Der ungeliebte Christus

Ich kann ja gut verstehen, wie es so weit kommen konnte: Da ist der Pfarrer, der in einer so hölzernen Art und stereotyp immerzu nur von „Jesus Christus“ spricht, als wären das Vor- und Nachname wie in „Herbert Müller“ – und weil er immer den Nachnamen dazu sagt, erweckt das zugleich den Anschein, als kenne er diesen Herrn nicht besonders gut.

Da sind theologische und Frömmigkeitstraditionen, in denen die göttliche Seite auf Kosten des Menschlichen so hervorgekehrt wurde, dass ihr „Christus“ immer blutleerer und unnahbarer wurde. Da sind zuletzt die Esoteriker, die den Christustitel zu einer Chiffre umgebaut haben, unter der nun alles Mögliche an abtrusen und diffusen Vorstellungen von Weltseelen und Energieströmen firmiert.

Im Gegenzug haben einige den Christustitel komplett ausrangiert. Nicht nur in ihrer Gebetsanrede, sondern auch in ihrer Alltagstheologie. Nur so lässt es sich erklären, dass der Ausdruck „Leib Christi“ aus 1. Korinther 12 nicht nur in der Predigtsprache, sondern auch in der einen oder anderen Publikation als „Leib Jesu“ erscheint. Aber eben hier beginnt die Begriffsverschiebung auch zu einer Sinnverschiebung zu werden, die am Ende einen privatisierten Jesus ergibt, und die Gemeinde und Kirche auf eine Art Fanclub reduziert.

Christus ist ja die griechische Übersetzung des hebräischen Messiastitels. Dass Jesus der Christus – des Messias Gottes – ist, ist eines der Kernbekenntnisse des Neuen Testaments und der ersten Christen. Wie Jesus diese Messiasrolle annahm und ausfüllte, war höchst umstritten und ist es bis heute, nicht nur zwischen Christen und Juden, sondern auch in der Diskussion um die verschiedenen Formen politischer Theologie durch die Jahrhunderte.

Vielleicht kann man es so sagen: Der Name Jesus (damals durchaus verbreitet) betont mehr die menschliche Person, während Titel wie Messias/Christus, „Menschensohn“ oder „Sohn Davids“ die (heils-)geschichtliche Rolle beschreiben. Beides lässt sich nicht trennen, aber man muss die Medaille immer mal wieder drehen, damit klar ist, dass sie diese beiden Seiten auch tatsächlich hat. Bei „Jesus“ denken wir zu Recht erst einmal an den Mann aus Fleisch und Blut, zum Anfassen und auf Augenhöhe mit anderen Menschen, einer von uns, der vertraute Freund. Eben dieser intime Freund jedoch ist in einer einmaligen Mission unterwegs – auch heute noch. Sie ist erst abgeschlossen, wenn alles Leid besiegt ist, alle Tränen getrocknet, wenn nicht nur der Hass, sondern auch der Tod überwunden und Gott „alles in allem“ ist.

Um nicht zu vergessen, dass „unser“ Jesus nach dem Bekenntnis der ersten Christen (man hat sie damals spöttisch kleine „Christusse“ genannt, aber gerade nicht kleine „Jesusse“!) auch an der Schöpfung der Welt beteiligt war, dass er der göttliche Logos ist, in dem sich das Geheimnis der Welt erschließt – nicht nur der „persönliche Heiland“, sondern der Erlöser des Kosmos – dafür brauchen wir unter anderem den Christustitel. Nicht als distanzierenden „Nachnamen“, sondern damit wir, als der Leib Christi, uns der wahren Dimensionen von Gottes Handeln in der Welt und im Zusammenhang damit auch unserer eigenen Rolle als Leib Christi bewusst werden. Das scheint mir auch Paulus am Ende von Epheser 3 im Sinn zu haben, wenn er schreibt:

In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt.

Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen, für ewige Zeiten. Amen.

Share