Simon hat eine kritische Diskussion über diesen Artikel von Christian Nürnberger gestartet, der auf etlichen Blogs zitiert wurde, und angekündigt, einen Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Kirche und Management zu schreiben.
Ich will dem nicht vorgreifen, fand aber beim Nachlesen, dass es Nürnberger vielleicht doch mehr um einen anderen Aspekt ging. Niemand hat etwas gegen gutes Management in der Kirche, d.h. den verantwortlichen Umgang mit Kräften und Ressourcen (altmodisch: Haushalterschaft). Probleme macht höchstens, dass modernes Management in der Regel am Kriterium der Effizienz gemessen wird, und die ist im Reich Gottes manchmal ganz schwer zu definieren. Phil Vischer etwa hat dazu ein paar gute Gedanken auf Out of Ur: The false gospel of impact.
Nürnberger aber kritisiert, dass die Kirchen das Christentum als Wohlfühl-Religion vermarkten. Und damit legt er seinen Finger in eine schmerzhafte Wunde. Hier ein paar Kernsätze:
Technorati Tags: Kirche, Kontextualisierung, McKinsey, Postmoderne, Management, Marketing, Wahrheit
Jesus lebt – das ist heute keine Gewissheit mehr, die das Dasein der Christen beflügelt. Der Satz dient nur als Geschäftsgrundlage einer Funktionärskirche.
Es geht mir hier gar nicht darum, ob Nürnberger überzieht in seiner Einseitigkeit oder überhaupt nur etwas Neues sagt im Hinblick auf österliche Sprachlosigkeit auch mancher Funktionäre, sondern den Gegensatz zwischen Gewissheit und Geschäftsgrundlage. Er fährt fort:
Und die Menschen? Haben sich schon lange abgewandt. Das spüren die Kirchen jetzt dort, wo es sie am meisten schmerzt, in der Kasse. Die Bischöfe beider Konfessionen, erschreckt von den apokalyptischen Prognosen ihrer Kämmerer, holen sich deshalb seit einiger Zeit Rat von den Missionaren einer fremden Religion: der Unternehmensberatung McKinsey.
Und damit zieht nach dem sozialrevolutionären 68er-Pathos und der Ökobewegung nun ein neues Paradigma ein, dem das Evangelium unterworfen wird – eben das Marketing. Aber wenn der Markt die umfassende Metapher liefert, wird alles irgendwie zur Ware. Das Kriterium der Wahrheit wird nicht etwas postmodern vertieft, sondern schlicht dem der Nützlichkeit geopfert:
Ohne rot zu werden, behandeln sie die Botschaft des Glaubens als Produkt, das es hübsch zu verpacken und zu verkaufen gilt. Allen Ernstes betrachten sich die Kirchen heute als Unternehmen auf dem Sinnstiftungsmarkt, bezeichnen ihre Mitglieder als »Kunden«, fragen deren Wünsche ab, trimmen ihr »Personal« auf »Kundenorientierung«, offerieren »spirituelle Angebote« und denken über ihre »Corporate Identity« nach.
Hier geht es tatsächlich um viel mehr als nur Jargon: Kirche ist kein Unternehmen und die Menschen (ob nun Gemeindeglieder oder nicht) sind keine Kunden. Meine Kinder und Freunde sind auch nicht meine Kunden (und ich muss daher nicht wie Calvins Vater um meine Wiederwahl bangen). Apropos Wahl: Ich bin meinerseits kein Kunde unserer Regierung – sonst wäre eine Kartellklage in Brüssel fällig, weil ich mich hier nicht zwischen unterschiedlichen Anbietern entscheiden und den besten Service wählen kann.
Ich diene anderen, aber ich bin kein Dienstleister im üblichen Sinn. Ich will Menschen nicht einfach dabei helfen, das Ziel zu erreichen, das sie sich in den Kopf gesetzt haben. Sondern ich will sie dazu bringen, nach Gottes Zielen zu fragen und die eigenen Ziele daran auszurichten. Und ich will sie zur aktiven Teilnahme an diesem Dienst gewinnen, und das heißt eben auch: sein Kreuz auf sich nehmen. Unwellness also.
Auf manche Beziehungen kann man diese Kunden-Logik einfach nicht anwenden, ohne sie kaputt zu machen – und es ist nicht von ungefähr, dass im NT Begriffe für Kirche gewählt werden, die aus dem politischen Leben und der Großfamilie stammen. Schließlich hat Jesus nicht gesagt (meine Paraphrase von Mt 28,19f):
Darum gehet hin und machet zu Kunden alle Völker. Gründet Clubniederlassungen durch ergreifende Aufnahmezeremonien und stellt sicher, dass sie auf Dauer unserer Marke und unseren Produkten treu bleiben.
Für Dienstleistungen darf man nämlich auch kassieren, und da hat Nürnberger treffsicher die Motivation kirchlichen Kundengefasels lokalisiert. Mit dem Evangelium lässt sich aber schlecht Kasse machen. Sonst entsteht ein kraftloses Konsumchristentum, wie Nürnberger es beklagt, das sich auf narzisstische Innerlichkeit beschränkt und in der Hebung religiöser Stimmung ergeht. “Komm zu Jesus” (so die “fromme” Variante) oder “entdecke unsere spirituellen Angebote” (die nicht so fromme) – und es wird dir besser gehen (unisono, aber hier wie da eine Lüge). Das Stichwort Gerechtigkeit fällt unter den Tisch. Bergpredigt ade. Die Welt verändern andere.
In der Welt, aber nicht von der Welt zu sein heißt in diesem Fall wenigstens so viel: Kirche muss mit den Mechanismen der Konsumgesellschaft rechnen, ohne sich ihnen zu unterwerfen. Also wissen, dass die meisten Menschen fragen werden: Was bringt’s mir? Und dann überzeugend und stimmig (!!) darlegen zu können, warum diese Frage in eine Sackgasse führt und dass es einem nicht unbedingt schlechter gehen muss, wenn man ohne kurzsichtige Kosten-/Nutzen Rechnungen Gottes neue, gerechte Welt, die schon angebrochen ist, zur absoluten Priorität im Leben macht.
Denn McKinsey steht (als Unternehmen zumindest) tatsächlich für eine “fremde Religion” – nämlich den “Tanz ums Goldene Selbst”. Dem muss im Namen der Wahrheit und Gerechtigkeit (und hier sind biblische Begriffe unverzichtbar, auch wenn wir sie ganz neu und tief durchdenken müssen) widerstanden werden. Erst dann kann man auch das eine oder andere von der Beraterbranche lernen, ohne am Ende zu ihrem Abziehbild zu werden.
Wenn die Kirche ein „Unternehmen auf dem Sinnstiftungsmarkt“ ist, also versucht, so etwas wie eine gesellschaftliche Wertagentur zu sein, dann ist es nur konsequent, dieses Unternehmen mit Managementmethoden zu optimieren (an manchen Punkten wäre das durchaus sinnvoll). Das wäre eben die moderne Variante der Kirche als Volkserziehunganstalt.
Und man muss zugeben, dass dies das Geschäftsmodell ist, nach dem die Kirche tatsächlich den größten Teil ihres Geldes verdient. Das zeigen eigentlich alle Umfragen: Kirche wird als Sinnagentur in familiären Krisensituationen (zB Hochzeit …) nachgefragt. Im Unterschied zu vielen anderen Sinnstiftungsagenturen verfügt sie sogar über ein vergleichsweise breites Potential an Glaubwürdigkeit durch die Ortsgemeinden (auch das spiegelt sich in den Umfragen). Und warum sollten Christen nicht auch eine gesellschaftliche Wertagentur betreiben? Vielleicht nicht die erste Wahl, aber auch nicht die schlechteste. Wir haben ja was einzubringen.
Das Problem scheint mir aber darin zu liegen, dass manche inzwischen glauben, Kirche sei nichts anderes als so eine Wertagentur. Also nicht: wir betreiben u.a. auch eine gesellschaftliche Wertagentur, sondern: wir sind eine. Und das bedeutet in der Konsequenz das Überflüssigwerden von Gemeinden. Und die Unterwerfung der Kirche im Ganzen unter Effizienzkriterien.
Was den McKinseys nicht klar ist: die Inhalte, Werte usw., die in so einer Sinnagentur vermarktet werden, verlieren ihre Kraft, wenn niemand sie mehr in Gemeinschaft lebt. Nur wenn Werte (sogar nur ansatzweise …) realexistierend gelebt werden, können sie orientierend wirken. Betriebswirtschaftlich ist das aber kaum einzurechnen.
Und somit kann es dazu kommen, das die betriebswirtschaftlich getrimmte Kirche ihr Kerngeschäft kaputt macht.
Auch bei den Praktiken von Unternehmen muss die Kirche bei der Regel bleiben: „Prüft alles, aber das Gute behaltet“. Ich habe schon so viele müde Gemeinden erlebt, die eben viel zu wenig auf ihre Auswirkung oder auf die Bedürfnisse der Leute gefragt haben. Was soll beispielsweise an „Corporate Identity“ falsch sein? Ein Unternehmensberater kann sicher vielen Gemeinden dienlich sein – allerdings kann er auch viel kaputt machen wenn er nicht die Grenzen der „Kundenorientierung“ einer Gemeinde nicht kennt und respektiert. Auf jeden Fall liegt viel Verantwortung bei den Ältesten, inwieweit man auf Vorschläge des Beraters eingehen kann und soll. Das gilt auch, wenn der Berater begeisterter Christ ist.
Mit oder ohne Unternehmensberater gibt auch für Gemeinden die Gefahr in einen „Tanz ums Goldene Selbst“ zu verfallen. Es geht dann mehr um die eigenen Leute, das eigene Gemeindehaus, das eigene Programm usw. anstatt den Blick für das viel größere Reich Gottes zu haben. Reich Gottes ist nunmal viel größer als das Programm und die Leute in den eigenen vier Wänden. Da draußen sind so viele von Gott geliebte Menschen, die es einfach wert sind, dass man sich Gedanken macht, wie man sie mit dem Evangelium erreicht.
@ Walter: Kirche wird sicher nachgefragt, nur wie weit es den Kirchen tatsächlich gelingt, Sinn zu stiften, scheint mir strittig – Nürnberger zumindest stellt es ja sehr in Frage.
Ist es nicht eher so, dass man bei einer Trauung/Beerdigung punktuell einen stimmungsvollen Ritus und ein paar teilnahmsvolle Worte abruft, das Wertesystem der „Kunden“ aber in der Regel unverändert bleibt? Zumindest so lange, wie sie nicht beschließen, Teil dieser Gemeinschaft zu werden, die diese Werte verkörpert?
Hi Peter, völlig einverstanden mit allem, was du schreibst.
Mir geht es in den Beiträgen der nächsten Woche dann um deinen letzten Satz, wie wir nämlich – nachdem wir dem ganzen Schimpfen aufgehört haben (und das ist sehr wichtig und alle Warnungen sind sehr angebracht und auch immer wieder vorzubringen) – jetzt tatsächlich lernen können. Denn das ist die Lage unserer Kirche, dass wir nicht nur im Warnen und Schimpfen verharren können (das bringt uns auf die Dauer auch nicht weiter), sondern tatsächlich lernen, wo wir lerne können. Es geht mir gar nicht darum, dass Marketing zum neuen Zauberwort wird oder die Lösung aller Probleme ist (ich kenne auch niemanden, der das sagt), aber es ist eine Möglichkeit zu lernen. Und ich würde da gerne über alle berechtigte Kritik hinaus anfangen, konstruktiv weiterzudenken.
Und das Pauschalurteil, dass unsere Kirchen unsere Religion als Wohlfühl-Religion vermarkten, tut unseren Bischöfen und Pastoren und Ehrenamtlichen aus meiner Sicht wirklich unrecht. Bei aller Polemik, die erlaubt sein muss, gehört so ein Satz für mich in die Kategorie derer, über die man nochmal nachdenken muss – wenn ich an Pastoren denke, die ich kenne, an unsere Bischöfin, an den EKD-Vorsitzenden, an die katholischen Brüder und Schwestern – dann kann ich dem wirklich nicht zustimmen und es tut mir wirklich leid, dass sie so etwas lesen müssen.
Du wirst aber sehen, dass dein Beitrag in vielem dem ähnelt, was ich unter den Gefahren vom kirchlichem Marketing anführen werde. Wir sind in diesen Punkten glaube ich gar nicht so weit auseinander. Für mich ist gerade immer noch die Frage (vielleicht kannst du da drüben in meinen Kommentaren oder hier noch mal antworten), inwiefern du Zusammenhänge zwischen Marketing und Management siehst oder zwischen den beiden trennst. Vielleicht habe ich da bisher nicht ganz sauber getrennt. Ich habe mal zwei Definitionen drüben bei mir in den Kommentaren angeführt. Das fände ich noch sehr hilfreich, bevor ich dann starte. Danke für deine Gedanken bis hierher.
Danke Simon. Ich dachte auch gar nicht, dass wir hier weit auseinander liegen. Die Unterscheidung Management/Marketing bei Dir finde ich gut. Die kirchliche Bestimmung der „Unternehmensziele“ fällt nur manchmal recht schwammig aus in den einschlägigen (Kompromiss-) Papieren, an der Basis sowieso. Immer noch, wenn man die Kritik von Michael Herbst auf dem Leipziger AMD-Kongress zum Thema „Kirche der Freiheit“ liest.
Ich denke auch, dass viele Leute in leitenden Funktionen da zu Unrecht kritisiert werden und manche Pfarrer auch, aber es gibt eben auch nicht wenige, die tatsächlich so eine Philosophie vertreten, wie sie der Artikel kritisiert. Die FAZ berichtet eben im Blick auf Ostern:
Peter, dein Engagement zu diesem Thema zeugt von wahrer Sorge um unsere Kirche(n). Und ich gebe dir recht, wenn es nur auf eine Dienstleistungsmentalität herauslaufen sollte, dann fällt man nach den 68ern wieder vom Pferd – nur auf einer anderen Seite.
Beispiel: in der Lektorenausbildung meiner Landeskirche wird jetzt „Liturgische Präsenz“ als wichtigstes Ausbildungselement verkauft. Solange aber keine wirkliche Auseinandersetzung mit der Motivation der Lektoren, der Kirche und des Gottesdienstes/Predigt passiert, ist dies nur billiges Anbiedern an den Kunden „Gottesdienstbesucher“.
Das Zukunftspapier der EKD darf m.E. aber auch ein bisschen spitz formuliert sein, um eine Diskussion zu entfachen. Was ja erklärtes Ziel war. Und wir hier sind mittendrin in dieser Diskussion…