Die Angst vor dem „Dammbruch“ (1)

Vor einer Weile wurde ich gefragt, warum das Thema Homosexualität für viele konservative Christen, darunter auch viele Evangelikale, so ein Reizthema ist. Die Verständigung in der Sache scheint dadurch erschwert zu werden, dass jede Bewegung und jeder Perspektivenwechsel einen „Dammbruch“ auslösen könnte – der Begriff fällt in diesem Zusammenhang mit schöner Regelmäßigkeit.

Um diese Sorge zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick auf die Ursprünge des Pietismus, der als eine Art „dritte Kraft“ zwischen den verkopften Dogmatikern der altprotestantischen Orthodoxie und einer damals zunehmend indifferenten, bequemen und selbstgefälligen Volkskirche entstand (und von beiden Seiten argwöhnisch beäugt wurde):

Die Pietisten pflegten eine innige Christus- und Herzensfrömmigkeit und leisteten sich bewusst eine gewisse dogmatische Unschärfe. Denn sie verbanden einen konfessionellen (d.h. eben auch: theologischen) Pluralismus mit dem praktischen Einsatz für das Evangelium, ohne in dieser relativen Weite jener Versuchung zur Reduktion des geschichtlichen Glaubens auf das Zeitlose, Allgemeine und Vernünftige zu erliegen, die das wichtigste Kennzeichen der Aufklärung war. Aus der Mystik fand der Gedanke der Entwicklung und des Wachstums im Glauben wieder zurück in die Herzen, aus der Aufklärung die (durchaus neue) Idee, dass so etwas wie moralische Vollkommenheit tatsächlich möglich und erreichbar sein könnte.

Philipp Jacob Spener verstand die Gründung seiner kleinen Gruppen als die Sammlung derer „die mit Ernst Christen sein wollen“ und darin auch als Vollendung der lutherischen Reformation: Kirche als Kontrastgesellschaft. In den großen Gestalten dies Pietismus begegnet uns (nicht untypisch für die Zeit des Absolutismus und der Aufklärung) ein gerüttelt Maß Sendungsbewusstsein, das aber stets mit Strenge und Disziplin gepaart war: mit Opferbereitschaft, großem moralischem Ernst, dem Streben nach „Heiligung“, Missionseifer und nicht zuletzt der Bereitschaft zum Leiden.

Entsprechend entwickelte sich das Selbstbild der frommen „Konventikel“: Wir sind die „Entschiedenen“ („Wiedergeborenen“, „Erweckten“) und keine bloßen „Taufscheinchristen“ – die Worte „Glaube“ und „Christ“ sind nun ohne einen verschärfenden Zusatz nicht mehr eindeutig genug, das ist längst fest im Jargon verankert. Man sah sich in Analogie zur Botschaft der Exilspropheten als „heiligen Rest“ des Gottesvolkes, der dem Untergang entgeht. Kennzeichen der Zugehörigkeit zu diesem „Rest“ war für die Erfahrung der „Bekehrung“, und für manche gehörte noch ein mühevoller „Bußkampf“ dazu. Hier und da entwickelte sich ein gewisser Rigorismus: Wesley und die Methodisten setzten sich ein Leben in völliger Sündlosigkeit zum Ziel, das die Heiligungsbewegung im Laufe des 19. Jahrhunderts nach Deutschland reimportierte. Aus der von den Reformatoren beschworenen Reinheit der Lehre war die Reinheit des geheiligten Lebens geworden.

Mit dieser Identität des Kontrasts, zu der sich das Ideal der Reinheit gesellt, knüpft der Pietismus auch an die radikale Reformation der Täufer an – und er legt das Fundament für das Selbstverständnis der Freikirchen des 19. Jahrhunderts. Um nicht missverstanden zu werden: Das Muster gibt es freilich auch in so manchen anderen Bewegungen – und es gibt umgekehrt natürlich nicht wenige Evangelikale, die deutlich anders „ticken“. Man muss diese allgemeine Charakteristik also mit Vorsicht lesen.

Die Frage lautet nun: Wie wirkt diese Konstruktion sich aus? Mehr dazu in Kürze.

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Schnuckeliger #

Hoffen wir doch mal, dass dieser Trend bei der Namensgebung von Kindern aus dem angelsächsischen Sprachraum bei uns nicht durchsetzt: Die SZ berichtet

Ende November soll in den USA die kleine „Hashtag“ geboren worden sein. „Sie wiegt acht Pfund, und ich liebe sie so sehr!“, schreibt die Mutter des Mädchens auf ihrer Facebook-Seite.

Andere Kinder heißen Mac und Siri, oder die Eltern haben sich in den Klatschspalten („Pippa“) oder bei garantiert nobelpreisunverdächtiger Literatur wie Shades of Grey bedient. Kann gut sein, dass die ihren Eltern irgendwann einen Schatten attestieren für diese Entscheidungen.

Wieder andere heißen – immer mit Vornamen! – Reagan, Carter oder Lincoln, bei uns kämen dafür analog Kohl, Schröder oder Heinemann in Frage.

Was ganz nebenbei die Frage aufwirft: Wäre „Merkel“ nun ein Jungen- oder ein Mädchenname?

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Der (un)freie Wille und die Mächte

In der westlichen Christenheit (und unter ganz anderen Vorzeichen neuerdings in der Neurobiologie) war die Frage nach der Willensfreiheit immer ein heißes Eisen. Es ist unendlich viel dazu gesagt, geschrieben und verworfen worden; aber mir scheint, oft hat man auch entscheidende Aspekte vernachlässigt. Die Ostkirche hat – vielleicht auch deshalb – bis heute kaum nachvollziehen können, worum man im Westen seit Augustinus erregt diskutierte.

So lange Gott und der Mensch die einzigen Akteure auf dem Feld sind, steht man vor der unbefriedigenden Alternative, ob nun der eine oder der andere seinen Willen bekommt, oder ob man beides irgendwie noch sinnvoll zusammendenken kann – was meistens misslingt und sehr unanschaulich wird. Über das Paradox, das Paulus im Philipperbrief (2,12-13) schon formuliert hatte, kommt man selten hinaus (neurobiologischer Determinismus ist freilich noch viel plumper, da bleibt selbst das menschliche Bewusstsein nur ein Epiphänomen – eine Art weißes Rauschen im Hirn, das Theorien wie den neuobiologischen Determinismus hervorbringt).

Ganz anders, wenn wir die „Mächte und Gewalten“ in die Überlegung mit einbeziehen: Dann wird sofort deutlich, dass niemand auf neutralem Territorium sein Leben beginnt, sondern ungefragt schon immer in einer mehr oder weniger stark belasteten und belastenden Umgebung beginnt und mit einer gewissen Hypothek startet, die nun freilich nicht in erster Linie rein individuelle Schuld und persönliche Haftung bedeutet, sondern das – um es mit Walter Wink zu sagen – im Schatten des Todes steht, und zwar ziemlich konkret:

Wir sind tot, insofern wir mit ungerechten Mustern groß geworden sind. Wir sind Stück für Stück gestorben, indem uns wesensfremde Erwartungen aufgezwungen wurden. Wir starben, als wir zu Komplizen unserer eigenen Entfremdung und der anderer wurden. Wir starben, als wir anfingen, unsere Fesseln zu lieben, zu rationalisieren, zu rechtfertigen und uns sogar für sie stark zu machen.

Tot, weil uns all das entmenschlicht und uns die Kraft zur Gegenwehr raubt. Und just in dieser Situation wendet sich das Evangelium an den Rest von Wahrheitsliebe, gesundem Empfinden für Gerechtigkeit, Sehnsucht nach Heilwerden, Hoffnung auf ein besseres Leben und leiser Ahnung, dass uns irgendwo ein lebendiger Gott hört und sieht, und spricht uns auf unsere Freiheit an (oder spricht sie uns zu), dass wir unser wahres Ich darin finden, wenn wir nein sagen zu dem, was unsere Menschlichkeit (und die anderer vergiftet) und erstickt. Als erinnerte Gott uns an eine innere Bastion der Freiheit, die eben noch nicht endgültig besetzt ist von den Kräften, die unsere Vorstellung und Wahrnehmung, unsere Gefühle und Reflexe (nicht immer ohne unsere tatkräftige Mitwirkung) zum Zwecke systemkonformen Funktionierens manipulieren.

Aus diesem Ausgeliefertsein an die Mächte können wir uns, weil es viel zu tief sitzt, nicht aus eigener Kraft befreien. Aber diese Befreiung geschieht eben auch nicht über unsere Köpfe hinweg, ohne unsere Beteiligung (bei dem Gedanken intoniert der prädestinatianische Chor normalerweise schrill: „Pfui, Synergismus!“). Es geht also nicht um eine Art Ellbogendrücken zwischen Gott und dem Individuum darüber, wer die Lorbeeren dafür erntet, dass jemand im „Himmel“ landet, sondern um Gottes befreiendes Eingreifen in die Machtsphären unseres Lebens, das uns ermächtigt, unsere innere und äußere Freiheit zu gebrauchen, und das sich nicht nur auf die Innerlichkeit des Einzelnen beschränkt.

Um auf den Streit zwischen Erasmus und Luther zurückzukommen: Der humanistische Optimismus im Blick auf menschliche Freiheit ist psychologisch naiv und ökonomisch blind – da wo wir die Zwänge nicht mehr wahrnehmen, haben wir sie meist so verinnerlicht, dass sie Teil unserer Persönlichkeit geworden sind. Aber – und das wäre die kritische Rückfrage an Luther – vielleicht ist der Mensch ja auch nie freier und mehr Mensch, als in dem Moment, in dem er sich Gottes gewaltlosem Aufstand gegen die Mächte anschließt?

Denn wenn Luther in de servo arbitrio den menschlichen Willen mit einem Lasttier vergleicht, das entweder von Gott oder dem Satan geritten wird, bringt er zwar mit dem Stichwort „Teufel“ eine dritte Kraft ins Spiel. Trotzdem schlägt er damit bei näherem Hinsehen andere Töne an als das neue Testament. Zum einen ist der Bezug zwischen dem Stichwort „Teufel“ und den handfesten soziokulturellen und -politischen Realitäten, auf die das Wortfeld von den Mächten anspielt, eher vage (politische Theologie war nicht unbedingt Luthers Stärke, wie seine Hilflosigkeit im Bauernkrieg zeigte). Zum andern scheint mir die Parallele zu schematisch, wie der rein passiv gedachte Mensch sich Gott oder anderen Mächten gegenüber verhält.

Anders gesagt: Gott und seine Herrschaft sind nicht einfach nur das spiegelbildliche Gegenteil aller anderen Formen destruktiver Herrschaft. Freilich kann auch Paulus von „Knechtschaft“ sprechen, aber dann steht im Hintergrund des Vergleichs eben das System der römischen Sklavenhaltergesellschaft, die Menschen im Zuge ihrer Eroberungskriege und aus wirtschaftlichen Gründen gewaltsam versklavt, ausbeutet, psychisch verkrüppelt und politisch mundtot macht. Das gipfelt schließlich darin, dass Rom den Sohn Gottes wie einen aufständischen Sklaven kreuzigt. Das Sklavensystem degradiert und entmenschlicht den Menschen, es beraubt ihn seiner Würde, während ein Pferd oder Esel immer ein mehr oder weniger heiles Pferd oder Esel bleibt, egal, wer es reitet (es sei denn, wir lehnen die Nutztierhaltung generell ab).

Diese Befreiung ist gewiss nicht aus eigener Kraft und ohne Verbündete möglich; Gottes Tat geht unserer Antwort ja schon zeitlich voran; aber selbst wenn es völlig absurd wäre, quantitativ aufrechnen zu wollen, wer dazu wie viel beiträgt, muss man die qualitativ andere menschliche „Beteiligung“ ja nicht kategorisch auf Null setzen. Neben den Aussagen zu Herrschaft und Knechtschaft stehen bei Paulus ja auch immer wieder Sätze, die kaum noch eine klare Unterscheidung zwischen menschlichem Selbst und göttlichem Geistwirken zulassen. Zu unübersichtlich, fürchte ich, um es so radikal zu vereinfachen.

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Beat the System

Auf dem Emergent Forum haben wir über Macht und Ohnmacht nachgedacht, und in diesem Zusammenhang auch über die biblischen Beschreibungen von Macht im menschlichen Zusammenleben, die stets ambivalenten Charakter haben und sich weder auf ihre materielle Seite reduzieren noch komplett spiritualisieren lassen.

Walter Wink schlägt vor, den Begriff „Kosmos“ dort, wo er im Neuen Testament negativ verwendet wird (als Sammelbegriff für alle Formen kollektiven Widerstands gegen den guten Schöpfergott), statt mit „Welt“ (mit der wir immer auch alles Gute und Schöne der Schöpfung assoziieren wie auch die von Gott geliebte Menschheit), sondern mit „System“. Denn „Sünde“ oder Bosheit ist bei weitem nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein systemisches.

Und nachdem spätestens im 21. Jahrhundert alles global verflochten ist, kann Wink die unterschiedlichsten Phänomene und Mechanismen unter den Begriff des „Herrschaftssystems“ (engl.: domination system) fassen. Es ist erstaunlich, wie anders bestimmte Abschnitte aus der Bibel plötzlich klingen, etwa diese düster-nüchterne Analyse im Epheserbrief:

Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Drahtzieher und Machtzentren, gegen die Kontrolleure dieses finsteren Systems, gegen ein Klima der Bosheit. (Eph 6,12)

Der Gegensatz zwischen Gott und Kosmos ist nirgends schroffer formuliert als im Johannesevangelium:

Wenn das herrschende System euch hasst, dann wisst, dass es mich schon vor euch gehasst hat. Würdet ihr mit dem System kooperieren, würde das System euch dafür lieben. Aber weil ihr dem System den Rücken gekehrt habt – weil ich euch dem System entwunden habe! – darum hasst euch das System. (Joh 15,18-19)

Das alte System setzt euch unter Druck; aber habt Mut: Ich habe das System überwunden. (Joh 16,33)

Und ganz ähnlich heißt es im ersten Johannesbrief:

Liebt nicht das Herrschaftssystem und was dazu gehört! Wer das System liebt, hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles an diesem System – die Unersättlichkeit einer entfremdeten Existenz, das Fixiertsein auf Äußerlichkeiten, seine großspurige Arroganz – ist nicht vom Vater, sondern stammt aus dem Herrschaftssystem. Dieses System und seine perverse Gier vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt ins kommende Zeitalter hinein. (1.Joh 2,15-17)

Paulus kann daher im Blick auf seinen apostolischen Auftrag schreiben:

Wir leben zwar in diesem Herrschaftssystem, kämpfen aber nicht mit den Mitteln des Systems; Die Waffen, die wir bei unserem Feldzug einsetzen, sind nicht systemimmanent, aber sie haben durch Gott die Macht, eingefahrene Denk- und Reaktionsmuster zu durchbrechen; mit ihnen reißen wir alle ausgeklügelten Berechnungen nieder, die sich gegen die Erkenntnis Gottes auftürmen. Wir nehmen alles Denken gefangen unter den Gehorsam, wie ihn der Messias uns vorgelebt hat; (2.Kor 3,3-5)

Und von da aus lässt sich nun darüber nachdenken, wie sich das im Arbeits- und Gemeindealltag denn nun praktisch auswirkt…

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Die Individualisierung des Problems

Letzten Samstag am Emergent Forum hat Walter Faerber über Spiritualität als Widerstand gesprochen und kam dabei auf die Geschichte vom besessenen Gerasener zu sprechen. In der Fragerunde wollte dann jemand wissen, ob der Mann denn nun bloß ein Tourette-Syndrom hatte oder ob er (meine Worte) von einer Art immateriellem Kobold angefallen worden war, der nun seinen Schabernack mit ihm trieb – das „klassische“ Verständnis von Dämonen eben.

Diese Alternative ist meiner Meinung nach gänzlich unbefriedigend – keine Seite wird dem gerecht, was hier alles beschrieben wird. In beiden Fällen wäre es das persönliche Problem eines einzelnen: entweder ein psychischer Knacks, vielleicht aufgrund traumatischer Erfahrungen, vielleicht eines Stoffwechselproblems im Gehirn, oder es ist eben ein spiritueller Parasit, den man sich unwillkürlich, leichtfertig oder gar schuldhaft einhandelt wie Fußpilz oder Zecken.

In Wirklichkeit beleuchtet das Evangelium die sozialen Realitäten, die im Hintergrund dieser Störung der Persönlichkeit stehen, ganz deutlich: Die permanente (offene oder latente) Gewaltandrohung durch den römischen Militärapparat, die nicht minder rabiaten Rachephantasien der Unterworfenen und Ausgebeuteten, die nicht unproblematische Nachbarschaft zwischen Juden und Heiden am Nordrand des Sees, der subversive Symbolismus, wenn eine „Legion“ Schweine am Ende absäuft – vermutlich lässt sich die Liste noch beliebig fortsetzen. All das ist in dem Geschehen auf dem Friedhof sichtbare, hörbare und mit Händen zu greifende Wirklichkeit.

Denn die Wahrheit über unsere Welt, den kollektiven Wahnsinn, den niemand wahr haben will – nicht einmal die Opfer –, dürfen eben nur die Narren oder die Besessenen ungestraft aussprechen. Heute kann man dafür in der Psychiatrie landen, wie der heiß diskutierte Fall Mollath momentan zeigt, in dem, so steht zu befürchten, ein Netzwerk von Veruntreuung und Vertuschung als der Wahn eines Einzelnen abgetan wurde. Wenn das nicht „dämonisch“ ist (in dem Sinne, dass wir hier verfolgen können, wie parasitäre Bosheit unsere Institutionen so weitreichend korrumpiert, dass sie einzelne Menschen und ganze Gruppen zu zerstören), was dann?

Wenn wir hier also auf den Trick hereinfallen und zulassen, dass das Problem individualisiert und der Lichtkegel unserer Aufmerksamkeit so weit verengt wird, dass die wahren Verursacher im Dunkeln bleiben, dann werden wir zu Komplizen dieser Vertuschung und wir verstetigen das Leid. Gott bewahre uns davor, die Bibel weiterhin mit solchen Scheuklappen zu lesen!

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Von der Ausgrenzung zur Umarmung

Kaum ein Buch, das ich besser kenne, als dieses – kaum eines, das ich allen, die eine tiefgründige und gut geschriebene Auseinandersetzung mit so manchen Schicksalsfragen unserer Zeit schätzen, bedenkenloser empfehlen würde. Miroslav Volfs theologischer, aber eben nicht rein akademischer Bestseller Exclusion and Embrace ist seit ein paar Tagen (wenngleich noch nicht überall) auf Deutsch erhältlich.

Volf ist schon aufgrund seiner Lebensgeschichte jemand, der ein weites Herz und ein umsichtiges Urteilsvermögen hat. Er ist gebürtiger Kroate, Sohn eines Pfingstpastors, groß geworden in einem Umfeld, in dem sowohl der Atheismus als auch der Islam immer schon präsent waren. Er promovierte bei Jürgen Moltmann in Tübingen und ging dann in die USA, wo er zunächst am progressiv-evangelikalen Fuller Seminare und seit einigen Jahren an der Eliteuni in Yale systematische Theologie lehrt.

Von der Ausgrenzung zur Umarmung ist erstens deshalb so lesenswert, weil sich Volfs Lebensweg (zum Beispiel ethnische Säuberungen im früheren Jugoslawien, Rassenunruhen in den USA ) in seinen Überlegungen zum Thema Ausgrenzung widerspiegelt, weil er sich zweitens auf der Höhe der Zeit mit Philosophie und Kulturtheorie beschäftigt, wenn es um die Frage nach Macht, Wahrheit und Gerechtigkeit geht, und weil er drittens an den entscheidenden Stellen seiner Argumentation auf die biblische Überlieferung zurückgreift und dabei nicht einfach nur „Belegstellen“ zitiert, sondern ein tiefes Verständnis der Texte an den Tag legt, das zu überraschenden Einsichten führt.

In jeder Hinsicht ein Augenöffner. Also, am Besten gleich zugreifen!!

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Revolutiomary

Für Texte wie das Magnificat ist Eugene Petersons The Message für mein Empfinden immer noch unerreicht. Peterson ist ein Poet, nicht nur ein Modernisierer oder Verfremder, mit einer Fülle von frischen Bildern und Begriffen, die ihresgleichen sucht. Also – lasst Euch die Mutter aller Adventslieder auf der Zunge zergehen (sorry, dazu gibt’s keine Übersetzung für Englischmuffel):

I’m bursting with God-news;
I’m dancing the song of my Savior God.
God took one good look at me, and look what happened—
I’m the most fortunate woman on earth!
What God has done for me will never be forgotten,
the God whose very name is holy, set apart from all others.
His mercy flows in wave after wave
on those who are in awe before him.
He bared his arm and showed his strength,
scattered the bluffing braggarts.
He knocked tyrants off their high horses,
pulled victims out of the mud.
The starving poor sat down to a banquet;
the callous rich were left out in the cold.
He embraced his chosen child, Israel;
he remembered and piled on the mercies, piled them high.
It’s exactly what he promised,
beginning with Abraham and right up to now.
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Pragmatismus schlägt Dogmatismus

Immer für eine Überraschung gut, so oder so, ist der amerikanische TV-Prediger Pat Robertson. Nun hat er Anhänger wie Kritiker mit der unmissverständlichen Aussage verblüfft, die Erde sei keine 6.000 Jahre alt – diese Behauptung hielt sich lange in christlich-fundamentalistischen Kreisen.

Und auch der Grund für den Meinungsumschwung wird deutlich: Wer Sachen behauptet, die wissenschaftlich widerlegt sind, der verliert die nachfolgende Generation, konstatiert Robertson kurz und bündig. Und tatsächlich haben die konservativen Evangelikalen in den USA ein gravierendes Nachwuchsproblem.

Das Spannende an dieser Sache ist, dass es hinter allem irritierenden Dogmatismus einen noch robusteren Pragmatismus gibt. Der schlägt vielleicht erst spät zu, aber dann setzt er sich durch. Bevor der Glaube ausstirbt, wird er halt doch modernisiert. Ein bisschen wenigstens. Vom Kreationismus dürfte sich Robertson damit noch nicht unbedingt verabschiedet haben. Aber seine Nachfolger erledigen das dann vielleicht demnächst.

Der ernüchternde Aspekt bleibt freilich der: So lange diese Jungs Oberwasser hatten, haben sie alles Störende abgeblockt. Wenn sie nun geschwächt sind, werden sie umgänglich – ein allzu menschlicher Mechanismus, der nicht auf bestimmte theologische Richtungen beschränkt sein muss.

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