Christlicher Relativismus?

Ken Wilber hat zum Stichwort “Boomeritis” herausgestellt, wie leicht sich narzisstisches, egozentrisches Verhalten hinter (postmoderner?) Relativierung absoluter Normen und Autoritäten verschanzt. Dabei werden diese Normen und Autoritäten unter den (ja eben nicht immer ganz unbegründeten) Verdacht gestellt, sie festigten die herrschenden Machtverhältnisse und nutzten den Eliten, die den Rest der Gesellschaft unterdrücken.

Erschwerend kommt hinzu: Wenn tatsächlich alles total relativ wäre (so denken allerdings doch die Wenigsten), dann bleibt tatsächlich nur die fühlbare Konstante der eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Antriebe. Ich glaube, dass deshalb die Relativierung des eigenen Ego nicht zu trennen ist von der Relativierung der herrschenden Mächte in der Gesellschaft.

Die Erzählung der Evangelien von der Versuchung Christi zeigt, wie beides ineinander verschränkt ist. Wenn innere und äußere Befreiung nicht parallel stattfinden, wird sehr wahrscheinlich nur die eine Unfreiheit durch eine andere ersetzt – so wie der Stalinismus durch das organisierte Verbrechen oder zwanghaftes Pflichtgefühl durch zwanghafte Sucht und Abhängigkeit jeglicher Art.

Dieser ganzheitliche Relativismus ist also kein intellektuelles Sandkastenspiel, sondern ein tief greifender Veränderungsprozess. Nichts, was ich je begriffen und “in der Tasche” habe, sondern bestenfalls etwas, wovon ich ergriffen bin – insofern auch nichts “Objektives” und absolut beweisbares. Aber es braucht, wie schon Chesterton vor einem Jahrhundert sah, eine Vision eines alternativen Lebens, die sich nicht ständig ändert. Denn wenn das Ego als Konstante ausgeschaltet werden soll, ist vermutlich eine andere Konstante nötig. Sogar Einsteins Relativitätstheorie behält das Licht (bzw. die Lichtgeschwindigkeit) als Konstante bei.

Wenn unser Himmel (die Vision von dem, was sein sollte) sich ständig ändert, meinte Chesterton, dann richten wir auf der Erde nichts mehr aus. “Nach allen Philosophien bleibt nur die Fabrik” mit ihren wirtschaftlichen Zwängen. Es hat sich gar nicht so viel verändert seither. Und Lesslie Newbigin, der auch das angepasste Christentum des Westens relativiert, schreibt: “Criticism does not come out of a vacant mind.”

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