Beat the System

Auf dem Emergent Forum haben wir über Macht und Ohnmacht nachgedacht, und in diesem Zusammenhang auch über die biblischen Beschreibungen von Macht im menschlichen Zusammenleben, die stets ambivalenten Charakter haben und sich weder auf ihre materielle Seite reduzieren noch komplett spiritualisieren lassen.

Walter Wink schlägt vor, den Begriff „Kosmos“ dort, wo er im Neuen Testament negativ verwendet wird (als Sammelbegriff für alle Formen kollektiven Widerstands gegen den guten Schöpfergott), statt mit „Welt“ (mit der wir immer auch alles Gute und Schöne der Schöpfung assoziieren wie auch die von Gott geliebte Menschheit), sondern mit „System“. Denn „Sünde“ oder Bosheit ist bei weitem nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein systemisches.

Und nachdem spätestens im 21. Jahrhundert alles global verflochten ist, kann Wink die unterschiedlichsten Phänomene und Mechanismen unter den Begriff des „Herrschaftssystems“ (engl.: domination system) fassen. Es ist erstaunlich, wie anders bestimmte Abschnitte aus der Bibel plötzlich klingen, etwa diese düster-nüchterne Analyse im Epheserbrief:

Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Drahtzieher und Machtzentren, gegen die Kontrolleure dieses finsteren Systems, gegen ein Klima der Bosheit. (Eph 6,12)

Der Gegensatz zwischen Gott und Kosmos ist nirgends schroffer formuliert als im Johannesevangelium:

Wenn das herrschende System euch hasst, dann wisst, dass es mich schon vor euch gehasst hat. Würdet ihr mit dem System kooperieren, würde das System euch dafür lieben. Aber weil ihr dem System den Rücken gekehrt habt – weil ich euch dem System entwunden habe! – darum hasst euch das System. (Joh 15,18-19)

Das alte System setzt euch unter Druck; aber habt Mut: Ich habe das System überwunden. (Joh 16,33)

Und ganz ähnlich heißt es im ersten Johannesbrief:

Liebt nicht das Herrschaftssystem und was dazu gehört! Wer das System liebt, hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles an diesem System – die Unersättlichkeit einer entfremdeten Existenz, das Fixiertsein auf Äußerlichkeiten, seine großspurige Arroganz – ist nicht vom Vater, sondern stammt aus dem Herrschaftssystem. Dieses System und seine perverse Gier vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt ins kommende Zeitalter hinein. (1.Joh 2,15-17)

Paulus kann daher im Blick auf seinen apostolischen Auftrag schreiben:

Wir leben zwar in diesem Herrschaftssystem, kämpfen aber nicht mit den Mitteln des Systems; Die Waffen, die wir bei unserem Feldzug einsetzen, sind nicht systemimmanent, aber sie haben durch Gott die Macht, eingefahrene Denk- und Reaktionsmuster zu durchbrechen; mit ihnen reißen wir alle ausgeklügelten Berechnungen nieder, die sich gegen die Erkenntnis Gottes auftürmen. Wir nehmen alles Denken gefangen unter den Gehorsam, wie ihn der Messias uns vorgelebt hat; (2.Kor 3,3-5)

Und von da aus lässt sich nun darüber nachdenken, wie sich das im Arbeits- und Gemeindealltag denn nun praktisch auswirkt…

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8 Antworten auf „Beat the System“

  1. Phantastisch! Das ist der Glaube, den ich kennengelernt habe an den Jesus, zu dem ich mich bekehrt habe. Mit dem widergöttliche Systeme sich nicht schmücken und in blasphemischer Weise scheinlegitimieren, sondern der ihnen zum Stein des Anstoßes wird und über den sie schließlich stürzen.

    Und ich hatte schon gedacht, er sei ausgestorben. :´-) Noch einen:

    Unser Glaube ist der Sieg, der das System überwunden hat. (1. Johannes 5.4b)

  2. Natürlich beeinflussen die Lebensumstände (wozu ich die diversen Systeme zähle) massiv die Entwicklungsperspektiven und damit die Handlungsoptionen. Trotzdem hat jeder in einer konkreten Situation immer mehrere Alternativen wie er sich entscheiden kann und ich finde es mindestens genauso gefährlich den Einzelnen durch eine Überbetonung der Systeme aus seiner Verantwortung zu entlassen, wie die Systeme zu vernachlässigen.

    1. @Daniel: Nein, Du hast Recht, das würde ja bedeuten, das Spiel der Mächte und die Ohnmachtsgefühle von Menschen auf die Spitze zu treiben, wenn man ihnen suggeriert, sie hätten letztlich gar keine Wahl. Das ist natürlich auch die Gefahr einer Theologie der Unfreiheit.

  3. Übrigens kann man Vorträge und Diskussionen hier anhören:

    http://emergent-deutschland.de/podcast-2/

    Ich habe mir gerade „Spiritualität als Widerstand“ angehört und kann es nur empfehlen.

    @Daniel: Diese Gefahr sehe ich für Deutschland aktuell allerdings nicht. Die üblichen Zeugnisse, die im Umlauf sind, haben doch dieses Schema: Jemand wird Christ, stellt darauf hin ein persönliches Fehlverhalten ab (macht eine Alkohol-Entziehungskur, bekommt seine Kaufsucht in den Griff, sucht sich endlich – und natürlich mit Erfolg, man muss nur wirklich wollen – eine gut bezahlte Arbeit) und dann kommt sein Leben in Ordnung, sprich mittelstandsbürgerliche Bahnen.

    Bei vielen mag das auch so funktionieren. Allerdings verursachen widergöttliche, verbrecherische Systeme wie Faschismus, Stalinismus, Turbokapitalismus und alles, was wir „Welt“ nennen, immer auch Opfer, die nicht einfach durch persönliches Wohlgefallen frei werden, ihre Würde – zunächst innerlich, vor sich selbst – zurückbekommen können ohne Widerstand gegen und Überwindung – wieder zunächst für sich selbst – das wird im Vortrag „Spiritualität als Widerstand“ wunderbar dargestellt – des Systems. Wenn es dann schließlich durch das Freiwerden einzelner schließlich auch äußerlich zusammenbricht umso besser, aber die Freiheit ist nicht davon abhängig. Es geht um etwas für die Welt Unmögliches, aber „bei Gott ist kein Ding unmöglich“: Freiheit in der Unfreiheit, Gerechtigkeit in der Ungerechtigkeit, Würde in Entwürdigung, Alternativen zur Alternativlosigkeit.

  4. Und davon hört man in christlichen Kreisen in Deutschland sehr wenig, finde ich.

    (Kernaussage vergessen gehabt.)

  5. Hallo,
    ich habe Eure Seite vor Kurzem entdeckt (Jesus.de) und schau mir gerade an, was Ihr so habt.
    Eine Frage: Was ist das für eine Bibelübersetzung, die hier zitiert wird? Sie bringt nochmal eine ganz andere Lesart ins Spiel und zeigt sehr deutlich die Sprengkraft (auch und gerade die soziale) des Evangeliums auf.

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