Tod, Leid und Werbung

Es war gut gemeint und aufrichtig empfunden, und dennoch war ich gestern seltsam unangenehm berührt vom Bild einer Umarmung, in der ein totes Paar aus den Trümmern der eingestürzten Textilfabrik an Bangladesh geborgen wurde. Ein Freund hatte den Link auf Facebook „geteilt“. Irgendwer vor Ort hatte rechtzeitig auf den Auslöser gedrückt und das Bild veröffentlicht – mit riesiger Resonanz.

Klar kann man mit einem solch unter die Haut gehenden Bild nun für ehrenwerte politische Ziele werben. Aber es ist eben trotzdem Werbung. Worte für meinen Widerwillen fand ich kurz darauf bei Carolin Ströbele auf Zeit Online. Sie kritisiert den Ansatz, mit sehr persönlichen Bildern Einfluss nehmen zu wollen:

All diese Arbeiten rechtfertigten sich dadurch, dass sie über ein persönliches Schicksal auf einen sozialen Missstand, ein gesellschaftliches Problem hinwiesen. Doch je mehr Künstler die Elendskarte zogen, desto schwieriger wurde es irgendwann zu unterscheiden, was Kunst war, und was Exhibitionismus. Das Private war nicht mehr politisch, es war einfach nur öffentlich. Die Fotografie als soziales Gewissen funktionierte spätestens zu dem Zeitpunkt nicht mehr, als die Werbung den Begriff der Authentizität für sich entdeckte.

Das Bild hatte nicht mein ästhetisches Empfinden, sondern mein Empfinden von menschlicher Würde verletzt, selbst wenn das vermutlich niemand beabsichtigte. Wäre es nur hässlich oder schockierend gewesen, hätte es keine Zärtlichkeit gezeigt, läge die Sache wohl anders.

Share

3 Antworten auf „Tod, Leid und Werbung“

  1. Ich kann dein Unbehagen verstehen. Mir geht es ähnlich mit dem Bild; ich glaube vor allem deshalb, weil ein intimer Moment zwischen zwei Menschen ohne deren Wissen und Einverständnis um die Welt geht – ganz abgesehen davon dass es deren tragischen Tod auch noch dokumentiert. Da kann man schon von Verletzung der Würde sprechen.

    Ich würde dieses Bild aber in keinem Fall mit Kunst gleichsetzen. In der Kunst hat man ja seit dem 19. Jahrhundert immer wieder die Diskussion über deren Intentionalität und Legitimität. Die einen sprechen von Kunst, die etwas bewirken soll, die sehen nur das als Kunst an, was von jeglichen Werbe-Aspekten befreit erscheint (Schlagwort „l’art pour l’art“). Aber grade dieses Hin- und her zwischen Kunst-Autonomie und Heteronomie belebt die ganze Branche.

  2. Kunst ist ein gutes Stichwort: Ich glaube, wenn es ein Gemälde wäre oder eine Geschichte, oder sogar ein gestelltes Foto, dann wäre mir wohler dabei.

Kommentare sind geschlossen.