demokratischen Diskurs, bekämpft Andersdenkende blutig und erzieht die Kinder zum Hass gegen die Juden. Hier ein guter Beitrag zu der Frage, was wir bei Kritik an Israel zu beachten haben, Zitat: „Wer Israel kritisiert, sollte genau darauf achten, was und in welchem Ton er es sagt – gerade als Deutscher. … Wenn wir eine Debatte über die Politik Israels führen, sollten wir uns auch mit den bis zum Hass reichenden Vorurteilen im eigenen Land auseinandersetzen. Und deren Verurteilung nicht dem israelischen Botschafter oder dem Zentralrat überlassen.“ http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/gaza-krieg-antisemitismus-und-israel-kritik-in-deutschland-a-982245.html

  3. Vielleicht tue ich deinem Artikel unrecht, aber in Kurzform läuft es doch auf den Satz „Die Gewalttat ist und bleibt, selbst wenn sie den Schuldigen trifft (und noch viel mehr den Unschuldigen), böse.“ hinaus. Das schließt kategorisch jegliche Gewaltanwendung aus.
    In meiner eigenen Einschätzung zum Thema „Zulässigkeit von Gewaltanwendung“ schwanke ich noch sehr mit einer abschließenden Einschätzung. Ich fände folgende Unterscheidung sinnvoll:

    – Rache und Vergeltung: Grundsätzlich „böse“. Erzeugt nur neues Leid und die Rechtfertigung für weitere Racheakte.

    – (Gewaltsame) Gegenwehr: Manchmal notwendig zum Schutz. Sonst gewinnt immer nur der Angreifer.

    Schwierig wird es doch vor allem bei den Konzepten „Aus Gegenwehr wird Eroberung“ und „Präventive Gegenwehr“. Gerade letzteres scheint mir im konkreten Konflikt der Grund für die Bodenoffensive zu sein: Israel nutzt die (zweifelhafte) „Gunst“ der Stunde, um das Tunnelsystem der Hamas zu zerstören und so wieder ein bis zwei Jahre (relative) Ruhe zu haben. Das geht über eine reine Gegenwehr weit hinaus. Und da liegt das Problem.

    Übrigens finde ich unter diesem Aspekt auch die geänderte Rolle der Bundeswehr mehr als problematisch: Ein Verteidigungsheer zu unterhalten, das in Friedenszeiten auch im Katastrophenschutz einsetzbar ist, finde ich sinnvoll. Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht.

    1. @Daniel: Gute Unterscheidung, und wie Du schon andeutest, wirft sie im konkreten Fall viele Fragen auf. Die Strategie aller Terroristen war ja immer auch, die Gegner zu Überreaktionen zu verleiten, um die eigene Gewalt so nachträglich zu rechtfertigen. Diesen Triumph gönne ich ihnen nicht, aber ihr Kalkül geht leider sehr oft auf, und das ist die Größte Gefahr. Die beiden verlinkten Texte stellen das ganz gut heraus, finde ich.

    1. Hallo Peter,

      ich wollte eigentlich zu Deiner Antwort weiter oben was schreiben und hatte auch aufgrund Deiner anderen Beiträge im Kommentarbereich das Gefühl, dass die aktuellen Auseinandersetzungen in Nahost tatsächlich eher der aktuelle Anlass für Dich waren, allgemein über das Problem der Reaktion auf tatsächlich oder vermeintlich erlittenes Unrecht nachzudenken, als Israel-Bashing zu betreiben.
      Dass Du allerdings nun diesen Artikel als „interessant“ und ansonsten weiter unkommentiert empfiehlst, macht mich, offen gesagt, fassungslos.
      Noch einmal: Man kann die israelische Offensive aus guten Gründen für falsch halten und erst recht die „Friedenspolitik“ der aktuellen Regierung kritisieren.
      Begriffe wie „Rache“ und „Vergeltung“ für die Be- nein: Verurteilung des isr. Militäreinsatzes sollten sich aber nicht nur grundsätzlich verbieten (zur Problematik der Begriffe muss ich hier sicherlich nichts schreiben), sie sind auch sachlich völlig unangemessen. Denn so wenig Netanjahu (leider) ein Friedensengel ist, so wenig leichtfertig hat er sich auf diesen militärischen Konflikt eingelassen, sondern sowohl vor Beginn der Luft- als auch der Bodenoffensive viel zeit verstreichen lassen und angeboten, dass „Ruhe mit Ruhe“ beantwortet werde.
      Ich finde es zudem schockierend, dass der von Dir verlinkte vermeintliche israelische Offizier (der ja ach so wahnsinnigen Mut hat, „das Schweigen zu brechen“, aber nicht seinen Namen zu nennen…) offenbar keinen Unterschied sehen kann zwischen einer Gesellschaft, die den Mord an drei Jugendlichen feiert sowie die Mörder schützt und verehrt und einer Gesellschaft, die mit Abscheu auf den grausamen Mord an den arabischen Jugendlichen reagiert und die Täter kurz darauf ermittelt und festnimmt.
      (Und bitte: In welcher menschlichen Gesellschaft werden nach grausamen Taten an Heranwachsenden als erste Reaktion nicht Rufe nach „Rache“ laut?)

      Ich könnte diesem Link zudem nun zig Links von Israelis entgegensetzen, die allesamt keine Netanjahu-Anhänger sind, den Palästinensern ihren Staat gönnen und einfach nur in Ruhe und Frieden leben möchten. Fast alle dieser Israelis haben Kinder und/oder Bekannte, die grade in Gaza kämpfen (und würden ihre Kinder sicherlich NICHT für einen puren, sinnlosen Rache- und Vergeltungsfeldzug hergeben…). Ich belasse es bei einem Zitat einer Deutsch-Israelin, die selbst drei Kinder im wehrpflichtigen Alter hat und m.E. wesentlich mehr die (auch moralische) Zerissenheit der Israelis ausdrückt, als es der namenlose „Offizier“ tut:
      „Ich möchte während der Ferien nicht bloggen – aber eine Pause gibt es nicht und kann es nicht geben für mich. Nicht nur, weil unter den kämpfenden Soldaten junge Männer sind, die ich vom Tag ihrer Geburt an kenne (und das ist noch gar nicht so lange her). Sondern auch, weil uns das Kernproblem des Konflikts seit Jahr und Tag begleitet und auch durch diese Kämpfe nicht gelöst werden kann. Und das bedrückt mich. Wir vererben es unseren Kindern und Kindeskindern. Ohne es zu wollen, doch ohne es ändern zu können.“
      (http://rungholt.wordpress.com/2014/07/23/kurze-zwischenmeldung/)

      Irritiert,
      Stefan

      1. @Stefan: Irritationen bleiben in diesem Konflikt offenbar nicht aus, aber so weit liegen wir nicht auseinander. Ich fand diese Stimme interessant, weil sie zeigt, wie schnell solche theoretisch einleuchtenden Unterscheidungen von legitimen und niedrigen Motiven in der konkreten Umsetzung zur Makulatur werden können. Ob der Mann Recht hat, darüber kann und muss man vielleicht auch weiter streiten.

        Aber Du scheinst das für einen Propaganda-Coup zu halten, oder?

        1. Hallo Peter,

          bitte entschuldige meine verspätete Reaktion!

          „[…]wie schnell solche theoretisch einleuchtenden Unterscheidungen von legitimen und niedrigen Motiven in der konkreten Umsetzung zur Makulatur werden können.“
          Ich stimme Dir da voll und ganz zu. Dass passiert ja selbst mir schon viel zu oft, dass ich im (vielleicht sogar berechtigten) Ärger über das konkrete Verhalten eines Menschen möglicherweise die ganze Person diskreditiere. Wie gefährlicher und grausamer ist das erst in einem Krieg! Insofern verstehe und teile ich Deinen Wunsch, dass Israel „Böses mit Gutem vergelten“ sollte. Allerdings frage ich mich, wie dies denn *realistisch* der Hamas gegenüber aussehen könnte. Erlaubt Israel bspw. die Einfuhr von Zement, werden damit Tunnel und nicht etwa Schulen etc. gebaut. Ebenso werden die vielen Hilfsgelder nicht etwa für die Linderung der Not der Zivilbevölkerung, sondern eben für die unzähligen Raketen und Terrorinfrastruktur benutzt. Und hätte sich Israel militärisch zurückgehalten, wären zu RoschHaSchanah allem Anschein nach hunderte Terroristen aus den Tunneln gekrochen, hätten in den israelischen Kibbutzim ein Blutbad angerichtet und massenweise Israelis entführt. Also, was tun mit einem Feind, der sogar den Tod der eigenen Bevölkerung mehr liebt als das Leben? (Mehr dazu hoffentlich noch heute in meiner Antwort weiter oben…)

          Was den von Dir verlinkten Artikel betrifft:
          Das Problem bei dem Artikel ist ja zunächst einmal, dass sich vieles von dem, was dort zu den Vorfällen 2002 in Ein Arik behauptet wird, nicht nachprüfbar ist – nicht einmal, ob es sich bei „O.K.“ wirklich um einen Beteiligten handelt.
          (Ich habe dazu folgenden Wikipedia-Artikel gefunden: http://en.wikipedia.org/wiki/Ein_%27Arik_checkpoint_attack . Dort ist auch ein Link zur NYT zu finden, die über die Jahre später erhobenen Vorwürfe berichtet und eine Stellungnahme der israelischen Armee zitiert).
          Merkwürdig dann z.B. auch dieser Satz: „They didn’t say, “You’re going to seek revenge,” but there was no need to state it explicitly.“
          Sein Schweigen bricht er dann aber erst Jahre später, gleichwohl gehen seine Gewissensbisse nicht so weit, (Selbst-) Anzeige zu erstatten – immerhin spricht er mehrmals von (Anstiftung zum) „Mord“ bzw. von „Mördern“.
          Wenn ich mich nicht verzählt habe, benutzt „O.K.“ in seinem Artikel das Wort „revenge“ 14 Mal, zudem vier weitere Male „vengeance“. Dazu kommt dann selbstredend das „Auge um Auge…“-Zitat, was ja bekanntermaßen grade nicht zu einer „Wie du mir, so ich dir“-Vergeltung bzw. Rache aufruft, freilich trotzdem immer wieder dazu benutzt wurde und wird, das Judentum als „Rachereligion“ zu diffamieren (und dem Christentum als strahlende Religion der (Feindes-) Liebe gegenüberzustellen. Bitte verstehe mich nicht falsch – aber das war dann der Punkt, wo ich tatsächlich erstmal schlucken musste…).
          Es passt m.E. dann auch, dass das alles im „972Mag“ erscheint, das ja eine sehr einseitige Sichtweise auf die Geschehnisse in und um Israel hat und übrigens auch nur auf Englisch erscheint. Das ist insbesondere deswegen bemerkenswert, da sich „O.K.“ ja mit seiner Kritik angeblich an die israelische Öffentlichkeit und Politik richten will.

          Damit will ich nicht sagen, dass für mich die israelische Armee und Politik über jeden Zweifel erhaben war und ist. Da gab es es leider auch schon grässliches Fehlverhalten. Aber ich traue den „Selbstreinigungskräften“ der israelischen Demokratie, ihrem Rechtsstaat und letztlich auch ihrer Armee, da sie großteils aus Wehrpflichtigen besteht, weitaus mehr, als dem obskuren Artikel. Zu diesen demokratischen „Selbstreinigungskräften“ könnte durchaus auch „Schovrim Schtika“ gehören, wenn es ihnen wirklich um Aufklärung ginge und nicht zuerst um eine bestimmte politische Agenda.
          Ich hoffe, in Kürze dann auch weiter oben noch zu antworten.

          Viele Grüße
          Stefan

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