Viele Lichter und doch kein Leuchten

Wer sich im Advent durch die vorweihnachtlich kaufberauschten Massen in den Innenstädten schiebt denn das Geld sitzt den Deutschen, wie man liest und hört, wieder lockerer in den Taschen, es reckt gar konsumfreudig den Hals über deren Rand hinaus – der kann schon ins Grübeln kommen, ob hier noch irgendwer mit dem Begriff „Erlösung“ etwas anfangen kann, sich nach einer Rettung (geschweige denn einem Retter) sehnt. Sofern man kein Moralist ist (und wer will das noch sein?), kann man augenscheinlich ja doch ganz fröhlich genießen.

Doch passend zum Konsumgipfel des Jahres hört man Stimmen, die den aus der Mode gekommenen Begriff der „Entfremdung“ wieder rehabilitieren. Nicht in dem alten, bevormundenden Sinne des Essentialismus derer, die immer schon ganz genau wussten, was gut und richtig ist, aber um denen zu helfen, die Erfahrungen wie in Worte zu fassen versuchen wie das Gefühl, nicht zu leben, sondern gelebt zu werden. Die Berliner Soziologin Rahel Jaeggi nennt, so beschreibt es Christian Weber in der SZ,

Menschen, die sich in ihren gesellschaftlichen Rollen fremd fühlen, von ungewollten Wünschen beherrscht sind oder an der eigenen Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Umwelt leiden.

und Ihr Kasseler Kollege Heinz Bude spricht laut Weber von

… Entfremdung in der Arbeit, wenn man keinen Stolz mehr darauf empfinden könne, selber etwas in Gang zu setzen. Entfremdung in der Liebe sei die Unfähigkeit zur Hingabe und dem Außersichsein. Und entfremdet sei auch eine Haltung zur Politik, die unfähig ist zu öffentlicher Leidenschaft. „Entfremdung ist, wenn nichts leuchtet, wenn uns nichts ergreift und wenn uns nichts auf den Grund setzen kann“, so Bude.

Ist es möglich, dass die vielen Lichter in den Fußgängerzonen, Vorgärten und Fensterbänken ein Signal der Sehnsucht sind, dass endlich wieder etwas richtig lebendig und von innen heraus leuchten möge? Und wäre das ein spätmoderner Zugang zu dem jesajanischen Text vom Volk, das im Dunklen wohnt (9,1ff), wenn Amy MacDonald in „The Road to Home“ zum Beispiel singt:

Oh the light is fading all the time and this life I’m in, it seems to pass me by

Und dann fährt sie fort:

But I’ll still remember which way to go. I’m on the road, the road to home

MacDonald sehnt sich zurück nach Schottland, nach ihrer Heimat. Weber schreibt dagegen, der Weg aus der Entfremdung heraus könne nicht im konservativen und/oder romantischen Irrtum bestehen, „den jeweils vorvergangenen Gesellschaftszustand als weniger entfremdet zu preisen.“

Die ersehnte Heimat liegt nicht hinter uns, sondern vor uns. So sagt es der Prophet auch dem Volk. Glücksratgeber und privatisierte, ihrer theopolitischen Wurzeln beraubte Religiosität helfen nur bedingt: Das Alte kehrt nicht mehr zurück, unsere ganze Hoffnung ruht auf der Verheißung, dass Gott etwas Neues tut, nämlich das drückende Joch entfernt und den Stecken des Treibers zerbricht. Auf dieses Neue passen also die Begriffe, die Jaeggi im Blick auf gutes, gelingendes Leben aufzählt, gar nicht so schlecht. Können Menschen selbstbestimmt Projekte verfolgen, mit denen sie sich identifizieren können, oder noch anders gesagt:

Ist etwas irgendwie anschlussfähig? Ermöglicht es Erfahrungen oder behindert es diese?

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