Der Tag der Wahrheit

Der erste Kongresstag begann mit extremen Wechselbädern, aber das ist eben auch „Lausanne“. Nach Carver Yu, der sich an einer Grundsatzkritik am Pluralismus (im Sinne eines radikalen Relativismus) versuchte, die etwas grob ausfiel, schlug Michael Herbst deutlich bescheidenere und differenziertere Töne an. Sein Paper steht schon im Netz. Er beschrieb die ostdeutsche Situation und die Notwendigkeit, dass Christen als Minderheit demütig, aber zuversichtlich von Jesus reden lernen.

Unsere Gruppe hatte sich gerade angeregt darüber unterhalten, dann holte Os Guinness zum Paukenschlag aus. Christen dürften nicht ablassen von Anspruch, eine absolute Wahrheit zu vertreten. Wo dieser Anspruch zurückgenommen oder relativiert werde, sei alles verloren. Seine sechs Gründe jedoch waren eher sechs Behauptungen, und auf dem Fuß folgten verbale Ausfälle gegen Christen, die das anders sehen. So aggressiv war noch niemand aufgetreten, und es war angemessen, dass es keine Diskussion mehr gab an den Tischen, denn die „friß oder stirb“-Logik einer monolithisch-propositionalen Wahrheit (die Herbst so schön vermieden hatte) ließ dafür keinen Raum mehr. Leider war eher ein Beleg dafür, dass die Leute, die apologetisch alles an die Wahrheitsfrage hängen und das so steil vertreten, tatsächlich ein gehöriges Aggressionspotenzial darstellen. Schade!

Beruhigend war dafür die Multiplex-Einheit zum Thema Pluralismus. Dort gab es differenziertere stimmen wie die von Robert Calver, die auch auf der Website zum Kongress zu finden ist.

An diesem Tag haben bisher nur Männer gesprochen, die meisten Europäer. Das beste Statement zum Pluralismus waren aber gar nicht deren theoretische Ausführungen, sondern der Beitrag eines Libanesen, der von der Lage der Christen unter 350 Millionen muslimischen Arabern sprach und sagte, ob man diese als Freunde oder Feinde betrachte, lieben müsse man sie allemal. Das hätte Michael Herbst über die Atheisten in Ostdeutschland auch sagen können. Gar nicht richtig angesprochen wurde die Tatsache, dass Säkularisierung immer auch dem Schutz religiöser Minderheiten diente und dass Christen denselben Vorgang der Pluralisierung in islamischen Ländern durchaus begrüßen würden. Insgesamt fand ich das Ganze unbefriedigend.

Ich traf eine südafrikanische Professorin und wir fragten uns beide, warum Desmond Tutu eigentlich nicht da war, wenn der Kongress schien Versöhnung zum Thema hat. Hat man ihn nicht eingeladen, oder konnte er nicht kommen? Bislang ist Afrika eher Kulisse als eine hörbare Stimme, aber vielleicht wird das ja noch anders.

Ich gehe mit sehr gemischten Gefühlen in den Abend. Wie es weitergeht, kann ich Dan im nächsten post erzählen. Das Netz im Kongresszentrum ist notorisch überlastet, ich werde also nicht auf jeden Kommentar antworten und nicht auf alle Mails, so lange ich hier bin. es ist auch wenig Zeit, die Pausen sind kurz und man trifft ständig interessante Leute, gestern Michael Frost, heute Andrew Jones und natürlich die alten und neuen Bekannten aus der deutschen Delegation. Schon, aber auch schwer, das alles zu verarbeiten. Ich hoffe, dass das Stimmungsbild trotzdem interessant ist, und vielleicht hört ja der eine oder die andere mal eine Aufzeichnung an. Es muss ja nicht Guinness sein…

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8 Antworten auf „Der Tag der Wahrheit“

  1. Hallo Peter,

    danke für deinen ersten Eindruck. Das hört sich ja interessant an. Habe heute schon den ganzen Tag an Euch gedacht und bin gespannt auf die ersten Videos. Bleib dran und halte uns auf dem Laufenden.

    Wunder mich ja nicht, dass es da auch Wechselbäder gibt. Es haben sich ja schon so manche Kontroversen angekündigt.

    Viele Grüße aus dem Tal der Wupper in das Kap

    Tobias

  2. Na, du hast ja sicher nicht ernsthaft erwartet, dass auf einem Weltkongress von Evangelikalen zum Thema Mission alle einer Meinung sind 😉

    Spannend finde ich die Frage, ob eine emergente Sicht auf die Dinge seinen Platz auf dem Kongress haben wird oder ob es ein Kongress für die Moderne bleibt. Ob also nur eine Verfeinerung der klassischen Wege herauskommt oder ob man den Mut findet, sich auf die Lebenswirklichkeit der Postmoderne einzulassen. Im Programm habe ich nicht viel dazu gefunden.

    Halt mal deine Augen offen und berichte uns 🙂

  3. Was mir bei Guinness wirklich sauer aufgestoßen ist, waren seine Seitenhiebe. Auch auf die evangelikalen Unternehmungen, die sich, so klang es ganz deutlich bei ihm an, in eine „seekers-oriented“ Haltung verirrt (!) haben. Seine proklamatorische und jeden Dialog verneinende Rede war sowieso am Rande des Erträglichen. Aber auch bei Gustafsson in der Multiplex-Einheit war bemerkenswert, wie kühn dieser der postmodernen Theologie grundsätzlich ein Konzept ohne Transzendenz unterstellt hat. Seine Begründung: weil diese Theologie eigentlich eben auch nur der Theologie der Moderne entspringt. Auf mein Nachfragen am Ende verwies er allein auf McLaren, der, so seine Beurteilung, Christus nicht mehr außerhalb von sich, sondern allein in der subjektiven Verinnerlichung finden würde. Neben der Überprüfbarkeit solcher Thesen: McLaren als Generalzeuge für postmoderne Theologie? Naja.

  4. Gustavsson war ganz schwach, und wer Brian kennt, nimmt Gustavsson das auch nicht ab. Da fehlt einfach die Flexibilität in den denkstrukturen. Ich hatte gestern noch ein gutes Gespräch mit Terry Smith in der Pause.

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