Rufer in der Wüste

DSC01024Die SZ interviewt den Klimaforscher Lutz Wicke. Der zeichnet ein düsteres Bild der Zukunft und beklagt das Versagen seiner Zunft – nicht bei den Prognosen, die werden immer verlässlicher, sondern dabei, sich ganz nachdrücklich für konkrete und verbindliche Maßnahmen zum Klimaschutz einzusetzen und dabei persönliche Eitelkeiten zurückzustellen oder auch Gegenwind in Kauf zu nehmen. Ähnlich enttäuscht ist er von den Politikern, die bestens informiert sind und bestenfalls halbherzige Entschlüsse fällen, die keine wirkliche Lösung des Problems bringen.

Die Wüste, in diesem Fall die aus Sand und Steinen, wird sich diesem Rufer zufolge in den kommenden Jahrzehnten drastisch vergrößern. Eine globale Erwärmung von vier Grad würde für den Mittelmeerraum eine Steigerung von acht Grad bedeuten und hätte katastrophale Folgen. Freilich werden das nun viele als Alarmismus und Hysterie abtun oder hoffen, dass Gott den jüngsten Tag gegebenenfalls vorzieht – man kann unter vielen cleveren Vorwänden den Kopf in den Sand stecken (kaum jemand tut das freilich dreister als Mark Driscoll, der findet, richtige Männer hätten Spritschleudern zu fahren und Gott würde am Ende sowieso alles verbrennen).

Wicke dagegen bleibt bei seinem apokalyptischen Ausblick, er will, dass wir die Entwicklung zu Ende denken und rechtzeitig reagieren:

… inzwischen sind die größten Schwierigkeiten vom Anfang der Klimaforschung überwunden. Auch im nächsten Sieben-Jahres-Bericht des Weltklimarats IPCC wird es sicher wieder leichte Korrekturen früherer Prognose geben. Aber die Gewissheit, wie es weitergehen wird, wird dann noch größer. Und wir können damit rechnen, dass er die schlimmen Befürchtungen, die auch Weltbank und IEA hegen, bestätigen wird. Bei business as usual wird es demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Steigung der Temperatur um sechs Grad bis 2100 geben. Dadurch werden die Lebensräume für Milliarden von Menschen zerstört. Und was danach kommt, daran wagt schon kein Mensch mehr zu denken.

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Tod, Leid und Werbung

Es war gut gemeint und aufrichtig empfunden, und dennoch war ich gestern seltsam unangenehm berührt vom Bild einer Umarmung, in der ein totes Paar aus den Trümmern der eingestürzten Textilfabrik an Bangladesh geborgen wurde. Ein Freund hatte den Link auf Facebook „geteilt“. Irgendwer vor Ort hatte rechtzeitig auf den Auslöser gedrückt und das Bild veröffentlicht – mit riesiger Resonanz.

Klar kann man mit einem solch unter die Haut gehenden Bild nun für ehrenwerte politische Ziele werben. Aber es ist eben trotzdem Werbung. Worte für meinen Widerwillen fand ich kurz darauf bei Carolin Ströbele auf Zeit Online. Sie kritisiert den Ansatz, mit sehr persönlichen Bildern Einfluss nehmen zu wollen:

All diese Arbeiten rechtfertigten sich dadurch, dass sie über ein persönliches Schicksal auf einen sozialen Missstand, ein gesellschaftliches Problem hinwiesen. Doch je mehr Künstler die Elendskarte zogen, desto schwieriger wurde es irgendwann zu unterscheiden, was Kunst war, und was Exhibitionismus. Das Private war nicht mehr politisch, es war einfach nur öffentlich. Die Fotografie als soziales Gewissen funktionierte spätestens zu dem Zeitpunkt nicht mehr, als die Werbung den Begriff der Authentizität für sich entdeckte.

Das Bild hatte nicht mein ästhetisches Empfinden, sondern mein Empfinden von menschlicher Würde verletzt, selbst wenn das vermutlich niemand beabsichtigte. Wäre es nur hässlich oder schockierend gewesen, hätte es keine Zärtlichkeit gezeigt, läge die Sache wohl anders.

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Danke, Dallas!

Dallas Willard ist gestern im Alter von 77 Jahren gestorben. John Ortberg hat einen bewegenden Nachruf auf ihn verfasst. Für mich ist der Autor von The Divine Conspiracy (leider nicht ins Deutsche übersetzt!) einer der originellsten und tiefsinnigsten christlichen Denker unserer Zeit gewesen.

Für mich persönlich gehört er in die Top Ten zum Thema Spiritualität und Glaube. Für die vielen Anregungen, die ich durch ihn bekommen habe, bin ich unendlich dankbar. Vielleicht ist das ein guter Anlass, sein Verschwörungsbuch wieder aus dem Regal zu ziehen und noch einmal zu lesen.

Willard zitiert in seinem großen Werk über das Reich Gottes Dwight L Moody. Der hatte gesagt: Eines Tages werdet ihr hören, dass ich tot bin. Glaubt es nicht. Ich werde lebendiger sein als je zuvor.

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Weisheit der Woche: Für sich selbst sorgen

Für sich selbst zu sorgen ist nie ein Akt der Selbstsucht – es ist schlicht ein gutes Haushalten mit dem einzigen Geschenk, das ich habe, das Geschenk, mit dem ich auf diese Erde geschickt wurde, um es anderen anzubieten. Jedesmal, wenn wir auf das wahre Selbst hören können und ihm die Fürsorge angedeihen lassen, die es braucht, tun wir das nicht nur für uns selbst, sondern auch für die vielen anderen, deren Leben wir berühren.

Parker Palmer

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Herzensglaube

DSC07085Ich bin immer noch oder immer wieder mal an Iain McGilchrists Thesen zur Funktionsweise menschlichen Denkens und unserer Kultur dran. Er unterscheidet den Zugang, den die rechte und linke Hemisphäre zur Wirklichkeit pflegen. Die linke Hemisphäre hat die Aufgabe, Details zu isolieren und zu fokussieren, und dabei wird der Gegenstand objektiviert, verdinglicht, instrumentalisiert. Hier geht es darum, die Umwelt für die eigenen Zwecke zu nutzen, den Nutzen quantitativ zu bewerten, Zugriff zu bekommen, die wahrgenommenen Gegenstände zu manipulieren. Dazu wird eine mechanistische und reduktionistische Sicht der Dinge angewandt, die in bestimmten Situationen sehr effizient sein kann. Buber würde das den Ich/Es-Modus nennen. Das Subjekt-Objekt-Gefälle führt zur Präferenz von linearen Ursache-Wirkungs-Relationen, von zeitlosen, allgemeinen, statischen und abstrakten Satzwahrheiten. Es erkennt lieber Bekanntes als sich mit Neuem zu befassen. Er lebt in seinen „Definitionen“, „Prinzipien“ und ist verliebt in Mechanismen aller Art. Er schafft ein Klima, in dem die Seele verarmt und häufig auch erkrankt. Fulbert Steffensky sagte jüngst in der taz: „Man wird nur stark und reich am Fremden. Am Anderen.“

Entsprechend denkt die rechte Hemisphäre in Ich/Du-Relationen. Sie erkennt ihre Umwelt als etwas Lebendiges (und damit sich dynamisch entwickelndes, stets in Veränderung Begriffenes), sie kommuniziert in Bildern, Metaphern und Geschichten, sie zieht das Individuelle und Konkrete dem Allgemein-Abstrakten vor (unsere Fähigkeit zur Gesichtserkennung sitzt rechts), statt der Details steht das Ganze mit seiner Gestalt, den unverwechselbaren Mustern und der individuellen Anordnung im Mittelpunkt. Die rechte Hemisphäre hat besseren Zugang zu den körperlichen Empfindungen, sie denkt leiblich, sie zieht die erfahrbare Realität den gedachten, konstruierten und virtualisierten Modellen vor, die von links kommen. Daher entdeckt sie Inkongruenzen und Täuschungen, während die linke Hemisphäre lieber den Buchstaben und Idealen vertraut als den Sinnen. Weil sie, auf sich allein gestellt in einem geschlossenen, selbstreferenziellen Zirkel funktioniert, ist jede Infragestellung von außen schon eine Bedrohung des Ganzen.

So viel zur Rekapitulation. Wenn unser Denken gut funktioniert, beginnt es rechts, bewegt sich dann nach links, um eine bestimmte Frage eingehender zu betrachten, und kehrt dann wieder nach rechts zurück. Es beginnt mit dem Du, der Begegnung und der Erfahrung, mit der Ahnung und dem Gespür, mit der Öffnung für den Anderen, Fremden. Erst dann kommt der Schritt, dass zögernd Glaubensaussagen und -Sätze aufgestellt werden.

Da wo dogmatische Formeln und Regeln aber die Begegnung zu er-sätzen drohen, wo Glaube mit Zustimmung zu (freilich nur vermeintlich) zeitlos gültigen und vom konkreten geschichtlichen Kontext weitestgehend bereinigten Lehraussagen oder quasi-naturwissenschaftlichen „Tatsachen“behauptungen verwechselt wird, wo ein geschlossenes System von Wahrheiten entsteht, die von jeglicher Erfahrung abgekoppelt werden können, wo man also links beginnt und endet, da entsteht ein Kopfglaube, der sich in seinen eigenen frommen Hirngespinsten verliert und meist in eine lebensfeindliche Enge mündet, denn aus den Lehr-Sätzen des Propositionalismus werden leicht Ge-Sätze, die (auch wenn das anders deklariert wird) nicht mehr viel „Geistliches“ und damit Lebensspendendes an sich haben. Man erkennt die „Irrlehre“ immer nur im Fremden und anderen. Auch deshalb, weil einem durch das dualistische Denken, das alles in Schwarz und Weiß einteilt, der Zugang zu den eigenen Ambivalenzen nicht mehr möglich ist. Dafür werden alle Widersprüche ins Gottesbild verschoben: Je souveräner und abgehobener Gott dargestellt wird, desto janusköpfiger erscheint er auch, wenn er etwa mit der gleichen Inbrunst den einen in den Himmel und den anderen in die Hölle schickt.

Echter Herzensglaube (den es durchaus auch auf einem beachtlich hohen theologischen Reflexionsniveau gibt) kann dagegen gut damit umgehen, dass sich das Leben nicht den Formeln und Gesetzen fügt, dass Zweifel und Widersprüche zum Menschsein dazu gehören und nicht verdrängt oder gar beseitigt werden können. Er lebt nicht in einem „bibeltreuen“ Kartenhaus von Propositionen, das einstürzt, wenn man irgendwo ein Element entfernt. Er lebt mit Poesie, Bildern und Geschichten, die keine VorSchriften sind, sondern zu einem neuen Blick und einer anderen Lebenshaltung führen; die Spielräume eröffnen, in denen Veränderung möglich wird. Der Herzensglaube kann, wie Luther einmal pointiert sagte, durchaus auch „Christus gegen die Schrift“ treiben und den Geist über den Buchstaben stellen, sich also mit dem Menschensohn über religiöse Grenzen und Vorschriften hinwegsetzen, um der Liebe und der Barmherzigkeit zu ihrem recht zu verhelfen, und er wird dafür auch Leid und Anfeindung in Kauf nehmen. Vielleicht wird er situativ auch die eine oder andere Fehlentscheidung treffen, aber selbst das Scheitern hat bei Gott seinen Platz und seinen Sinn: auch die dunklen Töne gehören zur Symphonie des Lebens.

Herzensglaube braucht keine Lehrgebäude, die für die Ewigkeit unverrückbar stehen. Er lebt fröhlich mit allerlei Provisorien, die es ihm erlauben, in Bewegung zu sein. Er ist keineswegs beliebig, aber er hat auch keine Berührungsängste gegenüber anderen Konfessionen, Religionen und Positionen; er lässt sich allerdings auch nicht mehr ins Gefängnis begrifflich fixierter Gewissheiten locken und wird sich gegen Vereinnahmungsversuche aus dieser Richtung durchaus auch leidenschaftlich zur Wehr setzen. Daher irritiert jede Form von Mystik die Wächter der durchgezogenen Linien so gewaltig, weil sie Menschen von der Bevormundung durch Regelwerke und Hierarchien befreit.

Wenn Herzensglaube zur Theologie wird, dann funktioniert das, indem man mit Gottvertrauen den Weg in die Weite beschreitet, wie David Bentley Hart in The Beauty of the Infinite so treffend sagt:

Theologie ist keine Kunst, die von der Geschichte auf die Ewigkeit abstrahiert, von Fakten auf Prinzipien, sondern eine, die – unter dem Druck der Geschichte, die zu interpretieren sie aufgerufen ist – entdeckt, wie die Sphäre ihrer Erzählung sich in immer größere Dimensionen des Offenbarten hinein ausdehnt, die Linie zwischen dem Geschöpflichen und dem Göttlichen überschreitet (…), weil diese Linie schon überschritten ist, nicht symbolisch, sondern tatsächlich, in der konkreten Person und Geschichte Jesu.

Herzensglaube ist also nicht Gefühlsduselei, aber er ist eben auch nicht gefühlsvergessen. Er weiß, dass uns die Wahrheit nicht in Worten begegnet, sondern personal, und wie jede Person wahrt die Wahrheit auch ein Geheimnis, das nicht vollständig aussagbar ist, sondern implizit bleiben muss. Und er weiß, dass diese Begegnung uns verändert und auf einen Weg schickt, der für jeden ein bisschen anders aussieht, dass dieser Weg schließlich auch oft mehr mit offenen Fragen als eindeutigen Antworten zu tun hat und daher mehr mit Vertrauen als mit kodifizierbarem Wissen.

Daher ist der Herzensglaube auch nichts Rückwärtsgewandtes, krampfhaft Konservatives, das einmal gewonnene Erkenntnisse für die Ewigkeit festschreiben will. Er kann loslassen und neu finden. Auch deshalb brauchen wir mehr davon: Es ist der Glaube der Pilger und Pioniere.

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Weisheit der Woche: Echte und falsche Tugenden

Nichts gegen Einsatz, Spielfreude, Biss, Entschlossenheit oder gar ein bisschen Ehrgeiz, aber das ewige Gier-Gelaber im Fußball ist mir schon seit Monaten auf die Nerven gegangen.

Nun scheint sich vielleicht doch eine andere Tugend oben auf der Hitliste zu etablieren, und diesmal wäre es eine echte, wie Christian Eichler in der FAZ online spekuliert – jetzt muss man damit nur noch nachhaltig Ernst machen:

Als die Dortmunder in den vergangenen beiden Jahren Meister wurden, prägten sie mit ihrem bissigen Spiel das neue Modewort der Liga: Gier. Jeder wollte seitdem „gierig“ spielen, auch die Bayern. Im Zusammenhang mit dem Fall Hoeneß hat das Wort seine wahre Bedeutung zurück erlangt. Prompt haben die Bayern ihrer angeblichen Einstellung, mit der man auch als Favorit in ein Spiel gehen will, ein neues Schlagwort verpasst – diesmal ein ethisch einwandfreies. Bayern-Vorstandschef Rummenigge sprach es kürzlich aus: Demut.

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Aus den Augen, aus dem Sinn?

Unter der schönen Rubrik her•meneutics von Christianity Today setzt Rachel Pietka sich mit den jüngsten Aussagen von John Piper, Galionsfigur der Gospel Coalition und notorischer Vertreter des sogenannten Komplementarismus, auseinander. Piper hatte argumentiert, er könne zwar nicht dulden, dass Frauen Männer in persona unterrichten, aber man könne ruhig Bibelkommentare von Frauen lesen.

Was zunächst nach einem vorsichtigen Zurückrudern aussieht, offenbart in Wirklichkeit das zentrale Dilemma dieses fromm verkleisterten Sexismus: Denn es ist der weibliche Körper, der durch das „neutrale“ Medium Buch entfernt wird, an dem für Piper alles hängt:

Piper’s affirmation, consequently, of women who teach indirectly and impersonally shows his overt rejection of and implicit obsession with women’s bodies. He makes it seem impossible that a man could listen to a woman’s biblical insights in her presence without being distracted by her femininity. Although Piper would likely condemn the pervasive plastering of sexualized images of women on television, magazine covers, and billboards, his resolve to hide their bodies perpetuates, rather than challenges, their objectification. It teaches men to fixate on women’s bodies.

Ich spare mir hier die ausführliche Übersetzung, aber Pietka trifft meiner Meinung nach voll ins Schwarze, wenn sie feststellt, dass Piper auf den weiblichen Körper fixiert zu sein scheint und damit Frauen im Grunde doch weitgehend auf ihr Äußeres und auf ihre Sexualität reduziert. In dieser Hinsicht entspricht er der männlichen Objektivierung von Frauen eher, als dass er sie überwindet.

Ob Piper ihren Text lesen wird, ist fraglich. Er hatte in dem Podcast, auf den Pietka sich bezog, offenbar auch erwähnt, dass er Kommentare von Frauen dann weglegen würde, wenn er das Gefühl hätte, dass er deren Autorität erliegen könnte. Sonst hätte ich vorgeschlagen, Pipers Antwort in der Rubrik hormoneutics unterzubringen…

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